„Weißes Gold“ am „Westend“ Europas
Lithium ist weit mehr als ein Antidepressivum, über das Kurt Cobain seine legendäre Grunge-Hymne schrieb. In Batterien steckt es nicht nur in Laptops und Smartphones; es ist für Autobatterien zurzeit das Fundament der Energiewende hin zur postulierten „totalen Elektromobilität“.
Vorerst, bis sich Alternativen eröffnen. Der Wettlauf um Lithium-Lagerstätten von Bergbau-Weltkonzernen (aber auch weit kleinerer Bergbau-„Start-Ups“) und Regierungen, die sich gleichermaßen satte Gewinne und Steuereinnahmen erhoffen, ist längst ein globaler. Dabei will sich die EU in puncto Rohstoffe zuletzt immer autarker aufstellen und Abhängigkeiten tunlichst verhindert wissen. Die weltgrößten Lagerstätten werden aktuell in Argentinien, Chile und Bolivien sowie in Australien ausgebeutet. Es wurden 2019 weltweit 77.000 Tonnen und 2020 knapp 82.000 Tonnen des Alkalimetalls gefördert; bei einer Wachstumsrate von knapp 25 Prozent soll sich diese Menge bis 2024 mehr als verdoppeln.
In den nordportugiesischen Minas do Barroso soll die jährliche Fördermenge gleich stattliche 175.000 Tonnen Lithium werden. Savannah-Ressources CEO David Archer betont im progress-Gespräch, dass Portugal „Europa eine lokale Quelle des Minerals gebe“. Damit wäre das Senken der CO2-Ausstoß-Mengen über die Elektromobilität erst im Individual-, dann im Frachtverkehr rascher umzusetzen. Auf 593 Hektar sollen in den Gemeinden Dornelas und Covas do Barroso in der Provinz Trás-os-Montes („Hinter den Bergen“), im als „strukturschwach“ klassifizierten Hinterland ganz im Norden Portugals, 20 Kilometer von der Grenze zum nordwest-spanischen Galicien vier Krater ausgehoben werden, die schlussendlich bis 200 Meter, stellenweise gar 40 Meter, an Häuser der Ortschaft Covas de Barroso heranreichen werden. Liegt doch hier eine der größten Lagerstätten des stark Lithium-Dioxid-haltigen Minerals Spodumen des „Alten Kontinents“, wie Sondierungen belegen. Die Barroso-Mine ist übrigens erst das zweite Großvorhaben von Savannah, das seit 2013 in einer Joint-Venture mit dem Weltkonzern Rio Tinto schwermineralhaltige Sande in Mosambik abbaut (eng. Heavy Mineral Sands).
NEIN ZUR MINE, JA ZUM LEBEN. Rund 800 Arbeitsplätze (215 direkt, 500-600 indirekt) soll das Mammutprojekt in den Gemeinden schaffen, bei einer Bevölkerung von nicht einmal 300 in
der Gemeinde Covas de Barroso und knapp 770 in Dornelas. In den 1980ern war die Region das Armenhaus Portugals, in der vergangenen Dekade prägte Überalterung und Landflucht die Demographie. Doch die Bewohner_innen der Ortschaften und Gemeinden, die einerseits von ökologischer Landwirtschaft in Kleinstbetrieben leben (seitens der Welternährungsorganisation als Weltkulturerbe anerkannt) und andererseits vom Aktiv- sowie Wandertourismus in der hier so gut wie unberührten Natur, gehen seit über zweieinhalb Jahren auf die Barrikaden. „Nein zur Mine, ja zum Leben“ ist einer der Slogans, die Protestbanner zieren. Im Weideland bei Covas de Barroso hatte man in überdimensionalen Lettern „HELP!“ in die Vegetation gemäht. Neben dem herben Einschnitt in die Natur, die Basis für die Landwirtschaft und den sanften Tourismus, fürchten die Bewohner_innen gesundheitsschädlichen Staub und die Verschwendung von Wassermassen sowie die Verschmutzung des Grundwassers. Neben dem permanenten Lärm von Explosionen zur Förderung, versteht sich.
FRAUEN PRÄGEN DEN KAMPF. Catarina Alves Scarrott, die Vorsitzende der selbstorganisierten Widerstandsbewegung Associação Unidos em Defesa de Covas do Barroso, ist sich bewusst, gegen wen man alles kämpft. Im Gespräch mit progress meint sie, „dass sich in der portugiesischen Regierung eine Lithium-Lobby festgesetzt hat“. Sie beklagt eine massive „Kampagne der Desinformation im staatlichen und privaten TV und der Presse“, gekoppelt an „sozial-verantwortungsbewusste“ Werbeeinschaltungen von Savannah. Gegen den „drohenden Ökozid, den die Regierung zu Gunsten kurzfristiger Gewinne plant, ist man im Recht, für das Land zu kämpfen“, sagt sie. Es wären in erster Linie die Frauen der Gemeinden, die den Kampf prägen, erzählt Alves weiter, „weil wir langfristig denken.“ Politisch werde man bisher nur von den Grünen (in Allianz mit Kommunist_innen als Coligação Democrática Unitária) unterstützt. Und man tourte mit den Zapatistas in den Sommermonaten durch Europa, um Menschen wachzurütteln.
Wie viel Geld exakt Savannah in Werbeeinschaltungen und Image-Kampagnen in Radio, TV, Print- und Digitalmedien für die Mina do Barroso in Portugal investiert, wollte die für den Bergbau-Konzern arbeitende britische Top-PR-Agentur Camarco auf mehrere progress-Anfragen hin nicht offenlegen. Die Summe muss beträchtlich sein. Massiv für das Bergbauprojekt tritt auch die Mediengruppe Global Media um Diario de Noticias, Jornal de Noticias und insbesondere die zuvor zitierte Wirtschaftszeitung Dinheiro Vivo ein. Hier spielt man quasi unentwegt eine Pro-Kampagne, und es finden sich fast täglich Savannah-Inserate. Auf den offenen Meinungsseiten schrieb der Savannah-CEO einen fast ganzseitigen Werbe-Artikel. Und Chefredakteurin Joana Petiz führte nicht nur ein Promo-Interview mit Archer, in einem Editorial diskreditierte sie Umweltschützer_innen und Gegner_innen der Mine, wie auch Alves‘ Verein. Auch der Lokal-TV-Sender Sinal-TV produzierte eine Lithium-Reportage, die schlussendlich nur Savannah und Befürworter_innen der Mine zu Wort kommen ließ, obwohl auch Alves und ein kritischer Bürgermeister interviewt worden waren. Auf Nachfrage von Alves hieß es lapidar, dass die Aufzeichnungen leider verloren gegangen seien.
Hinzu kommt eine ganze Riege an Geologie-Professor_innen, in erster Linie von der Universität Porto, die in Interviews und Meinungsartikeln für die Lithium-Bergbaupläne eintreten. Sogar bei einer Konferenz zu „Green Mining“ in Lissabon kamen einzig Befürworter_innen zu Wort.
Zumindest die Speerspitze des portugiesischen Qualitätsjournalismus, Expresso, recherchiert tief- und hintergründig, um schlichtweg illusorische Zukunftsträume vom „Green Mining“, die Savannah und andere Bergbaukonzerne schüren, zu widerlegen. Sei es die postulierten 100-prozentige Versorgung durch nachhaltige Energien – die Wasserkraftwerke der Region liefern nicht ausreichend Energie, und Portugal importiert Strom – bis hin zu rein elektrisch betriebenen Bergbaufahrzeugen. Für die massigen Bergbau-Laster gibt es wohl auf lange Sicht auch keine Alternative zu Dieselkraftstoff.
Der Kampf gegen die Mine ist freilich keiner, der einzig und alleine in Portugal ausgetragen wird. Die EU will dezidiert unabhängiger von ausländischen Rohstofflieferanten werden, seit September vergangenen Jahres steht Lithium auf der EU-Liste der „kritischen Rohstoffe“. Deshalb sollen in EU-Mitgliedsstaaten Lithiumminen entstehen. Um die „grüne Revolution“ zu ermöglichen, ist die EU-Kommission in Brüssel eine Befürworterin dieser Bergbauprojekte. Wenig überraschend, dass neben zahlreichen EU-Parlamentarier_innen auch Peter Handley, der Beauftragte der EU-Kommission für Energie- und Ressourceneffizienz, und natürlich die Zeitung Economist für den erhofften „Lithium-rush“ in Portugal eintreten.
Savannah verspricht derweil „minimale Auswirkungen auf die Umwelt“. Wenn alles abgebaut ist, werde man Baggerseen aus den Kratern machen, was den Tourismus ankurbeln wird, so ein Firmen-Video auf Youtube. „Green Mining” ist auch der Slogan der EU-Kommission, die nach knapp zwei Dekaden der rigorosen Minen-Schließungen nun wieder auf eigenem Terrain Bodenschätze fördern will. Dabei ist es ein Irrglaube, dass der Bergbau in der EU aufgrund der meist strengeren Auflagen weniger umweltschädlich sei als in Staaten am afrikanischen Kontinent oder in Südamerika, wie der Responsible Mining Index 2020 belegt. Umweltschützer_innen der NGO Asociación Nacional para la Conservación de la Naturaleza (Quercus) haben berechnet, dass eine jede Lithium-Mine 1,79 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr freisetzt, womit die „grüne Wende“ ab absurdum geführt wäre.
Gegen Bergbaustaub würden selbstfahrende E-Fahrzeuge eingesetzt, die beispielsweise hinter den Riesen-Minenlastern (die Giganten werden noch lange Zeit mit Diesel fahren, bei einem Verbrauch von ca. 190 l/Betriebsstunde) automatisch Wasser versprühen. Umweltdaten sollen in Echtzeit öffentlich zugänglich gemacht werden und man will, so Savannah, „lokale Gemeinschaften“ mit einbinden, Stichwort Cooperate Social Responsibility (CSR).
„Lithium ist aber nur eine Übergangslösung und der Boom wird nicht ewig halten, maximal 20 Jahre. Damit lässt sich das Weltklima sicher nicht retten“, sagt Mario Klammer zum progress. Der österreichische Unternehmer, der 10 Jahre Erfahrung im E-Mobility-Bereich hat und Gründer von EVN (Liechtenstein) ist, hat sich spezialisiert auf E-Transport-Lösungen (autonome WAB, Wechselaufbaubrücken), Öffi-Busse und Taxis. Die Zukunft sieht er in Graphen-Batterien und klassisch in Natrium, das sei billig und überall vorhanden. Bergbauvorhaben wie das in den Minas de Barroso sieht er überaus kritisch: „Bei No-Name-Glücksrittern (Anm. Bergbau-Start-Ups wie Savannah), die nur auf das schnelle Geld aus sind, zieht die Natur den Kürzeren und schlussendlich muss der Staat, und das heißt wir alle, die Zeche zahlen.“
OPFER BRINGEN. Die Regierung Portugals unter dem sozialdemokratischen Premier António Costa (Partido Socialista, PS) hat indes einen „Masterplan“ ausgearbeitet, eine Nationale Lithium-Strategie. Bodenschätze seien ein Allgemeingut, und um diese zu fördern, müsse man eben Opfer bringen, argumentierte das Umweltministerium. Es gibt Pläne, bis zu zehn Prozent der Landesfläche dem Bergbau zu überantworten. Und Lissabon hat längst eine Hand nach Madrid ausgestreckt, um in den beiden Staaten die komplette Wertschöpfungskette unterzubringen, vom Rohstoff bis zum E-Auto, und den Lithium-Abbau somit zur Win-Win-Situation für alle - mit Ausnahme der Lokalbevölkerung - zu machen. Doch die Linksregierung der Sozialist_innen unter Costa, gestützt von Linksblock (Bloco de Esquerda), Kommunist_innen, Grüne und die Tierschutzpartei scheiterte am Budget 2022, Neuwahlen sind für Anfang 2022 anberaumt. Zugleich laufen, wie Alves gegenüber progress betont, „Weichenstellungen über strategisch-wichtige Ressourcen weiter“. Dies sei lediglich eine Blendgranate, so die Aktivistin, mittels derer die scheidende Regierung die Lithium-Pläne durchboxen wolle. Parallel dazu liefen „taktische Manöver“, um parlamentarische Kontrollinstanzen zu umgehen. Neue Bergbaugesetze, Reformen, Lizenzen und Verträge waren knapp vor der Auflösung des Parlaments durchgewunken wurden.
Doch der Widerstand in Barroso muss nicht zwecklos sein: Proteste der Bevölkerung verhinderten in Spanien bereits andere groß angelegte Tagebauvorhaben, z.B. eine Lithium-Mine unweit der Stadtgrenze von Cáceres (Extremadura) oder eine Uran-Mine bei Retortillo (Salamanca). Zuletzt konzentrierte sich in der Extremadura der Protest der Lokalbevölkerung auf das kleine Dorf Cañaveral in den weiten, kargen Ebenen zwischen Cáceres und Mérida.