Chinesisch lernen in der Schule
In Wien wird auf Hochtouren an einem Lehramtsstudium Chinesisch gearbeitet. Denn in Zukunft soll Chinesisch als Wahlfach an Mittelschulen unterrichtet werden.
In Wien wird auf Hochtouren an einem Lehramtsstudium Chinesisch gearbeitet. Denn in Zukunft soll Chinesisch als Wahlfach an Mittelschulen unterrichtet werden.
Der blonde Junge in der ersten Reihe zieht aus seiner Schultasche ein rundes Plastikschüsselchen. Er zieht den Deckel ab und kramt noch zwei Stäbchen aus der Tasche hervor. Gekonnt sticht er damit in die Schüssel und fischt einige Nudeln heraus. Neben ihm sitzt ein anderer Schüler, der gerade genüsslich in einen BigMac beißt. Er fragt Frau Wan: „Frau Professor, was heißt eigentlich Stäbchen auf Chinesisch?“ „Kuàizi“, antwortet sie. „Kuàizi“, wiederholen die sieben SchülerInnen, die an diesem Nachmittag im dritten Stock des Wiedner Gymnasiums sitzen.
Ning Wan unterrichtet dort das Freifach Chinesisch. Das Wiedner Gymnasium gehört zu den wenigen Mittelschulen, die die exotische Sprache anbieten. Jeden Dienstag wird hier gepaukt, dafür müssen die SchülerInnen 130 Euro im Semester zahlen. Es war gerade chinesisches Neujahr, also lernen die Kinder heute Schriftzeichen wie „Fest“, „Neujahr“ und „Geschenke“. Die sollen sie dann auch gleich grammatikalisch anwenden, wenn Frau Wan ihnen „weil“-Sätze erklärt. Auf Chinesisch „yÁnwèi“.
Der chinesische Knoten. In der zweiten Stunde geht’s ans chinesische Knoten knüpfen, was – wie die Sprache selbst – auch nicht leicht ist. Um die kunstvollen Dekorknoten herzustellen, muss jeder Faden richtig gelegt werden. Rot über Blau, dann eine Schlaufe, Blau über Rot und nochmal hinten rum. „So geht das nicht“, legt Michi frustriert seine Fäden beiseite. „Frau Professor, helfen Sie mir!“
Ning Wan hält ihren Unterricht sehr locker ab. Immerhin sind die Kinder freiwillig hier, meint sie. Das soll sich in den nächsten Jahren ändern. Wenn es nach dem Willen des chinesischen Bildungsministeriums und des Sinologie-Instituts der Universität Wien geht, soll Chinesisch bald schon als reguläre zweite Fremdsprache in Mittelschulen angeboten werden, gleichwertig mit Französisch oder Spanisch. Das Interesse von Schulen in Wien und Umgebung sei groß, berichtet Richard Trappl von der Sinologie.
Zu diesem Zweck bastelt die Sinologie der Universität Wien gerade an einem Lehramts-Studium Chinesisch. Denn guter Unterricht braucht gute Lehrende. Stolz präsentiert Trappl ein Foto, auf dem er gemeinsam mit Bundespräsident Fischer und einem Vertreter des chinesischen Bildungsministeriums in der „Halle des Volkes“ in Peking zu sehen ist. Sie unterzeichnen gerade einen Vertrag, der die Wichtigkeit des Lehramtsstudiums in Österreich festlegt. Konkret fehlen zwei Fächer für das Lehramt an der Sinologie: Didaktik und Sprachwissenschaften. Bisher sind die Pläne am österreichischen Bildungsministerium gescheitert, das sich nicht entscheiden kann, ob das neue Fach nach alten oder Bologna-Strukturen eingeführt werden soll. „Es mangelt außerdem an Zeit und Geld von deren Seite“, erklärt die Sinologin Susanne Weigelin-Schiedrzik.
China zahlt. Im Vertrag wurde nun festgelegt, dass die beiden Fächer trotzdem ab Herbst eingeführt werden. Studierende können sie dann rückwirkend als Lehramt anrechnen lassen – sobald sich das Bildungsministerium über die Strukturen im Klaren ist. Der noch wichtigere Punkt ist: China finanziert die ersten sechs Jahre des Projektes.
Zeitungen beschrieben bereits 2004 Chinas „Charmeoffensive“ im Westen. In den letzten sechs Jahren wurden weltweit 328 „Konfuzius-Institute“ gegründet, das chinesische Pendant zum Göethe-Institut oder dem British Council. Trappl, der auch Leiter des Wiener Konfuzius-Instituts ist, war in den 70ern einer der ersten Sinologie-Studenten in Österreich. Früher war das Studium ein Hobby, etwas vollkommen Exotisches. „Heute ist es eine Notwendigkeit“, ist er überzeugt und sagt: „Man kann China nicht mehr ignorieren. Um die feinen Nuancen der Sprache und der Kultur zu verstehen, muss man es kennenlernen.“
Globaler Chinesisch-Unterricht. In den USA gibt es bereits 2400 Schulen, die Chinesisch anbieten – meistens sind die Lehrenden von China finanziert. Auch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien wird das Fach immer populärer. Und das, obwohl die chinesische Sprache Europäer-Innen sehr fremd ist. Die Grammatik selbst sei nicht kompliziert, bestätigen sowohl Trappl als auch die SchülerInnen des Wiedner Gymnasiums. Aber es sind die Tonalität und die Schriftzeichen, die viel Disziplin und Lernaufwand benötigen. 2000 Schriftzeichen müssen gelernt werden, damit alleine eine Zeitung gelesen werden kann.
Die SchülerInnen des Wiedner Gymnasiums können momentan 50-60 Schriftzeichen erkennen, selber schreiben kann er 20, sagt Michi, während er weiter an seinem chinesischen Knoten arbeitet. Der Knoten will einfach nicht so ausschauen wie der seiner Lehrerin. Auf die Frage, was schwieriger sei, Chinesisch oder Knoten knüpfen, sind sich die SchülerInnen einig: Chinesisch.