Blut und Boden gegen Israel

  • 11.05.2017, 09:00
Die antisemitische internationale Bewegung BDS – Boycott, Divestment, Sanctions – delegitimiert Israel mit Lügen und Halbwahrheiten. Auch in Österreich hat sie einen Ableger.

Die antisemitische internationale Bewegung BDS – Boycott, Divestment, Sanctions – delegitimiert Israel mit Lügen und Halbwahrheiten. Auch in Österreich hat sie einen Ableger.

„Was ist eigentlich Apartheid?“, fragten AktivistInnen von BDS Österreich bei ihrem letzten Flashmob in Wien. Der Ableger der internationalen Kampagne für den Boykott des einzigen jüdischen Staates warb anlässlich der sogenannten „Israeli Apartheid Week“ im März 2017 unter anderem vor der Synagoge am Campus der Uni Wien für Veranstaltungen. Deren Durchführung aber war schwierig: Unter anderem kündigte das linke Wiener Kulturzentrum WUK schon gebuchte Räume, als man dort auf den Charakter von BDS aufmerksam wurde.

Bewegungsgeschichte. International gibt es BDS seit 2005, in Österreich seit 2014, stets in enger Verbindung zum Verein Dar al-Janub. Der entstand 2003 im Umfeld der offen antisemitischen Gruppe „Sedunia“, die im selben Jahr eine Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen im zweiten Wiener Gemeindebezirk angegriffen hatte. Im November 2008 distanzierte sich Dar al-Janub online von diesem „sinnlosen“ Angriff, und offener Antisemitismus ist bei ihnen nicht zu beobachten. Auch BDS Österreich vermeidet zunehmend allzu offensichtliche Nähe zum offenen Antisemitismus: Auf früheren Kundgebungen etwa gehörten häufig noch Fotos ungeklärter Herkunft von toten Kindern zur Propaganda, die an das antisemitische Motiv des kindermordenden Juden erinnerten. Solche Fotos findet man heute kaum noch bei BDS Österreich.

Analysiert man aber die drei Forderungen von BDS, tut sich eine Mischung aus ,alternativen Fakten‘ und dem Willen auf, Israel als jüdischen Staat abzuschaffen. Diese jüdische Souveränität allein aber ist es, die Juden und Jüdinnen auch mit Waffengewalt vor den Angriffen von AntisemitInnen verteidigen kann und leider bis heute auch andauernd muss. Sie ist der Kern des Zionismus als emanzipatorischer politischer Bewegung, die den Staat Israel errichtet und so hunderttausenden Juden und Jüdinnen das Leben gerettet hat – zum Teil sehr direkt. Bei Militäroperationen Mitte der 1980er Jahre und 1991 etwa wurden rund 20.000 äthiopische Juden und Jüdinnen nach Israel ausgeflogen. Wer Israel abschaffen will, nimmt potentiell den Tod von Juden und Jüdinnen in Kauf.

„Das Ende der Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes und ein Abriss der Mauer“, die erste Forderung von BDS, lässt tief in die Blut-und-Boden-Ideologie der Bewegung blicken, die „arabisch“ mit Land verknüpft. Im heutigen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten haben seit Jahrhunderten die unterschiedlichsten Gruppen – und eben nicht nur AraberInnen – gelebt, politisch war es unter anderem unter osmanischer Herrschaft, später unter britischer Verwaltung und seit dem Unabhängigkeitskrieg, der dem jungen jüdischen Staat von seinen Nachbarn aufgezwungen wurde, unter israelischer, jordanischer, ägyptischer und syrischer Kontrolle. Es „arabisches Land“ zu nennen suggeriert, nur AraberInnen hätten ein historisches Recht, hier zu leben, weil allein sie es „immer schon“ getan hätten. Zudem lässt der Begriff „Kolonisation arabischen Landes“ die Interpretationsmöglichkeit offen, auch Israel selbst in den Grenzen von vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 sei ein koloniales Projekt gewesen und müsse also mit dem geforderten Ende weg.

Die „Mauer“, die abgerissen werden soll, ist eine Sicherheitsbarriere, die nach langem Für und Wider in Israel gegen tödliche Anschläge palästinensischer TerroristInnen aus dem Westjordanland gebaut wurde – erfolgreich. Zur Illustration, wie genau BDS es mit Fakten nimmt: Die „Mauer“ besteht zu etwa 95 Prozent aus Zaun, der ähnliche Zwecke erfüllt, aber mit Bildern von Beton lässt sich das Ressentiment besser bedienen.

Auch die zweite Forderung, „die vollkommene rechtliche Gleichstellung der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels“, basiert auf Unwahrheit, denn sie ist längst israelische Realität – mit einer Ausnahme: Die meisten der etwa 20 Prozent nichtjüdischen Israelis müssen anders als jüdische nicht zum Militär, können sich aber freiwillig melden.

Die dritte Forderung schließlich, die nach der „Anerkennung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren“, ist in mehrerlei Hinsicht merkwürdig: Palästinensische Flüchtlinge sind weltweit die einzigen, deren Flüchtlingsstatus sich vererbt und deren Probleme von der für sie zuständigen UN-Agentur UNRWA nach deren eigener Auskunft nicht dauerhaft gelöst werden sollen. Die UNRWA wurde 1949 als temporäres Hilfsprogramm gegründet und ihr Mandat seither regelmäßig um drei Jahre verlängert. So hart Flucht individuell ist, so alltäglich ist sie global, und kaum jemand käme etwa auf die Idee, ein Rückkehrrecht für die rund 850.000 nach 1948 aus arabischen Staaten geflohenen Juden und Jüdinnen zu fordern – geschweige denn für ihre Nachkommen.

Aus den etwa 750.000 AraberInnen, die aus dem heutigen Israel im Bürger- und Unabhängigkeitskrieg um 1948 geflohen sind, vertrieben wurden oder freiwillig gingen, sind mittlerweile knappe 5,3 Millionen Menschen geworden, die bei der UNRWA als „Flüchtlinge“ registriert sind. Von ihnen ist kaum noch jemand selbst geflohen, sondern, so das Kriterium der UNRWA, männliche Vorfahren von ihnen. Die Forderung, 5,3 Millionen nichtjüdische Menschen nach Israel mit seinen acht Millionen EinwohnerInnen einwandern zu lassen, kann Israel unmöglich erfüllen, würde es doch damit sein vitales Charakteristikum aufgeben, ein demokratischer und jüdischer Staat mit gleichen Rechten für alle seine BürgerInnen zu sein.

Diese Forderung also läuft nicht nur auf die Abschaffung des jüdischen Staates hinaus. Durch ihre Verbreitung weit über BDS hinaus trägt sie auch dazu bei, dass diese 5,3 Millionen Menschen in Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten Israels unter oft schlechten Bedingungen leben müssen und eben dort keine Bürgerrechte genießen – würden diese Staaten sie ihnen zuerkennen, gäben sie das Druckmittel auf, als das sie diese Menschen bei Verhandlungen mit Israel immer wieder verwendet haben. Die Leidtragenden sind PalästinenserInnen, BDS trägt dazu bei.

Ersatzhass. Was ist also Apartheid? Die israelische Situation, in der Juden und Jüdinnen, AraberInnen und andere mit gleichen Rechten leben, hat damit jedenfalls nichts zu tun. Gleiches gilt für den von BDS gegen Israel erhobenen Vorwurf der „ethnischen Säuberungen“. Dass BDS so erfolgreich ist, liegt wohl eher daran, dass Antisemitismus zwar nicht gesellschaftsfähig ist, solange er offen sagt: „Ich hasse die Juden.“ Die zugrundeliegende Struktur ist aber gesellschaftlich nach wie vor stark und richtet sich in Form von so genannter „Israelkritik“ – ein Terminus, dessen Absurdität am Vergleich zu nicht existenten Begriffen wie „Schwedenkritik“ oder „Chinakritik“ offenbar wird – in erster Instanz oft nicht mehr offen gegen Juden und Jüdinnen, sondern gegen den jüdischen Staat.

 

Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft in Wien und Jerusalem.

AutorInnen: Nikolai Schreiter