Aufhören, uns die Schuld zu geben
Die israelische Soziologin Eva Illouz appelliert in ihrem letzten Werk „Warum Liebe wehtut“ daran, uns selbst weniger zur Verantwortung zu ziehen, wenn es mit unseren Beziehungen nicht klappt.
Die israelische Soziologin Eva Illouz appelliert in ihrem letzten Werk „Warum Liebe wehtut“ daran, uns selbst weniger zur Verantwortung zu ziehen, wenn es mit unseren Beziehungen nicht klappt.
Laut Illouz sollen wir unser Versagen in Liebesbeziehungen in einem gesellschaftlichen Kontext betrachten. Damit wäre uns nicht nur viel Druck genommen, sondern auch der Gang zum/r Therapeuten/in bliebe uns erspart. Ein PROGRESS-Interview über Kapitalismus, männliche Dominanz und Leidenschaft.
PROGRESS: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Soziologie bezüglich Beziehungsproblematiken den Platz der Psychologie einnehmen sollte. Wir sollten anfangen, gescheiterte Beziehungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu betrachten und gleichzeitig aufhören, die Fehler beim Scheitern in Liebesangelegenheiten bei uns selbst zu suchen. Ist das als eine Kritik der sogenannten Therapy Culture zu verstehen?
Eva Illouz: Ja, es ist gänzlich als eine Kritik der Therapiekultur zu verstehen. Diese lässt uns kollektiv so viel an der Verbesserung unserer Selbst arbeiten, um gesellschaftliche Prozesse zu korrigieren. Die Psychologie ist zur privilegierten Allianz des Neoliberalismus geworden: Sie lässt uns dieses nagende Gefühl mitschleppen, dass etwas mit uns falsch wäre. Das soll dann mit unserer Familiengeschichte zu tun haben, oder mit unrealistischen Erwartungen, oder damit, dass wir es nicht geschafft haben, uns den richtigen Typen zu angeln. Ich will sagen: „Genug!“ Bezie- hungen sind schwierig, aber nicht, weil wir individuell mangelhaft sind, sondern wegen der sozialen Organisation des Kapitalismus, die es uns einfach schwer macht, unsere PartnerInnenwahl und unsere romantischen Gefühle zu organisieren.
Ist „Warum Liebe wehtut“ so gesehen ein Selbsthilfebuch?
Ja und nein. Nein, weil ich ja die „Selbsthilfekultur“ vehement kritisiere, wie ich schon dargestellt habe. Außerdem will ich ja niemandem vorschreiben, wie man leben soll. Ich besitze weder die Weisheit dazu, noch ein besonderes Wissen über die Liebe. Aber es ist insofern ein Selbsthilfebuch, dass es dabei helfen kann, sich weniger unfähig in Beziehungen zu fühlen.
Sie schreiben, es bedürfe wieder eines ethischen Rahmens, in dem wir unsere Beziehungen aufbauen und gestalten können. Sollten wir nicht zuallererst damit aufhören, in starren, binären Geschlechterkategorien zu denken, bevor wir uns mit Verhaltensregeln befassen?
Klar, Stereotype zu verändern, ist nichts anderes als ein zutiefst moralischer Imperativ.
Würden Sie Ihr Werk als feministisch bezeichnen?
Ach, wer würde sich heute nicht als FeministIn bezeichnen? Sogar Hausfrauen sind heute nicht mehr der Meinung, dass sie nicht befugt wären, wählen zu gehen, oder ein eigenes Konto zu besitzen, oder die Scheidung einzureichen. Mein Werk ist jedenfalls in einem moralischen Verständnis als feministisch zu bezeichnen, da es die Ursachen von Problemen zwischen Frauen und Männern in den Überresten einer patriarchalen Machtstruktur verortet, jedoch ohne der zentralen Rolle, die Familien früher noch im Patriarchat besaßen. In der Vergangenheit waren Männer aufgrund ihres sozialen und ökonomischen Status genauso abhängig von ihren Familien wie Frauen. Vielleicht waren sie sogar abhängiger als Frauen, in einer bestimmten Art und Weise. Heute aber brauchen Männer keine Familien mehr für ihren sozio-ökonomischen Status. Frauen hingegen sind viel abhängiger von der Familie: Sie wollen Mütter werden und brauchen einen Versorger während ihrer Mutterschaft. Das ist wohl einer der wichtigsten Gründe für die bestehende Asymmetrie zwischen Frauen und Männern und zugleich die Wurzel von dem, was ich als „emotionale Dominanz“ von Männern über Frauen bezeichne.
In „Warum Liebe wehtut“ meinen sie, dass charakteristisch für moderne Liebesbeziehungen eine zwischenmenschliche Beliebigkeit ausgelöst durch eine massive Ausweitung des Marktes an potenziellen PartnerInnen wäre. Gleichzeitig scheinen sich aber vor allem junge Menschen nach Stabilität und Sicherheit zu sehnen und sich für traditionelle Familienmodelle zu entscheiden. Werden unsere Beziehungen wieder konservativer?
Ich denke, es handelt sich eher um eine Pluralität von Modellen, die miteinander in Konkurrenz stehen und sich teils auch überschneiden. Die Sehnsucht nach konservativen Familienmodellen geht mit einer emanzipierten Sexualität und auch mit der gesteigerten Toleranz für einen sexuellen Pluralismus einher. Zugleich aber hat das auch mit einem höheren Grad an Unsicherheit und Ungewissheit zu tun. Wir bewegen uns so gesehen nicht zurück zu alten und gut bekannten Formen. Vielmehr handelt es sich dabei um alte Formen mit neuen Ressourcen.
In Interviews präsentieren Sie sich selbst als Fan der Leidenschaft. Was genau verstehen Sie unter diesem Begriff und kann Leidenschaft dazu dienen, herrschaftliche Ordnungen innerhalb von Beziehungen zu unterwandern?
Leidenschaft ist die Bereitschaft, die eigene Souveränität für jemanden anderen aufzugeben. Es ist eine Form der Emotionalität, die weniger reflexiv und weniger beschäftigt mit dem eigenen Wohlergehen ist. Das stellt ja in aktuellen Modellen offensichtlich die Norm dar: Gleichheit und Gegenseitigkeit werden ständig aufgerechnet und evaluiert. Ich denke, Gleichheit sollte niemals als ein regulierendes Ideal von Beziehungen in Vergessenheit geraten, aber wenn wir diese Gleichheit erreichen, sollten wir wieder Spaß an Leidenschaft haben und weniger ängstlich dabei sein.
ZUR PERSON: Eva Illouz wurde 1961 in Marokko geboren. Sie lebte und studierte in Paris und in Pennsylvania. Illouz lehrt derzeit Soziologie und Anthropologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Verhältnis von Massenmedien, Kapitalismus und Emotionen. Damit beschäftigt sie sich auch in ihren zahlreichen Publikationen der vergangenen Jahre. „Warum Liebe wehtut“ ist ihr aktuelles Werk und erschien 2011 im Suhrkamp Verlag.