Al-Qaida, ISIS, Antifa?
Auch die diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball haben eine Reihe an Ermittlungen gegen AntifaschistInnen nach sich gezogen. Aufgefahren wird mit allem, was das Strafrecht so zu bieten hat. Nun steht sogar der Vorwurf der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ im Raum.
Auch die diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball haben eine Reihe an Ermittlungen gegen AntifaschistInnen nach sich gezogen. Aufgefahren wird mit allem, was das Strafrecht so zu bieten hat. Nun steht sogar der Vorwurf der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ im Raum.
Derzeit ermittelt die Wiener Polizei gegen elf Personen und noch weitere Unbekannte im Umkreis der diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball in der Wiener Hofburg. Unter anderem wird wegen Nötigung, gefährlicher Drohung, Landzwang und Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Vorwürfe, mit denen zum Teil auch schon in den vergangenen Jahren versucht wurde, gegen antifaschistische und zivilgesellschaftliche Proteste vorzugehen. Nun wird auch noch wegen des Vorwurfs der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ (§ 278b StGB) gegen AktivistInnen des ehemaligen NoWKR-Bündnisses ermittelt, bestätigt Nina Bussek von der StaatsanwältInnenschaft Wien entgegen anderslautender Berichte in letzter Zeit. Und das alles, obwohl sich das Bündnis kurz nach den vergangenen Protesten aufgelöst hat, unter anderem, um sich neuen politischen Projekten zuzuwenden.
Sollte es tatsächlich zu einer Anklage und in Folge zu einer Verurteilung kommen, könnte das Strafmaß bis zu zehn Jahre Haft betragen. Von BeobachterInnen, ExpertInnen und Beteiligten werden die Ermittlungen heftig kritisiert – es werde versucht, antifaschistischen Protest mit Maß- nahmen des Strafrechts mundtot zu machen.
SCHWERE GESCHÜTZE. Die Pressesprecherin von NoWKR, Elisabeth Litwak, zeigt sich schockiert über die Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung: „Wir haben Demonstrationen und Vortragsreihen organisiert. Wenn so etwas in Österreich unter Terrorismus fällt, wäre das fatal für alle künftigen Proteste. Der Terrorismusparagraph wird sonst gegen den Islamischen Staat (IS) und Al-Qaida eingesetzt.“ In den letzten Jahren hätte die Intensität der Strafverfolgungen gegen antifaschistische oder zivilgesellschaftliche Proteste zugenommen: „Diese Ermittlungen sind eine ganz neue Stufe“, erklärt Litwak. Von der Wiener Polizei sind die AktivistInnen von NoWKR diesbezüglich bisher weder kontaktiert noch einvernommen worden. NoWKR hat, wie viele andere Gruppierungen in der Vergangenheit, auf den Akademikerball aufmerksam gemacht und Proteste dagegen organisiert.
Zur Erinnerung: Auf dem jährlichen Akademikerball treffen sich Persönlichkeiten der nationalen und europäischen rechten bis rechtsextremen Gruppierungen in der Wiener Hofburg, um das Tanzbein zu schwingen. Die Gegendemonstrationen führten teils zu heftigen Polizeieinsätzen und zu umstrittenen Anzeigen und Gerichtsverfahren. Bernhard Lahner vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung (BV) sieht das Vorgehen gegen Anti- faschist_innen kritisch. „Antifaschistischer Protest muss ein wesentliches Element im politischen Engagement der Studierenden sein. Es ist fatal dieses Engagement durch Kriminalisierung im Keim zu ersticken. Faschismus darf durch Schweigen nicht salonfähig gemacht werden.“
Letztes Jahr etwa musste der Student Josef S. aus Jena gut sechs Monate lang in Untersuchungshaft sitzen. Angezeigt und schließlich auch verurteilt wurde er unter anderem wegen des sogenannten Landfriedensbruchsparagraphen. Dieser Prozess wurde nicht nur von deutschen Medien heftig kritisiert, sondern auch von Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik, die ihn beobachtet hat. „Da wurde der ganze Rechtsstaat gewissermaßen mit Füßen getreten. Ein Mensch wurde aufgrund von ganz schwammigen Vorwürfen festgehalten und vorverurteilt“, so Hornyik. An dem Prozess ist ihr besonders die seltsame Beweisführung durch das Gericht sauer aufgestoßen, das sich sein Urteil im Wesentlichen auf die Aussage eines Polizisten bezog, der sich noch dazu in Widersprüche verstrickt hatte.
KRIMINALISIERUNG. Nach den aktuellen Ermittlungen wegen § 278b gefragt, findet die Verfassungsjuristin Hornyik sehr schnell deutliche Worte: „Das ist eine Frechheit. Damit soll Antifaschismus wieder einmal kriminalisiert werden. Dabei lässt man offenbar kein Mittel aus, wie diese Ermittlungen zeigen.“ Für Hornyik ist das eine strafrechtliche Keule, die in diesem Fall offenbar dazu diene, auf eine ganze Bewegung zu prügeln. Sie hofft, dass die Ermittlungen bald wieder eingestellt werden. Dennoch empfindet sie alleine die Verdächtigungen als politisch sehr beunruhigend. Sie vermutet außerdem, dass ein solcher Umgang mit diesen Protesten an der mangelnden Aufarbeitung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich und der immer noch stark verbreiteten autoritären Gesinnung liege.
Der Strafrechtsexperte Georg Bürstmayr schlägt in eine ähnliche Kerbe und hält die Anwendung des Terrorparagraphen 278b in diesem Fall für völlig überzogen. Der Paragraph sei nach den Anschlägen von 2001 für Fälle gedacht gewesen in denen es um „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung oder Schädigung des öffentlichen Lebens bzw. des Wirtschaftslebens“ gehe. „Mit dieser Bestimmung muss sehr bedächtig umgegangen werden. Man kann sie nicht einfach wahllos, missliebig gegen kritische Gruppierungen anwenden“, so Bürstmayr.
ANGST? Über den aktuellen Stand der Ermittlungen geben sowohl StaatsanwältInnenschaft als auch Polizei keine Auskunft, auch nicht wie lange die Ermittlungen dauern könnten. Für die Verdächtigten von NoWKR, aber auch jene (AntifaschistInnen), gegen die wegen anderer Delikte ermittelt wird, heißt es also vorerst abwarten und hoffen. Galt noch im letzten Jahr unter anderem rund um den Prozess gegen Josef S. die Anwendung des bis dahin für totes Recht gehaltenen Paragraphen Landfriedensbruch als äußerst umstritten, so kommt nun der Paragraph „Landzwang“ (§ 275 StGB) zu einem sehr fragwürdigen Einsatz. Dieser Paragraph bestraft das Drohen mit schweren Angriffen gegen einen großen Personenkreis. Auf Anfrage des progress hat das Justizministerium mitgeteilt, dass dieser Paragraph in den letzten 39 Jahren zu insgesamt 18 Verurteilungen geführt hat, also äußerst selten angewandt wird.
Danach gefragt, was sie AntifaschistInnen raten würde, die sich zunehmend eingeschüchtert fühlen, meint Litwak: „Aus Angst auf Protestformen zu verzichten ist weder angemessen noch hilfreich, vielmehr ist es genau das, worauf die Repression abzielt. Wichtig ist es, überlegt und gut vorbereitet zu sein. Niemand muss sich der Repression alleine stellen.” Für Lahner tut sich hier aber ein Problem auf: „Da es die linke ,Organisation‘ in Österreich nicht gibt, ist es oft schwierig, dass unterschiedliche Gruppierungen in allen Punkten miteinander können. Es sollte aber vor allem in Bezug auf Antifaschismus Konsens herrschen und ein gemeinsames Vorgehen das Ziel sein. Unterstützung gegen Repression muss für linke Organisationen selbstverständlich sein.“
Georg Sattelberger studiert Internationale Entwicklung und Lehramt Englisch und Geschichte an der Universität Wien.