„Wer vom Rassismus nicht reden will..."

  • 31.10.2013, 19:49

Die Politikwissenschaterin Judith Goetz hat das Buch "NSU Terror. Ermittlungen am rechten Abgrund" rezensiert.

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, sind einige Bücher über das deutsche Neonazi-Trio erschienen. Im Vordergrund der teils sensationsorientierten Publikationen steht dabei vor allem, (biographische) Erklärungen für das rechtsextreme Engagement der Beteiligten zu liefern oder das Versagen des Verfassungsschutzes aufzuzeigen. Der kürzlich von Jasmin Siri und Imke Schmincke herausgegebene Sammelband nimmt hingegen das „Erstaunen“ der Öffentlichkeit über die Morde zum Anlass, den damit verbundenen politischen Diskurs zu analysieren. In der in vier Abschnitte unterteilten Publikation findet sich ein „Mosaik aus Zugängen und Perspektiven“, die einen facettenreichen Blick auf bislang wenig diskutierte Fragen ermöglichen. Zu den AutorInnen der teils wissenschaftlichen, teils journalistischen, aber auch lyrischen Beiträge und Interviews zählen neben ExpertInnen auch ein Mitglied des NSU-Ermittlungsausschusses und die Ehefrau eines vom NSU ermordeten Mannes.

Mehrere Beiträge richten den Blick auf gesellschaftlich- politische Kontexte, „die die Bedingungen für das Entstehen der Ereignisse bereitgestellt haben“. Manuela Bojadžijev beispielsweise zeigt auf, dass Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus in staatlichen Apparaten wie der Polizei, in den Diskursen um die Morde verleugnet und ausgespart bleiben. In lediglich 30 der von ihr analysierten Texte aus deutschen Medien kam der Begriff Rassismus überhaupt vor. In weiteren medienanalytischen Texten werden verbreitete Bilder wie „Brauner Osten“, Geschlechterkonstruktionen oder das dominierende Extremismuskonzept umfassend in Frage gestellt. In Bezug auf letzteres wird aufgezeigt, dass es „sich in politischen und in medialen genauso wie in alltäglichen Debatten verselbstständigt“ und bereits großes „Unheil“ in den Diskussionen rund um Rechtsextremismus angerichtet hat, obwohl es erst seit wenigen Jahren diskutiert wird.

Insgesamt leistet der Sammelband einen profunden, vielseitigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den NSU-Morden, der weit über die bisher geführten Diskussionen hinausgeht und längst notwendige Denkanstöße liefert. Da jedoch der Prozess gegen Beate Zschäpe noch nicht annähernd abgeschlossen ist, müssen auch dieses Werk und seine Erkenntnisse vorerst als Zwischenbilanz gewertet werden.

 

Imke Schmincke und Jasmin Siri (Hrg. innen) (2013): NSU-Terror. Ermittlungen am rechten Abgrund. Ereignis. Kontexte, Diskurse, Transcript-Verlag.

 

Judith Goetz studiert Politikwissenschaft im Doktorat an der Uni Wien.

 

 

 

AutorInnen: Judith Goetz