„Spanien ist weder demokratisch noch zivilisiert“
Ana María Pérez del Campo gründete 1973 in der Ära Francisco Francos den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen. Warum sie mit 76 Jahren noch für das Recht auf Abtreibung kämpft, erzählte sie Jan Marot.
Ana María Pérez del Campo gründete 1973 in der Ära Francisco Francos den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen. Warum sie mit 76 Jahren noch für das Recht auf Abtreibung kämpft, erzählte sie Jan Marot.
progress: Spaniens Justizminister Alberto Ruíz Gallardón will die Fristenlösung bei schwerer Missbildung des Fötus verbieten.
Ana María Pérez: Wenn man von Gallardón spricht, muss man ihn als das bezeichnen, was er ist: ein Fundamentalist. Das Thema Abtreibung wird in Spanien seit 40 Jahren debattiert. In einem offiziell nichtkonfessionellen Staat darf Gallardón nicht unter religiösen Vorsätzen Gesetze durchboxen. Das stimmt natürlich insofern nicht, dass bei uns in Spanien die Kirche so stark ist, wie der Islam in islamistischen Staaten. Die Burka der Spanierinnen ist, dass man ihnen nicht gewährt, selbst über ihre Mutterschaft zu entscheiden. Gallardón geht es darum, dass die Frauen das Rollenbild der 1960er- Jahre wieder aufgreifen: Zurück zur Familie und an den Herd. Es soll wieder Gottes Gesetz eingeführt werden. Unser einstiger Diktator Francisco Franco hat in seinem Testament niedergeschrieben, er habe „Spanien gut verschnürt hinterlassen, alles gut verschnürt“. Was heute passiert, knüpft daran an. Dabei gibt es in der EU nur zwei Staaten, die die Abtreibung nicht geregelt haben. Malta und Irland. Zwei der katholischsten, wenn man so will. Selbst das hochkatholische Polen gewährt Abtreibungen bei Missbildung des Fötus. Die Frage Leben ja, Leben nein, sie ist im Fötenstatus eine rein biologische, über einen eben erst begonnenen biologischen Prozess.
Wie entstand Ihre NGO der Getrennten und Geschiedenen Frauen Spaniens?
1973 gab es ja das Scheidungsrecht noch nicht. Unser erster Name war Verein der Getrennten Frauen. Wir mussten die Prüfung der Generalsicherheitsdirektion in Madrid bestehen. Wir schickten unsere Präsidentin, eine deklarierte Befürworterin des faschistischen Regimes, was die Sache erleichterte. 1975 trennten sich unsere Wege und wir begannen den Kampf für die Scheidung und die Abtreibung. Viele Frauen aus faschistischen Haushalten haben damals abgetrieben. Sie stiegen in ein Flugzeug und führten den Eingriff in London, Frankreich oder in Portugal durch. Aus Protest gegen das Abtreibungsverbot sperrten wir uns in Kirchen und Gerichte ein. Vor der UNO brachten wir Klagen zur Situation der Frauen im Franco-Spanien ein. Ich bin eine Feministin und wir müssen weiterkämpfen, denn das drohende Unrecht, das vom konservativen Fundamentalismus ausgeht, ist zu groß.
Wie haben Sie ihre eigene Trennung und spätere Scheidung von ihrem Ex-Ehemann erlebt?
Ich habe mich nach fünf Jahren der Ehe getrennt. Das war 1961. Das musste vor der Kirche und einem Tribunal geschehen. Die Urteile damals begannen mit der Phrase „Im Namen Gottes“. Mich erklärte man zu einer „unschuldigen“ Ehefrau. Das erfüllte mich mit Scham, denn was die Kirche unter „unschuldig“ versteht, kann vieles sein. Vom selben Gericht wurden Frauen mit der Begründung verurteilt, sie wären nicht ihren ehelichen Pflichten nachgekommen. Frauen wurden verurteilt, weil sie sich nicht von ihren Männern wieder und wieder vergewaltigen lassen wollten; unzählige, weil sie arbeiten wollten und ihr Mann dazu keine Erlaubnis gab. Frauen klagten, weil sie wie Sklavinnen einzig als Hauskraft geheiratet worden waren. Frauen wie ich. Wir waren vor dem Gesetz Objekte, die man ehelichte, um das Haus des Mannes zu schmücken. Erst 1981 – als das Recht gesetzlich verankert war – konnte ich mich scheiden lassen.
Aktuell sehen wir einen deutlichen Anstieg der Todesopfer häuslicher Gewalt. Wo liegen die Gründe?
Die jetzige Regierung lässt Frauenzentren, Frauenhäuser und Informationsstellen schließen. Das ist ein Grund für den Anstieg. Aber die Zahlen steigen vor allem, wenn die Aggressoren sich im Gefühl der Straffreiheit wägen. Bislang (Anm. zum 2. August 2012) sind in diesem Jahr 33 Frauen in Spanien ermordet worden, durch die Hände ihrer Ehemänner, Partner, oder ihres Ex.
Welche Rolle spielt dabei die PP-Regierung?
Sie schaltet auf Durchzug. Seit 1968 sind mehr als 8.900 Frauen in Spanien von ihren Partnern und Ex-Partnern ermordet worden. Warum beziehe ich mich auf 1968? Seither wurden die Opfer des ETA-Terrorismus gezählt. 857 Tote und Verletzte gehen auf das Konto der baskischen TerroristInnen. Doch diese ermordeten Frauen starben die qualvollsten Tode. Sie wurden erschlagen, verbrannt, erstochen, erschossen, mit Säure überschüttet. Das passiert im heutigen Spanien – ein Land, das man weder zivilisiert noch demokratisch nennen kann. Wären die 8.900 Toten Fußballer gewesen, oder aus einer sozialen Schicht, die Einfluss hat, das Problem wäre längst gelöst. Zwei Dinge wären ein Anfang: Lange Gefängnisstrafen für die Täter und eine wirksam überwachte Bannmeile nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Kinder.
Nicht selten werden auch Kinder ermordet.
So rächen sich Väter an ihren Frauen auf die bestialischste Art und Weise überhaupt. Wie beim jüngsten Fall (Anm.: in Las Palmas de Gran Canaria), wo ein Vater mit seinem Kind sein vollgetanktes Auto vor dem Haus seiner Ex-Frau gegen einen Pfeiler gefahren hat und beide verbrannt sind. Der Kinds- und Selbstmörder hatte kurz davor noch seine Ex-Frau über die Sprechanlage des Hauses aufgefordert, sie solle ans Fenster treten, um das zu sehen, was sie verdiene.
Justizminister Gallardón will die Entscheidung über eine geteilte Obsorge im Scheidungsfall dem Richter überantworten.
Es soll eine Regelung kommen, die absolut frauenfeindlich ist. Eine, die das Wohl des Kindes in die Hände eines Bürokraten legt. Ein Kind ist kein Gut, das man aufteilen kann. Kinder brauchen eine Erziehung, die nicht auf Widersprüchen der Eltern aufbaut, und keine Kindheit, wo sie wie ein Koffer weitergereicht werden. Sie brauchen Ruhe, Ernsthaftigkeit und Routine. Das ist wichtig für ihre
Entwicklung und ihr ganzes Leben. Wir fordern keine Bevorzugung der Mütter. Wichtig ist, dass der Fokus darauf gerichtet ist, wo das Kind sich am besten entwickeln und leben kann.