Der kommende Aufstand
Die Linke hat eine neue Bibel: Ein anarchistisches Manifest geht um die Welt, während der Staat seine AutorInnen jagt.
Die Linke hat eine neue Bibel: Ein anarchistisches Manifest geht um die Welt, während der Staat seine AutorInnen jagt.
Es gibt Texte, die Geschichte schreiben. Durchaus im wörtlichen Sinn: Sie verbreiten Ideen, die noch nicht an der Macht sind, aber bereits in den Köpfen. Sie geben dem Unbehagen, das allenthalben gespürt wird, eine Form und einen Ausdruck.
Zur Zeit geht so eine Schrift auf der ganzen Welt um: Der kommende Aufstand ist ein Manifest, das Staat und Kapitalismus den Krieg erklärt. Es erschien vor drei Jahren in Frankreich im Anschluss der Krawalle in den Banlieues, als Verfasser zeichnet das Unsichtbare Komitee. Die französische Sonderpolizei stürmte eine Kommune auf dem Land, um einen mutmaßlichen Autor, den Philosophen Julien Coupat, festzunehmen, was das Ansehen des Textes nur noch steigerte und ihn international bekannt machte.
Der reaktionäre US-Fernsehstar Glenn Beck hielt die englische Übersetzung des Buches in die Kamera und nannte es „möglicherweise das Böseste, was ich jemals gelesen habe“. Die Linken riefen zur Bewaffnung auf, warnte er seine ZuseherInnen. Seit Sommer dieses Jahres ist der Text auch auf Deutsch erhältlich, woraufhin er die deutschen Zeitungen eroberte. Die wichtigsten FeuilletonistInnen widmeten dem Pamphlet ihre Gedanken und versetzten es in den Rang einer neuen „Bibel der Linken“.
Attac wird verspottet. Was hat dieser Text zu bieten, dass er in versifften Studierendenheimen gleichermaßen fasziniert gelesen und diskutiert wird wie in den Glaspalästen der großen Redaktionen? Zuallererst stimmt, dass er wirklich gut geschrieben ist, darüber herrscht Einigkeit. Aber die Essenz des kommenden Aufstands ist etwas anderes. Was das Werk so faszinierend macht, ist die so simple wie radikale Feststellung, dass sich der real existierende Kapitalismus nicht zähmen lässt. Dass es den Reichen immer gelingen wird, den Netzen des Steuerstaats zu entwischen. Attac, Grüne, Gewerkschaften, SozialdemokratInnen: Das Unsichtbare Komitee verhöhnt und verspottet sie alle. Sie trügen nur dazu bei, den verhassten Staat und seine bewaffneten Arme, die das Kapital schützen, am Leben zu halten.
Aber müsste nicht zumindest der Wohlfahrtsstaat verteidigt werden? „Der Behinderte ist das Vorbild der kommenden Bürgerlichkeit. Es ist nicht ohne jede Vorahnung, dass die Vereine, die ihn ausbeuten, ein existenzsicherndes Grundeinkommen für ihn fordern“, antwortet das Unsichtbare Komitee.
Aber sollte nicht zumindest versucht werden, das System von innen zu verändern? „Es gibt keinen Grund, sich in diesem oder jenem Bürgerkollektiv zu engagieren, in dieser oder jenen Sackgasse der radikalen Linken, in der letzten vereinten Hochstapelei“, schreiben die unsichtbaren KommunardInnen.
Ihre Haltung ist nicht ganz neu, KommunistInnen verfochten im 20. Jahrhundert eine ähnliche Sicht. Neu sind aber die Antworten, die Der kommende Aufstand bietet, um den Besitzenden die Macht zu entreißen. Nicht mehr Einparteien-Diktatur und Verstaatlichung der Produktionsmittel sollen der Linken den Sieg bringen, sondern Sabotage, Rückzug, Anonymität und „Partisanenkampf“.
Der Partisan im Wald. Wie das Erfolg bringen soll? „Georges Guingouin, der ‚erste Partisan in Frankreich‘, hatte als Ausgangspunkt 1940 nur die Sicherheit seiner Ablehnung der Besatzung“, schreiben die AutorInnen. Damals sei er für die Kommunistische Partei „nur so ein Spinner, der im Wald lebt“ gewesen; bis es „zwanzigtausend Spinner waren, die im Wald lebten“ und die eine Stadt von den Nazis befreit hätten.
Der Partisan im Wald zeigt vor, wie die Logik des Kapitals überwunden werden soll. Es gehe darum, Gruppen zu bilden und sich selbst zu organisieren, um der Hybris des Staates, der alles kontrollieren will, zu entkommen. Hier wird klar, warum Der kommende Aufstand so vielen und gerade auch konservativen FeuilletonistInnen leise zuspricht: Die extreme Linke stimmt ein in das konservative Unbehagen am Staat, der einer Krake gleich mit seinen Tentakeln immer tiefer in unser Leben eindringt, um die „öffentliche Sicherheit“ und letztlich sich selbst zu erhalten. Er operiert mit Videoüberwachung, Rasterfahndung und unscharf formulierten „Mafiaparagraphen“, die jeden Kegelverein ins Gefängnis bringen können.
Wobei Repression aber nur einer der beiden Janusköpfe der Staatlichkeit ist: Der Ausweitung der Überwachung auf der einen Seite entspricht der Ausbau des Wohlfahrtsstaates auf der anderen. Der Sozialstaat trat in der Geschichte immer als Alter Ego des Kontrollstaates auf. Wer gibt, macht das nicht ohne Preis – der Staat tauscht seit jeher Freiheit gegen die Sicherheit seiner BürgerInnen. So muss es nicht wundern, dass die linksliberale Berliner tageszeitung weit hysterischer als die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung ( FAZ ) auf ein Manifest reagiert, das den Staat vernichten soll.
Schwarze Geländewägen. Wie würde aber die Welt aussehen, wenn Der kommende Aufstand gelänge? Die AutorInnen schreiben, „eine aufständische Erhebung ist vielleicht nichts anderes als eine Vervielfachung der Kommunen, ihrer Verbindungen und ihres Zusammenspiels“ und jegliche Kommune könne „nur zwangsläufig nach Selbstversorgung streben und in ihrem Innern Geld als etwas Lächerliches und genau gesagt Deplaziertes empfinden“.
Der FAZ schwebt für den Fall eines Sieges des Unsichtbaren Komitees etwas anderes vor: „Die unsichtbaren linken Militanten überschätzen ihre Kraft: Eine kollabierende öffentliche Ordnung würde (…) durch eine Mafia regiert. Wenn die Züge nicht mehr fahren, folgt nichts Besseres. Nach dem kommenden Aufstand kommen die schwarzen Geländewagen.“