Das falsche Jetzt, das richtige Später
Als sie 2011 ihr erstes Buch Wir haben keine Angst veröffentlichte, war Nina Pauer gerade einmal 29 Jahre alt. Schon vergangenen Herbst kam das zweite. Ein Gespräch über den Druck beim Schreiben, die Probleme ihrer Generation und wovor sie eigentlich selbst Angst hat.
Als sie 2011 ihr erstes Buch Wir haben keine Angst veröffentlichte, war Nina Pauer gerade einmal 29 Jahre alt. Schon vergangenen Herbst kam das zweite. Ein Gespräch über den Druck beim Schreiben, die Probleme ihrer Generation und wovor sie eigentlich selbst Angst hat.
progress: Ihr Erstlingswerk trägt den Titel Wir haben keine Angst. Wovor haben Sie Angst?
Nina Pauer: Ich glaube, mein erstes Buch hat meine eigenen Ängste ganz gut nachgezeichnet: Die Angst, sich falsch zu entscheiden, am falschen Ort das falsche zu studieren und sich mit diesem Falschen „Jetzt“ den Weg zum richtigen „Später“ zu verbauen. Mittlerweile ist es einige Zeit her, dass ich das Buch geschrieben habe, ich bin viel gelassener geworden. Das Buchschreiben war also auch für mich eine „Gruppentherapie“.
Wie haben sich Ihre Ängste, beispielsweise was Existenz betrifft, nach dem Studium verändert?
Bei vielen Leuten kommt an einem gewissen Punkt die Einsicht, dass es „richtig“ und „falsch“ vielleicht gar nicht gibt. Und, dass es nichts bringt, immer im Konjunktiv à la „was wäre wenn“ zu denken. In der Zeit nach dem Studium geht es aber wieder darum, wer man ist und darum, sich selbst zu verwirklichen. Dadurch werden die Fragen viel konkreter, was für viele auch eine Erleichterung darstellt – schließlich gibt es nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten.
Kann man heute noch davon leben, nur Bücher zu schreiben?
Wenn sie sich gut verkaufen: Ja. Ansonsten ist es gut, zweigleisig zu fahren und nebenbei zu schreiben. Man muss nicht das Risiko eines Lebens im Prekariat eingehen, um sich selbst verwirklichen zu können. Und man sollte sich selber fragen, unter welchen Bedingungen man arbeiten möchte.
Was war Ihre persönliche Motivation, das Buch Wir haben keine Angst zu schreiben?
Ich hatte das Gefühl, dass Angst ein großes Thema für unsere Generation und junge Erwachsene allgemein ist. Auf der einen Seite sind wir alle sehr lässig, ironisch, gut ausgebildet, haben tausende von Möglichkeiten und keinen Grund, Angst zu haben. Wir haben uns nie vor den Apokalypsen gefürchtet, die den Medien, unseren Eltern oder Lehrern Angst gemacht haben, von Tschernobyl über
BSE bis zur Wirtschaftskrise oder Kriegen: Hier bei uns zu Hause war immer alles sicher. Und trotzdem sind wir doch nicht ganz so entspannt, wie wir immer tun. Irgendwie ist bei uns immer nur „eigentlich“ alles gut. Viele denken, das sei ein individueller Schaden und machen Therapien. Für mich schienen diese Ängste etwas Strukturelles, Generations- und Gesellschaftsspezifisches zu haben. Deshalb wollte ich darüber sprechen, nicht nur mit einer besten Freundin oder dem Therapeuten. Mein Buch heißt nicht umsonst Gruppentherapie einer Generation.
Was sind diese Probleme unserer Generation, die diesen Stress und Druck hervorbringen?
Die Angst, sich falsch zu entscheiden. Die Angst, beim großen Projekt der Selbstverwirklichung zu scheitern. Das Falsche zu studieren, den falschen Job zu finden, den falschen Menschen zu heiraten, in der falschen Stadt zu leben. Es ist diese Obsession, die uns antreibt: Dass man sich selber da draußen, in all den endlosen Möglichkeiten finden muss. Und dabei auch falsch abbiegen könnte.
Herrscht ein Zwang in unserer Generation, sich selbst verwirklichen zu müssen?
Unsere Gesellschaft und insbesondere unsere Generation hat das Ideal eines selbstverwirklichten, modernen Individuums verinnerlicht. Alles wird zur individuellen Entscheidung, es geht immer um die Gestaltung jeder Sphäre des eigenen Lebens. Und dabei kommt natürlich die Kreativität ins Spiel. Dabei muss man ja eigentlich aber keinen kreativen Beruf ausüben, man könnte ja Kreativität auch im Privaten ausleben. Ich denke, das wäre etwas, das wir lernen könnten.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie diese Probleme als „Luxus“. Warum?
Wir wissen ja, dass wir schon immer privilegiert waren. Wir wissen, dass es da draußen in der Welt viel schlimmere Probleme als unsere Entscheidungsschwierigkeiten gibt. Und trotzdem machen diese eigenen Ängste uns am meisten fertig. Wir schämen uns dafür, dass wir trotz der tollen Möglichkeiten so einen Druck verspüren. Ich finde, man sollte einen Unterschied machen: „Luxus- Probleme“ sind keine „Pseudo- Probleme“. Wir denken uns unsere Probleme nicht aus.
Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind notwendig, damit unsere Generation nicht ständig unter Stress leidet?
Wir sollten aus unserer Egozentrik herauskommen. Wir sind keine Egozentriker im Sinne des Hedonismus, viele kreisen ja in Zweifel und Gedanken um sich und nicht im Sinne eines "Hier komm ich, schaut, wie toll ich bin“. Es wäre gut, wenn wir als Gesellschaft und als junge Menschen wieder mehr „wir“ sagen könnten.
Wie haben sich die Probleme und Herausforderungen im Vergleich zur Generation unserer Eltern verändert?
Unsere Eltern konnten noch rebellieren. Sie hatten ihre Elterngeneration, die spießig, oder zumindest traditionell geprägt war. Unsere Eltern mussten und konnten sich von unseren Großeltern emanzipieren und ihren eigenen Weg noch erkämpfen. Rebellion hat immer etwas Heroisches, davon kann bei uns nicht die Rede sein.
Ihr zweites Buch LG;-) befasst sich mit der Schnelllebigkeit von Kommunikation im heutigen Zeitalter. Was bedeutet diese Art von Verständigung für unsere Generation?
Wir haben uns in viele Kommunikationsstränge zerteilt, die meisten von uns haben Smartphones, auf denen all diese Kanäle zusammenlaufen, ständig sind wir präsent auf ganz vielen verschiedenen Bühnen, sei es bei Facebook, Twitter, SMS oder Email. Für viele ist das Kommunizieren zur Sucht geworden, zum Druck, immer erreichbar zu sein, sich sofort zurückzumelden, alle Emails sofort wahrzunehmen und nichts zu verpassen. Viele können nicht mehr alleine sein, obwohl sie die ganze Zeit davon reden, endlich mal wieder Zeit für sich selbst zu brauchen. Ich denke, die Art und Weise, wie man Kommunikation managt, ist eine Art Fulltimejob für uns geworden, durch den viele drohen, sich zu verlieren.
Sind bereits neue Projekte in Planung?
Nein, im Moment schreibe ich nur für das Feuilleton der ZEIT. Aber es wird ganz sicher ein neues Buch geben!