Stefan Hayden

Wer mit wem?

  • 13.07.2012, 18:18

Schon bald soll das Kommunikationsverhalten aller ÖsterreicherInnen gespeichert werden. Wer hat uns das eingebrockt?

Schon bald soll das Kommunikationsverhalten aller ÖsterreicherInnen gespeichert werden. Wer hat uns das eingebrockt?

Freitagabend im Wiener Museumsquartier, der Verein quintessenz hält seinen Stammtisch ab. Männer sitzen vor ihren Laptops und schweigen. Georg Markus Kainz, der Obmann des Vereines, trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem Bundesadler, dem eine Überwachungskamera aus dem Hals wächst. Big Brother Awards ist zu lesen. Die Vereinigung setzt sich für die Wiederherstellung der BürgerInnenrechte im Informationszeitalter ein und verleiht jedes Jahr Negativpreise an Firmen, Behörden und Menschen, die sich besonders bei der Überwachung hervortun. Die Gruppe hat sich auch intensiv mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt, also der Speicherung aller Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen der gesamten Bevölkerung, die schon bald in Österreich umgesetzt werden soll. „Ich sehe das große Problem, dass die PolitikerInnen – da sie von den BeamtInnen getrieben werden – nicht merken, welche gesellschaftspolitischen Nebenwirkungen das hat“, sagt Kainz. quintessenz hat eine Stellungnahme an das Ministerium geschickt. Sämtliche Kommunikationsdaten ohne konkreten Verdacht zu speichern, widerspreche den Grundrechten, heißt es in der Stellungnahme. „Wenn Leute sich nicht mehr trauen, etwas zu sagen oder wo anzurufen, weil sie Angst haben, dass das gegen sie verwendet wird, hat das massive Auswirkungen“, sagt Georg Markus Kainz.

Dickes Geld. Seit 20. November des Vorjahres liegt der Entwurf des Infrastrukturministeriums vor, der die Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht bedeuten würde. Bis zum 8. April sind 189 Stellungnahmen im Ministerium eingetroffen. AbsenderInnen sind einzelne BürgerInnen, Standesvertretungen, NGOs, Firmen und Behörden. Es ist eine breite Front, die sich gegen die Überwachung stellt. An der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung lässt das Ministerium jedoch keinen Zweifel. Noch vor Sommer soll es einen Regierungsvorschlag geben, sagt Walter Fleißner, Sprecher im Infrastrukturministerium. Derzeit werden die Stellungnahmen gesichtet, einzelne Punkte überarbeitet und mit dem Justizministerium verhandelt. „Wir sind ja nicht dagegen, dass der Staat oder die Polizei arbeiten kann“, sagt der Obmann von quintessenz, „nur diese gesamte Diskussion ist von der Industrie getrieben. Da gibt es ein paar Firmen, die wirklich dickes Geld verdienen.“
Ursprünglich wurde die Maßnahme von der Europäischen Union als Instrument zur Terrorbekämpfung verkauft. Doch im Text der Richtlinie 2006/24/EG ist eine Einschränkung auf TerroristInnen nicht mehr zu finden, stattdessen wird als Ziel der Überwachungsmaßnahmen angegeben: „Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten.“ Was eine schwere Straftat ist, darf jedes Land selbst bestimmen.

EU-Kommission klagt Österreich. Vor vier Jahren beschlossen der MinisterInnenrat und das EU-Parlament diese Richtlinie, Pläne für ein derartiges Vorhaben existierten schon seit Jahren. Auch Österreich stimmte der Richtlinie zu. Die damals zuständige Justizministerin Karin Gastinger (BZÖ) gab ihr Einverständnis. Die einzelnen Mitgliedsländer der EU hatten bis zum 15. September 2007 Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Österreich ist dem nicht nachgekommen. Deshalb hat die EU-Kommission im Mai 2009 eine Klage eingebracht. Vom laufenden Verfahren will man sich im Ministerium allerdings nicht unter Druck setzen lassen. „Diese Geschichte müssen wir in Kauf nehmen“, sagt Walter Fleißner. Zwei Tage zuvor reichte die Kommission eine Klage gegen Schweden ein, das die Vorratsdatenspeicherung ebenfalls noch nicht gesetzlich geregelt hat. Schweden wurde mittlerweile vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Das Land muss allerdings nur die Prozesskosten zahlen und kein Bußgeld. Den ersten Anlauf in Österreich, das Vorhaben umzusetzen, gab es 2007 unter dem damaligen Infrastrukturminister Werner Faymann (SPÖ), er blieb jedoch erfolglos. Im Vorjahr nahm sich Doris Bures (SPÖ) als Nachfolgerin von Faymann der EU-Richtlinie an. Sie beauftragte das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, gemeinsam mit anderen ExpertInnen einen Gesetzestext zu erarbeiten. Als die Ministerin heuer im März in der ORF-Pressestunde zu Gast war, nahm sie zum vorliegenden Entwurf Stellung: „Es geht hier um Grundrechtsfragen, daher solle man nur das Mindestmaß umsetzen“, sagte Bures. Willkür und Missbrauch sollen mit dem Gesetz ausgeschlossen werden, und mögliche Strafzahlungen, die Österreich bei einer Nichtumsetzung drohen könnten.

Trifft die Falschen. Georg Markus Kainz glaubt nicht, dass Missbrauch bei so einem Vorhaben ausgeschlossen werden kann: „Der Missbrauch der Daten ist einkalkuliert. Alle Beteiligten, auch die BefürworterInnen, sagen im zweiten Satz immer, sie wissen, dass die Daten missbraucht werden.“ Das Problem sei, dass immer wenn Daten vorhanden sind, Begehrlichkeiten aus verschiedenen Richtungen entstehen, diese Daten einzusehen und für eigene Zwecke zu verwenden. „Von Leuten, die Daten auswerten, wissen wir, dass der Einzelkostennachweis eines Handybenützers reicht, um zum Beispiel sagen zu können, ob jemand eine Freundin neben seiner Frau hat oder nicht“, sagt Kainz. Es reicht das Anrufverhalten zu kennen, Inhalte sind nicht notwendig. „So entstehen Gerüchte, es wird interpretiert.“ Unter den KritikerInnen des geplanten Gesetzes ist auch die PiratInnenpartei, sie fordert, das Gesetz nicht umzusetzen. Max Lalouschek, der die PiratInnenpartei vertritt, sagt, die geplante Vorratsdatenspeicherung erwische nicht diejenigen, für die sie gedacht sei: „Leute, die wirklich gegen den Staat vorgehen wollen, wissen die Lücken zu nützen, kleine Provider sind ja von der Überwachung ausgenommen.“ Dass eine ungeliebte EU-Richtlinie umgesetzt wird, nur weil sie umgesetzt werden muss, glaubt er nicht. „Die Leute, die am Hebel sitzen, haben ein Interesse das umzusetzen. Nach dem Motto: Wir haben die technischen Möglichkeiten, jetzt machen wir das auch.“ In der Stellungnahme, die quintessenz an das Ministerium geschickt hat, steht am Schluss das Ersuchen, ein Gespräch zu führen, „um unsere Bedenken und Vorschläge detailliert zu erörtern.“ Ist es zu einem Termin in der Radetzkystraße gekommen? Kainz muss lachen: „Nein, leider nicht.“

Maria Fekter und das Werkstattrollbrett

  • 13.07.2012, 18:18

Letztes Jahr jammerte Innenministerin Maria Fekter, dass die Polizei mit angezogener Handbremse im Golf unterwegs ist, während Kriminelle im Porsche fahren.

Letztes Jahr jammerte Innenministerin Maria Fekter, dass die Polizei mit angezogener Handbremse im Golf unterwegs ist, während Kriminelle im Porsche fahren. Nach Ansicht der Ministerin soll der Golf getunt werden. Also rasch neue Methoden – wie die Vorratsdatenspeicherung – zulassen. Ab in die Werkstatt und den Golf tiefer legen. Schneller wird das Auto dadurch zwar nicht, aber zumindest könnte das Gefühl davon aufkommen. Ob das Tuning mit der Straßenverkehrsordnung vereinbar ist? Egal, Hauptsache schneller als die VerbrecherInnen. Dabei ist der Polizei-Golf schon ganz ordentlich aufgemotzt worden in den letzten Jahren: Rasterfahndung, Lauschangriff, Handyortung usw.
Zur Aufklärung von schweren Strafsachen stehen also genug Werkzeuge zur Verfügung. Jetzt soll aber durch die Vorratsdatenspeicherung jeder einzelne unbescholtene Bürger und jede Bürgerin auf Schritt und Tritt überwacht werden. Mit wem wird telefoniert? Wessen E-Mails landen im Posteingang? Welche Internetseiten werden besucht? Durch dieses Wissen können Persönlichkeitsprofile erstellt werden, potentielle TäterInnen am besten gleich vorbeugend weggesperrt werden.
Es gab mal so etwas wie Grundrechte. 100-prozentige Sicherheit wird es aber nie geben. Wer wird nun mithilfe dieser ganzen gesammelten Daten erwischt? TerroristInnen, Mitglieder von kriminellen Organisationen? So wie sich unter EinbrecherInnen herumgesprochen hat, Handschuhe anzuziehen, sind Kriminelle auch in ihrem Kommunikationsverhalten darauf bedacht, keine verdächtigen Spuren zu hinterlassen. Die Möglichkeit, der Vorratsdatenspeicherung auszuweichen, gibt es. Der Rest wird überwacht. Es ist nur eine Frage der Zeit bis ein Leck auftritt und gesammelte Datensätze ausrinnen. So wie das bei der EKIS, dem Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem, passiert ist. 

Die Angst vor dem Demos

  • 13.07.2012, 18:18

Eine Demokratie lebt von informierten BürgerInnen. Aber in Österreichs Amtsstuben herrscht Verschwiegenheit. Ein Bericht.

Eine Demokratie lebt von informierten BürgerInnen. Aber in Österreichs Amtsstuben herrscht Verschwiegenheit. Ein Bericht.

Der ehemalige Präsident der USA, George W. Bush, schreibt in seiner Autobiografie, dass die mit Abstand schwierigste Aufgabe eines Gouverneurs oder einer Gouverneurin das Prüfen von Todesurteilen ist – die Entscheidung also, ob ein Todesurteil vollstreckt, aufgeschoben oder nicht durchgeführt wird. Dabei würde er alle Fakten nachdenklich und sorgfältig abwägen, und erst dann entscheiden, schreibt Bush. Ein Reporter der New York Times hat allerdings nachgewiesen, dass Bush sich für diese Frage von Leben und Tod in der Regel nur 15 Minuten Zeit genommen hat. Diese Konfrontation mit der tatsächlichen Vorgehensweise war nur aufgrund eines Informationsfreiheitsgesetzes im Bundesstaat Texas möglich. Nicholas D. Kristof von der Times stellte einen Antrag und bekam Einblick in den Terminkalender von Bush.
Eine Demokratie lebt von Informationen über die Tätigkeit des Staates und seines Personals. Nur ausreichend informierte BürgerInnen können an demokratischen Prozessen teilnehmen. Da kann es auch hilfreich sein, den Tagesablauf eines Amtsträgers oder einer Amtsträgerin zu kennen.
Aus gutem Grund sind daher in Österreich Parlamentssitzungen und Verhandlungen vor Gericht öffentlich zugänglich. Aber das ist nicht genug: In selbstbewussten Demokratien braucht es auch den geregelten Zugang zu Dokumenten von Behörden und Ämtern. Erst das ermöglicht Medien, NGOs und einzelnen BürgerInnen, ihre Regierung zu kontrollieren und ihre Rechte zu schützen. Die Einsicht in Originaldokumente und Akten ist ein wichtiges Instrument gegen Korruption und Amtsmissbrauch. Der freie Zugang soll Offenheit und Transparenz fördern. Als Folge kann sich auch die Akzeptanz für die Arbeit der Behörden verbessern. Soweit die Theorie.
Die Praxis sieht in Österreich freilich anders aus: Nach wie vor bestimmen Geheimniskrämerei und zugeknöpfte BeamtInnen das politische Geschehen und die Verwaltung. Ihre Verschwiegenheit wird durch die Verfassung geschützt. Franz C. Bauer, JournalistInnengewerkschafter und Präsident des Presserats, kritisiert die österreichische Situation: „Die Mächtigen haben kein Interesse an informierten Bürgern.“
freedominfo.org, ein Netzwerk von Initiativen für Informationsfreiheit aus verschiedenen Ländern, stellt in einem Report von 2006 fest, dass es derzeit in 70 Ländern Informationsfreiheitsgesetze gibt; in 50 weiteren sind Gesetze in Arbeit. Allerdings, schränkt der Report ein, sind die Gesetze in vielen Ländern längst nicht ausreichend. Durch zahlreiche Ausnahmeregelungen und hohe Gebühren, die für Auskünfte zu bezahlen sind, halten die Gesetze oft nicht, was ihr Name verspricht. Weiters beobachten die Initiativen im Zuge des „Kampfs gegen den Terror“ seit einigen Jahren den Trend, bestehende Gesetze durch neue Bestimmungen wieder einzuschränken.

Geist der Gegenaufklärung. Dennoch gibt es Staaten mit fest verankerten und schlagkräftigen Zugangsregeln zu Informationen. In Skandinavien ist die Behördentransparenz seit langem geregelt, Schweden hat das älteste derartige Gesetz. Es wurde vor 244 Jahren beschlossen. In den USA existiert der Freedom of Information Act seit 1966. Nicht nur der Terminkalender von George W. Bush wurde mit Hilfe von Gesetzen zu Tage gefördert, sondern auch viele Nachrichten über den Irak-Krieg. Der jüngste spektakuläre Fall: Ein Bericht des US-Justizministeriums, der jahrelang der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. Er zeigt, wie Naziverbrecher nach dem Kriegsende vom Geheimdienst CIA geschützt wurden.
In Österreich hingegen weht noch immer der Geist der Gegenaufklärung und des staatlichen Absolutismus durch die Ämter. Nicht der freie Zugang zu Informationen ist in der Verfassung festgeschrieben, sondern deren Geheimhaltung. Sämtliche Organe der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung sind dazu angehalten, Tatsachen zu verschweigen, „deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist“. Das macht Kontrolle unmöglich. Recherchieren JournalistInnen heikle Themen, stoßen sie früher oder später auf eine Mauer des Schweigens – oder genauer: auf StaatsdienerInnen, die sich dahinter verschanzen.

Recht auf Information. Trotz dieser staatlich verordneten Geheimniskrämerei wird Österreich von dem Netzwerk freedominfo.org zu den Ländern gezählt, die ein Informationsfreiheitsgesetz haben. Hier wird das zahnlose Auskunftspflichtgesetz von 1987 angeführt, das schlicht erklärt: „Die Organe des Bundes (...) haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.“ Der JournalistInnengewerkschafter Franz C.    Bauer sagt, das Gesetz „wird in keiner Form wahrgenommen, ganz zu schweigen von ernst genommen.“
Manfred Redelfs, Leiter der Recherche-Abteilung von Greenpeace Deutschland und Fürsprecher von Informationsfreiheitsgesetzen, vertritt die Meinung, es seien Gesetze notwendig, die „Amtsverschwiegenheit von der Regel zur begründungsbedürftigen Ausnahme machen und damit zu einem Klima der Offenheit beitragen“.
„Was in Österreich ganz einfach fehlt“, sagt Bauer, „ist das Recht jedes Staatsbürgers auf Information.“ Bei einer entsprechenden gesetzlichen Regelung sollten nur Themen der öffentlichen Sicherheit von der Akteneinsicht ausgenommen sein und der Schutz der Privatsphäre müsse gewahrt bleiben. Auch der Presseclub Concordia und der Verband der Österreichischen Zeitungen verlangen von der Regierung ein solches Gesetz, damit der Zugang zu Informationen garantiert sei und Medien ihre Kontrollfunktion erfüllen könnten.
Mit derartigen Vorschlägen, die es JournalistInnen erleichtern würden, ihrer „Watchdog“-Aufgabe nachzukommen, stieße er bei PolitkerInnen seit Jahren auf taube Ohren, erzählt Bauer. „Politiker haben immer nur Angst, dass wir sie nur durch den Kakao ziehen wollen.“