Bis Buchstaben beben

  • 24.02.2013, 09:50

Der Poet José Manuel Caballero Bonald ist diesjähriger Cervantespreisträger. Kaum jemand prägte die spanische Literatur seit den 1950er-Jahren in vergleichbarem Ausmaß, ohne dabei international Beachtung zu finden.

Der Poet José Manuel Caballero Bonald ist diesjähriger Cervantespreisträger. Kaum jemand prägte die spanische Literatur seit den 1950er-Jahren in vergleichbarem Ausmaß, ohne dabei international Beachtung zu finden.

Er geht an die Grenzen des sprachlich Möglichen und stürzt sich nahezu religiös in seine Beschäftigung mit Erinnerungen, dem Vergessen der Ungewissheit, die das noch Kommende in sich birgt: Der Dichter José Manuel Caballero Bonald, 1926 als Sohn kubanischer Eltern in der südwestspanischen Sherry-Wiege Jerez de la Frontera geboren, verfasste bis 1992 eine Handvoll Novellen, wie Campo de Agramante, um sich später vollends auf sein Faible, die Poesie, zu konzentrieren. Der mittlerweile 86jährige Poet studierte erst Fachfernes, wie Nautik und Astronomie, später spanische Literatur und Philosophie in Sevilla, um schließlich viele Jahre als Universitätsprofessor im kolumbianischen Bogotá sowie in den USA und auf Kuba zu verbringen.

„Die Poesie ist eine Mischung aus Musik und Mathematik“, ist Bonald überzeugt. Und so ist er stets bedacht, Bedeutung und Klang seines umfassenden Vokabulars penibel zu takten. Nicht zuletzt deshalb ist Bonald in seiner perfektionistischen Sprache und Melodik aus dem Spanischen kaum übersetzbar. Und so ist sein Oeuvre außerhalb von Iberien und Lateinamerika kaum bekannt. „Weil das Gestern ist nur eine Grabinschrift, damit das Morgen niemals für immer währen wird“, ist einer von knapp 3000 Versen seines autobiografischen und streckenweise irrationalen Werks Entreguerras – De la Naturaleza de las Cosas (Zwischenkriege. Über die Natur der Dinge), das zugleich eine Ode an das Leben an sich ist. Bonald offenbart darin „alle seine Erlebnisse“, Reisen, Bekanntschaften, aber auch seine Flüchte in die Gedankenwelt und seine tiefen Reflexionen über Poesie und Sprache per se. So ist er selbst davon überzeugt, dass sein Opus einen „Meilenstein“ der spanischen Poesie darstelle, und die überwiegende Mehrheit der KritikerInnen gibt ihm Recht. Satzzeichen benötigte er dafür, abseits von Frage- und Ausrufezeichen, keine.

Für sein Lebenswerk erhielt Bonald Ende November den renommiertesten Preis der spanischen Literaturwelt, den Premio Cervantes. Seit Längerem zählte Bonald zum engsten FavoritInnenkreis für die mit 125.000 Euro höchst dotierte Lorbeeren der spanisch-sprachigen Welt. Überreicht wird der Preis stets am 22. April, dem Todestag des Don Quijote-Autors Miguel de Cervantes. Seit Längerem zählte Bonald zum engsten FavoritInnenkreis für die mit 125.000 Euro höchst dotierte Lorbeeren der spanisch-sprachigen Welt. Überreicht wird der Preis stets am 22. April, dem Todestag des Don Quijote-Autors Miguel de Cervantes.

Literatenclub im Widerstand. Bonald wird als eine der gewichtigsten spanischen Literaturstimmen der „Generation der 1950er-Jahre“ bezeichnet. Damals begann die erste Phase behutsamer Öffnung der faschistischen Diktatur Francisco Francos. Zwar sträubte sich Bonald stets gegen Schubladisierungen, dennoch zählt er heute mit Antonio Gamoneda (*1931) oder Juan Goytisolo (*1931) zu den wenigen Überlebenden jenes Poesie-affinen Literatenclubs, der verhaftet und im berüchtigten Carabanchel-Gefängnis Madrids eingesperrt wurde. Die Schriftsteller waren Teil des intellektuellen Widerstands, dennoch: „Das Einzige, was wir gemein haben, ist unsere Affinität zum Alkohol und unsere Aversion gegen das Franco-Regime“, betonte Bonald.

Meist war es nicht der Faschismus, sondern massive und permanente Ausschweifungen, die dem Leben seiner Freunde ein zu frühes Ende setzten. Trotzdem stoppen Bonalds zweiteilige Memoiren, La costumbre de vivir (1995, Die Gewohnheit zu leben) und Tiempo de guerras perdidas (2001, Die Zeit der verlorenen Kriege), abrupt mit dem Ende der Diktatur, die der Tod Caudillo Francos (1975) markierte, weil der Prozess des verordneten Vergessens Bonald, der als unbeugsam und rebellisch gilt, tief erzürnte. Treffend  bezeichnete Andalusiens Kulturminister Luciano Alonso den in seiner Sprache „zu barockem Prunk“ neigenden Poeten als „einen Ästheten unserer Zeit“. Er sei ein „klares Beispiel, wie man Wohlgestalt in Einklang mit der Gesellschaft bringen“ könne.

"Wenn ich mir in Allem sicher wäre, ich könnte nicht schreiben, geschweige denn leben“, sagte Bonald selbst 2011 in einem Interview mit der Lokalzeitung Diario de Jérez. Mit dem  Gedicht La Noche no tiene paredes (Die Nacht hat keine Wände) erhob er die ihn selbst quälend wie treibend verfolgende Ungewissheit zur Quasi-Religion, die es zu verteidigen gelte. „Der keine Zweifel hat, der sich allem sicher ist, ist das Ähnlichste, was es zu einem Schwachkopf gibt“, schrieb er dort. Lebenslust und -erfahrung prägten Bonald und  schärften seine Reflexionen: „Wie oft habe ich am Ende eines Tages den Halt meiner Füße in dem aufgewühlten Gewässer meiner Jahre verloren, und die Fracht meines Lebens
verbrennen und heulen gesehen.“

Und wenn nun, frei nach Ludwig Wittgenstein, die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt und Wahrnehmung, ja unseres Seins per se markieren, dann wagt sich Bonald ohnehin weiter an den äußersten Rand des überhaupt in Worte Fassbaren, an jenen Ort, wo menschliche Gefühle – und in seinem Werk vor allem der Zweifel – in die Weiten des  Unfassbaren vordringen. „Vielleicht erwartet er es, gegen die sanfte Träne zu kämpfen, die der Buchstabe der Liebe ist, und gegen jenes vernichtende Licht, das in ihm bereits schmerzt und aus ihm seinen Namen heraus schreit: Schönheit“ – sind nur abschließend wie exemplarisch einige, wenige Zeilen des Gedichtes, Cenizas son mis Labios, zu Deutsch Asche sind meine Lippen. Einzig in die Königliche Akademie der spanischen Sprache hat man Bonald nicht aufgenommen. Aufgrund der dort gelehrten ausgeprägten Lexik will er dort aber ohnehin nicht Platz nehmen.

Die Stiftung Fundación Caballero Bo­nald im Internet

Gedichte

 

AutorInnen: Jan Marot