„Kein Platz für Yom Hashoah"
See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.
See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.
Es ist Samstagnachmittag in Baltimore. Bernadette Wegenstein ist gerade zurück von einem Filmfestival in Boston, wo sie ihren aktuellen Film „See you soon again“ vorgestellt hat. Im Laufe unseres Gesprächs wird die Professorin und Filmemacherin zwei Mal angerufen. Einmal von einer Studentin, die sie zurückrufen wird. Das andere Mal muss sie den Anruf wirklich annehmen, denn: „Es geht um einen wichtigen Shoot nächste Woche“. Während wir über den aktuellen Film reden, ist sie schon längst mitten in der Arbeit für ihren nächsten.
progress: Sie publizieren viel im Bereich Körpermodifikation und Brustkrebs sowie deren Repräsentation in den Medien. Wie kamen Sie dann zum Film See you soon again?
Bernadette Wegenstein: Es kam eigentlich durch mein Interesses am Leo und durch die Kooperation mit Lukas Stepanik. Ich hab den Leo kennengelernt, weil ich Professorin an der Johns Hopkins in Baltimore bin. Ich bin dort hingezogen und hab damals für das erste Semester an der neuen Uni geplant, einen historischen Kurs über Holocaustfilme zu unterrichten. In dem Zusammenhang hat mir mein Nachbar erzählt: „Da gibt’s ja hier einen sehr berühmten legendären Holocaustüberlebenden und der ist wie Sie aus Wien.“ Den hab ich dann angerufen, sein Buch gelesen und irgendwie hat mich das sehr berührt. Davon hab ich dem Lukas Stepanik erzählt, der sowieso filmisch Interesse am Holocaust hat und dann haben wir das zusammengestellt. Das sind oft sehr biografische Zufälle, die natürlich auch zu allem Möglichen führen.
progress: Es gibt in Baltimore 100 Überlebende, die an Schulen gehen. Warum gerade Leo und Bluma?
Wegenstein: Viele wollen gar nicht gefilmt werden. Begleitet haben wir ungefähr fünf Überlebende, aber die anderen nie so weit wie Leo. Das hat sich während des Drehs ergeben. Leo ist für einen Cinéma Vérité-Film das perfekte Sujet. Man hat die Kamera ja sozusagen „in the face“ und er hat das total vergessen. Bluma ist eigentlich erst später in den Film hineingekommen. Wir haben mehrere Charaktere versucht zu entwickeln, aber dann hat es einfach unglaublich gepasst mit dem Leo. Seine Art ist so ein Auf und Ab und rein von den dramaturgischen Motiven hat es eine Balance gebraucht zu diesem Rhythmus. Da war die Bluma einfach eine ideale Counterfigur. Den anderen hab ich DVDs gemacht, damit sie sich auch sehen können.
progress: Leo scheint im Film mehr Rampenlicht zuzukommen als Bluma…
Wegenstein: Es ist schon klar, dass die Bluma im Film neben ihm steht. Das haben wir dann im Laufe des Schnitts und der Dramaturgie erst entschieden. Es ist so, dass diese Details des Überlebens und das Wie in seiner Geschichte viel klarer sind. Aber Bluma lassen wir zwei Mal ihre Geschichte anfangen und dann weitererzählen. Sie ist sozusagen elliptisch aufgebaut. Ihre Geschichte ist eben nicht so klar ersichtlich und das ist schade, da geb ich Ihnen recht. Aber die Geschichte der Bluma wird auf der US- als auch auf der österreichischen Seite des Films genau erklärt.
Außerdem ist Cinéma Vérité sozusagen dieser Anspruch, dass man die Wahrheit findet in der Realität, dass man die dann so darstellt, wie sie auch gewesen ist. Aber man braucht natürlich dazu eine Art von Filtersubjekt, über das diese Wahrheit irgendwie ausgeführt wird. Und dieses Subjekt bin natürlich ich, bzw. mein Ko-Regisseur Lukas. Ich würde auch sagen, dass der Film sozusagen eine Liebeserklärung an Leo ist, weil wir ihn so faszinierend gefunden haben durch seinen Charme und seinen Witz. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, hab ich auch noch das Gefühl, dass ich total fasziniert, aber auch sehr bewegt bin von diesem Mann und das ist in dem Film ausgedrückt. Insofern ist das durchaus eine subjektive Auswahl.
progress: Liegt das vielleicht daran, dass Sie selbst aus Wien sind?
Wegenstein: Das liegt sicherlich daran, dass ich aus Wien bin, doch es gibt viele Wiener Juden hier. Aber mich fasziniert am Leo auch dieses eine Ereignis in seinem Leben: diese Schuld, die er auch fühlt, dass er Wien als Erster verlassen hat und dass seine Schwester und seine Mutter da nicht rausgekommen sind. Daran denkt er zurück in allen möglichen Wegen. Also er ist total „obsessed“, ein richtig neurotischer traumatisierter Mensch und mich faszinieren solche Menschen. Ich frage mich, was ist so einem Menschen passiert? Wie ist er da hingekommen?
progress: Was haben Sie persönlich bei dieser Arbeit dazugelernt?
Wegenstein: Was ich gelernt hab, ist, dass es für so traumatisierte Menschen wie Leo und Bluma in Wahrheit keine Heilung gibt. Es gibt historische Wunden und Sachen, wie die Sklaverei, den Holocaust oder den Genozid im Sudan oder Darfur oder auch der Krieg, den die USA gegen den Islam führt, wovon man sich jahrhundertelang nicht erholt. Das sind Emotionen, die man auch gar nicht nachvollziehen kann. All das hat extrem lange Nachwirkungen. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich hab schon gedacht, dass ein Holocaust-Überlebender, der schon seit mehreren Jahren umhergeht und das erzählt, das sozusagen schon bewältigt hat. Aber das ist nicht so. Das hab ich eben auch ganz bewusst in dem Film gezeigt, dass es auf diese offenen Wunden keine Antwort gibt und es keinen Sinn macht, diese zu vergleichen, weil da nix rauskommt.
Was ich auch gesehen habe, ist, dass sich Leo kleines Wiener Shtetl (jüdisches Wort für Dorf, Anmerkung) aufgebaut hat, wie er es in Wien auf der Mazzo-Insel zurückgelassen hat. Ich glaube, dass das viele Migranten, inklusive meiner selbst, machen. Nach 13 Jahren, die ich jetzt in den USA lebe, perpetuiere ich eben trotzdem gewisse Dinge, die ich aus der Kindheit hab. Man nimmt sich überall hin mit, egal wo man ist, also ob man nach Amerika geht, oder ob man, Gott bewahre, in einen Zug gesteckt wird nach Auschwitz. Man ist immer mit sich selbst und das sieht man halt auch beim Leo oder etwa bei Blumas Großnichte, Livia, die in Colorado studiert. Sie hat mir erzählt, sie beginnt dort ein neues Leben und ein Studium und all das – und dann hat sich rausgestellt, dass sie dort Kurse über Holocaust-Traumata belegt. Sie nimmt sich den Holocaust eben dorthin mit. Das wird vergessen und das ist glaub ich in Österreich auch nicht ganz bewusst, wenn ich gefragt werde: „Warum können wir den Holocaust nicht einfach vergessen und diese Geschichte nicht irgendwie ausklammern?“
progress: Es ist schon bezeichnend, dass Sie das in Österreich gefragt werden…
Wegenstein: Genau und aus amerikanischer Sicht kann man das nicht ausklammern, denn hier gibt es nicht eine Geschichte. Hier gibt’s diese ganzen „communities“, die Afro-Amerikaner, die Juden und die Christen. Natürlich gibt’s Minderheiten, aber die werden extrem ernst genommen, auch legislativ. Das kann man ja überhaupt nicht vergleichen. Man hat eine völlig andere Gesetzesgrundlage, die reflektiert, wie man über Zugehörigkeiten, über Beruf und über solche Sachen denkt, also wer sozusagen das Recht hat, einen Namen zu tragen und all das. Hier kann man hingehen und sagen „I want to be called `Bloody Idiot´“. Das ist vielleicht nicht so leicht, aber man würde das durchkriegen auf dem Standesamt, wenn man das Gefühl hat, man ist so und so will man sein. Dadurch ist es so eine blöde Frage, ob wir den Holocaust vergessen wollen. Ich mein, was soll das bitte? Das geht einfach gar nicht aus dieser hiesigen Sicht. Man muss deswegen auch nicht übersentimental sein. Natürlich hat das nichts mit einem persönlich zu tun und niemand sollte einen dessen beschuldigen, aber das heißt nicht, dass man sich nicht anschaut, was auf österreichischem Grund und Boden passiert ist.
progress: Wie spürt man den Einfluss der survivor community auf Baltimore selbst?
Wegenstein: Den spürt man insofern, dass alle Schüler in Baltimore mindestens einen Holocaust Überlebenden in der Schule kennenlernen. Also dafür, dass es nicht Österreich ist, ist es beachtlich, dass man die jüdische Gemeinde hier so ernst nimmt und dass das eben zum Allwissen gehört. Das spürt man auch.
Außerdem gibt es den Holocaust-Rememberance Day, Yom Hashoah, im April. Der ist hier allen ein Begriff und das ist für mich auch das beste Beweisstück, das ich immer gerne angeführt habe vor Österreichern, die gesagt haben: „Naja, aber man hat den Holocaust ja auch nicht vergessen!“, aber es geht ja nicht darum!
progress: Worum geht es dann?
Wegenstein: Es geht darum, was die Institutionen damit machen. Der Yom Hashoah Remembrance Day ist hier relativ institutionalisiert. Das heißt, dass es eben wie ein Feiertag auch gefeiert wird in mehreren Ländern weltweit. In Österreich ein unbekannter Tag! Da wird er erstens nicht gefeiert und zweitens weiß auch niemand, was das soll und das find ich schon arg, muss ich sagen. Ich versteh das nicht! Das heißt ja nicht, dass man hingehen muss, aber wenn Weihnachten ist, weiß auch jeder, was das ist!
Aber so ist die Kultur: Die Kultur zeigt sich dann eben immer auch aus hierarchischer Sicht und die Hierarchie in der österreichischen Kultur und Wien ist ja eine katholische, da ist sozusagen kein Platz für Yom Hashoah.
progress: Was wird Ihr nächster Film behandeln?
Wegenstein: Jetzt mache ich gerade einen Film über Brustkrebs und Körpermodifikation.
Eine Rezension zum Film See you soon again findet ihr hier