„Das Wort Heimat hab ich überhaupt nicht gern“

  • 18.03.2017, 18:59
Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz und steht auch noch mit 91 Jahren auf der Bühne, um gemeinsam mit der Rap-Combo „Microphone Mafia“ gegen Rechts zu mobilisieren. Als bekennende Antifaschistin erzählt sie von vergangenen und aktuellen Kämpfen gegen den Faschismus.

Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz und steht auch noch mit 91 Jahren auf der Bühne, um gemeinsam mit der Rap-Combo „Microphone Mafia“ gegen Rechts zu mobilisieren. Als bekennende Antifaschistin erzählt sie von vergangenen und aktuellen Kämpfen gegen den Faschismus.

Denkt sie an den Mord ihrer Eltern, hört sie Beethoven, meistens die Pathetique. Am 25. November 1941 wurden ungefähr tausend Leute am Weg von Breslau ins litauische KZ Kauen gezwungen, sich ausziehen. Und anschließend erschossen. Darunter auch Esther Bejaranos Eltern. Wie ihre Eltern ermordet wurden, erfuhr sie erst im Nachhinein: „Ich hab das schwarz auf weiß, weil die Nazis genau Buch führten darüber, wie sie die Leute ermordeten. Wenn ich das vor mir sehe, will ich nichts mehr wissen. Ich höre mir aber Musik von Beethoven an. Das beruhigt mich wieder. Darum kann ich ohne Musik eigentlich nicht leben.“

Worte, die schwer wiegen, holt man sich die Geschichte der 91-jährigen Auschwitz-Überlebenden in Erinnerung. Denn dass sie ohne Musik den Nationalsozialismus überlebt hätte, ist aus ihren Augen unwahrscheinlich. Zuerst zum Steine schleppen eingeteilt, behauptete sie als eine Akkordeonistin im KZ Auschwitz gesucht wurde, das Instrument zu beherrschen. Spielen konnte sie bis dato nur Klavier und Flöte. Das Akkordeon war neu für sie. Der Blockältesten im KZ, die gleichzeitig Musiklehrerin war, spielte sie den Schlager „Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“ trotzdem auf Anhieb richtig vor. So kam sie ins Mädchenorchester. „Das war wie ein Wunder“, kommentiert Bejarano rückblickend. Ohne die Aufnahme in das Orchester wäre sie elendig zu Grunde gegangen, ist sie sich sicher.

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Antifaschismus auf der Bühne. Esther Bejarano macht immer noch Musik. Nicht mit dem Akkordeon, sondern mit ihrer Stimme. Zum Beispielim Rahmen des KlezMORE Festivals im Haus der Begegnung Rudolfsheim: Zuerst allein auf der Bühne, aus ihrem Buch „Erinnerungen“ mit lauter und eindringlicher Stimme lesend, gesellen sich nach einer halben Stunde zwei weitere Personen zu ihr auf die Bühne. Auf der einen Seite: Ihr Sohn, Joram Bejarano. Einen glänzend roten Bass in der Hand. Auf der anderen Seite: Kutlu Yurtseven, der auf Türkisch und Deutsch rappt. Auch Yurtseven zählt mittlerweile zur Familie. Er wurde von der 91-jährigen „eingeenkelt“. Denn schon seit sieben Jahren arbeitet Esther Bejarano mit der deutsch-türkisch-italienischen Rapgruppe „Microphone Mafia“ zusammen.

Mensch möchte meinen, eine kleine 91-jährige Frau ginge zwischen zwei groß gewachsenen Menschen unter. Nicht bei Esther Bejarano. Die Aufmerksamkeit ist nach wie vor auf sie gerichtet, wenn sie vom Antifaschismus singt, immer wieder die linke Faust ballend. Jiddische Volks- und Kinderlieder werden hier in einen politischen Kontext gesetzt, Texte von Dramatikern wie Bertolt Brecht oder Nazim Hikmet vertont, bekannte Partisan*innen-Lieder wie Bella Ciao und Avanti Popolo in die Gegenwart gebracht. So zum Beispiel durch ein Solo von Esther Bejarano, dass das laut mitsingende Publikum bei „Avanti Popolo“ leise werden lässt: „Schaut in unsere Augen und seht die Entschlossenheit, hört unseren Protest, unsere Gesänge. […] Es beginnt mit einem leisen Flüstern und endet in einem großen Aufschrei. Wir entlarven falsche Masken, die hinter dunklen Lügen, die Zukunft belasten. Bei euren Maskenball geben wir jetzt den Takt an. Il popolo trionferà. Mit Hand, Herz und Verstand.“

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Wider des Vergessens und Schweigens. Diese falsche Masken, die nicht nur Antifaschist*innen angstvoll in die Zukunft blicken lässt, kommen heute in populistischen Gestalten und Parteien wie in Form des österreichischen Bundespräsident-Kandidaten Norbert Hofer oder der ständig wachsenden rechts-populistischen Partei AfD in Deutschland daher. Mit Blick auf ihre eigene Geschichte ist ihre größte Angst heute, dass die Leute wieder schweigen, dass sich die Geschichte wiederholt: „Für mich sind nicht nur diejenigen Täter, die die Leute ins Gas geschickt, ermordet haben. Für mich sind all jene Täter, die sich nicht gewehrt, die mitgemacht, die geschwiegen haben. Das ist heute wieder so. Darauf muss ich hinweisen“, erklärt Bejarano ihre Motivation, wieso sie auch noch mit 91 antifaschistische Arbeit leistet.

Davon, dass innerhalb der jüdischen Gemeinde Diskussionen geführt werden, dass ein Vergleich der heutigen Zeit und des Nationalsozialismus den Holocaust in all seiner Schrecklichkeit herabwürdigen würde, will sie nichts wissen: „Wenn man schon weiß, was damals geschah, darf man nicht schweigen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es soweit kommen kann, wenn man nicht dagegen ankämpft.“ Auch wenn es am Anfang noch nicht so ist wie vor oder während dem Nationalsozialismus, könne es so weit kommen, fügt sie vehement – immer wieder gegen das Schweigen argumentierend – hinzu. Und dann ist da noch ihre Sorge, es wäre heute gar nicht so schwierig Menschen für rechtsextreme Ideologien zu gewinnen. Zum Beispiel aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit. Viele Arbeitslose seien der „Nährboden“ für Faschist*innen, glaubt Bejarano. Hinzu kommen vom Kapitalismus erzogene Egoist*innen. Die Angst etwas abgeben zu müssen, ist groß und diese Angst wird vom Rechtspopulismus geschürt.

Gegen die rechtspopulistische Angstmache von AfD, FPÖ und Konsorten, gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck bräuchte es daher eine starke antifaschistische Gegenbewegung. Eine, die gemeinsam und nicht gegeneinander kämpft. Zur Zeit seien es noch zu wenige Menschen, daher müsse mensch versuchen alle Antifaschist*innen zu erreichen, zu mobilisieren, erklärt Bejarano bestimmt: „Solange wir Antifaschisten nicht zusammenhalten und an einem Strang ziehen, wird es ganz gefährlich für uns.“

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Entwicklung zur Aktivistin. Antifaschistische Arbeit. Daraus besteht mittlerweile Bejaranos Alltag. Doch das war nicht immer so: Kurz nach Kriegsende wanderte sie in das damalige palästinensische Gebiet und heutige Israel aus und kam erst 1960 wieder nach Deutschland, in das Land der Täter*innen, zurück. Der Hauptgrund für die Rückkehr: Obwohl ihr Mann schon öfters im Krieg war, weigerte er sich gegen Palästina in den Krieg zu ziehen. „Das waren keine Verteidigungskriege mehr, sondern Angriffskriege gegen die Palästinenser“, fasst Bejarano die Entscheidung zusammen. Ihm drohte Gefängnis.

Der Entschluss mitsamt Kinder nach Deutschland zurück zu kommen war trotzdem nicht leicht. Bejarano stellte die Bedingung, es müsse eine Stadt sein in der sie noch nie war. Das hätte sie sonst nicht verkraftet. Also Hamburg. Und selbst so war der Beginn schwierig: „Ich bin mit gemischten Gefühlen nach Deutschland zurück, weil es für mich nach wie vor das Land der Täter ist. Es hat sehr lange gedauert, bis ich überhaupt mit irgendwelchen deutschen Menschen gesprochen habe.“

Und dann kam er doch: Der Moment, den sie selbst als Geburtsstunde der aktiv agierenden Antifaschistin Esther Bejarano bezeichnet: Im Jahr 1978 beobachtete sie, wie die Polizei die NPD schützte, während Gegendemonstrant*innen festgenommen wurden. Geschockt erneut auf Faschismus in Deutschland zu treffen, trat sie einen Tag darauf der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ bei. Anfang der 1980er gründete sie mit ihren Kindern die Band „Coincidence“. Auch damals lag der Fokus auf jüdischen, auf antifaschistischen Lieder.

Danach folgte ihre Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit mit Jugendlichen – in Fußballclubs, Vereinen und in Schulen. Letzteres verbunden mit Anlaufschwierigkeiten wie Bejarano erzählt: „Am Anfang war es so, dass wenn ich in die Schulen gehen wollte, man mich einfach nicht reingelassen hat. Es gab Direktoren, die sagten, dass das Thema Tabu ist. Das war noch vor etwa zwanzig Jahren so.“ Mittlerweile erhält sie Dankbarkeit von den Kindern und Jugendlichen, dass sie ihre Geschichte mit ihnen geteilt hat.

Eine 91 Jahre lange Geschichte, vereint in einer Person, die den Faschismus in all seiner Grausamkeit erleben musste und heute für ein „Nie wieder Faschismus“ unermüdlich kämpft. Darüber was der Begriff Heimat für sie bedeutet, hat sie sich – so scheint es – schon öfters Gedanken gemacht. Ohne langes Zögern antwortet Bejarano: „Es ist so, dass ich das Wort Heimat überhaupt nicht gern habe. Das ist die erste Sache. Ich könnte sagen, dass Deutschland meine Heimat ist, weil ich hier geboren wurde. Aber solange noch so viele Nazis hier herum laufen, kann es noch nicht meine Heimat sein. Israel könnte meine Heimat sein, wenn Israelis und Palästinenser gemeinsam in einem Land in Frieden leben. Das wär‘ mir am Liebsten. Aber so kann auch Israel momentan nicht meine Heimat sein.“

Valentine Auer lebt als freie Journalistin in Wien.

 

AutorInnen: Valentine Auer