ÖH unter Verdacht
Der Überwachungsstaat nimmt immer beängstigendere Auswüchse an. Drei ehemalige ÖH-FunktionärInnen werden in einer Datenbank des Verfassungsschutzes als ExtremistInnen geführt. Ein kommentar
Der Überwachungsstaat nimmt immer beängstigendere Auswüchse an. Drei ehemalige ÖH-FunktionärInnen werden in einer Datenbank des Verfassungsschutzes als ExtremistInnen geführt. Ein kommentar
Am 22. Dezember 2010 organisierte die ÖH-Bundesvertretung gemeinsam mit AktivistInnen der #unibrennt-Bewegung anlässlich der Kürzungen bei der Familienbeihilfe eine Protestaktion im Parlament. Eine Aktion mit schweren Folgen, denn seither ist unter anderem das gesamte ehemalige ÖH-Vorsitzteam in der Datenbank zur Abwehr gefährlicher Angriffe und krimineller Verbindungen, kurz EDIS des Bundesverfassungsschutzes gespeichert, als AktivistInnen der Gruppe 2-EX (Extremismus).
Parlamentsprotest. 19 Personen entrollten mitgebrachte Transparente, warfen Flyer und ließen die Abgeordneten mit Parolen wie „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ wissen, was sie von den geplanten Sparmaßnahmen im Zuge des neuen Budgets halten. Die Sitzung des Nationalrats wurde für drei Minuten unterbrochen, die AktivistInnen vom Sicherheitspersonal des Parlamentsvon der BesucherInnentribüne geholt und ihre Daten aufgenommen. Unmittelbare Konsequenzen der Aktion waren ein Hausverbot über die Dauer von 18 Monaten, das von der Parlamentsdirektion verhängt wurde, sowie eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von 70 Euro wegen Störung der öffentlichen Ordnung für alle Beteiligten. Doch damit nicht genug. Einige Monate nach der Aktion stellten elf der 19 Personen ein Auskunftsbegehren an das Innenministerium, um zu erfahren, welche Daten über sie gespeichert wurden. Fünf Personen, darunter das ehemalige Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung Sigrid Maurer, Thomas Wallerberger und Mirijam Müller erhielten Auskunft über ihre Eintragung in die EDIS-Datenbank mit der Speicherdauer von zehn Jahren. Als Rechtsgrundlage und Speichergrund wurde die Abwehr von kriminellen Verbindungen angegeben. Laut Gesetz besteht diese, sobald sich drei oder mehr Menschen mit dem Vorsatz zusammenschließen, fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlungen zu begehen, wozu Verwaltungsübertretungen eindeutig nicht zählen.
Weitreichende Folgen. ÖH-FunktionärInnen, sprich VertreterInnen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die von allen Studierenden demokratisch gewählt wird, werden aufgrund einer friedlichen Protestaktion und bloßen Verwaltungsübertretung vom Verfassungsschutz als ExtremistInnen angesehen und in dessen Extremismusdatenbank geführt. Der Verfassungsschutz sieht also hinter der Protestaktion eine kriminelle Verbindung und verdächtigt die betroffenen ÖH-FunktionärInnen als Mitglieder dieser Verbindung. Ein derartiger Verdacht hat weitreichende Folgen für die Betroffenen, denn er ermächtigt die Polizei zahlreiche Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten, ohne dass diese einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Unter anderem darf die Polizei gegen die Betroffenen verdeckt ermitteln, Bild-, Video- und Tonaufzeichnungen an öffentlichen Orten, bzw. durch Verwanzung von ErmittlerInnen auch an privaten Orten, erstellen sowie sämtliche abrufbare personenbezogenen Daten ermitteln und weiterverarbeiten. Momentan kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden, ob derartige Maßnahmen gegen die ÖH-FunktionärInnen und AktivistInnen eingeleitet wurden. Der Überwachung von regierungskritischen Personen steht, wie dieser Fall klar zeigt, nichts im Weg: und das ohne richterlichen Beschluss, ohne staatsanwaltschaftliche Genehmigung, ohne dass ein konkreter Verdacht begründet werden muss, die ermittelnden BeamtInnen schulden niemandem Rechenschaft.
Alle sind verdächtig. Seit im Sommer erneut die Diskussion rund um die Abwehr von Terrorismus und dementsprechende Antiterrorgesetze entflammt ist, bastelt die Regierung an neuen Gesetzen, die nun kurz vor der Beschlussfassung stehen. In diesem Paket werden die Befugnisse der Sicherheitsbehörden noch weiter ausgeweitet – künftig sollen sie ohne konkreten Verdacht auch gegen Einzelpersonen ermitteln können. So reicht es zukünftig, sich mündlich, schriftlich oder elektronisch in irgendeiner Form positiv zu Gewalt gegen verfassungsmäßige Einrichtungen oder Belangen verfassungsfeindlich zu äußern, um dem Verfassungsschutz zu ermöglichen, diverse Überwachungsmaßnahmen einzuleiten. Die Polizei darf ohne gerichtliche Kontrolle sogenannte Bewegungsprofile auf Basis von Handystandortdaten, die von Handyunternehmen abgefragt werden, erstellen. Auch der Einsatz von Peilsendern wird zukünftig möglich, Besetzungen dürfen ohne Räumungsverordnung beendet werden, und was gerade politisch aktive Menschen stark betrifft, ist die zukünftige Möglichkeit der erweiterten Gefährdungsanalyse bei Delikten des Staatsschutzes. Bei dieser werden personenbezogene Daten in einer Analysedatenbank gesammelt und weiterverarbeitet, um als Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen zu dienen. Dadurch sollen Menschen vom Verfassungsschutz auf ihre „Staatsfeindlichkeit“ und Gefährlichkeit geprüft werden, ohne dass dieser dabei irgendwelchen Auflagen unterliegen würde – nicht einmal die Zustimmung des oder der Rechtsschutzbeauftragten ist vorgeschrieben. Datenbanken werden international vernetzt, die gespeicherten Daten mit denen aus anderen Ländern abgeglichen und ausgetauscht.
Rechtstaat adé. Wenn Menschen aufgrund einer harmlosen Protestaktion im Parlament als ExtremistInnen und die ÖH als kriminelle Verbindung verdächtigt wird, wird Strafbarkeit auf Meinungsäußerungen verlagert. Es kommt so zu einer Abkehr vom Individualstrafrecht, hin zur Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen, Meinungsäußerungen und der Zugehörigkeit zu Gruppen/Vereinigungen. Parallel dazu kommt es durch ständig neue Überwachungsmöglichkeiten, die Sammlung sensibler Daten und deren fehlende bzw. mangelnde Kontrolle zu massiven Einschnitten im Privatleben, im Rechts- und Datenschutz und bezüglich der Unschuldsvermutung. Gerade NGOs und Menschen, die politische Entscheidungen nicht unkommentiert stehen lassen wollen und aktionistisch auf Missstände aufmerksam machen, sind von diesen Änderungen betroffen und können leicht Ziel von Ermittlungen werden. Mögliche Folgen derartiger Gesetze konnten beim Tierschutzprozess beobachtet werden. Die seit Jahren schrittweise erweiterten Kompetenzen der Sicherheitsbehörden schaffen einKlima, in dem sich jedeR BürgerIn potentiell kriminell oder staatsfeindlich fühlen muss. Mit dem vorgeschlagenen Terrorpaket der Regierung bewegen wir uns noch einen Schritt weiter in Richtung Sicherheitsstaat und entfernen uns von den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit.