„Seit damals sind wir die Nazis“
In der Wiener Brigittenau wird seit Jahren um den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums gerungen. Das Problem? BefürworterInnen und GegnerInnen leben in zwei getrennten Welten. Eine Reportage.
In der Wiener Brigittenau wird seit Jahren um den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums gerungen. Das Problem? BefürworterInnen und GegnerInnen leben in zwei getrennten Welten. Eine Reportage.
Ein Mann springt auf eine Parkbank und hält eine Moschee aus Pappe in die Höhe. „Anzünden!“, tönt es vereinzelt, aber kräftig aus den Reihen der sechshundert Demonstrantinnen und Demonstranten. Die verstreuten Schreihälse haben etwas gemein: Sie tragen Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefel. Ihr Geifer steckt die Masse an: „Anzünden!“, „Niederbrennen!“, schreien nun RentnerInnen und Hausfrauen mit Neo-Nazis um die Wette. Einige schnappen sich die Papp-Moschee, werfen sie zu Boden, trampeln sie platt.
Vor zwei Jahren trug sich dieses Schauspiel im Wiener Stadtteil Brigittenau zu. Es sollte das Zusammenleben im Bezirk verändern. Hannelore Schuster, 61, verzieht der Ärger das Gesicht, wenn sie an diesen Tag erinnert wird. „Seit damals sind wir die Nazis“, sagt sie. Schuster ist die Sprecherin der Bürgerinitiative Dammstraße, die damals zur Demonstration aufgerufen hat. Sie will verhindern, dass der türkische Kulturverein Atib sein Vereinshaus zu einem fünfstöckigen Veranstaltungszentrum ausbaut. Ein Platz für tausend Musliminnen und Muslime? Nicht in der Dammstraße.
Islamisierung. Die GegnerInnen des Ausbaus treffen sich monatlich zu einem Stammtisch, veranstalten Informationsabende und riefen bisher zu zwei Demonstrationen auf. Die BürgerInnen-initiative entstand im Sommer 2007, wenige Tage nachdem die Baubehörde der Stadt Wien der Vergrößerung des türkischen Vereinshauses zugestimmt hatte. Trotz eines alten Gegen-Antrags aller Parteien des Bezirksparlaments, der vor Parkplatznot und Lärmbelästigung warnt.
Schusters Wohnung ist eine von 1.400, die in der Nachbarschaft des Zentrums liegen. Ihr Balkon im fünften Stock gibt den Blick frei auf den Gebäudekomplex. Wer ihr zuhört, merkt schnell, dass es um mehr geht als bloß um Lärm und Parkplätze. Um eine Parallelgesellschaft, die keine Zweifel am Koran dulde und für Zwangsverheiratungen stehe, geht es dann. Schuster greift nach einem Ordner, darin sind die Unterschriften von 11.400 Menschen aufgelistet, die mit ihrem Namen gegen die Islamisierung der Brigittenau protestieren.
Die Dammstraße ist ein ruhiger Teil von Wien, Bäume und Sträucher lockern Asphalt und Beton auf. Die meisten der mehrstöckigen Wohnhäuser gehören der sozialdemokratisch verwalteten Stadt, die Wohnungen darin werden unter dem Marktpreis vermietet. Hier leben vor allem TürkInnen und ÖsterreicherInnen – Tür an Tür aneinander vorbei. „Die Türken tun einfach so, als ob wir nicht hier wären“, sagt eine Frau, die am Atib-Zentrum vorbeispaziert. Die Türkinnen und Türken auf der anderen Seite der Mauer wünschten, sie könnten dasselbe von den Österreicherinnen und Österreichern behaupten.
Eine Fehlermeldung. Wer sich im umstrittenen Gebäude umsehen will, kommt nicht weit. Ein erster persönlicher Besuch scheitert, da sich unter den fünfzehn anwesenden Männern keiner findet, der Deutsch spricht. Atib hat eine Infotafel aufgestellt, die über die Ausbaupläne informieren soll. Wer eine E-Mail an die dort angegebene Adresse sendet, erhält eine Fehlermeldung: „I‘m sorry to have to inform you that your message could not be delivered.“ Erst gemeinsam mit einer türkischen Übersetzerin, die mit Atib nichts zu tun hat, lässt sich eine Besichtigung arrangieren. Die Männer machen für die türkische Studentin eine Ausnahme, eigentlich dürfe nur Pressesprecher Nihat Koca mit JournalistInnen reden.
Im Zentrum findet sich fast alles, was man zum täglichen Leben braucht. Ein Lebensmittelladen, ein Frisör, ein Gesellschaftsraum mit Fernseher und Billardtisch, eine Großküche, Klassenzimmer und zwei Gebetshäuser. Eines für Männer, eines für Frauen.
Das Gebetshaus der Männer ist ein hoher Saal, sechshundert Quadratmeter groß, die Wände werden von türkisfarbenen Keramikfliesen verziert – ein Import aus der fernen Heimat. Die gewölbte Decke wird von drei Bögen getragen, zwischen ihnen sind Dachfenster aus Glas eingelassen, die den Raum in ein angenehmes Licht tauchen.
Der Gebetsraum der Frauen sieht anders aus. Es ist ein dunkles, fensterloses Zimmer, keine hundert Quadratmeter groß. Die Decke und die Wände sind weiß, ohne jede Dekoration, in einer Ecke steht ein Radiator, an den Wänden lehnen Biergartentische. Es riecht muffig. Es gebe keinen besseren Platz, sagen die Männer.
Atib wird laut Pressesprecher Koca mit dem Ausbau nicht vor 2011 beginnen. Die Sprecherin der BügerInneninitiative, Hannelore Schuster, rechnet sich Chancen aus, das Projekt davor noch zu verhindern. Im kommenden Herbst finden in Wien Wahlen statt. Wenn der Bürgermeister seine absolute Mehrheit im Stadtparlament verliert, werden die Karten neu gemischt. „Tausende Menschen unterstützen uns“, sagt Schuster. Dass darunter auch Neo-Nazis sind, nimmt sie in Kauf? Sie will nicht daran erinnert werden.