„Asylsuchende werden handlungsunfähig gemacht“

  • 05.02.2015, 08:00

Mit der Verwaltungsreform hat sich Einiges für Asylsuchende geändert. Warum ein Gebäude Angst machen kann und es schwieriger wurde sich zu beschweren, darüber hat progress mit Andrea Fritsche und Kevin Fredy Hinterberger von der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung gesprochen.

Mit der Verwaltungsreform hat sich Einiges für Asylsuchende geändert. Warum ein Gebäude Angst machen kann und es schwieriger wurde sich zu beschweren, darüber hat progress mit Andrea Fritsche und Kevin Fredy Hinterberger von der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung gesprochen.

Im Jänner 2014 trat in Österreich erstaunlich still und unbeachtet die größte Verwaltungsnovelle der letzten Jahrzehnte in Kraft. Neben Änderungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und im Gesetzgebungsprozess bedeutete diese auch große Umwälzungen im Asylbereich.

progress: Was hat sich in der Praxis im Asylverfahren geändert?

Hinterberger: Früher gab es im Asylverfahren in erster Instanz das Bundesasylamt und in zweiter Instanz den Asylgerichtshof. Mit 1. Jänner 2014 hat sich das geändert. Es wurde in erster Instanz das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingeführt, das mehr Kompetenzen, als das Bundesasylamt hat. Der Asylgerichtshof wurde aufgelöst, in zweiter Instanz entscheidet jetzt das neu geschaffene Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

Fritsche: Vor der Novelle war das Bundesasylamt grundsätzlich nur für das Asylverfahren zuständig. Ausweisung, Schubhaft und Abschiebung waren Aufgabe einer anderen Behörde, der Fremdenpolizei im Rahmen der Sicherheitsverwaltung. Die Entscheidung über das humanitäre Bleiberecht fällte in Wien die MA 35. Über all das entscheidet jetzt das neue BFA.

Wie äußert sich die engere Verknüpfung von asylrechtlichen und fremdenpolizeilichen Angelegenheiten im Alltag der Asylwerber_innen?

Fritsche: Das BFA Wien ist in jenem Gebäude am Hernalser Gürtel untergebracht, in dem früher die Fremdenpolizei war. Dort befindet sich auch, wie zuvor, das Polizeianhaltezentrum, in dem die Schubhäftlinge eingesperrt sind. Es ist ein Ort mit hohem Symbolcharakter, gerade unter den Asylsuchenden und Illegalisierten. Unsere Klient_innen verbinden das mit einem ganz anderen Gefühl als das frühere Bundesasylamt: nämlich mit großer Angst, weil es der Ort der Schubhaft ist und der Ort der Fremdenpolizei war. Es ist oft schwierig, Klient_innen dazu zu bringen hinzugehen, wenn sie zum Beispiel einen Antrag auf Bleiberecht stellen oder ein Dokument für ihr Asylverfahren abgeben müssen. Die Zusammenlegung von drei Stellen an diesem negativ besetzten Ort ist sehr problematisch.

Hinterberger: Es ist auch fragwürdig, dass seit der Novelle vom Asylantrag bis zur Abschiebung alles ein_e Referent_in alleine entscheiden kann. Wir haben große Bedenken, ob man da objektiv beurteilen kann. Meines Erachtens ist es schwierig, über Asylanträge und Anträge auf humanitäres Bleiberecht zu entscheiden, wenn man zehn Jahre immer nur mit Schubhaft oder Abschiebung konfrontiert war.

Wie beurteilt ihr die Abschaffung des Asylgerichtshofs und die Eingliederung seines Kompetenzbereichs in das Bundesverwaltungsgericht?

Hinterberger: Positiv ist, dass festgefahrene Strukturen aufgebrochen werden, denn die Entscheidungspraxis des Asylgerichtshofs war teilweise fragwürdig. Negativ ist, dass seit 2014 in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) alle Argumente vorgebracht werden müssen, die für eine rechtswidrige Entscheidung des BFA sprechen. Das BVwG darf nur über diese Gründe entscheiden. Wenn es sich den Fall ansieht und erkennt, dass die Entscheidung des BFA nicht korrekt war, aber aus anderen Gründen als in der Beschwerde vorgebracht, darf es die Entscheidung nicht aus diesen nicht vorgebrachten Punkten aufheben.

Während es früher möglich war, noch Argumente nachzubringen, wenn die Beschwerde fristgerecht eingebracht wurde, müssen jetzt also alle Argumente bereits innerhalb der zweiwöchigen Frist vorgebracht werden?

Fritsche: Ja, das ist für uns ein beträchtlicher Aufwand und fällt auf die Asylwerber_innen zurück, die den Bescheid oft gar nicht verstehen und erst kurz vor Fristende zu uns in die Beratungsstelle kommen. Dann sind oft nur noch ein bis zwei Tage Zeit. Früher konnten wir in dieser Zeit zumindest die Grundargumente vorbringen und dann etwas nachreichen. Das ist jetzt nicht mehr möglich.

Hinterberger: Zu begrüßen ist, dass mit der Novelle der Gang zum Verwaltungsgerichtshof wieder möglich ist. Davor war das Asylrecht seit 2008 als einzige verwaltungsrechtliche Materie davon ausgenommen.

Welchen Einfluss hat die Novelle auf eure Arbeit als NGO?

Fritsche: Die angesprochenen Veränderungen bedeuten mehr Arbeit. Und wir merken, dass das BFA mit der Umstellung überfordert ist. Anfang 2014 hat dort nichts funktioniert und nach wie vor ist bei vielen Fällen nicht klar, wer zuständig ist. Teilweise müssen die Einvernahmen wiederholt werden, weil die Referent_innen ständig wechseln. Das führt zu langen Verzögerungen und ist psychisch belastend für die Klient_innen.

Wo hätte die Novelle eine Möglichkeit auf Verbesserungen geboten?

Hinterberger: Bei der Effizienz des Verfahrens beispielsweise. Wir haben einen minderjährigen Klienten, der vor eineinhalb Jahren einen Asylantrag gestellt hat und noch immer wartet. Dabei müsste die Behörde innerhalb von sechs Monaten entscheiden. Es gibt viele solche Fälle. Die Menschen sind oft traumatisiert und dann befinden sie sich in Österreich in diesem Schwebezustand, das ist unvorstellbar.

Fritsche: Wir haben viele Klient_innen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Zuerkennung des Asylstatus oder subsidiären Schutzes relativ hoch ist. Wenn das zwei bis drei Jahre dauert, bleiben in dieser Zeit der Zugang zum Arbeitsmarkt und viele andere Rechte verwehrt. Die Qualität des Verfahrens ist auch ein wesentlicher Punkt, der sowohl inhaltliche Entscheidungen betrifft, als auch die Art, wie mit Asylwerber_innen umgegangen wird. Auch den Dolmetscher_innen fehlt oft eine adäquate Ausbildung. Das führt dazu, dass Asylsuchende durch das Gesetz und die rechtliche Praxis handlungsunfähig gemacht werden, weil sie das Verfahren nicht verstehen. Das ist ein großes Drama für einen Bereich, in dem es um grundlegende Menschenrechte geht.

 

Katharina Gruber hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

 

 

AutorInnen: Katharina Gruber