Ab in den Osten

  • 13.07.2012, 18:18

Rumänien ist für viele noch immer akademisches Niemandsland. Dennoch steigt die Zahl angehender MedizinstudentInnen, die es in die Universitätsstadt Temeswar zieht. Weit entfernt vom Massenbetrieb bildet die Hochschule praxisnah aus.

Rumänien ist für viele noch immer akademisches Niemandsland. Dennoch steigt die Zahl angehender MedizinstudentInnen, die es in die Universitätsstadt Temeswar zieht. Weit entfernt vom Massenbetrieb bildet die Hochschule praxisnah aus.

Was sie einmal werden will, wusste Laura Bogdan schon von klein an. „Medizinerin!“, schießt es aus der heute 24-Jährigen heraus. Doch die Tochter eines Zahnarztes verpasste die Anmeldung für den Eignungstest der österreichischen Medizinuniversitäten in Wien, Graz und Innsbruck. Ein Jahr warten und auf gut Glück an der Seite von 11.000 weiteren Studieninteressierten den Eignungstest durchackern? Das kam für die Klagenfurterin mit deutsch-rumänischen Wurzeln nicht in Frage; sie wollte sofort loslegen. Also suchte sie sich eine Studienstadt im Ausland und landete in ihrer Wahlheimat: Rumänien.

Akademisches Niemandsland. Dass das Land am Rande der Europäischen Union jahrelang als akademisches Niemandsland galt, reizte sie erst recht: „Es gibt sehr viele RumänInnen, die hart, viel und gut im Ausland arbeiten, nur leider wird darüber nichts berichtet.“ Rumänien ist weder für kosmopolitisches Flair, noch für einen gehobenen Lebensstil berühmt. Nach wie vor verbinden die meisten ÖsterreicherInnen mit dem Land Armut, Korruption und technische Rückständigkeit. „Wenn du dort aus einem Auto aussteigst, droht dir sicher jemand mit der Waffe. Viele Autos kann es dort ja nicht geben, mehr Pferdekutschen, oder? Solche und ähnliche Sätze muss ich mir anhören, wenn ich von meinem Studienort erzähle“, so Laura trocken. Sie ist es leid, sich für ihren Studienort rechtfertigen zu müssen. Viel lieber spricht sie über die 300.000-EinwohnerInnen-Stadt im Westen Rumäniens, Temeswar, als ihre Schule des Lebens, über die engagierten ProfessorInnen und erzählt, dass man sich untereinander kennt. „Ich nenne Temeswar gern meinen Dschungel, weil hier vieles so anders ist als im Westen.“
Temeswar ist neben Klausenburg (Cluj) in Siebenbürgen und der Hauptstadt Bukarest die beliebteste Stadt für ein Auslandsstudium in Rumänien. Mittlerweile gibt es bereits 70 Studiengänge in deutscher Sprache, darunter Journalistik, Europawissenschaften und Betriebswirtschaft. Laura, die bereits im achten Semester ist, studiert zusammen mit überschaubaren 1.500 KomilitonInnen an den drei Fakultäten Humanmedizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Fast zwei Drittel davon hat es aus aller Welt in die alte mehrsprachige Kulturstadt gezogen, deren drei offizielle Namen von ihrer wechselvollen Geschichte zeugen: Timişoara (rumänisch), Temesvár (ungarisch) und Temeswar oder Temeschwar (deutsch). Das noch bestehende deutsche und ungarische Staatstheater inmitten der Stadt zeugt von ihrer K.u.k.-Vergangenheit. Und aufgrund ihrer optischen und geografischen Nähe zu Wien wurde Temeswar auch immer wieder „Klein-Wien“ genannt.

Vielsprachiges Angebot. Seit 1997 wird hier das Medizinstudium auf Englisch oder Französisch angeboten. Nur ein paar hundert Studierende kommen laut Andrei Motoc, Vizedekan an der Medizinischen Fakultät, aus Deutschland oder Österreich. „Aber es werden immer mehr. Wir überlegen uns auch schon seit geraumer Zeit, Medizin auch in Deutsch anzubieten. Zurzeit wählen die meisten ausländischen Studierenden Französisch als Unterrichtssprache“, sagt Motoc und fügt hinzu: „Und zwar deswegen, weil MarokkanerInnen und TunesierInnen hier am öftesten studieren.“ Der weltgewandte Mann mit dem schwarzen sauber gestutzten Schnauzer und den dunklen Augen sitzt in seinem dezent eingerichteten Büro an der medizinischen Fakultät und erzählt stolz von seinen AbsolventInnen, die nun in den Metropolen der Welt arbeiten. „Das, was das Studium hier so besonders macht, ist die frühe Praxis. Bereits im zweiten Jahr müssen StudentInnen ihr Wissen an den PatientInnen anwenden. Egal, ob sie Rumänisch sprechen oder nicht“, sagt Motoc und fügt hinzu: „PatientInnen sind es hier gewohnt, sich zehn Mal am Tag die Leber von StudentInnen abtasten zu lassen.“
Auch Laura hat schon Blutabnahmen bei Kindern und etliche Krankenhausdienste hinter sich. Mittlerweile ist ihr klares Ziel, einmal Kinderärztin zu werden. „Mit denen ist es viel lustiger. Man muss sie zum Lachen bringen, das ist das Wichtigste.“ Seit Dezember 2010 leitet sie das Projekt „Volunteers for rare diseases“ für „Save the children“ in Rumänien. Dass sie so viel machen kann, verdanke sie vor allem „den tollen ProfessorInnen. Hier kann man viel erarbeiten, wenn man ehrgeizig ist.“
Jede Woche verbringt sie mit anderen Freiwilligen Zeit auf der Kinderstation der Neuropsychiatrie in Temeswar – spielt, lernt und malt mit den jungen PatientInnen. Manchmal sammelt sie auch Geldspenden in Klagenfurt, um Spielzeug zu kaufen oder organisiert Veranstaltungen mit Clowns oder GesichtsmalerInnen im Krankenhaus, um auf die Bedürfnisse der Kinder aufmerksam zu machen. Dass Laura sich hier wohl fühlt, ist nicht zu übersehen.

Höhere Gebühren für AusländerInnen. Doch auch Rumänien hat seinen Preis. Rund 2.000 Euro Studiengebühren zahlen ausländische Studierende pro Semester, obwohl Rumänien von Brüssel dazu angehalten wird, einheimische und ausländische StudentInnen gleichzustellen, so wie es in der EU üblich ist. Vielleicht versucht Rumänien seine – angesichts der Finanzkrise – gebeutelte Lage zu stabilisieren; LehrerInnen und ProfessorInnen mussten sich ihr ohnehin bescheidenes Gehalt um 25 Prozent kürzen lassen, vielerorts sticht auch in der Region um Temeswar noch die Armut ins Auge.
„Also mir gefällt es hier sehr gut. Man muss es im Verhältnis sehen, im Gegenzug gibt es keine Aufnahmeprüfung und die Lebenskosten sind hier äußerst gering“, sagt Laura. Aber auch sie wird nach dem Studium in Österreich oder Deutschland als Assistenzärztin
arbeiten. Hier würde sie einem mageren Lohn von 300 Euro ins Auge sehen; in Deutschland wird sie mit 3.700 Euro mehr als das Zehnfache verdienen. „So gut es mir hier gefällt, ich kann und will nicht weitere fünf Jahre von meinen Eltern Geld verlangen.“

 

AutorInnen: Elisabeth Gamperl