„Rassismus ist gut integriert“

  • 24.06.2014, 19:22

Die Sozialwissenschafterin und Aktivistin Araba Evelyn Johnston-Arthur forscht über institutionellen Rassismus und Widerstand in Österreich. Im Interview erklärt sie, warum Hochschulen und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Die Sozialwissenschafterin und Aktivistin Araba Evelyn Johnston-Arthur forscht über institutionellen Rassismus und Widerstand in Österreich. Im Interview erklärt sie, warum Hochschulen und Bildung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Als die Aktivisten Kwame Toure (vormals Stokely Carmichael) und Charles Hamilton in den 1960ern in den USA das Konzept des institutionellen Rassismus prägten, benannten sie jene Dimensionen von Rassismus, die Kameras nicht einfangen können. Sie zeigten auf, dass sich Rassismus nicht in isolierten Gewalttaten des Ku-Klux-Klans erschöpfte, sondern rassistische Strukturen fest in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. Araba Johnston-Arthur zeigt, dass das Konzept bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.  

progress: Im Jahr 2000 hast du geschrieben, dass ein Bewusstsein für die Realität von Rassismus in Österreich erst am Anfang steht. Hat diese Aussage noch immer Gültigkeit?

Araba Johnston-Arthur: Gerade im österreichischen Kontext wird nach wie vor oft hartnäckig verleugnet, dass es Rassismus überhaupt gibt. Wenn man dann doch von Rassismus spricht, dann herrscht meist eine individualisierte Auffassung davon vor: Rassismus wird auf einzelne Ereignisse und individualisierte Gewaltakte reduziert. Dabei wird auch häufig klassistisch argumentiert: Rassismus sei ein Problem der ModernisierungsverliererInnen und der ungebildeten ArbeiterInnen. Er wird damit auf die „Anderen“ projiziert und nicht als gut in der Mitte der Gesellschaft verankerte, alle Institutionen – Justiz, Polizei, Schule etc. – durchwirkende Realität verstanden.

Gleichzeitig müssen sich Schwarze Menschen und People of Color täglich angesichts der vielschichtigen Realität von Rassismus behaupten. Hier gibt es sehr wohl diesbezügliches Wissen. Die Frage ist also, von wessen Bewusstsein wir sprechen, es gibt hier nämlich einen krassen Kontrast. Vor diesem Hintergrund ist das Benennen von institutionellem Rassismus an sich schon ein zentraler Akt des Widerstands, weil damit ein sehr mächtiges Schweigen gebrochen wird. Audre Lorde (Anm. d. R.: Schwarze US-amerikanische Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin) betonte, dass wir unsere Unterdrückung nicht bekämpfen können, solange wir sie nicht benennen.  

Welche Dimensionen hat institutioneller Rassismus an österreichischen Hochschulen?

Zunächst stellt sich die Frage, wer überhaupt Zugang zu den österreichischen Hochschulen hat. Wenn wir an die frühe Trennung in Gymnasium und Hauptschule denken, oder daran, wer in die Sonderschule geschickt wird, werden eine Reihe historisch gewachsener klassistischer und rassistischer Ausschlussmechanismen sichtbar. Darüber hinaus kommt den Universitäten als umkämpftes Repräsentationssystem eine wichtige Rolle zu. Welche Art von Wissen wird an den Universitäten vermittelt und institutionalisiert? In Frankreich beispielsweise wollte man 2005 gesetzlich festschreiben, dass Universitäten und Schulen die positive Rolle des französischen Kolonialismus zu vermitteln haben. Dagegen gab es heftige Proteste.

Es geht nicht nur um Fragen des Zugangs, sondern auch um interne Hierarchien.

Generell sind wir rassifizierten „Anderen“ nach wie vor häufig nur als Forschungsobjekte sichtbar, als politische Subjekte und Forschende hingegen viel zu unsichtbar. Es gibt in dieser Hinsicht Veränderungen, aber das sind noch zarte Pflänzlein. May Ayim (Anm. d. Red.: afro-deutsche Schriftstellerin) hatte 1986 große Schwierigkeiten, eineN ProfessorIn für die Betreuung einer Magisterarbeit in Pädagogik über Rassismus in Deutschland zu finden. Dahingehend hat sich bis heute nicht viel verändert, auch im österreichischen Kontext nicht. Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang auch die Kritik der Historikerin Fatima El-Tayeb bezüglich der dominanten Rezeption von postkolonialer Theorie: Auch im deutschsprachigen Raum wird mittlerweile einiges aus dieser Perspektive dekonstruiert, aber die unbequemen, vor der eigenen Nase liegenden Machtverhältnisse, die auch in unseren Universitäten herrschen, werden selten thematisiert.

An den Universitäten scheint institutioneller Rassismus in der eigenen Institution kaum Thema zu sein. Woran liegt das?

Natürlich wacht die Universität nicht eines Tages auf und beschließt sich mit ihrem eigenen strukturellen Rassismus zu beschäftigen. Die Frage ist, aus welcher Perspektive wir das betrachten. Rassismus ist in den Hörsälen durchaus ein Thema für all jene, die sich angesichts des rassistischen Status quo behaupten müssen. In der Wahrnehmung der Mehrheit existiert dieser Status quo aber einfach nicht. Es gab und gibt aber durchaus oft diesbezügliche individuelle und kollektive Interventionen. Beispielsweise haben sich Studierende of Color organisiert, um gegen Ausschlüsse auf struktureller Ebene und für politische Mitbestimmung an österreichischen Universitäten zu kämpfen.

Du selbst hast dein Studium in Ghana, England und Österreich absolviert, jetzt forschst du in den USA. Inwiefern unterscheiden sich die Situationen an den unterschiedlichen Hochschulen?

Gleich nach der Matura war ich ein Jahr an der Universität in Legon in Ghana. Das war für mich sehr wichtig. Dort habe ich unter anderem gelernt, dass auch die Frage der Ressourcen und Infrastruktur eine strukturelle ist und mit neokolonialen Verhältnissen in Zusammenhang steht. Wir mussten dort zum Beispiel Bücher von ghanesischen Autor Innen aus London bestellen. An der Uni in London habe ich gelernt, wie aktuell die Glorifizierung des eigenen britischen Kolonialismus und die Tabuierung von Rassismus in diesem Zusammenhang noch immer sind. Mein Entschluss, meine Dissertation nicht in Wien, sondern an der Howard University, einer historisch Schwarzen Universität in Washington DC, zu schreiben, hat wiederum viel damit zu tun, dass ich in Howard nicht immer wieder argumentieren muss, dass Rassismus überhaupt existiert, sondern mich auf die Analyse seiner Mechanismen und die damit zusammenhängenden Schwarzen Widerstände konzentrieren kann.

Welche konkreten Maßnahmen wären aus deiner Sicht im Kampf gegen institutionellen Rassismus an den Hochschulen zu setzen?

Zentral ist hier zunächst das Wissen über den Status quo von Rassismus an den Hochschulen selbst. KollegInnen und ich haben in Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsarbeitskreisen eine Zeit lang Workshops zu institutionellem Rassismus an verschiedenen Unis gemacht. Leider werden die verschiedenen Diskriminierungsmechanismen aber oft in Konkurrenz zueinander gesehen: also (Hetero-)Sexismus vs. Rassismus vs. Klassismus. Tatsächlich verstärken sie sich jedoch gegenseitig. Wir müssen verschiedene Diskriminierungssysteme in ihrer Gleichzeitigkeit verstehen, weil man sonst die Lebensrealität der Menschen, die in den Hochschulen arbeiten und studieren, verkennt. Wie Audre Lorde sagt: „There is no such thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives.”

An der Akademie der bildenden Künste in Wien versucht man derzeit eine antidiskriminatorische Betriebsvereinbarung umzusetzen. Dabei geht es auch darum, Diskriminierung als strukturelles Problem zu bekämpfen und Mehrfachdiskriminierung sichtbar zu machen. Gleichzeitig frage ich mich, inwieweit der Kampf gegen institutionellen Rassismus nicht einer ist, der die Ebene von Maßnahmen sprengt.

Rassismus wird wie Migration in Österreich oft als neues Phänomen gesehen. Du zeigst auf, dass Rassismus in Österreich aber eine lange Geschichte hat.

Nehmen wir zum Beispiel den Mainstream-Diskurs über Migration und Flüchtlinge. Als immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten kamen, gab es zunächst Sympathie. Das änderte sich, als zunehmend rumänische Flüchtlinge kamen und viele davon Roma waren. Nun wurden uralte Rassismen bemüht, die weit zurückgehen. So war zum Beispiel Maria Theresia in Europa federführend in Sachen repressiver Gesetzgebung gegen Roma und Sinti. Diese Geschichte wird aber unsichtbar gemacht. Das Gleiche gilt für das gegenderte rassistische Wissen, das über Schwarze Menschen vorherrscht: die angebliche Aggressivität Schwarzer Männer, die pathologisierte Sexualität Schwarzer Frauen – damit wird etwas aufgewärmt, was eine lange Geschichte hat. In Österreich tut man so, als wäre das alles ganz neu, weil man keine Kolonien in Afrika hatte. Österreich ist aber Teil eines gesamteuropäischen kolonialen Denksystems und diese Bilder sind tief im populären Bewusstsein verankert. Wir finden sie in der Oper, in der Literatur, in den Mehlspeisen, in unseren Redewendungen und so weiter. Und das bleibt nicht auf der Ebene der Sprache, sondern ist Teil einer sozialen Praxis. Diese Stereotype spiegeln sich in vielen Amtshandlungen der Polizei wider: Schwarzes Objekt, besonders gefährlich, mehr Polizei verlangt. Rassistische Gewalt wird so gerechtfertigt. Und das ist nicht auf Österreich beschränkt. Diese zum Teil tödlichen Mechanismen sind global wirksam.

Wie siehst du die aktuellen Auseinandersetzungen in Österreich rund um die Verwendung des N-Wortes?

Man sieht hier wieder einmal, dass Rassismus meist als etwas verstanden wird, was hauptberufliche RassistInnen aus dem rechten Eck betreiben. Damit wird verwischt, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist.

Faszinierend ist, dass Rassismus und die Kritik daran, zu solchen Anlässen columbusartig immer wieder neu entdeckt werden. Kritik an Rassismus wird von verschiedenen MigrantInnencommunities, Schwarzen Menschen und People of Color aber schon seit Jahrzehnten formuliert und gelebt. Meist wird das aber schlicht ignoriert. Wenn Kritik dann doch Gehör findet, ist interessant, wie reagiert wird. In Österreich ist dann immer sofort von einer Political-Correctness-Hysterie die Rede. Damit werden Rassismus und die Kritik daran auf eine sprachliche Ebene reduziert. Es geht aber um einen strukturellen Gesamtzusammenhang. Aktuell hat Pamoja, die Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich, die Verwendung des N-Worts und die Praxis des Blackfacing bei den Wiener Festwochen kritisiert. In dem Statement von Pamoja geht es überhaupt nicht um Political-Correctness. Vielmehr wird die Kritik im Kontext einer größeren Realität von strukturellem Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen geübt. Bei dieser Auseinandersetzung geht es auch um Definitionsmacht: Wer darf definieren, was rassistisch ist und was nicht? Und wer ist überhaupt in der Position zu sprechen?

Außerdem ist es in einem Land wie Österreich, wo so viel Antisemitisches und Rassistisches sagbar ist, absurd von einer Political Correctness-Hysterie zu sprechen. Rassismus ist in Österreich gut integriert.

 

AutorInnen: Anna Ellmer