… und Wirklichkeit

  • 22.06.2016, 12:31

… und wie sich ihre echten Gegenstücke zwischen Repression, Prekarität, Ruhm und Reichtum bewegen .

Hanf-Omas
Kurznachrichten über Drogenrazzien und hopsgenommene Dealer_innen sind generell ein dankbares journalistisches Genre. Umsomehr gilt das, wenn ältere Frauen, die Cannabisplantagen betreiben und irgendwann erwischt werden, im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen. Sie entsprechen einerseits überhaupt nicht dem Bild der gefährlichen Dealer_ innen, andererseits verstecken sich hinter den lustig anmutenden Meldungen oft tragische Geschichten. So standen im Februar 2014 eine 63-Jährige und ihr Mann aus dem Hunsrück vor Gericht, weil sie aus medizinischen Gründen 47 Cannabispflanzen im Keller gehegt hatten. Die Rentnerin baute das Gras an, um eine drohende Erblindung zu bekämpfen. Die teuren Medikamente konnte sich die ehemalige Putzkraft nicht leisten. Das Gericht hatte Mitleid und sprach nur eine Verwarnung aus. Doch nicht jede Hanf-Oma ist so liebenswert: Im schweizerischen Malters verteidigte eine 65-Jährige für 17 Stunden mit Waffengewalt ihre Plantage gegen die Polizei. Sie wurde bei der Erstürmung ihrer Wohnung erschossen.

Meth-Enkel
Nicht nur Großeltern agieren manchmal als Drogendealer_ innen, auch ihre „Enkel“ sind teilweise schon in sehr jungen Jahren aktiv. Im Vereinigten Königreich wurde zum Beispiel im Juli 2014 ein 13-Jähriger im nordenglischen Barrow dabei erwischt, wie er Heroin und Meth dealte. Angeblich wurde der Jugendliche von einer Gang zum Dealer ausgebildet und lebte bei Süchtigen, die er zur Miete mit kostenlosen Drogen versorgte. Dieses Modell scheint in Nordengland beliebt zu sein: Die Polizei berichtete von zwei weiteren Fällen, in denen 14-Jährige in einer sehr ähnlichen Situation gewesen wären. 2012 will die Polizei im Vereinigten Königreich insgesamt über 12.000 Dealer_innen festgenommen haben, die nicht nur minderjährig, sondern auch unter 16 Jahren alt waren. Die meisten von ihnen handelten jedoch mit leichten Drogen wie Cannabis und nicht mit als „class A drugs“ bezeichneten harten Drogen. Für den Dealer aus Barrow wurde unterdes keine Gnade angekündigt. Die Gerichte würden in solchen Fällen „Strafen verteilen, die dem geleisteten Schaden an der Gesellschaft entsprechen“, so eine Polizeisprecherin.

Verschärftes Gesetz
Die Diskussionen über die Wiener U-Bahnlinie U6, bei der vor allem bürgerliche Journalist_innen die Präsenz von Schwarzen Menschen, die sie als Drogendealer_innen zu identifizierten glaubten, beklagten, sind in einer Gesetzesnovelle mit anschließender Polizeiaktion gemündet. Großkotzig kündigte die Wiener Polizei „bis zu 200 zusätzliche Festnahmen“ innerhalb der ersten 24 Stunden an und ließ in Großraumzellen mehr Betten aufstellen. Außerdem wurde das Personal aufgestockt. Insgesamt waren es dann gigantische 14 mutmaßliche Dealer_innen, die in den ersten 24 Stunden nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle verhaftet wurden. Dabei umfasst der neue Straftatbestand den Handel mit illegalen Drogen im öffentlichen Raum und an anderen Orten, wenn „das Verhalten durch unmittelbare Wahrneh mung dazu geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen“. Dieser Gummiparagraph lässt sich hervorragend dazu einsetzen, Drogenszenen von einem Ort zum nächsten zu jagen. So freut sich die Wiener Polizei bereits jetzt darüber, die Dealer_innen von der U6 verjagt zu haben. Aber Wien hat ja noch einige andere U-Bahnlinien.

Vom Gangsta zum legalen Dealer
Nachdem in einigen US-Bundesstaaten der Konsum von Cannabis legalisiert wurde, stellt sich dort eine paradoxe Situation ein: Während ehemalige Dealer_innen, viele davon People of Color, weiterhin ihre Gefängnisstrafen absitzen, haben Cannabis- Start-ups den legalen Markt übernommen. Geführt werden diese meist von Weißen Menschen, die davor nicht im Fokus polizeilicher Ermittlungen bezüglich Drogenkriminalität standen. Allerdings gibt es natürlich auch Ausnahmen: Der Rapper Snoop Dogg ist vor einiger Zeit mit einer eigenen Linie von Cannabisprodukten ins Geschäft eingestiegen – diesmal legal. In den 1990ern stand der Rapper nämlich nicht selten wegen Drogendelikten vor Gericht, unter anderem auch wegen Dealens. Nun ist aber alles anders: Mit „Leafs by Snoop“ vertickt der Rapper im US-Bundesstaat Colorado legal acht verschiedene Cannabissorten in stylisch designten Schachteln, außerdem gibt es Konzentrate und Kekse zu erwerben. Snoops Cannabisimperium wird von einer eigenen Marihuana-Medienfirma abgerundet: „Merry Jane“ soll Cannabis und Popkultur vermengen.

52 Milliarden
Als reichster Drogenboss galt der mittlerweile 85-jährige Amerikaner Frank Lucas. Sein Drogengeschäft begann er in den 1960ern im New Yorker Stadtteil Harlem. Seine Strategie bestand vor allem darin, das Monopol der italienischen Mafia in New York zu brechen. Dafür reiste er nach Bangkok und kontaktierte dort einen entfernten Verwandten, der Verbindungen zur U.S. Army hatte. So begann der Schmuggel direkt aus dem sogenannten „Goldenen Dreieck“. Wie genau dieser von statten ging, darüber gehen die Meinungen auseinander. In manchen Versionen wird von Särgen toter US-Soldaten berichtet, andere Quellen geben nachgemachte Särge oder „nur“ Möbel an. Lucas vertraute nur Verwandten und guten Freund_innen seine Drogengeschäfte an, weil er der Meinung war, dass die Chance, dass diese ihn bestehlen würden, geringer sei. Mit den großen Profitmargen, die er aus dem Direktverkauf seines „Blue Magic“-Heroins ohne Zwischenhändler_innen erzielte, konnte er viel Besitz anhäufen, unter anderem auch eine Rinderfarm in North Carolina. Als er 1975 jedoch festgenommen wurde, verschwand angeblich sein gesamter Besitz. In „American Gangster“ wurde Lucas’ Leben verfilmt, allerdings mit einigen Änderungen, damit die Geschichte genügend Dramatik für das Mainstream-Kino bietet.

Online-Dealer_innen
Der Handel mit Drogen läuft auch im Netz. Wer abgelegen wohnt oder schlicht keine Lust hat, bei Straßendealer_innen zu kaufen, kann sich im Darknet so ziemlich alles besorgen, was das Herz begehrt. Die geheimen Seiten sind nur über das verschlüsselte und anonyme TOR-Netzwerk erreich bar, bezahlt wird in der Kryptowährung Bitcoins. Die bekannteste Seite für alles Illegale war „Silk Road“, benannt nach der historischen Seidenstraße. Aufge setzt und betreut wurde der Darknet-Marktplatz von Ross Ulbricht, der besser unter dem Pseudonym „Dread Pirate Roberts“ bekannt war. 2013 stellte sich heraus, dass Ulbricht ziemlich unsicher gehandelt hatte: das FBI kam ihm auf die Schliche, nahm ihn fest und beschlagnahmte "Silk Road". Ulbricht wurde daraufhin unter anderem wegen Drogenhandels und Auftragsmord zu lebenslanger Haft verurteilt.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien und nein, das hat nichts mit Drogenanbau zu tun.

Lest hier den begleitenden Artikel über die fiktiven Drogendealer*innen

AutorInnen: Joël Adami