Das Restl kommt zum Schluss
Die möglichen Spielformen und Konstellationen von Sex sind vielfältig und unzählbar. Viele Techniken und Strategien von Aufriss bis Zeugung werden in Zeitschriften und Ratgebern besprochen, analysiert und kultiviert. An dieser Stelle soll es zur Abwechslung um eine weniger angesehene Art des Beischlafs gehen: das Restlbumsen.
Eine andere, eventuell bekanntere – weil standarddeutsche – Bezeichnung für das Restlbumsen ist Resteficken. Im Gegensatz zum Bumsen klingt die Zusammensetzung mit Ficken allerdings so tough und ungemütlich, dass der Kern des gesamten Vorganges nicht genügend beschrieben wird. Bumsen klingt nach zufälligem Ineinanderlaufen, nach einer tollpatschigen Begegnung – und das trifft es ganz gut.
Gehen wir? Das Restlbumsen ist ein Phänomen des (Post-)Nachtlebens. Sobald in der Disko die Musik aus ist und das Licht angeht, sucht man sich möglichst schnell ein geeignetes Gegenüber und macht sich gemeinsam auf den Weg in ein beliebiges Bett. Wer möchte denn schon gern allein schlafen nach einer durchtanzten Nacht? Oder die wichtigere Frage: Wer möchte eine schöne Nacht nicht noch mit Sex toppen? Eventuell die wichtigste Frage: Wer kann nach einer stark alkoholgetränkten Nacht überhaupt allein nach Hause gehen und nicht in sein Kissen weinen vor Einsamkeit?
In der Sekunde, in der der Club das Programm beendet, die letzte Runde an der Bar längst ausgeschenkt ist, die Anlage ab- und aus purer Böswilligkeit das Licht aufgedreht wird, sich alle Anwesenden zum vielleicht ersten Mal ins Gesicht sehen, endlich unterhalten können, ohne sich anzuschreien und man gemütlich ein letztes Mal die Toilette aufsucht, weiß man: Man ist selbst ein Restl. Die anderen sind Restln. Die Übriggebliebenen, die Verlassenen. Den Absprung vor dem Rausschmiss hat man verpasst, dies lässt sich nicht mehr nachholen.
In ganz seltenen Fällen ist die Party zu schnell vorbei gewesen und es gibt die reale Möglichkeit, an einem anderen Ort einfach weiterzufeiern. In dieser speziellen Situation gibt es keine Restln, sondern die Veranstalter*innen sind in die Verantwortung zu nehmen, viel zu früh und zu Unrecht die Feierei beendet zu haben.
Plötzlich auch ein Restl. In allen anderen Fällen gilt aber: Du und alle anderen seid Restln. Es besteht nun die Möglichkeit, es einfach gut sein zu lassen, den Club zu verlassen und allein schlafen zu gehen. Mit viel Glück ist sogar noch das eine oder andere bekannte Gesicht in der kleinen übriggebliebenen Menge und man teilt sich ein Taxi. Im Morgengrauen verabschiedet man sich, schmiert sich zuhause noch ein Brot und legt sich schlafen. Dies ist nicht immer eine Option.
Meistens ist das sogar die Horroralternative. Wie die Münchner Freiheit schon sang: Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein! Und manchmal ist es eben egal, wer die Person neben bzw. unter einem ist. Also heißt es schnell die Restlmenge im Club zu mustern und jemanden auszuwählen. Dies erscheint als der strategisch klügere Zug als zu warten und angesprochen zu werden, denn man hat noch die volle Auswahl und eine Abfuhr ist extrem unwahrscheinlich. Es kann behilflich sein, dass man sich die Diskoszene aus Trainspotting ins Gedächtnis ruft und sie bei Bedarf vor dem inneren Auge abspielen lässt: Renton spricht sehr verzweifelt, aber geschickt Diane an, sie serviert ihn ab, wartet aber im Taxi auf ihn, sie knutschen und bumsen im Anschluss. Perfekt.
So sollte es idealerweise immer laufen. Achtung bei zu betrunkenen Restln (Stichwort: 2 Drunk 2 Fuck). Das gilt auch für einen selbst. Zu betrunken zum Bumsen zu sein ist das Eine – in ein fremdes Klo kotzen zu müssen ist das Andere. Man muss sich zwischen Komplettabsturz und Restlbumsen rechtzeitig entscheiden. Ein kleiner Bonus bei Ersterem ist es, dass man im Superalkmodus ebenfalls gut schlafen kann, in dem Fall allein.
Beim Restlbumsen handelt es sich um eine sehr spezielle Art des Abschleppens. Der reguläre Vorgang des Ansprechens, anschließenden Kennenlernens und Interessezeigens wird auf ein Minimum reduziert. Dementsprechend ist das Gespräch nicht nur kürzer, sondern auch sehr viel entspannter. Im krassen Gegensatz zu einer vollen Tanzfläche mit lauter Musik, unendlich vielen Menschen und dazugehörigen Menschengruppen ist die kleine Gruppe an Übriggebliebenen am Ende einer Clubnacht genau zwischen todmüde und hellwach bzw. ausgepowert und voller Adrenalin. Diejenigen, die übermäßig schnell nach ihrer Jacke suchen und aus dem Raum flüchten, sind entweder absolut desinteressiert an diesem Zirkus, blutige Anfänger*innen, die sich in der Zeit verschätzt haben oder einfach „zu alt für den Scheiß“. Für die anderen gilt: nichts überstürzen, Lage checken, kurz überlegen, ob das eigene Zimmer oder die Wohnung überhaupt aufgeräumt ist, und dann drauflosquatschen. Eine Warnung sollte besonders an die lesenden Männer* ausgesprochen werden. Wie immer gilt: nicht übertreiben, jede Ablehnung akzeptieren, auf alle kleinen Zeichen achten, keine Gruppen ansprechen und so weiter.
Ende gut, alles gut. Alles Weitere ist weniger spektakulär und bekannt. Vermutlich wird es kein Knutschen im Taxi geben, denn dazu ist man zu müde. Im schlimmsten Fall gibt es nicht einmal ein Taxi. Irgendwo angekommen macht man einen Kommentar zur Wohnsituation („Pass bitte auf die Katze auf“, „Meine Mitbewohner schlafen schon“, „Weck bitte meine Eltern nicht auf“ etc.) – genau wie bei einem One Night Stand. Es schickt sich als Gast, möglichst unbemerkt zu verschwinden, so wie es sich für den*die Gastgeber*in schickt, am Morgen einen Kaffee zu machen.
Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.