Dünne Dialoge
OMG eine Graphic Novel aus dem deutschsprachigen Raum zu Transition! Die deutsche Illustratorin Sarah Barczyk erhielt 2014 das Egmont-Comic-Stipendium und zeichnete die Geschichte von Kai, der trans ist. Ganz ohne Probleme kommt die Geschichte aber nicht aus: Kais Eltern sind vorerst uneinsichtig und dann verliert er auch noch eine Freundin. Trotz Kais Unbeirrtheit, sind es die Momente des Zweifels, die den Charakter erst persönlich machen: der ersten Besuch beim Therapeuten („Aber was, wenn er sagt, ich sei psychisch krank“), der eigenen dicken Körper („Warum sind die ganzen Transmänner immer sportlich oder schlank?“), die Wahl der passenden Umkleide („Mh. Umkleide…Oje, da hab ich noch gar nicht dran gedacht.“).
Leider ist das aber schon alles, was den_die Leser_in am Charakter fesselt. Die abgehackten Dialoge wirken eher wie schlechte Übersetzungen, denn wie authentische Gespräche. Auch inhaltlich stellt sich bald heraus, dass ein kritischer Ansatz mit Geschlecht umzugehen keine Rolle in „Nenn mich Kai“ spielt. Was für Kai zählt, ist so gut wie möglich als „echter“ Kerl durchzugehen. Da gehört auch das richtige Bro-Verhalten in Männergruppen und Mackertum (gegenüber Frauen_) dazu. Und wer weiß besser wie das funktioniert als Kais Freund, der Cis-Mann Marko. Er zeigt Kai wie Mann-Sein geht: „Du gehst viel zu feminin. So geht das! Schön O-Beine machen und locker schwingen!“ Ähm, ok?
Im Vordergrund der Graphic Novel steht das Bedürfnis einen programmatisch-geraden Weg darzustellen dessen Anfang in Barczyks Zeichnungen symbolisch platt im Flowerfresh-Deo-noch-sanfter liegt und mit einem 48-Men-Power-Deo endet. So klar wie die Geschlechterrollen in „Nenn mich Kai“ verteilt sind, so geradlinig ist auch Barczyks Zeichenstil in Schwarz-Weiß: Für Schattierungen, Grautöne und das Dunkel der Tiefen bleibt wenig bis kein Platz. Im Missy Magazin-Interview erklärt Barczyk ihre Zielgruppe seien eher unwissende Cis-Personen, wie sie bis vor Kurzem selbst eine war. Was als eine noble Idee daherkommt, ist in der Ausführung leider nur ein oberflächlicher Cis-Blick auf Transition und Geschlechterstereotypen geworden. Das Stipendium zu dem Thema wäre bei einer Trans-Person wohl besser aufgehoben gewesen.
Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.
Sarah Barczyk: Nenn mich Kai
Egmont Graphic Novel
80 Seiten
15,50 Euro
Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.