Angst und Bange
Der Hochschulzugang war in Österreich noch nie frei. Die Bundesregierung hat beschlossen, die Barrieren auszubauen.
Der Hochschulzugang war in Österreich noch nie frei. Die Bundesregierung hat beschlossen, die Barrieren auszubauen.
Architektur, Biologie, Informatik, Pharmazie und Wirtschaftswissenschaften: Nach dem derzeitigen Stand der Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP sollen diese fünf Studienfächer in Zukunft beschränkt werden – also nur nach erfolgreich bestandenem Aufnahmetest studiert werden können. Von Seiten der Bundesregierung hält man sich über die Bestätigung genannter Fächerauswahl zwar noch bedeckt, die Auswahl gilt jedoch als sehr wahrscheinlich.
More of the same. Seit Monaten verhandeln SPÖ-
Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl und Wissenschaftsminister Karl-Heinz Töchterle (ÖVP) bereits über neue Zugangsbeschränkungen im Hochschulbereich. Diese läuten eine neue Zeit der Zugangsbeschränkungen jedoch nicht erst ein, sondern sind lediglich eine weitere Draufgabe zu den bisherigen Regelungen. Bereits 2011 wurde mit der verschärften Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) eine Zugangsbeschränkung eingezogen, die für viele auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar war: Die neuen Bestimmungen sollten Studierenden offiziell lediglich zu mehr Orientierung und Klarheit bezüglich ihrer Studienwahl verhelfen. Die Umsetzung der neuen Orientierungsphase wurde den Universitäten weitgehend autonom überlassen, die gesetzlichen Bestimmungen hielten die Universitäten zum Beispiel nicht zwingend an, nur zwei Prüfungsantritte zu ermöglichen, mit denen sich viele StudienanfängerInnen aber konfrontiert sahen. Die verpflichtende STEOP wurde von vielen RektorInnen als willkommenes Instrument zum Rausprüfen von Studierenden aus Studienrichtungen mit nicht ausreichenden Kapazitäten verwendet. Besonders rigoros wurde die STEOP an der Uni Wien gehandhabt, die Durchfallsquoten waren enorm. Nur sieben Pharmazie-StudienanfängerInnen konnten beispielsweise die STEOP beim ersten Versuch positiv abschließen, bei einer Umfrage der ÖH Bundesvertretung unter knapp 2000 STEOP-Prüflingen gaben rund 80 Prozent an, die STEOP verursache verglichen mit ihrem Nutzen zu viel Druck, knapp 65 Prozent finden nicht, dass „die STEOP die im Gesetz genannten Ziele erreicht“. Auch nach den katastrophalen Erfahrungen mit der STEOP und der Einsicht von Wissenschaftsminister Töchterle, dass diese von den Universitäten „teilweise missbraucht“ werde, werden flächendeckene Zugangsbeschränkungen als Fortführung der STEOP verhandelt.
Doch auch vor der Einführung der STEOP gab es keinen freien Hochschulzugang in Österreich. An vielen Hochschulen wie Fachhochschulen oder den Pädagogischen Hochschulen, Kunstuniversitäten sowie einzelnen Studienrichtungen an den wissenschaftlichen Universtitäten gab und gibt es Aufnahmeprüfungen, die eineN für das jeweilige Studium erst berechtigen. Die Matura oder die Studienberechtigungsprüfung als Studiumsvoraussetzung reicht an vielen Hochschulen längst nicht mehr aus. Für viele StudienanfängerInnen heißt es nach der Matura gleich Weiterlernen für die erste Prüfung auf der Uni, noch bevor das Studium überhaupt begonnen hat. Teure Vorbereitungskurse und Insiderinfos werden für viele zum unbezahlbaren Vorteil, um das eigene Wunschstudium aufnehmen zu können. Carina Strasser, Studienanfängerin an der Uni Wien, holte sich bereits nach dem ersten Überfliegen der Prüfungslektüre für ihr Wunschstudium Psychologie in Wien Hilfe: „Ich habe mit anderen zusammen gelernt und zusätzlich einen Vorbereitungskurs besucht, der rund 200 Euro gekostet hat. Dafür ging mein Erspartes drauf.“ Doch nicht alle können sich den Luxus eines Vorbereitsungskurses leisten, auch wenn dieser oft notwendig ist, um die Prüfung zu bestehen. Der Konkurrenzdruck unter den Prüflingen war spürbar groß: „2000 AnwärterInnen, die mit mir um einen Studienplatz rangen, machten mir schon Angst und Bange.“
Diese Prozedur steht David Riegler, Absolvent eines BORG im ländlichen Oberösterreich, noch bevor. David kann sich einen Vorbereitungskurs nicht leisten: „Die sind sehr teuer. Ich könnte mir auch während des Studiums keine Nachhilfe oder kostenpflichtige Kurse leisten.“ Er bereitet sich so wie viele andere StudienanwärterInnen im Selbststudium vor. „Das ist natürlich auch mit Kosten verbunden.“
Wirklich geeignet? Auf die meisten StudienanfängerInnen übt die Tatsache, dass es für das jeweilige Wunschstudium Zugangsbeschränkungen gibt, einen großen Einfluss aus. Auch Carina und David haben sich ihre Studienwahl mehr als einmal überlegt, obwohl sie für Psychologie am meisten Interesse gezeigt haben: „Man muss sich absolut sicher sein, noch bevor das Studium überhaupt begonnen hat“, sagt David.
Besonders bei prestigeträchtigen Studienrichtungen wie Medizin wirken sich Beschränkungen fatal auf die sogenannte soziale Durchmischung aus: Vergleicht man den Anteil von ArbeiterInnenkindern im Medizinstudium mit dem ähnlich prestigeträchtigen Jusstudium, das ohne Aufnahmetest auskommt, muss man feststellen, dass sich die StudentInnenschaft in ersterm wesentlich elitärer zusammensetzt. Werden nun auch die Medizin-Ausweichstudien Biologie und Pharmazie beschränkt, wird sich dieser Trend verstärken.
Auch anerzogene Geschlechterrollenbilder werden durch Beschränkungen verstärkt: Während mehr Frauen Psychologie als Wunschstudium anstreben, streben zugangsbeschränkte technische Studienrichtungen unverhältnismäßig mehr Männer an. Die Wahrscheinlichkeit, ein Studienfach zu wählen, das außerhalb der rollenbilderbehafteten Normen liegt, wird durch Beschränkungen verringert. Diese Erkenntnisse gehen unter anderem aus dem Studierendensozialbericht 2011 hervor, der gerade vom Institut für höherere Studien (IHS) präsentiert wurde.
Im Kontrast dazu steht das Orientierungs- und Informationsangebot über die verschiedenen Studienrichtungen in den Schulen. Besonders außerhalb Wiens, im ländlichen Raum, ist es schwierig, nicht nur oberflächliche Informationen durch engagierte KlassenlehrerInnen zu bekommen. Carina hat es schließlich geschafft, sie darf nun ihren Bachelor in Psychologie machen: „Insgesamt hätte ich ohne Kurs den Test sehr wahrscheinlich nicht bestanden, da ich diese speziellen Fragen und Methoden nicht gekannt hätte. Es war ein großer Teil zum Lehrbuch, circa fünf Seiten Statistik-Fragen und ein vierseitiger Text zu englischer Fachliteratur, weit weg von Englisch auf Maturaniveau.“
StudienanfängerInnen als Management-Aufgabe. Sieht man von der sozialen Chancenungerechtigkeit bei Zugangsbeschränkungen ab, und versteht Hochschulen als Unternehmen, die sich ihre MitarbeiterInnen selbst aussuchen können, bliebe immer noch die Möglichkeit, durch Aufnahmetests die Geeignetsten der BewerberInnen herauszufiltern. Doch auch die birgen ihre Tücken: Barbara König hat nach ihrer Matura an einem niederösterreichischen Gymnasium die Aufnahmeprüfung für die FH Campus Wien geschafft. Neben einem mathematischen und allgemeinbildenen Prüfungsteil folgte ein personenbezogener Teil, der dazu dienen sollte, die StudienanfängerInnen besser kennenzulernen. „Dort wurden mir Fragen gestellt wie: Werden sie leicht aggresiv? Fühlen Sie sich in ihrem FreundInnenkreis wohl? Oder Mögen Sie sich selbst? Das finde ich dann doch zu persönlich.“
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