„Ich habe nun einmal keinen Goldesel“

  • 13.07.2012, 18:18

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

PROGRESS: Vergangenen Herbst haben Sie gesagt: „Mit dem Besetzen von Hörsälen werden keine Studienbedingungen verbessert.“ Was hätten Sie denn getan, wenn Sie sich als Studentin in einem überfüllten Hörsaal wiedergefunden hätten?

Karl: Ich hätte früher den Dialog mit der Politik gesucht. Ich habe Verständnis dafür, dass die vollen Hörsäle für die Studierenden natürlich ein Problem sind. Die Studienbedingungen in den Massenstudien sind sowohl den Studierenden als auch den Lehrenden nicht zumutbar. Ich hätte mir als Studierende auch vorstellen können, an Demonstrationen teilzunehmen. Aber ich hätte sicher keine Hörsäle besetzt, weil man dadurch andere Studierende am Studieren hindert. 

Sie fordern Zugangsbeschränkungen. In Österreich fangen allerdings um 14 Prozent weniger Menschen an zu studieren als im Durchschnitt der OECD-Länder, auch die AkademikerInnenquote ist weit niedriger. Sind Beschränkungen wirklich der richtige Weg?

Ja, die Akademikerquote ist in Österreich zu niedrig. Mein erklärtes Ziel ist es ja auch, die Akademikerquote zu erhöhen. Nur haben wir in Österreich gerade in den Massenfächern sehr hohe Drop-Out-Quoten. Und wir sehen ganz klar, dass mehr Studierende nicht automatisch mehr Absolventinnen und Absolventen bedeuten. 

Die Drop-Out-Quote ist in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Ländern mit 24 Prozent im Vergleich zu 31 Prozent niedrig. 

Aber in Ländern, wo es Zugangsregelungen gibt – und das sind viele europäische Länder – besteht trotzdem eine höhere Akademikerquote als in Österreich. Zum Beispiel in Finnland, dem Parade-Bildungsland. Dort hat man Zugangsregelungen an den Universitäten und die Universitäten selbst können zum Beispiel Aufnahmetests vornehmen. 

Haben Sie eine konkrete Vorstellung für Zugangsbeschränkungen in Österreich?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Zugangsregelungen, die müssen wir diskutieren. Wenn Sie zum Beispiel an Veterinärmedizin denken, dort gibt es ein mehrstufiges Verfahren, wo es auch Bewerbungsgespräche gibt. Da kann man durchaus auch über kreative Möglichkeiten nachdenken und auch internationale Vergleiche heranziehen, wie dort mit Zugangsregelungen umgegangen wird. 

Neben Zugangsbeschränkungen fordern Sie auch Studiengebühren. Ist das korrekt?

Ich habe immer gesagt, dass sich meines Erachtens Studienbeiträge bewährt haben, aber momentan Studienbeiträge nicht durchsetzbar sind. Es ist jetzt nicht meine erste Priorität, Studienbeiträge wieder einzuführen. 

Sind Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren denn wirklich die einzigen Maßnahmen für bessere Studienbedingungen?

Es geht auch darum, die Studienpläne zu verbessern. Hier sind wir bei der Bologna-Architektur. Die Umsetzung ist in Österreich nicht an allen Universitäten so gelaufen, wie sie laufen hätte sollen. Hier führe ich Gespräche mit den Verantwortlichen. Es ist aber auch wichtig, dass die Defizite, die Sie von den einzelnen Universitäten kennen, am Hochschuldialog mit den Studierenden besprochen werden. 

Wie könnte man die Studienpläne besser gestalten?

Man muss sich natürlich die Fehler ansehen, die passiert sind. Aufgefallen ist mir zum Beispiel die inhaltliche Überfrachtung, die teilweise passiert ist. Dass zum Beispiel ein achtsemestriges Diplomstudium in sechs Semester hineingepresst wurde. Oder dass die Wahlfächer gestrichen wurden. Und dann muss man sich in einem zweiten Schritt ansehen: Was kann man besser machen? Und da ist es mir wichtig aufzuzeigen, wo sind Best Practice Modelle, es gibt ja auch gute Studienpläne. 

Wären bei der Erarbeitung der Studienpläne weniger Fehler passiert, wenn Studierende und Lehrende im Mittelbau besser eingebunden gewesen wären? An manchen Universitäten hat es ja funktioniert.

Haben Sie da Beispiele?

Ich verschaffe mir gerade einen Überblick, will aber die gelungenen und weniger gelungenen Beispiele noch nicht veröffentlichen. 

Nicht nur die Protestbewegung der Studierenden verlangt mehr Geld für die Hochschulen, auch Universitätenkonferenz und Senatsvorsitzende fordern die Erhöhung der Hochschulausgaben auf zwei Prozent des BIP schon bis 2015, nicht erst 2020. Warum macht man das nicht?

Wir sind auf dem Weg zum Zwei-Prozent-Ziel. Man muss sehen: Hier geht es um öffentliche Mittel und um private Mittel. Im Moment liegen wir bei 1,3 Prozent des BIP, davon sind 1,2 Prozent öffentliche Mittel, nur 0,1 Prozent sind privat. Mit den 1,2 Prozent des BIP liegen wir über dem Schnitt der EU19 und der OECD. 

Aber bis wann werden die zwei Prozent erreicht sein?

Das Ziel ist 2020. Aber da ist nicht nur die öffentliche Hand gefordert, es fehlen vor allem private Mittel. 

Und warum nicht bis 2015? 

Wir haben im Moment eine wirtschaftlich schwierige Phase, das sollte auch an den Studierenden und den anderen Hochschulpartnern nicht vorübergegangen sein. Es werden auch andere Ressortkollegen mehr Geld für ihre Ressorts fordern. Aber ich werde mich natürlich dafür einsetzen, für die Universitäten mehr Geld zu bekommen.

Die Republik hat aber auch für das Bankenpaket im vergangenen Jahr fast sieben Milliarden Euro Schulden aufgenommen. Um die Hochschulausgaben bis 2015 auf  zwei Prozent des BIP zu erhöhen, bräuchte man pro Jahr 200 Millionen Euro. 

Bevor ich Wissenschaftsministerin wurde, war ich ÖAAB-Generalsekretärin. Und ich war da bei sehr vielen Treffen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dort wurde immer gefragt: Das Geld, das die Banken bekommen, warum gibt man das nicht für Arbeitsmarkt- und Sozialpakete aus? Ich wünsche mir natürlich als Wissenschaftsministerin mehr Geld für die Universitäten. Aber es gibt auch von anderen Kreisen berechtigte Forderungen.

Das ist ja schön und gut, wenn man die einen Bedürftigen gegen die anderen ausspielt. Sie müssen als Wissenschaftsministerin selber wissen, dass die Bankenkrise nicht selbst von der Bevölkerung verschuldet wurde.

Die Bevölkerung hat aber auch gern bei Banken ihr Erspartes gesichert. Wenn die Banken Probleme bekommen hätten in Österreich, da hätten wir ein generelles Problem gehabt. Das muss man schon auch sehen. 

Also sind Banken wichtiger als Bildung.

Nein, das sage ich nicht. Ich will nur nicht die einen gegen die anderen ausspielen. Es gibt viele Bereiche, in die investiert werden muss. Ich bin Wissenschaftsministerin und wünsche mir, dass Geld in die Universitäten, Fachhochschulen und in die Forschung fließt. Aber ich alleine bestimme nicht über das Geld. 

Klar.

Ich habe nun einmal keinen Goldesel und ich habe auch keine Gelddruckmaschine.

Mit Ihrer Aussage zum Studienplatzproblem: „Wenn in einem Opernhaus alle Karten verkauft sind, kann auch niemand mehr hinein“ haben Sie vor kurzem für Aufregung gesorgt. Warum sind Sie und die ÖVP so dagegen, mehr Studienplätze zu finanzieren?

Ich kenne ja Massenstudien. Ich habe selbst in einem Massenstudium studiert und gelehrt. Ich weiß auch, dass die Probleme, die wir in den Massenstudien haben, nicht behoben werden können, indem man einfach nur mehr Geld investiert. Ich kann nicht von heute auf morgen größere Hörsäle schaffen, man kann auch nicht von heute auf morgen genügend qualifiziertes Lehrpersonal rekrutieren. Das funktioniert so nicht. 

Das muss ja nicht von heute auf morgen sein, sondern in einem angemessenen Zeitraum.

Schon. Man braucht hier die entsprechenden strukturellen Maßnahmen. Ein Massenstudium kann man auch mit mehr Geld nicht wirklich qualitativ hochwertig führen. 

Cirka 20.000 Nicht-EU-BürgerInnen studieren in Österreich. Diese müssen als einzige Gruppe von Studierenden an Unis Studiengebühren zahlen. Nach dem Studium muss ein Großteil von ihnen wieder zurück in ihre Heimatländer. Warum gibt es hier eigentlich so ein Zwei-Klassen-System?

Dass diese Regelungen teilweise für die Betroffenen schwierig sind, ist klar. Meines Erachtens ist es auch nicht sehr zielführend, dass Drittstaatsangehörige hier studieren dürfen, und wenn sie fertig ausgebildet sind, nicht hierbleiben dürfen, also hier ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellen dürfen beziehungsweise nur unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel als Schlüsselarbeitskräfte. Wenn Drittstaatsangehörige hier eine Ausbildung bekommen, dann sollten sie auch hier die Möglichkeit haben, sich eine Arbeit zu suchen. 

Wäre das ein Ziel?

Das fällt nicht in mein Ressort, das kann ich nicht alleine bestimmen. Aber mir würde es sinnvoll erscheinen, etwa eine Regelung wie in Deutschland vorzusehen: Dort wird eine bestimmte Zeit für die Arbeitssuche eingeräumt, und wenn in einer bestimmten Zeit eine Arbeit gefunden wird, kann man diese Tätigkeit auch aufnehmen. 

Was ist mit den Studiengebühren, die Nicht-EU-BürgerInnen an den Universitäten als einzige von vornherein zahlen müssen?

Wenn Sie sehen, wie viel an Studienbeiträgen die Drittstaatsangehörigen in anderen Ländern zahlen, dann muss ich sagen, sind die Studienbeiträge in Österreich für diese Gruppe wirklich niedrig. Die Drittstaatsangehörigen könnten auch in andere EU-Länder studieren gehen und in den meisten anderen Ländern müssen sie viel mehr bezahlen. 

Viele andere Länder treiben aber auch einen größeren Aufwand, AusländerInnen in ihren Ländern anzuwerben. Was macht da Österreich?

An den Kunstuniversitäten gibt es viele Drittstaatsangehörige, etwa aus dem asiatischen Raum. Und sonst haben wir ja ohnehin sehr viele Studierende an unseren Universitäten. 

Ziel der Universitäten ist doch, die besten Köpfe zu sich zu bringen. Warum holt man sich nicht die besten Studierenden?

Weil wir da im Wettbewerb mit etwa Harvard, Cambridge, Oxford und so weiter einfach nicht mitkönnen. Die besten Köpfe werden dort angeworben, weil sie dort viel bessere Studienbedingungen haben. 

Sie haben doch gerade gesagt, die Studiengebühren sind in Österreich so niedrig.

Aber die bekommen dort beispielsweise ein Stipendium. 

Könnten Sie das in Österreich auch bekommen?

Ich habe immer gesagt, wenn die Studienbeiträge wieder eingeführt werden, wäre das natürlich auch mit einer Verbesserung des Studienförderungssystems verbunden. Für mich müssen Studienbeiträge immer mit einem guten Stipendiensystem Hand in Hand gehen.  

Sie sprechen sich für eine Verlängerung des Moratoriums für die Quotenregelung im Medizinstudium aus. Warum sucht man nicht eine langfristige Lösung wie Ausgleichszahlungen, wie etwa seit 1996 zwischen den skandinavischen Ländern üblich?

Weil von Seiten Deutschlands keine Bereitschaft besteht, Ausgleichszahlungen zu leisten. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass in Deutschland die Universitäten Ländersache sind, die Universitäten fallen also in die Kompetenz der Bundesländer. Das heißt, man müsste hier Vereinbarungen mit jedem einzelnen Bundesland treffen. Und die deutschen Bundesländer werden vermutlich nicht sagen: „Juhu, wir zahlen nun an Österreich.“

Sie sind jetzt seit knapp einem Monat Ministerin. Sehnen Sie sich nicht manchmal in den Hörsaal zurück?

[lacht] Nein, jetzt noch nicht. Ich habe noch zu wenig Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was jetzt in meinem Leben anders ist. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo ich wieder sehr gerne in den Hörsaal zurückkomme. 

Und glauben Sie, die Studierenden werden Sie dann freundlich begrüßen?

Ich habe zu den Studierenden immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Ich habe auch sehr viele Diplomanden und Dissertanten betreut. Also das war nie ein Problem.

AutorInnen: Cornelia Girardi, Alina Sklenicka