„Solidarität zeigen mit Dealer_innen“
Gras für die einen – Abschiebung für die anderen?
Das Bündnis „Kiberei, was geht? Initiative gegen Polizei auf unseren Straßen“ setzt sich mit der herrschenden Drogenpolitik auseinander und kritisiert Medien und Politik dafür, Drogendealer_innen in eine Sündenbockposition zu drängen.
progress: Am 1. Mai 2016 seid ihr mit einem Flugblatt zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gegangen. An wen richtet sich eure Initiative?
Kiberei, was geht? Initiative gegen Polizei auf unseren Straßen: Wir wollen uns solidarisch zeigen mit Dealer_innen und all jenen, die von der Polizei täglich und nicht nur entlang des Gürtels schikaniert, kontrolliert oder festgenommen werden. Und wir wollen unterstützende Interventionsformen entwickeln sowie kompakte Rechtshilfeinformationen zur Verfügung stellen. Zeug_innen von Polizeikontrollen und Racist Profiling sagen wir: Geht nicht einfach vorbei, sondern schaut hin, bleibt stehen, mischt euch ein, fragt die betroffenen Personen, ob sie Unterstützung brauchen. Eine weitere Gruppe, die wir ansprechen wollen, sind die Anrainer_ innen. Viele sind mit der massiven Polizeipräsenz in ihrem Grätzl überhaupt nicht einverstanden, auch nicht mit der willkürlichen Vertreibung unerwünschter Gruppen oder Jugendlicher. Auch jene, die mehr oder weniger aktiv Teil der stattfindenden Gentrifizierung sind, wollen wir ansprechen und in die Verantwortung nehmen. Schließlich wollen wir uns in den medialen und politischen Diskurs einmischen und sagen: Wir lassen uns die rassistischen Politiken und die Polizei auf unseren Straßen, die unter dem Deckmantel von Sicherheit und Sauberkeit daherkommen, nicht länger gefallen.
In eurem Flyer kritisiert ihr studentisch- bildungsbürgerliche Drogenkonsument_ innen dafür, zwar beim Gemüsekonsum, nicht aber bei Graseinkauf auf „Fair Trade“ zu achten.
Die Leute, die ihre Drogen entlang des Gürtels oder an anderen Orten Wiens kaufen, die wegen Vertreibung und Gentrifizierung ständig wechseln, denken oft nicht an die Arbeitsbedingungen ihrer Straßendealer_innen. Häufig sind das Asylwerber_innen oder Sans Papiers, denen der Zugang zu legaler Lohnarbeit verwehrt ist. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, bleiben ihnen informalisierte und illegalisierte Tätigkeiten. Dealen ist eine der wenigen und zudem männlich* dominierten Jobmöglichkeiten, die bleiben. Die Bedingungen: niedrigster Lohn, anstrengende und stressige Arbeit und hohes Risiko. Dealer_innen ohne Papiere riskieren lange Gefängnisstrafen, Nachteile im Asylverfahren und ihre Abschiebung. Die im Juni in Kraft getretene Verschärfung des Suchtmittelgesetzes trifft die Straßendealer_innen, nicht die Konsument_innen. Dass Konsument_innen ihre Substanzen relativ bequem und sicher einkaufen und sich manche davon gleichzeitig über die Sichtbarkeit von Drogenbusiness und Drogennutzer_innen beschweren, ist absurd. Die Konsument_innen könnten ihre Privilegien dafür einsetzen, das Risiko, dem die Dealer_innen ausgesetzt sind, zu vermindern.
Wie schätzt ihr die Rolle der rotgrünen Stadtregierung in Wien ein?
Die Stadt Wien betreibt seit Jahren eine Säuberungspolitik, mit der unerwünschte Gruppen von zentralen öffentlichen Plätzen vertrieben werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Karlsplatz-Renovierung und die Vertreibung der dortigen Drogenszene. Das Problem von kurzsichtiger Nicht-vor-meiner-Nase-Politik ist, dass es lediglich zu einer Verschiebung in andere Stadtteile kommt – derzeit beispielsweise bei der Josefstädter Straße und der Gumpendorfer Straße. Statt strukturelle Probleme (wie mangelnde Arbeitsmöglichkeiten, ein Defizit an leistbarem Wohnraum, das überlastete Gesundheitssystem, etc.) zu bearbeiten, wird vielmehr eine Stimmung der Angst erzeugt. Diese wird dann noch dazu rassistisch codiert, was dazu führt, dass die marginalisiertesten Personen als Sündenböcke präsentiert werden.
Der grüne Bezirksvorsteher Neubaus, Thomas Blimlinger, richtete sich im Februar mit einem Brief an alle Haushalte, schürte die Ängste der „besorgten Bürger_innen” und stimmte ein in die aus mehreren Richtungen erfolgten Rufe nach mehr Polizei. Dass die massive Polizeipräsenz zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl beiträgt, wagen wir aber zu bezweifeln.
Repressive Aktionen gegen vermeintliche oder tatsächliche Drogendealer_innen werden medial zumeist als Erfolge präsentiert. Wo sind die Leerstellen der herrschenden Art der Berichterstattung?
Es existieren kaum Beiträge, die ohne die Narrative vom 16. Bezirk als Gefahrenzone, Geflüchteten als kriminellen und gefährlichen Drogendealern* und der Polizei als Akteurin in der Wiederherstellung von Sicherheit auskommen. Eine kritische Sichtweise auf rassistische Polizeikontrollen und auf die fast permanente Polizeipräsenz am Gürtel fehlt. Es ist erstaunlich, wie viele Medien – auch so genannte Qualitätsmedien – Meldungen der Polizei direkt, wörtlich und ohne weitere Recherche übernehmen. Manche Darstellungen durch Journalist_innen, die auf stereotype Weise von vor Ort berichten, können nur als Klassenkampf von oben gesehen werden. Medien sind einerseits aktiv an der Herstellung eines Klimas rassistischer Hetze beteiligt, andererseits an der Rechtfertigung von immer mehr Polizeipräsenz und -repression an immer mehr Orten Wiens.
Welche drogenpolitischen Perspektiven würdet ihr favorisieren? Was sich rund um den Gürtel abspielt, ist ein Beispiel dafür, wie Drogenpolitik, Stadtentwicklung und Asyl-/ Migrationspolitiken ineinandergreifen. Das müsste sich auch in den Entwicklungen widerspiegeln, die wir uns wünschen – bloß umgekehrt. Es reicht also nicht, Drogenhandel und -konsum zu entkriminalisieren, so aber vielleicht neue Ausschlüsse zu schaffen. Es braucht auch einen generellen Perspektivenwechsel. Hin zu: Wer hier ist, ist von hier. Und ein Bekenntnis, dass die Städte für alle sind, die in ihnen leben. Ohne Blaulicht, ohne Papiere.
Kontakt zur Initiative: wasgeht@riseup.net
Interview: Florian Wagner