Oona Kroisleitner

„Liebe ist das Erstrebenswerte, Normalität ihr Schatten“

  • 06.11.2012, 01:50

Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.

Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.

progress: Normal Love, was ist für euch diese normale Liebe?

Inka Kamp: Ja, das ist doch auch die Frage. Ich finde, der Name ist so schön, weil er so offen ist. Ab dem Moment, wo man den Fokus auf die Normalität lenkt, wird es interessant. Weil das ist genau das, worüber man sonst nicht spricht. Man fragt sich, was ist die Norm, was ist normal oder normale Liebe.

progress: Wie kam es zu dem Namen Normal Love?

Inka Kamp: Er ist eine Referenz zu einem Film von Jack Smith aus den 1960er Jahren, der ebenfalls Normal Love hieß. In diesem Film ist sehr unklar, was Normalität ist.

progress: Wie kann man dem gesellschaftlichen Bild von Normalität entgegenwirken?

Pauline P: Das ist eine taktische Frage. Ich denke, man muss sich selbst fragen: Warum gibt es diese Normen, wie sehen diese aus und wie werden sie gemacht? Wer gehört zu dieser Norm und wer nicht? Manchmal ist es lustiger zu sagen, dass etwas, das nicht als eine Norm wahrgenommen wird, jetzt die Norm ist, anstatt sich selbst immer nur zu marginalisieren.

progress: Fließt das Spiel mit den Normen auch in euer Band-Konzept hinein?

Ben Kaan: Das ist einfach auch die Erfahrung, die wir jetzt mit unserem Namen gemacht haben. Ich denke, jede_r würde die eigenen Erfahrungen, die gemacht wurden, als normal setzen. Es gibt aber auch in Berlin gerade diesbezüglich einen kleinen Diskurs: Christiane Rösinger hat auch dieses Buch Liebe wird oft überbewertet herausgebracht und ist damit aufgetreten. Ich denke, Liebe mit einem Adjektiv wie normal zu paaren ist eine gewisse Provokation. Weil die Liebe ist ja gemeinhin das total Erstrebenswerte und die Normalität wird immer als ihr Schatten unter den Tisch gekehrt.
Die Leute reagieren eigentlich sehr positiv auf unseren Namen. Es ist ein Name, den jede und jeder für sich selbst interpretieren kann. Da wollen wir auch gar nicht zu viel vorgeben.

P: Das ist auch das, was interessant wird. Wenn man über Normalität spricht, wird es sehr offen. Wer kann sich damit identifizieren und wer nicht. Für uns ist dieser offene Name sehr schön.

progress: Was sind eure Einflüsse?

P: Wir haben unglaublich viele Einflüsse. Einerseits gibt es unsere Vorliebe für Discomusik und andererseits eben diese mit Indie-Elementen zu verbinden. Also so etwas wie Disco zu machen mit analogen Instrumenten, gefällt uns sehr gut. Dabei wollen wir auch unkonventionelle Songstrukturen haben wie zum Beispiel Zweigesänge, das ist sonst eher nicht so verbreitet. Aber auch feministische Bands haben uns beeinflusst.

B: Visuelle Faktoren spielen bei uns ebenso eine große Rolle. Inka, Pauline und ich haben auch viel mit Film zu tun. Wir haben beim Songwriting nicht immer nur die Musik im Kopf, sondern eben auch visuelle Elemente, die uns inspirieren. Viele Songs sind Szenen, die wir selber mit Kreuzberg, als Lebensmittelpunkt assoziieren. Das ist ja nicht nur eine musikalische Kultur, sondern da steckt das Konzept Popkultur dahinter. Gerade die beiden Ecken – elektronische Einflüsse und das, was wir analog machen, greift eben die beiden Schienen auf, wo wir uns nicht eindeutig für eine entscheiden wollen. Also auf der einen Seite die Club-Tradition mit der elektronischen Musik aus Berlin und gleichzeitig ein bisschen Kreuzberg mit seiner Kellerraumromantik und dem Punk.

P: Wir spielen auch in dem Proberaum, in dem Nina Hagen in den 1980er Jahren geprobt hat. Vielleicht gibt uns das auch ein bisschen Punk-Spirit.

progress: Ihr tretet auf queer-feministischen Festivals auf, was bedeutet Queer-Feminismus für euch?

P: Für mich war das schon immer wichtig in allen Sachen, die ich gemacht habe. Aber nicht nur Queer und Feminismus, sondern auch andere Politiken oder generell kritische Positionen zu beziehen. Feminismus ist immer essentiell gewesen für die Musik, die mir wichtig war. Ich denke nicht, dass ich in meiner eigenen Biografie einen Begriff von Musik oder Kunst von Feminismus trennen kann. Das heißt einerseits, Role-Models zu haben und sich auf eine Geschichte zu beziehen, die noch nicht so bekannt ist. Aber auch versuchen, diese sichtbar zu machen und in einer Diskussion mit anderen Frauen stehen. Das ist wichtig für die Band, auch wenn es nicht der einzige Kontext ist, in dem wir uns bewegen.

B: Soweit ich das erlebt habe, seit ich mit Pauline und Inka zusammen spiele und wir auch gemeinsam auftreten, ist Feminismus ein Begriff, den man nicht zu sehr verschlagworten sollte. Für uns ist wichtig, dass wir über diesen Zusammenhang auf Tuchfühlung gehen können mit anderen Leuten, die aktiv werden, wo wir dann wieder spielen können. Das ist so ein Ding, wo man sich einer gemeinsamen Sache verschreiben kann, ohne das endgültig zu beschreiben.

P: Ein wichtiger Aspekt für mich ist auch, dass ein großer Teil der Leute, für die ich eben Musik mache, Frauen sind. Das spielt für mich eine so große Rolle. Es gab so wichtige Frauen und ich sehe mich in einer Geschichte, einer Tradition. Ich möchte Sachen mitentscheiden, mitbestimmen und das eben auch weiter geben.

progress: Auf eurer Myspace-Seite findet man Fotos, die sehr mit Geschlechterrollen spielen, beispielsweise schminkt ihr euch gegenseitig alle mit Lippenstift, was hat es damit auf sich?

P: Bei diesem Bild ist vor allem lustig, dass nicht nur Ben, sondern auch Inka und ich normalerweise keinen Lippenstift tragen. Also sind wir alle so ein bisschen in Drag. Das fanden wir sehr lustig. Es ist ein Bild aus einem Film von Jack Smith, in dem  nur Männer das mit dem Lippenstift machen. Daraufhin dachten Inka und ich, dass wir beide auch in Drag gehen mit dem Lippenstift. Die Normalität wäre wohl, dass Männer das machen und darum machen wir das jetzt auch.

progress: Wie lässt sich eure politische Einstellung mit Party vereinbaren; ist das überhaupt notwendig?

P: Das ist sehr wichtig. Ich denke, das hat etwas mit Begehren zu tun. Es geht um Lust und darum, Sachen miteinander zu teilen. Und das geht nicht nur auf der Straße oder an der Uni, sondern auch in einem Partyraum. Das gehört zusammen.

B: Natürlich ist es eine Gratwanderung, aber wir wollen eben nicht auf diesen Unterhaltungsaspekt reduziert werden. Genauso wenig wollen wir, dass man jetzt bei all dem das vergisst, was als Stimmung oder Lust und Begehren passiert. Wie gesagt, eine Gratwanderung, aber es ist gut, dass man zwischen diesen beiden Ebenen hin und her wechseln kann. Man kennt das ja: Oft gibt es diese Metaebene nicht und dann ist es schön, auch mal unbewusst eben dort erwischt zu werden. In genau dem Moment, in dem klar ist: „Cool, ich kann also gleichzeitig tanzen und denken“. Vielleicht ist das ein bisschen arrogant. Aber darauf läuft es irgendwie hinaus, sich nicht ganz da drinnen zu verlieren aber sich schon gehen zu lassen.

Feuer und Flamme für Sprache

  • 06.11.2012, 01:31

Sookee, Quing of German Hip Hop, erzählt im Gespräch mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner von ihrer Faszination an Sprache, über Geschlechternormen und politisches Engagement.

Sookee, Quing of German Hip Hop, erzählt im Gespräch mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner von ihrer Faszination an Sprache, über Geschlechternormen und politisches Engagement.

progress: Woher kommt eigentlich dein Künstlerinnenname Sookee?

Sookee: Den hab ich in alten Graffiti-Zeiten gewählt. Ich war auf der Suche nach einem Namen, den man möglichst unterschiedlich schreiben kann. Bei Graffitis geht es ja darum, Buchstaben zu gestalten und dass es nicht immer das gleiche, sondern abwechslungsreich ist. Mein Wunsch war, unterschiedliche Schreibungen zu ermöglichen. „Sookee“ hab ich außerdem von dem Film „Die Hexen von Eastwick“ geklaut: Michelle Pfeiffer spielt dort eine Rolle, die heißt Suki. Graffiti war dann irgendwann für mich kein Thema mehr, aber der Name war da. 

progress: Wie empfindest du die Wechselwirkung von deinem akademischen Hintergrund und Hip Hop?

Sookee: Hip Hop ist eigentlich das Gegenteil von Universität, wo die Straße als Ort des Lernens inszeniert wird. Student_innenrap ist eher ein diffamierender Begriff für langweiliges unmännliches Zeug. Es ist also ein recht großes Spannungsfeld. Ich kriege oft die Rückmeldung, meine Texte wären zu schwierig und anspruchsvoll. Man kenne verschiedene Wörter nicht und die müsste man dann erst googlen. Das finde ich aber gar nicht schlimm, dafür gibt es ja so etwas wie Google. Du musst dich eben nicht erst an eine Uni setzen, um dich mit bestimmten Begriffen zu befassen. Du setzt dich hin, googlest die Scheiße und kriegst die Antwort ausgespuckt. Wenn du Bock hast, dann setzt du dich halt hin und lernst etwas dazu – oder eben nicht. Ich habe aber auch oft Workshops mit Kindern und Jugendlichen, wo ich gemerkt habe, dass das auch ein Gesprächsanlass ist.

progress: Wie sieht das aus?

Sookee: Zum Beispiel letztens in der Schule, in der ich seit drei Jahren arbeite (lacht), jetzt kommt eine Geschichte: Wir sind eine alternative Grundschule, so ein linkes Bildungsprojekt in Kreuzberg, wo die Leute von den Hausprojekten und vom Wagenplatz ihre Kinder hinschicken. Uns werden gerade die Räume gekündigt, darum haben wir uns an diese Kotti (Kottbuser Toor, Anm.) und Co. Initiative angeschlossen.  Es gab von der Initiative eine Demo, an der wir als Schule mit unseren kleinen Leuten teilgenommen haben. Im Vorfeld hab ich mit den Kindern das Positionspapier durchgenommen und eine grammatische Übung mit Lückentexten gemacht. Darin kam der Begriff „Solidarität bekunden“ vor. Ein Mädchen fragte mich: „Du sagst doch auch immer ‚Ich zeig mich solidarisch mit dem Regenbogen‘, ist das damit gemeint?“ Und da merkt man, dass es eben auch um diese Umwege geht, zu lernen. Das finde ich spannend. Ich google ja auch Sachen, die ich nicht verstehe. Letzten Endes schreibe ich meine Texte aber so wie ich will; und so kann ich das am besten. Die Uni hat mich verpflichtet, mich mit Sachen zu beschäftigen und das ist auch gut so.

progress: Du hast Gender Studies und Linguistik studiert …

Sookee: Die Studienwahl hat mich enorm politisiert, die Entscheidung für diese Fächer war total wichtig für mich. Sie hat mich verändert und noch ein Stück vorne geschubst. Das schlägt sich dann natürlich thematisch in meinen Texten nieder. Und wiederum komme ich mit den Inhalten, die ich an der Uni gelernt habe, zurück zu ihr mit meinen Vorträgen, die ich zu Gender und Pop-Kultur halte. Das ist also eine ziemlich große Wechselwirkung.

progress: Auf deinem zweiten Album findet sich der Track Qunig. Wie kam es zu diesem Konstrukt und was hat Quing für eine Bedeutung für dich?

Sookee: Quing habe ich aus der Notwendigkeit heraus entwickelt, dass ich nicht wusste, wie ich mich einordnen soll. Es gibt im Rap bestimmte Image-Angebote und Identifikationsfelder für Frauen, mit denen ich allen nicht glücklich war. Es gibt diese Schubladen, die schon vorgefertigt sind, in die Frauen reingeworfen werden: die Sisters, Bitches, Gangstagirls. Das war alles nicht meins. Da war für mich die Frage „was machst du jetzt?“ Du brauchst schon irgendwas, um dich mit einer Identität in diesem ganzen Feld auszustatten. Du brauchst irgendwas, auch für dich selbst zur Orientierung.

progress: Und wieso gerade Quing?

Sookee: Im Rap gibt es ganz royal diese Angewohnheit, sich mit King oder Queen auszustatten – auch im Namen. Es bot sich für mich an, das zu verschmelzen und die sprachliche Mitte zu wählen. Das ist eine schöne positive Irritation in Bezug auf Geschlechter und stellt meiner Meinung nach eine Öffnung her. Da war ich glücklich, dass das plötzlich durch Quing so einfach da war.

Es ist aber auch der Versuch, eine Möglichkeit für Hip-Hop-affine Leute, aber auch Leute in anderen Subkulturen, zu eröffnen einen Bezug haben, in dem sie sich wohl fühlen und ein Feld haben, in dem sie sich aufhalten können. Eine Referenz. Es geht darum, sich gegen Hierarchien und Normen zu wenden und in Frage zu stellen, wie denn alles zu sein hat. Es geht nicht nur um Antisexismus und gegen Homophobie, es geht auch um Körpernormen, Nationalität … es geht darum, sich ein bisschen im Dekonstruieren auszuprobieren. Neue Sachen für sich zu eröffnen und die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie halt erscheinen, sondern Gegenrealitäten zu schaffen.

progress: Und davon erzählt der Song?

Sookee: Der Track erzählt von verschiedenen Aspekten dessen. Aber auch zu sich selbst gut zu sein, sich selbst zu lieben. Du rennst halt ein ganzes Leben lang mit dir herum. Wenn dich irgendwer anderer nervt, kannst du sagen „Tschüss, ich bin raus. Alles Gute noch im Leben.“ Aber du bist ja immer da. Wenn man es schafft, sich gegen bestimmte Normen zu wehren und sich nicht mehr so sehr davon einnehmen zu lassen, ist das jedenfalls ein guter Schritt in Richtung Selbstanerkennung und bietet viel Entwicklungsfreiheit.

progress: Quing ist eine Sprachkreation von dir, auf deiner Homepage verwendest du geschlechtergerechte Sprache usw. Wie wichtig ist Sprache für dich, wie machtvoll ist sie? 

Sookee: Es ist der Wahnsinn, dass Menschen die Münder aufmachen und andere beginnen zu lachen, zu weinen oder nachzudenken. Ich finde es faszinierend, dass so etwas wie Kommunikation auf so vielen unterschiedlichen Levels stattfinden kann. Auch Gebärdensprache, ist für mich unglaublich spannend. Was Menschen alles auf die Reihe kriegen, um zu kommunizieren. Ich bin da Feuer und Flamme, ich könnte heulen. Ich stehe wie ein kleines Kind da und will davon ganz viel mitkriegen. Ich habe ein großes Vertrauen in Sprache und es ist Teil unseres sozialen Handelns, sonst würde es sich ja nicht so in unserer Realität auswirken. Ich muss manchmal darauf achten, dass ich auch nicht überreagiere, wenn Leute bestimmte Begriffe verwenden. Ich will auch keine Maulklappen verteilen. Ich fände es eben schön, wenn Menschen verstehen würden, warum mir das so wichtig ist und warum ich diese Begriffe nicht verwende. Weil ich auch nicht Teil dieser Reproduktion sein möchte, die wieder zu der Normalisierung von Konzepten und Ideologien und Menschenbildern wird. Auch was Gedanken sprachlich erfassen.

progress: Woher kommt das?

Sookee: Ich hab das schon als Kind immer gemocht, wenn Leute toll erzählen können. Meine Mutter ist eine großartige Erzählerin und sie hat nie eine Uni von innen gesehen. Der Bildungsweg wurde ihr in der DDR verbaut, weil sie nicht in der FDJ (Freie Deutsche Jugend, Anm.) war. Deswegen ist sie einfach in die Berufspraxis gegangen. Es braucht einfach keinen akademischen Background, damit Leute mit Sprache umgehen können. Ich habe das geliebt. In der Schule waren dann natürlich alle Fächer, die was mit Sprache zu tun hatten, meine liebsten. Ich habe sehr viel gelesen und geschrieben. Ich war auch immer so stolz, wenn ein Text oder ein Brief geglückt war.

progress: Du bist in der DDR geboren. Welchen Einfluss hatte der Realsozialismus auf dich?

Sookee: Meine Eltern waren in der DDR sogenannte Oppositionelle und die Kirche hat damals Leuten, die widerständig waren, einen Schutz geboten. Meine Eltern waren über die Kirche organisiert und mein Vater musste in den Knast, weil er den Dienst an der Waffe verweigert hat. Aus dieser Version des Sozialismus wollten meine Eltern dann auch fliehen vor der ganzen Repression, die dahinter stand; auch wenn es eine unglaublich traurige Geschichte ist, dass der Sozialismus an der Stelle nicht funktioniert hat. Irgendwann wurde unser Ausreiseantrag bestätigt und wir hatten 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen, oder mussten für immer dort bleiben. Ich war damals Zweieinhalb, ich hab nicht viel davon mitbekommen, aber das Thema schlägt sich dann natürlich im Familiengefüge nieder. Nur weil du weg bist, ist es ja noch nicht vorbei. Da hängt biografisch einfach viel zu viel dran. Darum war es auch ein hochpolitischer Teil meiner Familienbiografie, der auch mein politisches Bewusstsein relativ früh angefüttert hat. Dadurch, dass meine Eltern dann plötzlich demonstrieren gehen konnten bei der Volkszählung oder Öl-Krisen. Sie konnten dann viel öffentlicher über Politik reden, weil es machbar war und ich habe das als Kind schon mitbekommen und war auch auf relativ vielen Demos und hatte früh ein Verständnis davon, wie sich Politik anfühlt, selbst wenn man nicht Berufspolitiker_in ist. Dass der Sozialismus in der Form und an der Stelle so sehr gescheitert ist, ist halt Scheiße. Es bleibt eben noch Utopie.

progress: Wie lässt sich Politik mit Musik verbinden?

Sookee: Das klingt vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig, aber soziale Bewegungen waren immer mit Musik begleitet. Du musst ja auch beispielsweise auf einer Demo zwischen den Redebeiträgen mal Musik spielen. Wie andere auch kulturelle Produkte wie Film oder Fotografie oder Tanz  hat Musik einen gewissen Raum, um Inhalte rauszureichen. Diese können unbedarft sein und nur von der Feierei berichten oder sich einfach inhaltlich anders ausstatten. Und damit unterstützend in einen realpolitischen Bereich eingreifen. Ich glaube Musik ist eine gute Ergänzung. Ich könnte über diese ganzen Dinge auch Bücher schreiben, aber das ist mir viel zu aufwendig und das kann ich auch nicht so gut. Diese Songs sind Versuche, das was diskursiv gerade durch die Szene oder die Gesellschaft bewegt, einzufangen und in eine Dreieinhalb-Minuten Version zu verpacken. Es sind kleine Zusammenfassungen dessen, woran ich gerade herumgrübel.

progress: Und worüber grübelst du gerade?

Sookee: Auf der nächsten Veröffentlichung wird es einen Track geben, der sich mit Intersektionalität befasst. Das klingt total theoretisch, aber ich glaube, das ist möglich.
Ein Song auf dem aktuellen Album handelt von männlicher Dominanz in vermeidlich emanzipatorischen Szenen. Gerade dieser Song ist ein Beispiel, dass Leute mit ihrer konkreten Politik eine Unterstützung erhalten durch meine Songs. Ich habe ganz viele Rückmeldungen erhalten, dass sie durch meinen Song plötzlich darüber sprechen können, dass Frauen genervt sind, immer nur protokollieren zu müssen. Wo klar ist, Jungs haben in einer linken Politik bestimmte Aufgaben und Mädchen ebenso und es gibt ein Unbehagen darüber – das wurde lange hingenommen. Da gibt es dann schon einen Einfluss.

 

 

 

Theorie und Party

  • 30.10.2012, 17:51

Das queer-feministisches Musikfestival rampenfiber findet heuer zum dritten Mal statt. Progress hat die Organisatorinnen* getroffen, um mit ihnen über feministische Popkultur, queer feministische danger zones und das Magazin fiber zu sprechen.

Das queer-feministisches Musikfestival rampenfiber hat heuer zum dritten Mal stattgefunden. Progress hat die Organisatorinnen* getroffen, um mit ihnen über feministische Popkultur, queer feministische danger zones und das Magazin fiber zu sprechen.

progress: Wie ist es zum rampenfiber gekommen?

Angela: Das erste rampenfiber hat 2006 stattgefunden. Die Idee ist damals aus dem Zeitschriftenprojekt fiber heraus entstanden, um die zehnte Ausgabe zu feiern. Wir wollten nicht nur ein Fest mit einer Band oder Auflegen machen, sondern etwas Größeres. Auch um ein Gegengewicht zu den stark *männlich-dominierten Auflegereien und Bühnenauftritten zu schaffen. Das hat sich damals auch noch in der Formulierung sehr widergespiegelt: „*Frauen fördern“. Das war jedenfalls die Intention 2006.
Zum rampenfiber 2009 kam es dann, als alle den Organisations-Schock vom ersten überstanden hatten. Es gab damals fast jedes Jahr ein Ladyfest oder queer-feministische Tage und in diesem Jahr gab es einfach nichts. Das kam uns wie ein Loch vor, da konnte man gut ein queer-feministisches Fest organisieren – also warum nicht wieder rampenfiber.

progress: Das Programm war heuer international angelegt – Noblesse Oblige beispielsweise kam nur fürs rampenfiber den weiten Weg aus London nach Wien. Wie kam es dazu?

Katrin: Das war extra gewählt. Als wir überlegt haben, worum sich das Festival thematisch drehen soll, haben wir uns dazu entschlossen, dass Internationalisierung ein Schwerpunkt sein soll.

Angela: Die Grunddiskussion war, warum wir rampenfiber überhaupt noch machen. Wir haben überlegt, warum wir es politisch wichtig finden ein queer-feministisches Musikfestival zu machen und internationale Vernetzung war ein Punkt, den wir dieses Jahr angehen wollten.

progress: Auch im Bezug auf die Künstler_innen und Genres war es vielfältig…

Angela: Was wir bei rampenfiber versuchen, ist zu zeigen, dass gerade *Frauen sehr unterschiedliche Musik machen. Dass es eben nicht immer nur Gitarre mit netter Stimme auf einem Stuhl ist, wobei das ja auch großartig ist. Wir wollen zeigen, dass es ganz Unterschiedliches gibt an Musiksparten, Genres, und Performances und das ist  auch dieses Jahr so passiert.

progress: In Österreich gibt es kaum *weibliche Produzentinnen, würde die Musiklandschaft anders aussehen, wenn mehr *Frauen hinter der Musik stehen würden?

Katrin: Das setzt so viele Vorannahmen voraus, die schon vielleicht zu klischeehaft werden. Die Annahme, *Frauen würden *Frauen fördern, stimmt eben nicht immer. Da unterscheidet sich die Gruppe *Frauen innerhalb oft mehr als zu *Männern.

Katharina: Und dann auch noch in eine Richtung, die so anders als der Mainstream ist.

Angela: In Wien gibt es mittlerweile mehrere Labels, die von *Frauen betrieben werden. Dadurch gibt es meiner Meinung nach eine verstärkte queer-feministische Musikszene. Daraus kann man schon rückschließen, dass wenn sich *Frauen mehr an die Dinge wagen und Projekte aufziehen, sich das Musikbusiness verändert.

progress: Die Veranstaltungsorte waren nicht die typischen queer-feministischen Räume. Wie kam es zu der Auswahl?

Katharina: Wir wollten diese Räume bespielen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen und nicht immer in einem kleinen Raum zu bleiben. Das birgt aber auch Gefahren. Da muss man mit bestimmten Situationen rechnen, die wir eher nicht wünschen. Wie damit umgegangen wird, ist ein großes Thema bei uns.

Katrin: Das war auch schon 2009 so, da stand dann groß auf einem Transparent über dem Eingang „You’re entering a feminist danger zone“, dieses Jahr ist es erweitert um die queer-feminist danger zone. Es soll eine queer-feministische Raumnahme sein. Ein ganz bewusster Satz, dem wir uns  aussetzen. Zum Beispiel, indem wir mit den Securities Workshops machen und uns mit ihnen absprechen.

progress: Wie geht ihr mit sexistischen Übergriffen um?

Daniela: Das ist auch ein Grund, warum es die Securitytreffen gab. Wir haben uns diesmal mit positiv und negativ Beispielen vom letzten Mal befasst. Eine wichtige Aussage von uns ist eben, dass nicht nur körperliche Gewalt Gewalt ist, sondern dass auch durchaus das Gegenüber sagt: „Das passt nicht, es reicht“.

Angela: Wir griffen dabei aber nicht nur auf die Securities zurück, sondern hatten auch Helfer_innen, die vor Ort und auch ansprechbar waren, wenn unangenehme Situationen passieren oder Übergriffe stattfinden. Uns ist sehr wichtig, dass das nicht nur auf die Securities ausgelagert wird. Und Raumnahme meint in dem Fall, wie kann ich den Raum so gestalten, dass sich alle angenehm sind.

progress: Das rampenfiber entstand aus der  Zeitschrift fiber, die Popkultur aus einem feministischen Blickwinkel beleuchtet. Was ist die Geschichte von fiber?

Katrin: Es ist aus dem Verein nylon entstanden. Mittlerweile gibt es fiber seit zehn Jahren und zwanzig Ausgaben. Ziel ist Präsenz in einem sehr *männlich-dominierten Musikbiz im Magazinbereich zu schaffen.

Angela: Damals unter der blau-schwarzen Regierung war klar, dass man eine Öffentlichkeit schaffen muss, die feministisch Gesellschaft und Popkultur kommentiert.

progress: fiber hat den Untertitel Werkstoff für Feminismus und Popkultur. Was ist dieser Werkstoff?

Katrin: Die Grundidee bei allen, die dieses Magazin gemacht haben, war mehr zu sein, als etwas, das man konsumieren kann. Mit der fiber soll etwas gemacht werden – gewerkt werden. Zum Teil in der wortwörtlichen Bedeutung, dass beispielsweise Bauanleitungen für einen Lipstick-Vibrator mit drinnen sind. Zum anderen aber, dass es etwas ist, womit man sich auseinander setzen kann. Bewusst kontroverse Themen angehen. fiber ist immer genau das, was Menschen auch einschicken; seien es Artikel, Illustrationen, oder was auch immer.

Katharina: Auch im Sinne eines Do-It-Yourself-Gedankens. Popfeminismus oder Popkultur ist immer wieder eine Diskussion, die wir im fiber haben. Das ist ja für jede_n etwas anderes, aber das ist es nicht nur. Es geht uns um feministische Bildsprache.

Angela: Popkultur darf eben nicht nur auf Musik, Film und Fernsehen reduziert werden. Popkultur muss als Gesellschaftskommentar verstanden werden.

Katrin: Auch, dass feministische Kritik nicht nur auf hochgeistigen Metaebenen und abgeschlossenen Räumen stattfindet, sondern eine Alltagsgeschichte ist. Das Private ist nun mal politisch und das Politische ist privat.

Daniela: Was die Popkultur eben auch markiert, ist die Mischung aus Theorie und Party. Was auch für eine queer-feministische Szene sehr markant ist.

progress: Wer ist eure Zielgruppe?

Angela: Wir produzieren ein Heft und ein Festival für ein interessiertes Publikum, das dem Gedanken des Queer-Feminismus nahe steht. Aber wir versuchen mit diesem Projekt auch Leute zu erreichen, die sich vorher noch nicht damit auseinandergesetzt haben und ich glaube, dass das Heft auch sehr gut kann.

Katrin: Sprache und Bildsprache sind nicht zu unterschätzen. “Macht Welt schafft Welt macht Realitäten” ist eine Grundüberzeugung. Die Grundaussage ist jedenfalls, dass Sprache nicht etwas ist das „nur“ ist, sondern Sprache kreiert Wirklichkeit und in der Hinsicht nutzen wir sie. Beim rampenfiber gibt es von fiber auch einen Workshop zu feministischer Mediengestaltung. 

Die offizielle Fiber Webseite

Das Magazin fiber besteht aus einem festen Kollektiv. Der Einstieg ist jederzeit möglich.
Zum Mitmachen einfach ein Mail an kontakt@fibrig.net schreiben oder zu einer der offenen Redaktionssitzungen vorbeikommen.

„Geregelter Zugang in stark nachgefragten Fächern“

  • 05.10.2012, 16:42

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle versucht sich in Schweigen zu hüllen und sagt trotzdem, dass an Zugangsbeschränkungen für ihn grundsätzlich „in stark nachgefragten Fächern“ kein Weg vorbeiführe. Diese „Fremdselektion der Interessen von Studierenden“ sei ungerecht, kontert Martin Schott vom Vorsitzteam der ÖH im progress Streitgespräch. Oona Kroisleitner und Flora Eder moderierten.

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle versucht sich in Schweigen zu hüllen und sagt trotzdem, dass an Zugangsbeschränkungen für ihn grundsätzlich „in stark nachgefragten Fächern“ kein Weg vorbeiführe. Diese „Fremdselektion der Interessen von Studierenden“ sei ungerecht, kontert Martin Schott vom Vorsitzteam der ÖH im progress Streitgespräch. Oona Kroisleitner und Flora Eder moderierten.

progress: Durch das aktuelle ÖH-Gesetz ist eine Stimme bei den ÖH-Wahlen aus Leoben noch immer mehr Wert als eine Stimme von der KFU Graz. Minister Töchterle, die ÖVP strebt nach einem Mehr an Demokratie. Warum gilt das nicht für die ÖH?

Karlheinz Töchterle: Aus meiner Sicht ist die direkte Wahl der bundesweiten Vertretung der Studierenden sehr wohl möglich, wenn diese Position von allen Fraktionen getragen wird. Das wird sie aber offenbar nicht – und ich werde sie auch nicht gegen die stärkste Fraktion in der ÖH, die Aktionsgemeinschaft, durchsetzen. Vielleicht sehe ich das aber zu simpel oder einseitig.

progress: Martin Schott, warum ist für  die ÖH die Reform so wichtig?

Martin Schott: Der derzeitigen ÖH Koalition geht es hier um eine Grundfrage: Wird die ÖH demokratisch gewählt oder nicht? Jede Stimme, egal ob von Studierenden der Kunst Uni Linz oder der Uni Wien muss gleich viel wert sein.

Töchterle: Aber man muss schon sehen: Ich kann das nicht gegen die größte Fraktion machen. Deswegen lade ich alle Fraktionen zu einem Gespräch ein. Da werden wir weitersehen.

progress: Die Presse bezeichnete Sie, Minister Töchterle, in den letzten Tagen aus diesem Grund als „Handlanger“ der Aktionsgemeinschaft. Wie gehen Sie mit der Kritik um?

Töchterle: Das habe ich auch gelesen. Ich weise das zurück.

progress: Eben sagten Sie aber noch, es gibt keine Wahlrechtsreform, wenn die AG nicht zustimmt.

Töchterle: Ich entscheide das nicht gegen die größte Fraktion. Diese könnte genauso VSStÖ oder GRAS heißen: Wenn sie sagen, „Mit uns nicht“, dann wäre das genauso ein Grund, mir zu überlegen, ob ich das mache. Jetzt ist es zufällig die AG, deshalb bin ich aber nicht ihr Handlanger.

progress: In der „Presse“ von Donnerstag werden zusätzliche Zugangsbeschränkungen in den Fächern Architektur, Wirtschaftswissenschaften, Biologie und Pharmazie angekündigt. Ist das Ihr neuer Vorschlag, Herr Minister?

Töchterle: Ich habe das gegenüber der „Presse“ nicht angekündigt und halte mich auch weiterhin an die Vereinbarung mit dem Koalitionspartner, dass wir erst nach einer Einigung an die Öffentlichkeit treten. Nur so viel: Aufs Ganze gesehen soll es am Schluss nicht weniger Studienplätze geben. Das war der Wunsch von Andrea Kuntzl (Wissenschaftssprecherin der SPÖ, Anm.) und entspricht auch meinem Anliegen. Für Details ist es noch zu früh, die Gespräche laufen.

progress: Zugangsbeschränkungen sind also eine Option?

Töchterle: Ich hab immer gesagt, Universitäten müssen – so wie viele andere Einrichtungen – ihre Kapazitäten leben. Dazu stehe ich. Das ist für mich sowas von plausibel, dass ich überhaupt nicht weiß, wie man etwas anderes verlangen kann. Aber gut.

progress: Martin Schott, die ÖH ist da ja anderer Meinung...

Schott: Es ist schade, dass Verhandlungen zur Verbesserung der Studienbedingungen ohne die ÖH ablaufen. Denn wir hätten da einige Ideen. Und man würde definitiv ohne Zugangsbeschränkungen auskommen.

Töchterle: Das schaue ich mir an. Mit welchen Maßnahmen? Ich kenne Ihr Papier [An. der Red.: Forum Hochschule] – Eine Milliarde mehr. Wir brauchen aber gerade in stark nachgefragten Fächern einen geregelten Zugang.

Schott: Zugangsbeschränkungen sind eine Fremdselektion von Interessen. Dabei gibt es bereits jetzt eine gewisse Planungssicherheit durch die eigenen Interessen der Studierenden. Wir halten es für wichtig, dass Studierende ihr Studium frei wählen, die Berufswahl frei treffen und sich für jene Zukunft entscheiden können, die sie haben wollen.

Töchterle: Und ihre Vorstellungen wollen Sie in der ganzen EU durchsetzen?

Schott: Ja, warum nicht? Wir haben uns auf einen europäischen Bildungsraum geeinigt.

Töchterle: Gehen Sie dann nach Rumänien Studienberatung machen?

Schott: Das ist wohl nicht Aufgabe der ÖH. Aber dieser Weg der Fremdselektion von Interessen kann meiner Meinung nach nicht das Ziel eines Ministeriums oder einer Gesellschaft in Europa sein.

Töchterle: Was tun sie, wenn statt 25.000 jetzt 40.000 Studierende an die WU wollen?

Schott: Immer diese Horrorszenarien aufzubauen, find ich nicht in Ordnung.

Töchterle: Ihre Vorstellungen können Sie vielleicht in Österreich umsetzen. Vielleicht. Aber nicht in der EU.

Schott: Die Perspektive der EU so kurz zu setzen, finde ich nicht in Ordnung. Ich kann mir zwar vorstellen, dass es relativ schwierig sein wird, europaweit 27 Staaten auf ein einheitliches System zu bringen. Aber dennoch glaube ich, dass wir diese Perspektive haben.

progress: Ebenso am Donnerstag haben Sie, Minister Töchterle, in der Kleinen Zeitung gesagt, Sie fänden die geschlechtergetrennte Auswertung des EMS-Tests diskriminierend. Wieso musste die Med Uni Wien überhaupt zu diesem Verfahren greifen? Müsste nicht eher etwas am Test geändert werden?

Töchterle: Es liegt wohl nicht an dem Test – in der Schweiz gibt es den gleichen und er wirkt dort nicht geschlechterselektiv – sondern an der Ausbildung der Schülerinnen und Schüler. Sie kommen mit verschiedenen Voraussetzungen zu diesem Test.

Schott: Das sehe ich anders, auch der Test ist zu kritisieren. Aber ja, das Schulsystem ist in Österreich möglicherweise schon so aufgebaut, dass es von Anfang an diskriminiert und damit auch der EMS-Test geschlechterselektiv wirkt.

Töchterle: Ich würde eher sagen, es könnte sein, dass das österreichische Bildungssystem auf diesen Test hin nicht neutral ausbildet. Dass das Schulsystem insgesamt die Mädchen diskriminiert, würde ich nicht sagen. Es gibt auch einige Felder, wo Burschen diskriminiert werden. Beim EMS-Test wirkt es so, als ob Mädchen eine Benachteiligung gegenüber Burschen hätten.

progress: Und so lange die Ursachen im Schulsystem nicht behoben sind, halten Sie, Minister Töchterle, es für diskriminierend dem via Quoten entgegenzuwirken?

Töchterle: Ich sehe diese Auswertung problematisch. Ich versetze mich hier in die Situation der jungen Burschen, die diesen Test bewältigt haben, aber dann keinen Platz bekommen, weil sie durch eine Quotenregelungen gegenüber Mädchen, die schlechter abgeschnitten haben, zurückgestellt werden.

Schott: Ich frage mich, wie es den Frauen der letzten Jahre geht, die durch die Diskriminierung seitens des Schulsystems nicht das Studium ihrer Wahl aufnehmen konnten.

Töchterle: Wer die Prüfung besteht, hat doch das Recht auf einen Studienplatz. Und wer die Leistung nicht erbringt, nicht. Wo wir für Gerechtigkeit sorgen können, da sollten wir es tun. Und hier bin ich dafür, dass der, der die Leistung erbracht hat, auch dafür honoriert wird.

progress: Ist das auch aus der Sicht der ÖH ein fairer Ansatz?

Schott: Nein, ich bin dafür, dass man Diskriminierung überhaupt nicht zulässt. Warum sollte man Diskriminierung einfach bewusst fortsetzen?

Töchterle: Natürlich wäre das das Ideal. Sie sind für die ideale Welt, das wissen wir. Aber: Dass man die Burschen diskriminiert, nur weil sie Burschen sind, das ist keine Diskriminierung?

Schott: Gleichzeitig wirft man Frauen hinaus, nur weil sie Frauen sind.

Töchterle: Nein, die Mädchen haben die im Test geforderte Leistung anscheinend nicht erbracht.

progress: Martin Schott, es stehen die Klagen wegen der autonom eingehobenen Studiengebühren vor der Tür. Wenn der VFGH den Klagen stattgibt, würdesn Sie dann dem Minister empfehlen, den Berater zu wechseln?

Schott: Meiner Ansicht nach hätte man Nein zu Studiengebühren sagen und damit dem politischen Willen des Nationalrates folgen sollen, der ganz klar gesagt hat, dass er keine Studiengebühren will. Insofern wäre man anders besser beraten gewesen.

Töchterle: Professor Mayer ist Dekan der juridischen Fakultät in Wien und ein hoch angesehener Verfassungsrechtler. Da gibt’s nichts zu wechseln. Er ist der Ansicht, dass autonom eingehobene Studienbeiträge rechtskonform sind. Dieser Ansicht schließe ich mich an. Aber das Gesetz ist immer auch eine Interpretationsfrage.

progress: Der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Wien wurde soeben in Universitätsring umbenannt. Herr Töchterle, Sie sind Mitglied des Cartellverbands, in dessen Zeitung Academia nachzulesen ist, dass dieser Umstand dem CV nicht passt, weil Lueger ein angesehener Cartellbruder war. Wie stehen Sie persönlich zur Umbenennung des Luegerrings?

Töchterle: Universitätsring ist ein sehr treffender Name. Was man auch sehen muss: Dass man hier jemanden aus dem Gedächtnis streicht, weil er zur Persona non grata geworden ist. Das hat man in der Antike „damnatio memoriae“ genannt. Dort ist das Kennzeichen von sehr harter Macht gewesen. Das ist also eine durchaus ambivalente Sache. Lueger war auch antisemitisch. Ich weise daher auf die Ambivalenz hin.

Alleine und überfordert

  • 28.09.2012, 10:16

Die Belastung von Studierenden wächst: Konkurrenzdruck, Versagensängste und Konzentrationsschwierigkeiten gehören um Alltag im Unisystem. 2009 gaben 16 Prozent an, psychische Probleme und Ängste zu haben.

Die Belastung von Studierenden wächst: Konkurrenzdruck, Versagensängste und Konzentrationsschwierigkeiten gehören um Alltag im Unisystem. 2009 gaben 16 Prozent an, psychische Probleme und Ängste zu haben.

Drei Stunden pro Woche spricht Madeleine* mit einer Therapeutin über ihr Leben. In der Endphase ihres Studiums hat sie sich zum zweiten Mal dazu entschieden, in Therapie zu gehen. „Das Diplomarbeitschreiben war keine leichte Zeit – ich hatte großen Stress, fertig zu werden und habe mich oft alleine und überfordert gefühlt. Ich hatte den Eindruck, alle anderen wissen genau, was sie machen und ich komm einfach nicht weiter“, erzählt sie. Erstmals zu einer Therapie entschieden hatte sie sich schon während ihres Umzugs nach Wien zu Beginn ihres Studiums. Primäre Anlaufstelle war damals die Psychologische Studierendenberatung, die Studierenden in schwierigen Situationen Hilfe anbietet.

Therapie – ein Zeitfaktor. Das Beratungsrepertoire der Psychologischen Studierendenberatung in Wien ist breit gefächert; es umfasst Einzelberatungen, Workshops, oder auch Lerngruppen. Denn die Probleme der Studierenden sind vielfältig: Fragen zu Studienwechsel, Lernstrategien, oder auch Prüfungsängste sind häufige Themen in der Beratung. Rund 40 Prozent und damit der Großteil der 15.000 Studierenden, die jährlich eine Beratung in Anspruch nehmen, kommen jedoch wegen psychischer Probleme und Krankheiten. Dazu gehören unter anderem generalisierte Ängste, Depressionen oder auch Zwänge. Die im Studium auftretenden Krisen haben oft mit der individuellen Vorgeschichte der Betroffenen zu tun. „Menschen, die sehr ängstlich sind, haben auch eher mit Prüfungen zu kämpfen“, erklärt Kathrin Wodraschke, stellvertretende Leiterin der Psychologischen Studierendenberatung Wien. Stellt sich bei einem  Erstgespräch heraus, dass eine Therapie hilfreich wäre, versuchen die Berater_innen an eine Therapeut_in zu vermitteln. Die Hemmschwelle, nicht nur eine unverbindliche Beratung in Anspruch zu nehmen, sondern eine Therapie zu beginnen, ist meist jedoch deutlich höher. Schon aus Zeitgründen stellen  regelmäßige Therapiesitzungen für viele eine Schwierigkeit dar. „Die Therapie beeinflusst eben auch das Studium: Ich hatte zwei oder drei Mal in der Woche einen fixen Termin, da können keine Lehrveranstaltungen besucht werden – dann ist Therapie und die kann nicht verschoben werden”, erinnert sich Madeleine.

Auch die verschärften Studienbedingungen, etwa durch die Implementierung der Studieneingangs- und Orientierungsphase, an der viele scheitern, spielen oft eine Rolle bei den Beratungen: „Das System wird als belastend erlebt, das ist auch bei uns immer wieder ein Thema", meint Wodraschke. Für Madeleine war die Therapie eine Stütze, die ihr auch durch das System Uni geholfen hat: „Dort wird dann besprochen, was das Studium für eine_n bedeutet, wie man  sich die Zeit einteilt, einfach wie man mit dem ganzen Stress umgeht und woher der Stress überhaupt kommt. Die gesamten Unsicherheiten vor der Diplomarbeit konnte ich dort bereden.“ Gerade in geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien werden die fehlenden Berufsbilder immer wieder zum Problem für Studierende, aber auch die verstärkt geforderte Selbstorganisation. Deshalb will die Studierendenberatung vor allem auch den Austausch zwischen Studierenden fördern – in Form von Lern- und Peergruppen, in denen sich  Studierende gegenseitig unterstützen können. „Wenn man sich heute nicht an der Uni vernetzt, ist es schwierig“, so Wodraschke.

Therapie – ein Tabu? Mit ihrer Therapie ist Madeleine immer sehr offen umgegangen. Diskussionen mit Bekannten waren für sie spannend und nie einTabu: „Ich glaube es kommt da ganz auf den Kontext an, aber gerade im Studierendenmillieu muss man das schon einmal gemacht haben. Einmal eine psychische Krise gehört fast zum guten Ton“, scherzt sie. „Den Studienkoleg_innen bindet man das aber dann natürlich nicht auf die Nase.“ Der Umgang mit dem Thema Therapie sei allerdings nicht für alle so einfach und für viele noch immer negativ behaftet, sagt Wodraschke: „Man redet zwar  mittlerweile über Therapie, aber wirklich zu jemandem zu gehen und sich Hilfe zu suchen, ist noch immer ein großer Schritt."

Finanzielle Hürden. Die Therapie ist aber oft nicht nur ein Tabu, sondern für viele Studierende aufgrund der hohen Kosten nur schwer realisierbar. In der Regel kostet eine Psychotherapie zwischen 80 und 120 Euro pro fünzig Minuten – für Studierende eine enorme Summe. Manche Therapeut_innen bieten niedrigere Preise für Studierende, fixe Ermäßigungen gibt es aber nicht. Es existieren zwar Kassenplätze, bei denen die Finanzierung der Therapie ganz übernommen wird. Diese sind aufgrund mangelnder Kapazitäten aber sehr schwer zu bekommen. „Ich hatte das Problem, dass ich eine Liste mit Kassenärzt_innen durchgerufen habe, die hatten aber alle keine Plätze mehr“, erzählt Madeleine. Die Kosten von 50 Euro pro Sitzung musste in ihrem Fall anfangs die Familie übernehmen. Heute hat sie einen ausfinanzierten  Kassenplatz für zwei Stunden pro Woche, den Rest bezahlt sie aus ihrer eigenen Tasche: „Der finanzielle Faktor macht es meiner Meinung nach eindeutig schwerer, sich auf eine Therapie einzulassen – schließlich passt es dann auch einfach nicht mit jeder Therapeut_in.“

Hinzu kommen die aktuellen Kürzungen der Wiener Gebietskrankenkasse, die bis Februar 2013 Neuanträge gestoppt hat. Psychoanalysen sollen zudem zukünftig gar nicht mehr finanziert werden. Der Anspruch auf einen Zuschuss von der Krankenkasse und dessen Höhe hängen also stark davon ab, wo und über wen man versichert ist. Zustände, die die Situation für Hilfesuchende noch zusätzlich erschweren.

*Name von der Redaktion geändert

Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin

  • 28.09.2012, 10:00

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Zwei Jahre Haft lautet das Urteil, das Richterin Marina Syrowa Mitte August über die Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch verhängt hat. Die Riot Grrlz wurden durch ihre Verhaftung nach einem „Punkgebet“ in der orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus weltweit berühmt. „Rowdytum“und „religiöse Hetze“ lautete die Anklage gegen die drei Frauen – den wahren Grund sehen viele jedoch in der Anti-Putin-Politik der Pussy Riots: Seit Oktober 2011 war die Gruppe im Vorfeld der russischen Präsident_innenschaftswahlen aktiv und äußerte in zahlreichen Auftritten Kritik an Vladimir Putin.

Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin. „Das politische Engagement gegen Putin wächst in Russland immer stärker. Mehr und mehr junge Leute werden in der Bewegung aktiv. Sie wollen die Politik beeinflussen und faire Wahlprozesse“, erzählt Olga Vlasova von der Russischen Demokratischen Partei. Der Prozess gegen Pussy Riot ist für die 26jährige Politikwissenschafterin eine reine Machtdemonstration, die Anklage an den Haaren herbeigezogen: „Die Aktion von Pussy Riot war sehr politisch, sie hatte aber nichts mit Religion zu tun. Der Ort wurde lediglich gewählt, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erregen.“ Vlasova ist überzeugt, dass genauso wie die Hauptaussage der Aktion – Mutter Gottes, verjage Putin – auch der Prozess „ein reines Politikum“ sei.

Das Delikt „Rowdytum“ behandelt das russische Gesetz in zweierlei Hinsicht: Einerseits als Verwaltungsübertretung, wenn keine Sach- oder Personenschäden verursacht wurden – mit einem Höchststrafmaß von 15 Tagen Gefängnis; andererseits, wenn Menschen verletzt werden, oder Dinge zerstört werden, im strafrechtlichen Sinne. „Es mag sein, dass öffentlicher lautstarker Protest und provokatives Verhalten unter ‚Rowdytum‘ fallen, aber in diesem Fall ist es dennoch noch ein großer Schritt zu gewalttätigem, zerstörerischem Auftreten. Auch Blasphemie ist meiner Meinung nach etwas anderes“, meint Paula Sonnraum, die seit letztem November in Russland arbeitet und hier lieber mit geändertem Namen erwähnt sein möchte. Die Tirolerin war selbst im Gerichtssaal anwesend und verfolgte das Geschehen. „Der Prozesstag an sich ist eigentlich sehr ruhig verlaufen. Aber als ein Aufmüpfiger unter den Zuhörer_innen Kritik äußerte, wurde er letztlich unsanft aus dem Gerichtssaal gebracht“, erinnert sie sich an die Verhandlung Mitte August.

Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung. Immer mehr russische Staatsbürger_innen schließen sich derzeit wieder der orthodoxen Kirche an – Religion ist in. „Viele haben hier einen ganz anderen Zugang zu ihrem Glauben als beispielsweise in Österreich, weil dieser während der Sowjetunion lange Zeit verboten war. Ich habe mehrere Freund_innen, die sich erst im Erwachsenenalter taufen gelassen haben”, erzählt Sonnraum. Dieser Zustrom und die damit einhergehende steigende Relevanz der Kirche waren auch im Prozess gegen Pussy Riot zu spüren. „Der Kreml versucht schon lange, die Kirche für politische Zwecke zu missbrauchen, ihr Einfluss wächst in Russland immer mehr. Ich denke, auch Pussy Riot hat das verstanden und hat daher diesen bestimmten Ort für ihre Aktion gewählt“, sagt Vlasova. Putin könne die Band nicht einfach gehen lassen, weil ihre Aktion „die beiden heiligsten Institutionen in Russland“ angegriffen hat: „Den Kreml selbst und die Kirche.“ „In Russland gilt zwar die Trennung von Staat und Kirche. Letztere ist jedoch ein riesiger Machtfaktor in der Russischen Föderation. Eine enge Beziehung zwischen Kirche und Kreml kann nicht geleugnet werden“, bestätigt auch Sonnraum. Gerade die streng orthodox Gläubigen setzten sich für eine strenge Verurteilung der Sängerinnen und ein hohes Strafmaß ein.

Das Verfahren gegen die Punkband hat die russische Bevölkerung gespalten – entweder war man für oder gegen Pussy Riot. „Es gibt viele extreme Orthodoxe und das war ihre Gelegenheit, aus ihren Schatten zu treten. Ich selbst bin gläubig, aber Pussy Riot hat meiner Meinung nach im strafrechtlichen Sinn keine Gesetze gebrochen, also sollten sie auch nicht vor Gericht stehen“, so Vlasova.

Das Gespenst der Freiheit im Himmel. Während in Russland dieses Thema betreffend also keine Einigkeit herrscht, stehen im Ausland Solidaritätsbekundungen und mediales Entsetzen an der Tagesordnung. Kaum eine internationale Zeitung hat in den letzten Monaten nicht über die maskierten Gegnerinnen von Putin berichtet, in Deutschland und Österreich wurden in Kirchen Free-Pussy-Riot-Aktionen abgehalten, zahlreiche Stars und Sternchen stellen sich auf die Seite der inhaftierten Frauen. Und auch im Social-Media-Bereich haben die Proteste gegen Putin Einzug genommen: Profilbilder werden mit Sturmmasken in allen Farben des Regenbogens versehen, Liedtexte und Bilder des Pussy-Riot-Auftritts werden täglich getwittert und das Online-Spiel Angry Birds wird zu Angry Kremlins.

„Das Medienecho hat jedenfalls Einfluss auf die Situation hier, es geht nicht mehr nur um einen Prozess gegen Sängerinnen, die sich nicht adäquat verhalten haben, es ist viel mehr daraus geworden“, meint Sonnraum. Die 28-jährige sieht in den Reaktionen auf das Verfahren gegen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch jedenfalls eine Stärkung der Regierungskritiker_innen: „Ich denke, dass der Prozess Leute motiviert, etwas zu tun, er ist ein weiterer Tropfen, in einem Fass, das bald überlaufen könnte, der Putins Gegner_innen Recht gibt und sie aufstachelt. Es ist doch ein Armutszeugnis, sich mit solchen Methoden an der Macht zu halten.“

Die Überschrift und alle folgenden Zwischenüberschriften sind Zitate aus dem „Punkgebet “, für welches Pussy Riot angeklagt und verurteilt wurde.

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Zwei Jahre Haft lautet das Urteil, das Richterin Marina Syrowa Mitte August über die Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch verhängt hat. Die Riot Grrlz wurden durch ihre Verhaftung nach einem „Punkgebet“ in der orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus weltweit berühmt. „Rowdytum“und „religiöse Hetze“ lautete die Anklage gegen die drei Frauen – den wahren Grund sehen viele jedoch in der Anti-Putin-Politik der Pussy Riots: Seit Oktober 2011 war die Gruppe im Vorfeld der russischen Präsident_innenschaftswahlen aktiv und äußerte in zahlreichen Auftritten Kritik an Vladimir Putin.

Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin. „Das politische Engagement gegen Putin wächst in Russland immer stärker. Mehr und mehr junge Leute werden in der Bewegung aktiv. Sie wollen die Politik beeinflussen und faire Wahlprozesse“, erzählt Olga Vlasova von der Russischen Demokratischen Partei. Der Prozess gegen Pussy Riot ist für die 26jährige Politikwissenschafterin eine reine Machtdemonstration, die Anklage an den Haaren herbeigezogen: „Die Aktion von Pussy Riot war sehr politisch, sie hatte aber nichts mit Religion zu tun. Der Ort wurde lediglich gewählt, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erregen.“ Vlasova ist überzeugt, dass genauso wie die Hauptaussage der Aktion – Mutter Gottes, verjage Putin – auch der Prozess „ein reines Politikum“ sei.

Das Delikt „Rowdytum“ behandelt das russische Gesetz in zweierlei Hinsicht: Einerseits als Verwaltungsübertretung, wenn keine Sach- oder Personenschäden verursacht wurden – mit einem Höchststrafmaß von 15 Tagen Gefängnis; andererseits, wenn Menschen verletzt werden, oder Dinge zerstört werden, im strafrechtlichen Sinne. „Es mag sein, dass öffentlicher lautstarker Protest und provokatives Verhalten unter ‚Rowdytum‘ fallen, aber in diesem Fall ist es dennoch noch ein großer Schritt zu gewalttätigem, zerstörerischem Auftreten. Auch Blasphemie ist meiner Meinung nach etwas anderes“, meint Paula Sonnraum, die seit letztem November in Russland arbeitet und hier lieber mit geändertem Namen erwähnt sein möchte. Die Tirolerin war selbst im Gerichtssaal anwesend und verfolgte das Geschehen. „Der Prozesstag an sich ist eigentlich sehr ruhig verlaufen. Aber als ein Aufmüpfiger unter den Zuhörer_innen Kritik äußerte, wurde er letztlich unsanft aus dem Gerichtssaal gebracht“, erinnert sie sich an die Verhandlung Mitte August.

Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung. Immer mehr russische Staatsbürger_innen schließen sich derzeit wieder der orthodoxen Kirche an – Religion ist in. „Viele haben hier einen ganz anderen Zugang zu ihrem Glauben als beispielsweise in Österreich, weil dieser während der Sowjetunion lange Zeit verboten war. Ich habe mehrere Freund_innen, die sich erst im Erwachsenenalter taufen gelassen haben”, erzählt Sonnraum. Dieser Zustrom und die damit einhergehende steigende Relevanz der Kirche waren auch im Prozess gegen Pussy Riot zu spüren. „Der Kreml versucht schon lange, die Kirche für politische Zwecke zu missbrauchen, ihr Einfluss wächst in Russland immer mehr. Ich denke, auch Pussy Riot hat das verstanden und hat daher diesen bestimmten Ort für ihre Aktion gewählt“, sagt Vlasova. Putin könne die Band nicht einfach gehen lassen, weil ihre Aktion „die beiden heiligsten Institutionen in Russland“ angegriffen hat: „Den Kreml selbst und die Kirche.“ „In Russland gilt zwar die Trennung von Staat und Kirche. Letztere ist jedoch ein riesiger Machtfaktor in der Russischen Föderation. Eine enge Beziehung zwischen Kirche und Kreml kann nicht geleugnet werden“, bestätigt auch Sonnraum. Gerade die streng orthodox Gläubigen setzten sich für eine strenge Verurteilung der Sängerinnen und ein hohes Strafmaß ein.

Das Verfahren gegen die Punkband hat die russische Bevölkerung gespalten – entweder war man für oder gegen Pussy Riot. „Es gibt viele extreme Orthodoxe und das war ihre Gelegenheit, aus ihren Schatten zu treten. Ich selbst bin gläubig, aber Pussy Riot hat meiner Meinung nach im strafrechtlichen Sinn keine Gesetze gebrochen, also sollten sie auch nicht vor Gericht stehen“, so Vlasova.

Das Gespenst der Freiheit im Himmel. Während in Russland dieses Thema betreffend also keine Einigkeit herrscht, stehen im Ausland Solidaritätsbekundungen und mediales Entsetzen an der Tagesordnung. Kaum eine internationale Zeitung hat in den letzten Monaten nicht über die maskierten Gegnerinnen von Putin berichtet, in Deutschland und Österreich wurden in Kirchen Free-Pussy-Riot-Aktionen abgehalten, zahlreiche Stars und Sternchen stellen sich auf die Seite der inhaftierten Frauen. Und auch im Social-Media-Bereich haben die Proteste gegen Putin Einzug genommen: Profilbilder werden mit Sturmmasken in allen Farben des Regenbogens versehen, Liedtexte und Bilder des Pussy-Riot-Auftritts werden täglich getwittert und das Online-Spiel Angry Birds wird zu Angry Kremlins.

„Das Medienecho hat jedenfalls Einfluss auf die Situation hier, es geht nicht mehr nur um einen Prozess gegen Sängerinnen, die sich nicht adäquat verhalten haben, es ist viel mehr daraus geworden“, meint Sonnraum. Die 28-jährige sieht in den Reaktionen auf das Verfahren gegen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch jedenfalls eine Stärkung der Regierungskritiker_innen: „Ich denke, dass der Prozess Leute motiviert, etwas zu tun, er ist ein weiterer Tropfen, in einem Fass, das bald überlaufen könnte, der Putins Gegner_innen Recht gibt und sie aufstachelt. Es ist doch ein Armutszeugnis, sich mit solchen Methoden an der Macht zu halten.“

Die Überschrift und alle folgenden Zwischenüberschriften sind Zitate aus dem „Punkgebet “, für welches Pussy Riot angeklagt und verurteilt wurde.

Frischer Wind in die alten Talare

  • 19.09.2012, 16:13

Sie studierten 1968 und stellten die Uni auf den Kopf. Sie schlugen sich durch Männerdomänen und kämpften für #unibrennt. Drei Frauen und drei Unigenerationen im Porträt.

Sie studierten 1968 und stellten die Uni auf den Kopf. Sie schlugen sich durch Männerdomänen und kämpften für #unibrennt. Drei Frauen und drei Unigenerationen im Porträt.

Die Demos, die der Ring Freiheitlicher Studenten auf die Beine gestellt hat, waren gestopft voll. Und es sind alle alten Nazis mitgegangen.“ Die 66jährige Susanne Zanke (siehe Porträt) erinnert sich an ihre Studienzeit in den 1960ern am Institut für Theaterwissenschaften der Uni Wien. Sie selbst war oft auf Demonstrationen und selten zu Hause, auch um im Winter Heizkosten zu sparen. In ihrer Zeit als „68erin“ verbrachte sie viele Stunden auf der Straße und vor Fabriken, wo sie ihre Zeitung „Der Klassenkampf “ verteilte. Heute sitzt die Pensionistin in ihrer wohlgeheizten Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Umgeben von Büchern und Filmplakaten schwelgt die ehemalige Regisseurin in Erinnerungen an ihre Studienzeit. „Das war eine spannende Zeit. Ich möchte das nicht missen.“ Sie kann gar nicht aufhören zu erzählen. Als Susanne noch Studentin war, klebte der Muff des – von den NationalsozialistInnen ersehnten – Tausendjährigen Reiches unter den Talaren vieler Professoren: Unruhen und antisemitische Vorfälle standen an der Tagesordnung. Im Jahr 1965 erreichten diese ihren entlarvenden Höhepunkt. Auf einer Demonstration gegen den antisemitischen Professor Taras Borodajkewycz ermordete ein Mitglied des RFS den Antifaschisten und KZ-Überlebenden Ernst Kirchweger. Zanke war damals bei den Ausschreitungen vor der Albertina dabei.

Aber nicht nur nationalsozialistische Kontinuitäten gehörten zu ihrem Studienalltag: Als eine von rund 10.000 inskribierten Frauen bei rund 45.000 Studierenden in Österreich gehörte sie zu dem „übersehenen“ Viertel. Erst als in den 70ern die Hochschulen geöffnet, die Studiengebühren für österreichische StaatsbürgerInnen abgeschafft und das seit den 1960ern existierende Beihilfensystem ausgebaut wurde, stieg die Zahl der Studierenden kontinuierlich – von 1945 bis heute hat sie sich gar verhundertfacht: von 3500 auf 350.000. Und je offener die Unis wurden, umso mehr Frauen strömten an die Hochschulen. In den Jahren nach 1945 war Studieren aber vor allem eine Angelegenheit männlicher Kinder aus besserverdienendem Elternhaus. „Uns studierenden Frauen ist gesagt worden, wir würden nie einen Job finden“, erinnert sich Zanke an ihre erste Vorlesung. Der Platz der Frauen war hinterm Herd, im Haus, unter dem Dach der Kleinfamilie oder in Lehrund Erziehungsberufen – den Söhnen wurde eher eine höhere Bildung ermöglicht. Nicht nur Studieren an sich, sondern auch die Hochschulen waren von einer autoritären Struktur geprägt, was sich nicht zuletzt im Umgang miteinander zeigte. Zanke, die selbst den Umbruch mitgestaltete, erinnert sich auch heute noch verschmitzt an Tabubrüche: „Ich weiß noch, wie ein Kollege aufstand und zum Rektor sagte: ,Na, Kollege Kraus.‘ Ich hab gedacht, jetzt fährt der Blitz ein, schließlich war das ‚seine Magnifizenz’.“ Durch das System der sogenannten „Ordinarienuniversität“ geprägt, waren Professoren damals die zentrale Entscheidungsinstanz der Uni. Sie mussten keine anderen Universitätsangehörigen miteinbeziehen und traten wie der Rektor als Herrscher in ihrem Fach auf. Diese Atmosphäre hat sich in vielen Bereichen bis heute nicht geändert.

Faschistische Zustände aufdecken. Es ging aber nicht nur um das Aufbrechen verstaubter Strukturen, sondern auch um Mitbestimmung. StudentInnen wollten die Lehrinhalte mitgestalten. Kritisches Hinterfragen des Lehrkanons und Einbeziehen aktueller gesellschaftlicher Themen waren notwendige Impulse. Und so wurde der Mantel des Schweigens, der die nach wie vor ewiggestrigen Zustände verdeckte, zerrissen: StudentInnen brachten personelle Kontinuitäten und halbherzige Entnazifizierungsverfahren an die Öffentlichkeit. Der Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann etwa, der auch Zanke unterrichtete, war schon ab 1933 NSDAP-Mitglied gewesen und während der NS-Zeit Professor am TheWi-Institut. Nach seiner kurzzeitigen Entlassung nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er ab 1954 erneut Vorstand der Theaterwissenschaft, deren Institut auf Betreiben des „Führers“ der Hitler-Jugend Baldur von Schirach gegründet wurde. Publizistisch tat sich Kindermann vor allem mit Texten über NS-Funktionäre und gegen „undeutsche Literaturprodukte“ hervor. 1966 wurde Kindermann emeritiert und verließ das Institut. An der damaligen Hochschule für Welthandel in Wien (heute WU) konnte sich wiederum der „Historiker“ Taras Borodajkewycz bis zu seiner frühzeitigen Entlassung nach 1965 in seinen Vorlesungen antisemitisch äußern.

Ein Schritt zur Utopie. Die Hochschulreform unter Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg (SPÖ) schaffte 1975 Studiengebühren für österreichische StaatsbürgerInnen ab und demokratisierte die universitäre Organisation. Auch angestellte WissenschafterInnen ohne Lehrstuhl sowie StudentInnen konnten nun mitbestimmen. Ein sozialdemokratischer Traum schien auch durch den Ausbau des Stipendiensystems Gestalt anzunehmen: sozialer Aufstieg durch Bildung für alle.
Insbesondere Frauen profitierten von der Universitätsreform und dem gesellschaftlichen Umbruch in den 1970er-Jahren. So waren 2009 schließlich 64,8 Prozent der österreichischen Studierenden weiblich. Doch weiterhin gilt: Je höher die Stufe der wissenschaftlichen Karriereleiter, desto geringer der Frauenanteil. Aufstieg an der Uni bleibt männlich, obwohl die meisten Universitäten Förderprogramme eingeführt haben und „Gender Studies“ in einigen Studienrichtungen durchgesetzt wurde – in Linz sogar universitätsweit. An der Realität der Studentinnen ändert das aber oftmals nur wenig. „Als Frauen waren wir nie Thema, weil wir einfach nie Thema waren“, so Julia Petschinka zu ihrem Studium in den 1990ern. „Es gab nie Geschichten von Physikerinnen, die wir als Vorbilder hätten nehmen können.“ Im Alt Wiener Café Jelinek erinnert sich die 37Jährige, die in ihren Knickerbocker-Hosen und Ringelstulpen eher wie eine Bohèmienne als eine diplomierte Physikerin aussieht, an den mangelnden Frauenanteil in den Naturwissenschaften. Feminismus oder Frauenförderung hätten in ihrem Studium keinen Raum eingenommen.

Diplomstudien in alter Freiheit. In den 1990er- Jahren wurden nicht nur die Hochschulen in ihrer internen Organisation ein weiteres Mal reformiert. Auch Diplomstudiengänge wurden eingeführt, die wesentlich mehr Pflichtveranstaltungen vorsahen als ihre Vorgängerinnen. Sie boten aber weiterhin eine Wahlfreiheit innerhalb des Studiums, die sich Studierende nach dem Bolognaprozess heute nicht einmal in ihren kühnsten Träumen ausmalen können. Auch für Petschinka macht gerade diese Freiheit ein Studium sinnvoll: „Querdenken, vernetzen und mehrere Sachen miteinander verknüpfen, das ist das, was Zukunft hat. Aber genau das wird jetzt verhindert.“ Allerdings waren bereits in den 1990ern die Studienbedingungen durch überfüllte Hörsäle und soziale Kürzungen geprägt. Mit Wintersemes ter 1996/97 wurde beispielsweise die StudentInnenfreifahrt für alle öffentlichen Verkehrsmittel, egal ob mit ÖBB oder Stadtverkehr, abgeschafft. „Ich habe den Eindruck, dass der generelle Blick auf StudentInnen ist, dass das alle nur faule Leute sind, die Zeit vergeuden“, sagt Petschinka. Diese rhetorische Figur begleitete die Medienberichte rund um die umfassenden StudentInnenproteste 1996 und ist auch heute noch gegenwärtig – egal ob Anfang der 2000er-Jahre bei der Einführung der Studiengebühren oder erst vor wenigen Semes tern bei der #unibrennt-Bewegung 2009.

Ab 2000 steil bergab. Überhaupt haben die letzten Jahre die hochschulpolitische Landschaft geprägt wie zuvor nur die 1970er. Es geht Schlag auf Schlag – aber diesmal bergab. 2002 wurden die Studiengebühren eingeführt und gleichzeitig ein Universitätsgesetz beschlossen, das studentische Mitbestimmung stark einschränkt. Die Universitäten wurden in die „Autonomie“ entlassen. Das Rektorat bekam etliche Kompetenzen zugesprochen und einen treuen Wegbegleiter an die Seite gestellt: den Unirat, der an Aufsichtsräte in Unternehmen erinnert. Der Senat, jener Teil der Unileitung, in dem auch Studierende vertreten sind, musste indes abspecken und 2005 wurde der Traum vom offenen Hochschulzugang durch die Einführung erster Zugangsbeschränkungen begraben.

Magdalena Zangerl (28) ärgert sich über die steten Verschlechterungen an den Universitäten und den aktuellen Diskurs rund um Studiengebühren und Co: „Das sind alles unausgegorene Vorschläge von PolitikerInnen, die alle selber gratis und zehn Jahre studieren konnten und keine Ahnung davon haben, wie es ist, jetzt zu studieren.“ Mit ein Grund für die Germanistikstudentin, sich bei #unibrennt zu engagieren und für bessere Hochschulen zu kämpfen. Auf ihre Zeit in der Studierendenbewegung blickt sie heute jedoch skeptisch zurück und fragt sich „wie viel #unibrennt wirklich bewegt hat“. Und heute, knapp zwei Jahre, nachdem StudentInnen das Audimax besetzt hatten, sind wir mit einer „Studieneingangs- und Orientierungsphase“ in allen Bachelorstudien konfrontiert. Diese soll der „besseren Kontrolle“ der Zahl der StudentInnen in den jeweiligen Studienfächern dienen. Gleichzeitig wurde die Bolognastruktur nahezu vollständig umgesetzt (siehe Streitgespräch Seite 8–9). Lernen und Lehren wurden dadurch komplett umgekrempelt. Zangerl schüttelt resigniert den Kopf: „Jede gesetzliche Änderung, die ich in den letzten Jahren mitbekommen habe, zielt darauf ab, die Studierenden dazu zu bringen, möglichst in Mindeststudienzeit zu bleiben, nicht nach links und nicht nach rechts zu schauen, um danach wirtschaftlich gut verwertbar zu sein.“

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