„Klitoris? Wir haben das nicht verwendet“
In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner eigenen Klitoris bewusst? Um diese zwei Fragen dreht sich der Kurzfilm „Clitorissima“, der im Rahmen des Transition-Festivals gezeigt wurde. progress sprach mit der queeren Filmemacherin Gia Balestra.
„Noch eine Geschichte! Bitte!“, ruft Gia Balestra laut und leicht flehend in den dunkeln Kinosaal im Wiener Schikaneder. Sie macht gerade den Rolls Royce unter den Vibratoren zum Testen bereit. Hie und da hört man Gekichere. Noch vor einigen Minuten lief ihr Kurzfilm „Clitorissima“ auf der Leinwand. Jetzt gibt es die Möglichkeit sich im geschützten Rahmen unter Frauen*, Trans* und Inter*-Personen auszutauschen – über die eigene Erinnerung an die erste „Clitoris Awareness“.
In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner eigenen Klitoris bewusst? Balestra konfrontierte zuerst ihre weiblichen Familienmitglieder mit diesen zwei Fragen. Danach Personen, die sie auf Events zum Thema Sexualität, interviewte. Und jetzt das Publikum im Schikaneder. Eine Hand streckt sich im Kinosaal: „Ich war vier und dachte, dass ich dieses Gefühl erfunden habe. Es war so schön. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mir niemand zuvor davon erzählt hat.“ Das Gekichere schlägt in freudiges Lachen um. Gemeinsam wird die Klitoris zelebriert. Genau das will Gia Balestra erreichen.
Die gebürtige Italienerin vereint viele Facetten in sich. Selbst- und Fremdzuschreibungen: Sie ist Überlebende einer Vergewaltigung. Laut ihrer jüngeren Schwester sei sie eine „Kinderklitorisausbildnerin“. Ihren Künstlerinnen-Name „Vulvah Van Klitt“ entwickelte sie als persönlichen „Comic Relief“. Nach dem ganzen Drama, brauchte sie etwas worüber sie lachen konnte. Laut Freund*innen aus Italien ist sie besessen von der Klitoris. Sie selber bestätigt das ganz selbstbewusst: „Yes! I am obsessed!“. Kurzum: Ein außergewöhnliches Gespräch mit einer außergewöhnlichen Person.
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progress: Angestoßen wurde deine Auseinandersetzung mit der Klitoris durch einen Vorfall mit deiner Schwester bzw. mit ihrer Tochter Virginia, die sich mit drei Jahren ihrer Klitoris bewusst geworden ist. Kannst du erzählen was damals, vor zwanzig Jahren, passiert ist?
Gia Balestra: Ich kann dir die Szene genau schildern: Sommerzeit in Bassano del Grappa, ein kleines Dorf in der Nähe von Venedig. Wir sitzen im Garten. Meine Schwester nähert sich mir. Sie flüstert in mein Ohr: „Gia, hast du Virginia die Klitoris gezeigt?“ Virginia begann ihren Körper zu erforschen und meine Schwester zeigte mit den Finger auf mich. Sie flippte aus. Ich flippte aus. Ich musste Italien verlassen und zog nach Berlin. Ich brauchte 16 Jahre, um meine Schwester zu konfrontieren und stellte ihr immer wieder verschiedene Fragen, unter anderem: Wieso ich? Als ersten Grund nannte sie mir, dass ich im Haus war. Als ich mich mit der Antwort unzufrieden zeigte, sagte sie mir, dass es nur ein Scherz war. Ich fragte, was das für ein schlechter und böser Scherz sein soll. Und dann kam die richtige Antwort: Weil ich immer über Sex rede. Es ist jedoch das „Ich“ als Überlebende einer Vergewaltigung, die über Sex spricht. Ich musste vor Anwält*innen und Richter*innen über meine Sexualität sprechen, über das was passierte.
Nach dieser Erfahrung hast du beschlossen deinen weiblichen Familienmitgliedern zwei Fragen zu stellen: In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner Klitoris bewusst? Wie reagierte deine Familie?
Sie waren total gewillt mir davon zu erzählen. Als ich meine Mutter interviewte, begann ihre Alzheimer. Das war nicht einfach für mich, ich hab gezittert und konnte ihr nur die Frage mit dem Alter stellen. Ich war nicht fähig weiter zu gehen. Als Kind erzählte mir meine Mutter, dass Kinder keinen Orgasmus haben können. Erst, wenn sie 18 sind, wären sie dazu fähig. Eine falsche Erzählung, die ich jedoch 100%ig akzeptierte. Ich hatte keine Zweifel daran. Meine Schwester erzählte mir, dass sie ihre erste „clitoris awareness“ mit 16 hatte. Danach ging sie in die Bibliothek und las alles darüber. Auch bei meinen anderen Schwestern und meine Cousinen war es mit 17. Das ist so spät. Das alles ist wohl mit ein Grund, wieso meine Schwester es nicht verstanden hat, als ihre kleine Tochter mit drei begann ihren Körper zu erforschen.
Danach hast du entschieden, diese zwei Fragen auf unterschiedlichen Sex- und Erotik-Veranstaltungen in Berlin zu stellen. Aus diesen Interviews besteht der Film „Clitorissima“. Gab es einen Unterschied zwischen den Generationen, was die Reaktionen anging?
Ich denke schon, ja. Viele Personen zwischen 20 und 30 geben schnell eine Antwort, teilen ihre Erfahrungen. Manche ältere Frauen sagten „Klitoris? Wir haben das nicht verwendet“. Als hätten sie gar keine Klitoris.
Kannst du von ein oder zwei Geschichten aus deinen Interviews erzählen, die dir als besonders interessant oder lustig hängen geblieben sind?
Da gab es die Geschichte von zwei Zwillingsschwestern, die in einem Stockbett schliefen. Die Schwester, die im unteren Bett lag, hatte keine Privatsphäre, um zu masturbieren, während die Schwester, die oben schlief, machen konnte, was sie wollte. Die Beiden teilen nun diese Geschichte miteinander. Das fand ich ziemlich spannend. Oder eine andere Person hatte ihre erste „clitoris awareness“ mit einer Aprikose, die wohl irgendwie zum Gleitmittel wurde. Das ist sehr süß.
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Die Filmvorstellung und die anschließende Diskussion im Rahmen vom Transition-Festival war für Frauen*, Trans* und Intersex*-Personen. Was willst du diesen Personen mitgeben?
Verwendet den Begriff „clitoris awareness“! Es wird nicht darüber gesprochen, aber die meisten Frauen wissen sofort, was ich mit diesem Begriff meine. Manche sagten mir sogar, dass sie sich immer schon ihrer Klitoris bewusst waren. Die Glücklichen! Bei mir war es mit 19. Wenn ich vor Männern den Begriff „clitoris awareness“ verwende, schauen sie mich an als wäre ich eine Idiotin. Männer haben ihren Penis seit ihrer Geburt vor sich. Sie wissen, wenn du den Penis berührst, dann fühlst du etwas. Bei Mädchen ist es nicht so. Ich denke mir oft, dass als ich klein war und meinen Körper entdeckte, ein Kindermädchen mich auf irgendeine Art und Weise bestraft haben muss. Es ist nur eine Vermutung. Aber wie kann ich sonst 19 Jahre lang meine Klitoris vergessen? Als ich sechs Jahre alt war, ging ich öfters reiten. Nicht auf einem Pony, sondern auf einem riesigen Pferd. Aber nichts ist passiert!
Stichwort Erziehung: Dein Film richtet sich auch an Mütter. Wie sollten Mütter mit ihren Töchtern über die Klitoris sprechen?
Sie sollen sagen: Clitoooriissssiimmaaaa! Es soll wie eine Party klingen! Clitoooriissssiimmaaaa! Mit Animationen und netten Bildern kann das Thema anschaulich gemacht werden. Es wäre auch schön, wenn Mädchen bereits in der Vorschule gemeinsam darüber sprechen, sich ihre Klitoris gemeinsam anschauen, damit sie ihren Körper kennenlernen. Das ist jedoch undenkbar. Wir haben immer noch eine Mauer im Kopf, wenn es um die weibliche Sexualität geht.
Wieso existiert diese Mauer deiner Meinung nach immer noch?
Ich glaube, es ist ein Cocktail von Werten aus einer patriarchalen Gesellschaft mit einem Hauch von Katholizismus, der dir einredet, dass dein Körper dreckig ist, der Teufel ist. Natürlich ist das auch bei anderen Religionen so. Egal ob im Islam oder im Buddhismus, der genau so eine sexistische Religion ist. Die Gesellschaft ist sexistisch. Das ändert sich nur langsam.
Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.