Alleine und überfordert
Die Belastung von Studierenden wächst: Konkurrenzdruck, Versagensängste und Konzentrationsschwierigkeiten gehören um Alltag im Unisystem. 2009 gaben 16 Prozent an, psychische Probleme und Ängste zu haben.
Die Belastung von Studierenden wächst: Konkurrenzdruck, Versagensängste und Konzentrationsschwierigkeiten gehören um Alltag im Unisystem. 2009 gaben 16 Prozent an, psychische Probleme und Ängste zu haben.
Drei Stunden pro Woche spricht Madeleine* mit einer Therapeutin über ihr Leben. In der Endphase ihres Studiums hat sie sich zum zweiten Mal dazu entschieden, in Therapie zu gehen. „Das Diplomarbeitschreiben war keine leichte Zeit – ich hatte großen Stress, fertig zu werden und habe mich oft alleine und überfordert gefühlt. Ich hatte den Eindruck, alle anderen wissen genau, was sie machen und ich komm einfach nicht weiter“, erzählt sie. Erstmals zu einer Therapie entschieden hatte sie sich schon während ihres Umzugs nach Wien zu Beginn ihres Studiums. Primäre Anlaufstelle war damals die Psychologische Studierendenberatung, die Studierenden in schwierigen Situationen Hilfe anbietet.
Therapie – ein Zeitfaktor. Das Beratungsrepertoire der Psychologischen Studierendenberatung in Wien ist breit gefächert; es umfasst Einzelberatungen, Workshops, oder auch Lerngruppen. Denn die Probleme der Studierenden sind vielfältig: Fragen zu Studienwechsel, Lernstrategien, oder auch Prüfungsängste sind häufige Themen in der Beratung. Rund 40 Prozent und damit der Großteil der 15.000 Studierenden, die jährlich eine Beratung in Anspruch nehmen, kommen jedoch wegen psychischer Probleme und Krankheiten. Dazu gehören unter anderem generalisierte Ängste, Depressionen oder auch Zwänge. Die im Studium auftretenden Krisen haben oft mit der individuellen Vorgeschichte der Betroffenen zu tun. „Menschen, die sehr ängstlich sind, haben auch eher mit Prüfungen zu kämpfen“, erklärt Kathrin Wodraschke, stellvertretende Leiterin der Psychologischen Studierendenberatung Wien. Stellt sich bei einem Erstgespräch heraus, dass eine Therapie hilfreich wäre, versuchen die Berater_innen an eine Therapeut_in zu vermitteln. Die Hemmschwelle, nicht nur eine unverbindliche Beratung in Anspruch zu nehmen, sondern eine Therapie zu beginnen, ist meist jedoch deutlich höher. Schon aus Zeitgründen stellen regelmäßige Therapiesitzungen für viele eine Schwierigkeit dar. „Die Therapie beeinflusst eben auch das Studium: Ich hatte zwei oder drei Mal in der Woche einen fixen Termin, da können keine Lehrveranstaltungen besucht werden – dann ist Therapie und die kann nicht verschoben werden”, erinnert sich Madeleine.
Auch die verschärften Studienbedingungen, etwa durch die Implementierung der Studieneingangs- und Orientierungsphase, an der viele scheitern, spielen oft eine Rolle bei den Beratungen: „Das System wird als belastend erlebt, das ist auch bei uns immer wieder ein Thema", meint Wodraschke. Für Madeleine war die Therapie eine Stütze, die ihr auch durch das System Uni geholfen hat: „Dort wird dann besprochen, was das Studium für eine_n bedeutet, wie man sich die Zeit einteilt, einfach wie man mit dem ganzen Stress umgeht und woher der Stress überhaupt kommt. Die gesamten Unsicherheiten vor der Diplomarbeit konnte ich dort bereden.“ Gerade in geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien werden die fehlenden Berufsbilder immer wieder zum Problem für Studierende, aber auch die verstärkt geforderte Selbstorganisation. Deshalb will die Studierendenberatung vor allem auch den Austausch zwischen Studierenden fördern – in Form von Lern- und Peergruppen, in denen sich Studierende gegenseitig unterstützen können. „Wenn man sich heute nicht an der Uni vernetzt, ist es schwierig“, so Wodraschke.
Therapie – ein Tabu? Mit ihrer Therapie ist Madeleine immer sehr offen umgegangen. Diskussionen mit Bekannten waren für sie spannend und nie einTabu: „Ich glaube es kommt da ganz auf den Kontext an, aber gerade im Studierendenmillieu muss man das schon einmal gemacht haben. Einmal eine psychische Krise gehört fast zum guten Ton“, scherzt sie. „Den Studienkoleg_innen bindet man das aber dann natürlich nicht auf die Nase.“ Der Umgang mit dem Thema Therapie sei allerdings nicht für alle so einfach und für viele noch immer negativ behaftet, sagt Wodraschke: „Man redet zwar mittlerweile über Therapie, aber wirklich zu jemandem zu gehen und sich Hilfe zu suchen, ist noch immer ein großer Schritt."
Finanzielle Hürden. Die Therapie ist aber oft nicht nur ein Tabu, sondern für viele Studierende aufgrund der hohen Kosten nur schwer realisierbar. In der Regel kostet eine Psychotherapie zwischen 80 und 120 Euro pro fünzig Minuten – für Studierende eine enorme Summe. Manche Therapeut_innen bieten niedrigere Preise für Studierende, fixe Ermäßigungen gibt es aber nicht. Es existieren zwar Kassenplätze, bei denen die Finanzierung der Therapie ganz übernommen wird. Diese sind aufgrund mangelnder Kapazitäten aber sehr schwer zu bekommen. „Ich hatte das Problem, dass ich eine Liste mit Kassenärzt_innen durchgerufen habe, die hatten aber alle keine Plätze mehr“, erzählt Madeleine. Die Kosten von 50 Euro pro Sitzung musste in ihrem Fall anfangs die Familie übernehmen. Heute hat sie einen ausfinanzierten Kassenplatz für zwei Stunden pro Woche, den Rest bezahlt sie aus ihrer eigenen Tasche: „Der finanzielle Faktor macht es meiner Meinung nach eindeutig schwerer, sich auf eine Therapie einzulassen – schließlich passt es dann auch einfach nicht mit jeder Therapeut_in.“
Hinzu kommen die aktuellen Kürzungen der Wiener Gebietskrankenkasse, die bis Februar 2013 Neuanträge gestoppt hat. Psychoanalysen sollen zudem zukünftig gar nicht mehr finanziert werden. Der Anspruch auf einen Zuschuss von der Krankenkasse und dessen Höhe hängen also stark davon ab, wo und über wen man versichert ist. Zustände, die die Situation für Hilfesuchende noch zusätzlich erschweren.
*Name von der Redaktion geändert