Über Frauen, die zu Bomben werden
Das Geschlechterverhältnis im Selbstmordattentat. Ein Interview mit Yasemin Makineci.
Im Rahmen der Vortragsreihe „Antisemitismus und Geschlecht“ wird Yasemin Makineci einen Vortrag zum Geschlechterverhältnis des Terrorismus und des islamistischen Selbstmordattentates halten. Über dies und andere Themen hat progress mit ihr gesprochen.
progress: In deinem Vortrag wird es um das Geschlechterverhältnis des islamistischen Terrorismus und des Selbstmordattentates gehen. Was unterscheidet die weibliche von der männlichen Täterschaft, beziehungsweise gibt es Unterschiede in den Motiven?
Yasemin Makineci: Der Öffentlichkeit scheint die Vorstellung einer Frau, die ein Selbstmordattentat verübt, besonders fremd zu sein. Leila Khaled, die zwar keine Selbstmordattentäterin, jedoch noch bis heute eine weibliche Ikone des palästinensischen Terrorismus ist, hat mit der tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen-Gruppe Smertnizy, welche mehrere Anschläge in Russland verübte, etwas gemeinsam: Sie erlangten nicht nur allein wegen ihres Terrors Aufmerksamkeit, sondern auch weil die Täterinnen Frauen waren.
Frauen und Männer werden unterschiedlich rekrutiert. Die Hauptanwerberin der irakischen Terrorgruppe Ansar as-Sunna organisierte beispielsweise gezielt Vergewaltigungen von Frauen, um diese dann, als einzigen Ausweg aus dieser „Schande“, zum Selbstmordattentat zu bewegen. AttentatsanwerberInnen garantieren für die Ikonisierung und sprechen die „Ehre“ dieser Frauen sowie ihrer Familie als wiederhergestellt aus. Außerdem übernehmen die Gruppen, die diese Frauen rekrutieren, Aufgaben, die eigentlich ein funktionierender Staat hätte: Sie garantieren die finanzielle Versorgung der Hinterbliebenen.
Welche Rolle spielt dann die soziale Lage der Frauen und natürlich auch Männer, die sich für das Selbstmordattentat entscheiden?
Aus Furcht sprechen die wenigen Frauen, denen die Flucht gelungen ist, sehr wenig darüber. Auch die Quellenlage ist sehr dünn. Jedoch kann man sagen, dass die soziale Herkunft der rekrutierten Männer wesentlich heterogener ist als die der Frauen. Bei Selbstmordattentätern des IS sind Männer mit hoher wie niedriger Bildung; hohem wie niedrigem Einkommen vertreten. Bei den Frauen sieht die Lage jedoch anders aus. Die soziale Herkunft der Frauen ist wesentlich homogener. Eine besondere Auffälligkeit ist, dass Frauen vor allem sehr jung sind. Ihr Alter zum Zeitpunkt des Attentates liegt meist zwischen 15 und 28 Jahren. Es ist allerdings weniger die soziale als vielmehr die ideologische Frage zu stellen.
Welche Rolle spielt der Islam in diesem Phänomen?
Der Missionierungsauftrag des politischen Islam spielt eine große Rolle. Die islamische Volksgemeinschaft, die Umma, erhebt einen omnipotenten Anspruch auf die Welt und ihre Menschen und muss diese daher auch in ihr Unternehmen einfassen oder eben vernichten. Des Weiteren braucht es ein Augenmerk auf die islamische Gesellschaft als solche: Ermordung von Ungläubigen, gemeinhin eben als Djihad bekannt, bezeichnet lediglich den kleinen Djihad. Der große Djihad ist der Kampf des Subjektes gegen sich selbst und seine eigenen, zutiefst menschlichen Triebregungen. Alles, was unkontrollierbar, unislamisch, „unrein“ und damit „westlich“ sei, muss abgespalten werden – der politische Islam verheißt durch das Selbstmordattentat, die Vernichtung des widerspruchsgeplagten Ichs, eine Befreiung irdischen Leidens und verspricht ihm im Himmel das Paradies der Triebabfuhr.
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Kritik am Islam sieht sich immer wieder dem Vorwurf der Islamophobie ausgesetzt. Sollten wir mit der Kritik am Islam nicht lieber vorsichtig sein?
Islamophobie ist ein Kampfbegriff der IslamistInnen und ihrer ideologischen Komplizenschaft. Der Großteil der antirassistischen Linken hat sich diesen islamistischen Kampfbegriff als vermeintlich wertfreie Bezeichnung einverleibt, um ihren politischen GegnerInnen den Lauf vor das Gesicht zu halten. Psychoanalytisch hat eine Phobie wenig mit einem Ressentiment zu tun. Dieser Begriff braucht die Negativbestimmung – dröselt man das nun positiv auf, wird der Islam zu Identität. Genau hier zeigt sich, dass sich linke und rechte Identitäre nichts voneinander nehmen: „Islam“ wird zu etwas wie race. Der Islam ist aber keine Rasse.
Warum fällt es vielen Linken und Liberalen so schwer, Kritik am Islam zu üben? Solidarisiert sich die Linke mit den Falschen?
Zum einen ist es sicherlich die Angst, nicht in der Lage zu sein, eine Kritik am Islam zu üben, ohne sich selbst als VerräterInnen der Unterdrückten zu glauben. Aus dem eigenen Unwillen, die Hässlichkeiten der Moderne zu verstehen, dienen Muslime nicht nur für Rechte, sondern auch für Linke als Projektionsfläche. Zum anderen scheint sich die Linke im Wissen, keine relevante Kraft zur Befreiung der Gesellschaft zu sein, ein revolutionäres Subjekt imaginieren zu müssen, um sich selbst noch eine Existenzberechtigung geben zu können. Dies mündet dann im Islam als schützenswertes Kulturgut. Es sind aber nicht die Institutionen und Personen einer Glaubensgemeinschaft, denen eine Stimme gegeben werden muss, sondern jenen, die von rechts, links und aus der islamischen Community ihre Bedrohung erfahren: Die Solidarität gebührt Ayaan Hirsi Ali oder Hamed Abdel-Samad, sie gebührt den Angehörigen der Opfer von Paris oder Brüssel. Es macht mich traurig und sehr wütend, dass diese Liste mit vielen weiteren lebenden wie ermordeten Unbekannten weitergeht und sie überhört und ihre Erinnerungen vergessen werden. Mit einer Linken, die sich nicht genau mit diesen Personen solidarisiert, möchte ich nicht zusammenarbeiten.
Yasemin Makineci ist Ex-Muslima und studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Colin Kaggl studiert ebenfalls Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie lernten sich im Zuge ihrer gemeinsamen Tätigkeit in der Fakultätsvertretung Geisteswissenschaften (FV GEWI) kennen.
Informationen zur Vortragsreihe „Antisemitismus und Geschlecht“ der FV GEWI findet ihr auf Facebook und unter: fv-gewi.at/aktuelles/veranstaltungen/2017