Macron und die Zwei-Klassen-Hochschule
Im September 2017 spricht Emmanuel Macron an der Sorbonne in Paris. In der viel beachteten Rede skizziert Macron unter der Beifallsbekundung der Vertreter_innen aus Politik und Wirtschaft seine Vision für eine Welt, die er im Umbruch sieht. Von Klimapolitik und globalisierter Wirtschaft sowie den Herausforderungen der Digitalisierung ist dort die Rede. Die Antworten, die er auf diese Fragen präsen- tiert, schlagen die üblichen Klänge der neoliberalen Ideenwelt an – sie sind somit nicht neu, tönen aber von vermeintlichem Fortschritt und liberaler Ethik – auch im Bereich der Hochschulbildung. Macron spricht zum ersten Mal von einer Europäischen Uni- versität. Und zündet damit ein Feuer. Deshalb ist es sinnvoll sich genauer anzusehen, was aus seiner Idee einer Europäischen Elite Universität geworden ist – denn ihre Auswirkungen sind nur allzu vorhersehbar.
Macron ließ in seiner Rede verlautbaren: „I thus want a European Intelligence Academy to be crea- ted, to strengthen the ties between our countries through training and exchanges.“1 Warum diese Anstrengung? Eine Deutung wäre, dass durch den Brexit Europa mit Oxford und Cambridge zwei ausgewiesene akademische Standpunkte verlieren würde und man dem eine exzellente Europäische Universität entgegen hält. Denn schon 1999 vor genau 20 Jahren verständigten sich die Minister_in- nen in Bologna zur absoluten Wettbewerbsfähigkeit des sogenannten Europäischen Hochschulraumes: „Insbesondere müssen wir uns mit dem Ziel der Ver- besserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems befassen.“2 Doch was in der Rede Macrons als eine Europäische Universität geplant war, ist von der Europäischen Kommission im Zuge des Vorhabens der European Education Area (EEA) gleich zu einem ganzen Netz- werk aus Europäischen Unis gemacht worden. Denn die Europäische Kommission nahm den Vorschlag Macrons mit Kusshand, um etwas durchzusetzen, das zwar so ähnlich wie der Bolognaprozess ist, aber aber weit aus elitärer und den Zugang zu Hochschu- len weiter massiv beschränkt wird.
Was nach Interkulturalität klingt, ist eine europäi- sche Exzellenzinitative, die ein Elitenetzwerk schaf- fen soll. Denn gefördert werden sollen nur wenige ausgewählte Universitäten. Das erklärte Ziel der europäischen Kommission ist dabei den EU-Raum im Feld der Higher Education nicht nur fitter zu ma- chen, sondern zum besten Hochschulraum weltweit. Dem zugrundeliegend ist ein von Wettbewerb und Verwertungslogik durchsetztes Bildungsverständnis, wie es bereits seit 20 Jahren an den europäischen Hochschulen praktiziert wird.
Elitenetzwerk getarnt als europäische Universität?
Die EU Kommission hat in einer Ausschreibung festgehalten, wie eine Koope- ration von Hochschulen genau aussehen muss, um eine „European University Alliance“ zu sein. Die erste Ausschreibung um als Netzwerk gefördert zu werden, wurde 2018 veröffentlicht. Bei der Europä- ischen Kommission heißt es, dass transnationale Al- lianzen, europäische Werte und Identität gefördert und die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der eu- ropäischen Hochschulbildung revolutioniert werden sollen. Und zwar nach dem Prinzip, dass ein solches Netzwerks aus Universitäten bestehen soll, die einen ausgewogenen geografischen Bereich abdecken und eine gemeinsame Strategie zur Exzellenz, Nach- haltigkeit und europäischen Werten entwickeln.
Für Studierende soll es vielfältige Programme und Mobilität auf allen Studienstufen geben. Interdis- ziplinarität zwischen Studierenden, Forschenden und Lehrenden der Universitäten sollen so ebenfalls entstehen. Ein Netzwerk besteht mindestens aus vier Universitäten, die einen engen Austausch unterein- ander pflegen, die sich durch besonders hohe Quali- tät auszeichnen und einen europäischen Wertekodex wahren. Klingt nun nicht verkehrt, doch schaut man in die Konditionen ergibt sich ein anderes Bild. Vor allem vor dem Hintergrund eines breiten Hochschul- raumes.
Zur Ausschreibung – Wer wird zu welchen Konditionen gefördert?
Zur Umsetzung dieser illustren Pläne, muss aber na- türlich über Geld gesprochen werden. Für die erste Förderrunde wird von der Europäischen Kommission für den Zeitraum 2019 bis 2021 ein Gesamtbudget von rund 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Doch woher kommt das Geld? Dieses Geld wird aus dem Erasmus+ Topf der EU entnommen, einem Topf der für die Breitenförderung von kulturellem und wissenschaftlichem Austausch für Studierende, insbesondere für die Ermöglichung von Mobilität an Hochschulen im Ausland gedacht ist. Zwar ist geplant diesen zu verdreifachen, eine gleichwertige Erasmus- förderung und eine European University Network Förderung sind mit einer Verdreifachung nicht zu tilgen. Gefördert werden zwischen 20 bis 40 Univer- sitäten mit bis zu 60 Millionen Euro. Das scheint im ersten Moment wenig Geld zu sein, soll aber nach der Pilotphase erhöht werden. Zudem haben Bildungsmi- nisterien von EU-Mitgliedstaaten, wie Deutschland oder Frankreich bereits angekündigt zusätzlich Geld in Millionenhöhe in das Projekt zu geben.
Reichenförderung und Verlust der studentischen Mitbestimmung.
Doch die erste Ausschreibung bringt eine Reihe an Proble- men mit sich. Neben Universitäten und öffentlichen Forschungsinstituten sollen zum Beispiel auch privatwirtschaftliche Forschungszentren gefördert werden, was aus sozialer Sicht nur eine weitere Verschiebung der finanziellen Ungleichheit der aka- demischen Landschaft darstellen würde. Denn dabei geht es nicht nur allein um Drittmittelfinanzierung, sondern ganze privatwirtschaftlich agierende For- schungsunternehmen können gefördert werden. Das beeinträchtigt also wissenschaftliche Freiheiten und verquickt Wirtschaft und Bildung noch Verstärkter. Bildung als öffentliches Gut? Fehlanzeige!
Auch Errungenschaften, die über lange Zeit erst erkämpft werden mussten und die immer wieder in Gefahr sind revidiert zu werden, wie etwa demokra- tische Beteiligung von Studentinnen und Studenten in universitären Entscheidungsprozessen, die Si- cherstellung von adäquaten Arbeitsbedingungen der Angestellten der Hochschulen und das Bekenntnis zur Förderung von Studierenden aus einkommens- schwächeren Haushalten, um eine bessere soziale Durchmischung an den Hochschulen zu erreichen, sind in den Bedingungen nicht zu finden.
Weder müssen die europäischen Universitäten de- mokratisch ausgerichtet sein, noch muss bei ihnen sichergestellt werden, dass es keine Studiengebüh- ren gibt. Somit hängt es immer davon ab, ob es in dem Land in dem ein Student oder eine Studentin eingeschrieben ist Studiengebühren gibt. Für den engen internationalen Austausch, den die Hoch- schulen anstreben, wird ein Ausschluss von Studie- renden durch Studiengebühren durch einige Länder also billigend in Kauf genommen. Unter der Frage, “What will this action support?”, werden zwar fi- nanzielle Unterstützungen hinsichtlich des Manage- ments angeboten, kein Wort wird aber zur studenti- schen Selbstverwaltung verloren. Eine Entwicklung, die zumindest nachdenklich stimmt.
Hochschulen im „Ostblock“ werden nicht gefördert.
Hinsichtlich der angestreb- ten hohen Rate des Austauschs von 50 Prozent von Studierenden und Lehr- und Forschungspersonal die an verschiedenen Orten studieren sollen, sogenann- te Out-Goings, wird jedoch nicht genug Geld zur Verfügung gestellt um einen Auslandsaufenthalt finanziell zu garantieren. Darauf jedoch hat die EU- Kommission bereits eine Antwort gefunden, denn „Mobility“ kann auch virtuell sein. Studierenden, die das nötige Kleingeld haben, wird die Möglichkeit gegeben an vier Universitäten zu studieren. Studie- renden die nicht im Geld schwimmen, dürfen dann „virtuell“ mobil sein, und sich online Vorlesungen aus Paris, Warschau und Madrid anschauen.
Die Ausschreibung begünstigt gut finanzierte und wohlhabende Institutionen in Ballungsräumen,
die leichter auf Projekt- oder Forschungsfinanzie- rung zugreifen zu können. Fachhochschulen oder Hochschulen aus der Peripherie werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht Teil des Netzwerks wer- den. Auch die regionale Balance im europäischen Kontext, die der Aufruf vorsieht, steht auf tönernen Füßen. Denn während die europäische Hochschul- landschaft in Westeuropa in drei Regionen unterteilt wird, wird der gesamte Osten in den sogenannten Mittel- und Osteuropa-Block zusammengefasst. Um die von der Kommission avisierte Balance zwischen den Regionen herzustellen, reicht es nach aktuellem Stand also aus, nur eine Universität aus dem ehema- ligen Ostblock und alle anderen aus Westeuropa zu haben.
In welches Europa der Zukunft führt die Initiative?
Die Pläne der EU- Kommission bieten also erheblichen Grund zur Kritik. Sie zementieren ideologisch die neoliberale
Politik der Elitenförderung und tragen zur weiteren Öffnung der sozialen Schere – zwischen Arm und Reich – bei. Nicht nur durch Förderung derer, die es am wenigsten notwendig haben, sondern auch durch eine erneute Bevorzugung der westeuro- päischen Länder. Gerade im Kontext eines Euro- pas das mit einem immer stärkerem Rechtsruck konfrontiert ist, ist es alarmierend, nicht über die Bildungspolitik Brücken zu bauen, sondern eine paternalistische Bevorzugung der EU-Mitgliedslän- der voranzutreiben und damit den europäischen Hochschulraum aus dem Blick zu verlieren. Somit wird ein Auseinanderdriften Europas eher befeuert als gehemmt. In Zeiten eines instabilen und desola- ten Europas, in Zeiten von Brexit und Co wird aktiv eine Bildungspolitik der Entsolidarisierung und der Eliten betrieben. Es ist große Vorsicht geboten, wenn die europäische Hochschullandschaft statt auf Breitenförderung und demokratische Teilhabe, in Zukunft noch stärker auf Wettbewerb und öko- nomischer Verwertung setzt.
Nathalie Schäfer ist seit zwei Jahren beim fzs (dem deutschen Pendant zur Österreichischen Hochschüler_ innenschaft) sowie auf europäischer Ebene im Board der European Students Union ESU aktiv.
Sebastian Berger ist ehemaliger Studierendenvetreter der Österreichischen Hochschüler_innenschaft und derzeit Vorstandsmitglied der European Students Union ESU.
1 http://international.blogs.ouest-france.fr/archi- ve/2017/09/29/macron-sorbonne-verbatim-euro- pe-18583.html
2 https://www.bmbf.de/files/bologna_deu.pdf