Redaktion

Als Familie gut aufgestellt?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Familienaufstellung als eine Methode der Systematischen Psychotherapie findet zunehmend AnhängerInnen. Doch diese Kurzzeittherapie stößt auch auf Kritik, welche vor der Vorgangsweise warnt. Ein Erfahrungsbericht.

Die Familienaufstellung als eine Methode der Systematischen Psychotherapie findet zunehmend AnhängerInnen. Doch diese Kurzzeittherapie stößt auch auf Kritik, welche vor der Vorgangsweise warnt. Ein Erfahrungsbericht.

Sanfte Töne erfüllen den lichtdurchfluteten Raum, in dem sich an diesem Samstagmorgen ein Dutzend Menschen eingefunden hat. In der Mitte stehen, scheinbar willkürlich aufgestellt, fünf Personen. Um diese herum sitzen in einem Stuhlkreis weitere Menschen und schauen gebannt auf das, was sich in diesem Moment abspielt.
Wir befinden uns inmitten eines Seminars zur Familienaufstellung. Vor einiger Zeit hatte mir eine begeisterte Freundin von dieser Therapiemethode erzählt und gefragt, ob ich sie zum ersten Seminartermin begleiten könne, da sie sich diesen Schritt alleine nicht trauen würde. Ich war wenig begeistert von dieser Idee, doch wollte ich meine Freundin nicht im Stich lassen.

Das Konzept. Im Rahmen der Familienaufstellung sollen fremde Personen die eigenen Familienmitglieder repräsentieren und dadurch Unstimmigkeiten und Probleme innerhalb des eigenen familiären Systems sichtbar machen. Vor allem Bert Hellinger gilt als einer der umstrittenen Vertreter dieser Therapieform. Sobald ich anfing, mich über dieses Thema näher zu informieren, stieß ich auf kritische Gegenstimmen, die vor der Methode warnten. Sie sei „gefährlicher Hokuspokus“, praktiziert von fachlich mangelhaft ausgebildeten Personen, die sich selbst dem Esoterik-Bereich verschrieben haben. Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen?
Da stand ich nun, inmitten des Stuhlkreises, elf Augenpaare auf mich gerichtet. Ich fühlte mich unwohl. Direkt vor mir stand eine Frau und schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an. Zuvor hatte sie dem Gruppenleiter ihr Anliegen geschildert: Sie hatte keine Lust mehr mit ihrem Mann zu schlafen und machte sich deswegen unglaubliche Vorwürfe. Ihre Ehe war im Begriff zu zerbrechen. Einen Grund für ihre Unlust kannte sie nicht genau. Im kurzen Vorgespräch mit dem „Therapeuten“ kam heraus, dass sie als dreijähriges Kind von ihrem Vater sexuell missbraucht worden war. Vor dem Hintergrund dieser Information sollte sie nun aus den anwesenden Personen diejenigen raussuchen, die ihrer Meinung nach als so genannte StellvertreterInnen eingesetzt werden konnten und wesentliche Personen oder Emotionen verkörperten. Scheinbar zielgerichtet steuerte sie auf einen jungen Mann zu, der die Sexualität repräsentieren sollte. Eine andere Person verkörperte die Liebe und eine dritte ihren Ehemann. Ich wurde ausgesucht, um das dreijährige Kind darzustellen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verfluchte ich meine Gutmütigkeit und hätte mir gewünscht, nie auf die Bitte meiner Freundin hin eingewilligt zu haben. Ein dreijähriges, missbrauchtes Kind zu verkörpern war alles andere als eine Wohltat und ebenso, in die Probleme anderer in einem so hohen Maße involviert zu werden. Die Aufstellerin schien dieses Unwohlsein jedoch nicht mit mir zu teilen. Auf einmal fiel sie mir um den Hals und fing bitter an zu weinen. Aus einer Ecke des Raumes hörte ich den Übungsleiter fast lautlos hauchen, dass sie nun „Frieden mit mir geschlossen habe“ und wir dies gemeinsam noch mit der Liebe, der Sexualität und letztendlich ihrem Ehemann machen sollten.

Was war passiert? Ich konnte es mir nicht erklären. Offensichtlich war in der Gefühlswelt der Person einiges vor sich gegangen. Sie hatte sich mit sich selbst, als Dreijährige, konfrontieren und den Tatsachen im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge sehen müssen. Doch wie ging es nach diesem Tag mit ihr weiter? Ihre gewohnten, alltäglichen Muster blieben ja die gleichen. Ihr Umfeld hatte sich nicht einfach dadurch geändert, dass sie sich eine Stunde lang in einer Art Crashkurs mit ihrer Geschichte auseinander gesetzt hatte. Ganz abgesehen von der ohnehin schon fehlenden Vorbetreuung, wurde sie daraufhin auch noch ohne Nachbetreuung in ihren Alltag entlassen, ohne die Chance zu haben, noch ausstehende Fragen oder später auftauchende Emotionen zu klären. Darüber hinaus hatte sie sich an diesem einen Seminartag noch die Probleme von vier anderen Personen anhören müssen, bei denen sie wiederum als Stellvertreterin eingesetzt wurde.
Am ehesten könnte diese Therapiemethode vielleicht noch im Rahmen einer laufenden Psychotherapie eingesetzt werden, bei der die oder der studierte TherapeutIn auch zugleich SeminarleiterIn der Familienaufstellung ist. Er oder sie hat die Vorgeschichte seines Patienten oder seiner Patientin vor Beginn des Seminars bereits näher kennen gelernt. Im Anschluss ist es ihm dann auch möglich, die gemachten Erfahrungen aufzuarbeiten. Die AufstellerInnen werden dadurch mit den eigenen seelischen Erschütterungen oder Unsicherheiten nicht einfach alleine gelassen, sondern hat die Möglichkeit, diese in einem kompetenten Rahmen weiter zu verfolgen.
Häufig übernehmen jedoch selbsternannte „TherapeutInnen“ die Leitung dieser Seminare. Sie müssen für eine teure Ausbildung lediglich die Bereitschaft mitbringen „sich mit sich selbst auseinander zu setzen und offen für neue Lösungsmöglichkeiten sein“. Ein jahrelanges, fundiertes Studium können sie dabei aber nicht vorweisen, weswegen diese Therapiemethode in der klinischen Psychologie auch nicht anerkannt ist. Für Rat suchende Laien stellen sie somit eine immense Gefahr dar, missbräuchlich Einfluss zu nehmen.
Ich selbst begab mich mit einem leichten Tagesrucksack, gepackt mit alltäglichen Problemchen, in dieses Experiment hinein und kam mit einem schweren Backpack, voll gestopft mit fremden Problemen, wieder heraus.

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