Die Angst vor dem Demos
Eine Demokratie lebt von informierten BürgerInnen. Aber in Österreichs Amtsstuben herrscht Verschwiegenheit. Ein Bericht.
Eine Demokratie lebt von informierten BürgerInnen. Aber in Österreichs Amtsstuben herrscht Verschwiegenheit. Ein Bericht.
Der ehemalige Präsident der USA, George W. Bush, schreibt in seiner Autobiografie, dass die mit Abstand schwierigste Aufgabe eines Gouverneurs oder einer Gouverneurin das Prüfen von Todesurteilen ist – die Entscheidung also, ob ein Todesurteil vollstreckt, aufgeschoben oder nicht durchgeführt wird. Dabei würde er alle Fakten nachdenklich und sorgfältig abwägen, und erst dann entscheiden, schreibt Bush. Ein Reporter der New York Times hat allerdings nachgewiesen, dass Bush sich für diese Frage von Leben und Tod in der Regel nur 15 Minuten Zeit genommen hat. Diese Konfrontation mit der tatsächlichen Vorgehensweise war nur aufgrund eines Informationsfreiheitsgesetzes im Bundesstaat Texas möglich. Nicholas D. Kristof von der Times stellte einen Antrag und bekam Einblick in den Terminkalender von Bush.
Eine Demokratie lebt von Informationen über die Tätigkeit des Staates und seines Personals. Nur ausreichend informierte BürgerInnen können an demokratischen Prozessen teilnehmen. Da kann es auch hilfreich sein, den Tagesablauf eines Amtsträgers oder einer Amtsträgerin zu kennen.
Aus gutem Grund sind daher in Österreich Parlamentssitzungen und Verhandlungen vor Gericht öffentlich zugänglich. Aber das ist nicht genug: In selbstbewussten Demokratien braucht es auch den geregelten Zugang zu Dokumenten von Behörden und Ämtern. Erst das ermöglicht Medien, NGOs und einzelnen BürgerInnen, ihre Regierung zu kontrollieren und ihre Rechte zu schützen. Die Einsicht in Originaldokumente und Akten ist ein wichtiges Instrument gegen Korruption und Amtsmissbrauch. Der freie Zugang soll Offenheit und Transparenz fördern. Als Folge kann sich auch die Akzeptanz für die Arbeit der Behörden verbessern. Soweit die Theorie.
Die Praxis sieht in Österreich freilich anders aus: Nach wie vor bestimmen Geheimniskrämerei und zugeknöpfte BeamtInnen das politische Geschehen und die Verwaltung. Ihre Verschwiegenheit wird durch die Verfassung geschützt. Franz C. Bauer, JournalistInnengewerkschafter und Präsident des Presserats, kritisiert die österreichische Situation: „Die Mächtigen haben kein Interesse an informierten Bürgern.“
freedominfo.org, ein Netzwerk von Initiativen für Informationsfreiheit aus verschiedenen Ländern, stellt in einem Report von 2006 fest, dass es derzeit in 70 Ländern Informationsfreiheitsgesetze gibt; in 50 weiteren sind Gesetze in Arbeit. Allerdings, schränkt der Report ein, sind die Gesetze in vielen Ländern längst nicht ausreichend. Durch zahlreiche Ausnahmeregelungen und hohe Gebühren, die für Auskünfte zu bezahlen sind, halten die Gesetze oft nicht, was ihr Name verspricht. Weiters beobachten die Initiativen im Zuge des „Kampfs gegen den Terror“ seit einigen Jahren den Trend, bestehende Gesetze durch neue Bestimmungen wieder einzuschränken.
Geist der Gegenaufklärung. Dennoch gibt es Staaten mit fest verankerten und schlagkräftigen Zugangsregeln zu Informationen. In Skandinavien ist die Behördentransparenz seit langem geregelt, Schweden hat das älteste derartige Gesetz. Es wurde vor 244 Jahren beschlossen. In den USA existiert der Freedom of Information Act seit 1966. Nicht nur der Terminkalender von George W. Bush wurde mit Hilfe von Gesetzen zu Tage gefördert, sondern auch viele Nachrichten über den Irak-Krieg. Der jüngste spektakuläre Fall: Ein Bericht des US-Justizministeriums, der jahrelang der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. Er zeigt, wie Naziverbrecher nach dem Kriegsende vom Geheimdienst CIA geschützt wurden.
In Österreich hingegen weht noch immer der Geist der Gegenaufklärung und des staatlichen Absolutismus durch die Ämter. Nicht der freie Zugang zu Informationen ist in der Verfassung festgeschrieben, sondern deren Geheimhaltung. Sämtliche Organe der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung sind dazu angehalten, Tatsachen zu verschweigen, „deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist“. Das macht Kontrolle unmöglich. Recherchieren JournalistInnen heikle Themen, stoßen sie früher oder später auf eine Mauer des Schweigens – oder genauer: auf StaatsdienerInnen, die sich dahinter verschanzen.
Recht auf Information. Trotz dieser staatlich verordneten Geheimniskrämerei wird Österreich von dem Netzwerk freedominfo.org zu den Ländern gezählt, die ein Informationsfreiheitsgesetz haben. Hier wird das zahnlose Auskunftspflichtgesetz von 1987 angeführt, das schlicht erklärt: „Die Organe des Bundes (...) haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.“ Der JournalistInnengewerkschafter Franz C. Bauer sagt, das Gesetz „wird in keiner Form wahrgenommen, ganz zu schweigen von ernst genommen.“
Manfred Redelfs, Leiter der Recherche-Abteilung von Greenpeace Deutschland und Fürsprecher von Informationsfreiheitsgesetzen, vertritt die Meinung, es seien Gesetze notwendig, die „Amtsverschwiegenheit von der Regel zur begründungsbedürftigen Ausnahme machen und damit zu einem Klima der Offenheit beitragen“.
„Was in Österreich ganz einfach fehlt“, sagt Bauer, „ist das Recht jedes Staatsbürgers auf Information.“ Bei einer entsprechenden gesetzlichen Regelung sollten nur Themen der öffentlichen Sicherheit von der Akteneinsicht ausgenommen sein und der Schutz der Privatsphäre müsse gewahrt bleiben. Auch der Presseclub Concordia und der Verband der Österreichischen Zeitungen verlangen von der Regierung ein solches Gesetz, damit der Zugang zu Informationen garantiert sei und Medien ihre Kontrollfunktion erfüllen könnten.
Mit derartigen Vorschlägen, die es JournalistInnen erleichtern würden, ihrer „Watchdog“-Aufgabe nachzukommen, stieße er bei PolitkerInnen seit Jahren auf taube Ohren, erzählt Bauer. „Politiker haben immer nur Angst, dass wir sie nur durch den Kakao ziehen wollen.“