Überfordert und alleingelassen
Madeleine* hat schon früh die Erfahrung einer Therapie gemacht. progress erzählt die 26-jährige ihre Geschichte und wie die Therapie ihren Studienalltag beeinflusst hat.
Madeleine* hat schon früh die Erfahrung einer Therapie gemacht. progress erzählt die 26-jährige ihre Geschichte und wie die Therapie ihren Studienalltag beeinflusst hat.
progress: Wann bist du erstmals zur Therapie gegangen. Wie kam es dazu?
Madeleine: Mit der Situation, dass man einer fremden Person gegenübersitzt und ihr persönliche Dinge erzählt, war ich schon sehr früh konfrontiert. Als ich 12 Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden und meinten, dass ich in dieser Situation Unterstützung bräuchte – aber das war nicht freiwillig, sondern ihre Entscheidung. Der erste Entschluss zu einer Therapie, der von mir selbst ausging, kam erst, als ich nach Wien gezogen bin. Damals war es meine Idee, alles, was in meiner Kindheit und Jugend passiert ist, aufzuarbeiten. Davor wurde ich eben nur „hingeschickt“.
progress: Was war deine erste Anlaufstelle?
Madeleine: Ich habe mir verschiedene Angebote in Wien angesehen und bin so erstmals zur psychologischen Studierendenberatung gekommen. Das war jedoch nicht besonders hilfreich. Sie bieten zwar schon an, dass man öfter zu ihnen gehen und mehrere Gespräche mit ihnen führen kann, aber das haben sie bei mir nicht gemacht.
progress: Wie bist du zu deinem Therapieplatz gekommen?
Madeleine: Es war schwierig jemanden zu finden. Ein Bekannter hat mir später jemanden empfohlen – mit der Therapeutin hat das dann auch ganz gut geklappt. Nach zwei Jahren ist sie aber aus Wien weggezogen und ich habe eine Zeit lang mit der Therapie aufgehört. Gegen Ende meines Studiums habe ich aber wieder angefangen. In einer Praxis, die mir von meiner alten Therapeutin empfohlen wurde.
progress: Wieso hast du deine aktuelle Therapie begonnen?
Madeleine: Ich habe die Therapie gegen Ende meines Studiums begonnen. Das Diplomarbeit Schreiben war für mich keine schöne Zeit. Ich hatte großen Stress fertig zu werden. Das Betreuungsverhältnis war zwar in Ordnung, aber ich habe mich oft alleingelassen und überfordert gefühlt. Es ist mir nicht so gut gegangen. Ich hatte den Eindruck, alle anderen wissen genau, was sie machen und ich komm einfach nicht weiter. Natürlich merkt man irgendwann aber, dass es den anderen ganz genau gleich geht.
progress: Wie unterscheidet sich deine aktuelle Therapie von früheren?
Madeleine: Meine erste Therapie war eine Gestalttherapie, die schon eher lösungsorientiert war. Damals musste ich so Dinge machen, wie ein Bild zeichnen oder mit Kegeln meine soziale Konfiguration aufstellen. Jetzt mache ich eine Psychoanalyse –meine Therapeutin, sagt mir eigentlich nie was ich zu tun habe. Ihrer Meinung nach würde es auch nicht viel bringen, weil ich das nicht annehmen würde. Und das stimmt glaub ich auch. Die Psychoanalyse ist einfach eine ganz andere Form von Therapie: Manchmal fühle ich mich alleine gelassen, aber das ist man letztendlich auch. Trotzdem ist es unterstützend und hilft einem die Sachen klarer zu sehen – ich würde sagen, sie ist einfach erwachsener.
progress: Wie ist es dazu gekommen, dass du jetzt eine Psychoanalyse machst?
Ich war schon immer an der Psychoanalyse interessiert, gerade auch durch die theoretische Beschäftigung mit Freud. Aber es war auch ein bisschen zufällig, ich habe von meiner alten Therapeutin ein paar Nummern bekommen. Ich habe einfach durchgerufen und hatte dann ein Erstgespräch – dann bin ich geblieben. Es war aber auch die Entscheidung, dass ich jetzt mal etwas anderes machen möchte, als immer die gleiche Therapieform.
progress: Wie waren Therapie und Studium miteinander vereinbar?
Madeleine: Die finanzielle Situation ist natürlich ein großes Problem. Gerade jetzt hat die Wiener Gebietskrankenkasse (WGK) einen Aufnahmestopp verhängt und gibt keine Plätze für vollfinanzierte Stellen aus. Daraus ergibt sich eine sehr große Diskrepanz, je nachdem bei welcher Kassa man ist. Bei der WGK ist es durch das Kontingent und den Aufnahmestopp sehr schwer.
progress: Hast du deine Therapien über die Krankenkasse finanziert?
Madeleine: Erst einmal nicht. Es ist total schwer einen Platz zu finden. Die Therapeutin, bei der ich eben das erste Mal war, hat das schwarz gemacht und nur 40 Euro pro Stunde verlangt. Das hat mir meine Familie bezahlt. Jetzt finanziert mir die Krankenkasse zwei Therapiestunden pro Woche.
progress: Wie hat sich deine Therapie auf dein Studium ausgewirkt?
Madeleine: Man redet dann eben dort auch über das Studium. In der Therapie wird dann besprochen, was das Studium für einen bedeutet, wie man sich die Zeit einteilt, einfach wie man mit dem ganzen Stress umgeht und woher der Stress überhaupt kommt. Die ganzen Unsicherheiten vor der Diplomarbeit habe ich dort bereden können. Und umgekehrt hat es das Studium insofern beeinflusst, dass ich zwei oder drei Mal in der Woche einen fixen Termin hatte. Da können keine Lehrveranstaltungen besucht werden – dann ist Therapie und die kann nicht verschoben werden.
progress: Wie war dein Umgang mit dem Thema, hast du Leuten davon erzählt?
Madeleine: Ich glaube, ich bin immer relativ offen damit umgegangen. Aber Studienkolleg_innen bindet man das jetzt auch nicht unbedingt auf die Nase.
progress: Ist die Therapie an der Uni ein Tabu?
Madeleine: Ich kenne generell sehr viele Leute, die eine Therapie machen, um mit ihren Problemen umzugehen. Nein, ich glaube nicht, dass es tabuisiert wird.
*Name von der Redaktion geändert