„Aus Hassrede wurden Hassverbrechen“
Die Filmemacherin und Aktivistin Maria Binder erzählt in ihrem Film „Trans X Istanbul“ über die Vertreibung von und die Gewalt gegenüber Trans*personen in Istanbul. Im Rahmen des Filmfestivals „Transition“ wurde der Film gezeigt. progress sprach mit der Filmemacherin.
Verbale Beschimpfungen. Gewaltvolle Übergriffe. Mord. Trans*frauen in Istanbul sind mit Hass und Vorurteilen konfrontiert. Morde von und Gewalt gegenüber Trans*frauen werden von der Polizei meist nicht untersucht. Die Filmemacherin und Aktivistin Maria Binder begleitete die in Istanbul lebende Trans*frau Ebru Kırancı in ihrem täglichen Kampf gegen eine transfeindliche Gesellschaft mit ihrer Kamera. Das Ergebnis: Trans X Istanbul – ein Film, der die Entwicklung von Hassrede zu gewaltvollen Taten bis hin zum Mord aufzeigt und dabei Verschränkungen von Politik, Gesellschaft und ökonomischen Interessen analysiert. Im Mittelpunkt des Films steht dabei die Rolle von Urbanisierungs- und Gentrifizierungsprozessen, die zur Vertreibung von Trans*frauen führen. Mittlerweile zählt auch Maria Binder zu den Unterstützer*innen des von Ebru Kırancı aufgebauten Trans*-Vereins „Istanbul LGBTT“. Ein Gespräch mit Maria Binder über die Situation von Trans*frauen in Istanbul und welche Rolle dabei die menschenverachtende Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie die damit einhergehende eingeschüchterte Zivilgesellschaft spielt.
progress: Du greifst in deinen Filmen immer wieder das Thema Menschenrechte auf. In Trans X Istanbul geht es, wie der Name schon verrät, um die Rechte von Trans*frauen in Istanbul. Wie bist du auf das Thema gekommen?
Maria Binder: 2001 recherchierte ich zu Frauen in der Türkei, die verfolgt wurden, weil sie öffentlich darüber sprachen, dass sie vom Staat, also der Polizei, dem Militär vergewaltigt wurden. Im Zuge der Filmarbeiten, die ich gemeinsam mit Verena Franke gemacht habe, lernten wir die Trans*frau Hülya kennen. Sie hat als Sexarbeiterin in Istanbul gearbeitet, ist mehrfach entführt und vergewaltigt worden. In diesen Recherchen wurde uns klar, dass es Überschneidungen gibt, wie Unterdrückung von Frauen-, Trans*gender und LGBT*-Personen systematisch funktioniert. Wobei ich denke, dass es nochmal ein Unterschied zwischen Trans* und Gay gibt.
Kannst du darauf genauer eingehen?
Der Bildungshintergrund ist ein anderer. Outen sich Trans* gegenüber der Familie, ist das sichtbar. Oft verstößt die Familie Trans*personen, insbesondere Trans*frauen. Trans*frauen werden bei der Geburt männlich zugeordnet, was als das stärkere Geschlecht von der Gesellschaft gesehen wird und sie wählen dann das schwache Geschlecht. Patriarchal ist das als eine Art Entehrung der Männlichkeit definiert. Durch den Ausschluss von Trans*frauen aus der Familie, fällt die Schule weg. Es gibt einen Bruch in der Bildung. Wenn du keine Bildung hast, ist es schwierig einen Job zu finden. Und selbst wenn du Bildung hast, findest du als Trans*frau oft keinen anderen Job außer in der Sexarbeit. Schwule und Lesben haben diesen Knick in der Biographie meistens nicht so schnell. Das Coming-Out kann noch eher hinaus gezögert werden. Der Bildungsweg ist dadurch nicht so gebrochen.
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Kommen wir zurück zum Film: Im Film geht es unter anderem, um einen transfeindlichen Konflikt zwischen verschieden Hausparteien im Istanbuler Stadtteil Avcılar. Ebru spricht dabei immer wieder den Satz aus „Aber ihr ward doch Freund*innen“. Wie kann es sein, dass sich diese Freund*innenschaft in Transfeindlichkeitumgewandelt hat?
Da gab es ganz verschiedene Ebenen der Eskalation: Aus Hassrede (hate speech) wurden Hassverbrechen (hate crime). Allein die Hassrede hat dabei diverse Entwicklungen durchgemacht. Früher sind die Konfliktparteien tatsächlich zusammen gesessen, haben gemeinsam Tee getrunken. Hürriyet, die eine der Protagonist*innen des Kampfs gegen Trans* ist, hat vorher für eine Trans*frau Vorhänge gekauft und genäht. Dieser Häuserblock, um den es da geht, ist jetzt in einem Flächennutzungsplan. Als der Wert dieser Gegend stieg, hieß es, wir wollen keine Prostitution in unserem Haus. Obwohl schon davor klar war, dass hier Sexarbeiter*innen arbeiteten. Daraus wurde dann, wir wollen keine Trans*. Daraus wiederum wurde, wir haben die PKK besiegt, wir werden auch die Trans* besiegen. Die PKK ist aus deren Sicht eine Terrororganisation und wurde mit Waffen beschossen. Das heißt Trans* wurde mit Terror gleichgesetzt. Man sieht hier, wie sich Hasssprache entwickelt. Hass verstanden als systemischer und nicht als ein Gefühlsbegriff, wo verschiedene Mosaiksteine zusammen spielen und sich verschränken. Dadurch kann der Hass so eine Zugkraft entfalten. Da gehören Medien dazu, da gehört der Staat dazu. Und irgendwann kippt diese Stimmung. Die Personen, die gegen Trans* kämpfen, standen plötzlich jeden Samstag als demonstrierender Mob vor der Tür. Trans*personen wurden beim Arbeiten von Männergruppen mit Stöcken überfallen. Samen, eine alten Freund*in von Ebru, wurden Sofas vor ihrer Wohnungstür gestellt und angezündet, während sie in der Wohnung war. Ihr wurde auch in die Wohnung geschossen. Das ist Terror gegen Leib und Leben, aber auch Psychoterror. Dann kommt noch das Zusammenspiel mit der Polizei dazu, die nicht ermittelt. Stattdessen werden die Wohnungen der Trans*personen versiegelt, sie müssen ausziehen.
Du hast die Rolle der Medien angesprochen. Ebru kritisierte, dass selten über Morde an Trans*personen berichtet wird, die Gerichtsverhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Welche Rolle spielen die Medien hier?
Viel kann ich dem nicht hinzufügen. Außer vielleicht, dass es sich nach dem Putsch erheblich verschärft hat. Es gab vorher zunehmend linke Medien, die darüber berichteten. Bis 2010 gab es eine Form von Boykott, das hat sich durch unsere Arbeit, durch die Trans*-Organisation geändert. Aber jetzt gibt es einen Rollback. Die Medien haben Angst zu berichten. Erdoğan sagte, dass sich diejenigen, die mit LGBT*-Organisationen zusammenarbeiten, schuldig machen, den Terror unterstützen.
International wird sehr wohl berichtet, dass Morde an Trans* in der Türkei zunehmen. Gibt es gar kein Bemühen von staatlicher Seite etwas zu ändern? Vor allem mit dem Hintergrund, dass die Türkei um den EU-Beitritt ansuchen will?
Vor den Wahlen, die Erdoğan wiederholen ließ, gab es Druck seitens der LGBT-Organisationen auf die Stadtverwaltungen. Es gab LGBT-freundliche Stellungnahmen vor der Wahl von der CHP und der HDP. Die Stadtverwaltungen von Beşiktaş, Kadıköy und Şişli haben uns geholfen: Anfang des Jahres ist unser Vereinssitz ausgebrannt. Die Stadtverwaltung von Beşiktaş hat uns das Geld gegeben, um den Verein wieder herrichten zu lassen. Danach hieß es von den Besitzern, dass sie uns nicht mehr haben wollen. Und warum? Weil sie es nun gewinnbringend vermieten konnten. Da verschränkt sich die Profit-Ebene mit der Politik, mit Erdoğan, der auffordert LGBT-Organisationen nicht zu unterstützen. Es ist so ähnlich wie in Cihangir. Das ist ein Istanbuler Stadtteil, der mit dem Prenzlauer Berg in Berlin verglichen werden kann. Eine Hochpreisgegend. Alles ist schick und cool, Künstler*innen sitzen rum. Vorher haben hier Trans* gewohnt, aber sie sind systematisch vertrieben worden. Das passiert überall nach dem gleichen Muster. Im Endeffekt ist das nicht typisch türkisch, sondern transkulturell: Wie jemand aufgrund eines äußeren Merkmals ausgegrenzt und das mit ökonomischen Interessen gekoppelt wird. Wenn es gleichzeitig eine starke Zivilgesellschaft gibt, dann wird das aufgefangen. Im Moment ist die Zivilgesellschaft in der Türkei aber so verängstigt, weil es diesen Mob auf der Straße gibt. Vor dem Putsch gab es politisch auch eine sehr breit aufgestellte Opposition. Durch die Kriminalisierung von der HDP ist aber einiges gebröckelt. Auf diese Form von Öffentlichkeit müsste man sich beziehen, aber die trauen sich nicht, weil die Hegemonie auf der Straße die Anderen haben. Wie auch nach der Trump-Wahl, wo sich so viele plötzlich ermuntert fühlen mit ihrer rechten Gesinnung in Wort und Tat in die Öffentlichkeit zu treten, sich wieder zu trauen. Das ist in der Türkei ganz ähnlich.
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Ebru wollte 2014 für die HDP Istanbul kandidieren. Das hat aber nicht geklappt. Wieso nicht?
Ebru war in der Vorwahl. Die Partei wählt dann diejenigen, die einen Listenplatz bekommen. Damals ist entschieden worden, dass keine Trans* auf eine Liste kommen soll. Stattdessen ist Barış Sulu, ein Freund von uns, auf die Liste in Eskişehir gewählt worden. Mittlerweile ist er im Exil in Berlin, weil er aufgrund seiner Kandidatur vom IS verfolgt worden ist. Im IS-Magazin wurde ein Bild veröffentlicht mit dem Aufruf zur Tötung. Im Nachhinein bin ich daher froh, dass es nicht geklappt hat. Ebru wäre heute vielleicht im Knast. Oder an einer Parteiveranstaltungen von der HDP, die immer wieder tätlich angegriffen werden, verletzt worden. Wenn man es positiv sehen will: Es war klug von der Partei, Ebru nicht noch zusätzlich zur Zielscheibe zu machen.
Ebru versucht bereits seit Jahren die türkische Gesellschaft zu verändern, natürlich insbesondere eine Besserstellung von Trans*personen zu erreichen. Hat sie in diesem Kampf auch Erfolge erreicht?
Ein großer Erfolg ist, dass wir ein Trans*-Haus für Geflüchtete aus dem Irak, dem Iran, aber vor allem aus Syrien aufbauen konnten. Das ist ausschließlich Community-finanziert und hält sich bereits vier Jahre lang. Mit Hilfe des holländischen Konsulats konnten wir auch ein Jahr lang Traumatherapie anbieten. Es fanden Workshops statt, die gleichzeitig die Funktion hatten, Gemeinschaftlichkeit zu erzeugen, weil plötzlich hast du nicht nur ein Sprachproblem, sondern Identität fängt wieder an eine Rolle zu spielen. Ein anderer Erfolg ist, dass wir Fortbildungsmaßnahmen in Form eines interaktiven Trainings für Lehrer*innen, Rechtsanwält*innen und Journalist*innen durchführen konnten.
Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.