Buch-Rezension: "Kritik des Kapitalismus"
Einen interessanten Versuch, die Wirtschaftskrise von linker Perspektive aufzuarbeiten, hat der Autor und freie Journalist Christian Stenner mit dem Buchprojekt Kritik des Kapitalismus – Gespräche über die Krise gewagt, welches von SPÖ-, Grünen- und KPÖ-Steiermark finanziert wurde.
Einen interessanten Versuch, die Wirtschaftskrise von linker Perspektive aufzuarbeiten, hat der Autor und freie Journalist Christian Stenner mit dem Buchprojekt Kritik des Kapitalismus – Gespräche über die Krise gewagt, welches von SPÖ-, Grünen- und KPÖ-Steiermark finanziert wurde. Ähnlich bunt gemischt, aber so bezeichnend wie die Zusammensetzung der Finanziers, sind auch die 15 linken ÖkonomInnen aus dem deutschsprachigen Raum, mit denen der Autor jeweils am Rande von Veranstaltungen Einzelinterviews geführt hat. Die Interviewten reichen von Margit Schratzenstaller (WIFO), über den bekannten deutschen Politökonomen Elmar Altvater, dem Austrokeynesianer Kurt W. Rothschild bis zu einigen MarxistInnen. Der einzige dünne rote Faden der sich auf den ersten Blick durch das Buch zieht, ist der interviewende Autor selbst. Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass es sich bei dem Buch um einen Versuch handelt, die Linke auf einen groben Nenner, auf gemeinsame politische Strategien im Zuge der Wirtschaftskrise zu bringen. Eindeutig steht bei den Fragen des Autors nicht das Trennende, sondern das Verbindende, nicht das gegenseitige Ansudern, sondern das Erweitern im Vordergrund.
So ist beispielsweise ein Konsens der ÖkonomInnen, dass die expansive Niedrigzinspolitik und die hochriskanten Kreditvergaben der USA nur der Auslöser, nicht aber der tiefere Grund für die Finanzkrise sind. Das Problem ist nicht nur ein unregulierter Finanzmarkt, sondern die massive Umverteilung von den ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen hin zu den Vermögenden in den letzten 30 Jahren. Durch Standortkonkurrenz, Lohndumping, Privatisierung von Pensionen, Beitragssenkungen für Konzerne etc. wurden gewaltige Summen an Geld nicht mehr hauptsächlich konsumiert (wie noch in den 1970ern), sondern es wurde sukzessive damit spekuliert, da am Finanzmarkt mehr Gewinne zu machen waren als in der Realwirtschaft. Stephan Schulmeister vom Wirtschaftsforschungsinstitut sieht das Problem dieser Entwicklung darin, dass „je mehr Teilnehmer auf einem Markt spekulieren, desto stärker schwanken die Preise – und je stärker die Preise schwanken, desto mehr lässt sich auf diesem Markt verdienen.“ Immer mehr werden dadurch auch vermögende, „realwirtschaftliche“ Unternehmen gezwungen, mitzuwetten, um sich zum Beispiel gegen starke Kursschwankungen abzusichern – dadurch werden immer größere angehäufte Vermögen auf der Jagd nach Gewinnen in den Finanzsektor geworfen und somit in immer kürzeren Zeitabständen Blasen produziert: Dieser Teufelskreis ist der Grund der gegenwärtigen Krise. Eine gezielte und große Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum von „oben“ nach „unten“ ist für die ÖkonomInnen nicht nur moralisches Gebot, sondern muss die logische Antwort auf die Krise sein – ansonsten werden weitere folgen. Die momentane Politik wird aber von Joachim Becker (Uni Wien) eher als „restaurativ“ gewertet – speziell Europa versucht, ohne große Veränderungen den Zustand vor der Krise wiederherzustellen, pumpt frisches Geld in den Finanzmarkt und verteilt weiter in Richtung „oben“ um.
Im Buch werden auch Alternativen vorgestellt: Manche Vorschläge bleiben in der kurzfristigen Polit-Ebene (Finanzmarktregulierung, Vermögensbesteuerung, bis hin zum Umgang mit Staatsschulden und sinnvolleren Konjunkturprogrammen), andere Ideen skizzieren auch alternative Modelle des Wirtschaftens. Obwohl das Buch Kritik des Kapitalismus heißt, wird es diesem Anspruch auf seinen kurzen 192 Seiten kaum gerecht. Auch die Differenzen und Widersprüchlichkeiten der ÖkonomInnen hätten ehrlicher herausgearbeitet werden können. Im Großen und Ganzen aber ist das Buch angenehm verbindend und empfehlenswert.
Julian Schmid studiert Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Wien.
Kritik des Kapitalismus. Gespräche über die Krise, Herausgeber: Christian Stenner, Edition Linke Klassiker. 224 S., Promedia, Wien 2010.