„Liebe ist das Erstrebenswerte, Normalität ihr Schatten“
Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.
Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.
progress: Normal Love, was ist für euch diese normale Liebe?
Inka Kamp: Ja, das ist doch auch die Frage. Ich finde, der Name ist so schön, weil er so offen ist. Ab dem Moment, wo man den Fokus auf die Normalität lenkt, wird es interessant. Weil das ist genau das, worüber man sonst nicht spricht. Man fragt sich, was ist die Norm, was ist normal oder normale Liebe.
progress: Wie kam es zu dem Namen Normal Love?
Inka Kamp: Er ist eine Referenz zu einem Film von Jack Smith aus den 1960er Jahren, der ebenfalls Normal Love hieß. In diesem Film ist sehr unklar, was Normalität ist.
progress: Wie kann man dem gesellschaftlichen Bild von Normalität entgegenwirken?
Pauline P: Das ist eine taktische Frage. Ich denke, man muss sich selbst fragen: Warum gibt es diese Normen, wie sehen diese aus und wie werden sie gemacht? Wer gehört zu dieser Norm und wer nicht? Manchmal ist es lustiger zu sagen, dass etwas, das nicht als eine Norm wahrgenommen wird, jetzt die Norm ist, anstatt sich selbst immer nur zu marginalisieren.
progress: Fließt das Spiel mit den Normen auch in euer Band-Konzept hinein?
Ben Kaan: Das ist einfach auch die Erfahrung, die wir jetzt mit unserem Namen gemacht haben. Ich denke, jede_r würde die eigenen Erfahrungen, die gemacht wurden, als normal setzen. Es gibt aber auch in Berlin gerade diesbezüglich einen kleinen Diskurs: Christiane Rösinger hat auch dieses Buch Liebe wird oft überbewertet herausgebracht und ist damit aufgetreten. Ich denke, Liebe mit einem Adjektiv wie normal zu paaren ist eine gewisse Provokation. Weil die Liebe ist ja gemeinhin das total Erstrebenswerte und die Normalität wird immer als ihr Schatten unter den Tisch gekehrt.
Die Leute reagieren eigentlich sehr positiv auf unseren Namen. Es ist ein Name, den jede und jeder für sich selbst interpretieren kann. Da wollen wir auch gar nicht zu viel vorgeben.
P: Das ist auch das, was interessant wird. Wenn man über Normalität spricht, wird es sehr offen. Wer kann sich damit identifizieren und wer nicht. Für uns ist dieser offene Name sehr schön.
progress: Was sind eure Einflüsse?
P: Wir haben unglaublich viele Einflüsse. Einerseits gibt es unsere Vorliebe für Discomusik und andererseits eben diese mit Indie-Elementen zu verbinden. Also so etwas wie Disco zu machen mit analogen Instrumenten, gefällt uns sehr gut. Dabei wollen wir auch unkonventionelle Songstrukturen haben wie zum Beispiel Zweigesänge, das ist sonst eher nicht so verbreitet. Aber auch feministische Bands haben uns beeinflusst.
B: Visuelle Faktoren spielen bei uns ebenso eine große Rolle. Inka, Pauline und ich haben auch viel mit Film zu tun. Wir haben beim Songwriting nicht immer nur die Musik im Kopf, sondern eben auch visuelle Elemente, die uns inspirieren. Viele Songs sind Szenen, die wir selber mit Kreuzberg, als Lebensmittelpunkt assoziieren. Das ist ja nicht nur eine musikalische Kultur, sondern da steckt das Konzept Popkultur dahinter. Gerade die beiden Ecken – elektronische Einflüsse und das, was wir analog machen, greift eben die beiden Schienen auf, wo wir uns nicht eindeutig für eine entscheiden wollen. Also auf der einen Seite die Club-Tradition mit der elektronischen Musik aus Berlin und gleichzeitig ein bisschen Kreuzberg mit seiner Kellerraumromantik und dem Punk.
P: Wir spielen auch in dem Proberaum, in dem Nina Hagen in den 1980er Jahren geprobt hat. Vielleicht gibt uns das auch ein bisschen Punk-Spirit.
progress: Ihr tretet auf queer-feministischen Festivals auf, was bedeutet Queer-Feminismus für euch?
P: Für mich war das schon immer wichtig in allen Sachen, die ich gemacht habe. Aber nicht nur Queer und Feminismus, sondern auch andere Politiken oder generell kritische Positionen zu beziehen. Feminismus ist immer essentiell gewesen für die Musik, die mir wichtig war. Ich denke nicht, dass ich in meiner eigenen Biografie einen Begriff von Musik oder Kunst von Feminismus trennen kann. Das heißt einerseits, Role-Models zu haben und sich auf eine Geschichte zu beziehen, die noch nicht so bekannt ist. Aber auch versuchen, diese sichtbar zu machen und in einer Diskussion mit anderen Frauen stehen. Das ist wichtig für die Band, auch wenn es nicht der einzige Kontext ist, in dem wir uns bewegen.
B: Soweit ich das erlebt habe, seit ich mit Pauline und Inka zusammen spiele und wir auch gemeinsam auftreten, ist Feminismus ein Begriff, den man nicht zu sehr verschlagworten sollte. Für uns ist wichtig, dass wir über diesen Zusammenhang auf Tuchfühlung gehen können mit anderen Leuten, die aktiv werden, wo wir dann wieder spielen können. Das ist so ein Ding, wo man sich einer gemeinsamen Sache verschreiben kann, ohne das endgültig zu beschreiben.
P: Ein wichtiger Aspekt für mich ist auch, dass ein großer Teil der Leute, für die ich eben Musik mache, Frauen sind. Das spielt für mich eine so große Rolle. Es gab so wichtige Frauen und ich sehe mich in einer Geschichte, einer Tradition. Ich möchte Sachen mitentscheiden, mitbestimmen und das eben auch weiter geben.
progress: Auf eurer Myspace-Seite findet man Fotos, die sehr mit Geschlechterrollen spielen, beispielsweise schminkt ihr euch gegenseitig alle mit Lippenstift, was hat es damit auf sich?
P: Bei diesem Bild ist vor allem lustig, dass nicht nur Ben, sondern auch Inka und ich normalerweise keinen Lippenstift tragen. Also sind wir alle so ein bisschen in Drag. Das fanden wir sehr lustig. Es ist ein Bild aus einem Film von Jack Smith, in dem nur Männer das mit dem Lippenstift machen. Daraufhin dachten Inka und ich, dass wir beide auch in Drag gehen mit dem Lippenstift. Die Normalität wäre wohl, dass Männer das machen und darum machen wir das jetzt auch.
progress: Wie lässt sich eure politische Einstellung mit Party vereinbaren; ist das überhaupt notwendig?
P: Das ist sehr wichtig. Ich denke, das hat etwas mit Begehren zu tun. Es geht um Lust und darum, Sachen miteinander zu teilen. Und das geht nicht nur auf der Straße oder an der Uni, sondern auch in einem Partyraum. Das gehört zusammen.
B: Natürlich ist es eine Gratwanderung, aber wir wollen eben nicht auf diesen Unterhaltungsaspekt reduziert werden. Genauso wenig wollen wir, dass man jetzt bei all dem das vergisst, was als Stimmung oder Lust und Begehren passiert. Wie gesagt, eine Gratwanderung, aber es ist gut, dass man zwischen diesen beiden Ebenen hin und her wechseln kann. Man kennt das ja: Oft gibt es diese Metaebene nicht und dann ist es schön, auch mal unbewusst eben dort erwischt zu werden. In genau dem Moment, in dem klar ist: „Cool, ich kann also gleichzeitig tanzen und denken“. Vielleicht ist das ein bisschen arrogant. Aber darauf läuft es irgendwie hinaus, sich nicht ganz da drinnen zu verlieren aber sich schon gehen zu lassen.