Marion Bacher

Die Vernetzungsmaschinerie

  • 13.07.2012, 18:18

Das Internet hat die Struktur von Studierendenprotesten nachhaltig verändert. Die entscheidende Frage wird in der Zukunft sein, wie es am besten gelingen kann, Online- und Offline-Aktivitäten zu verbinden. Eine Analyse.

Das Internet hat die Struktur von Studierendenprotesten nachhaltig verändert. Die entscheidende Frage wird in der Zukunft sein, wie es am besten gelingen kann, Online- und Offline-Aktivitäten zu verbinden. Eine Analyse.

Anfang der 1980er. Die englische Punkband The Clash stellt sich die alles entscheidende Frage: Should I stay or should I go? Der Studierendenprotest ist zwar keine Liebesgeschichte, jedoch geht es wie in der Liebe um die gemeinsame Zukunft. „Hingehen oder heimgehen?“, denkt sich der Publizistikstudent Luca Hammer am Nachmittag des 22. Oktobers. Soeben hat ihm ein Tweet mitgeteilt, dass das Audimax besetzt ist.
24 Stunden später sitzt er dort. Den Arm mit dem Handy in der Hand in die Höhe gereckt, filmt er das Geschehen mit und überträgt es live ins Internet. Hammer mutiert zur digitalen Schnittstelle. Zwischen denen, die hingehen, und jenen, die daheim bleiben. Tags darauf nimmt der Student seine Kamera und den Laptop mit; abends bespricht er mit ein paar Leuten die Webseite; in der Nacht von Samstag auf Sonntag geht unsereuni.at online. Fortan bündelt die Webseite sämtliche Aktivitäten der Studierenden. Links zum Live-Stream, Facebook und Wiki vergrößern den Kreis der AnhängerInnen. Mit der Übersichtlichkeit der Webseite haben die Studierenden einen entscheidenden Trumpf in der Hand.
Dem bekannten Blogger Gerald Bäck zufolge stieg die theoretische Reichweite der Tweets bereits nach vier Wochen auf 21,5 Millionen. Hunderttausende fieberten bei Plenarsitzungen, Diskussionen und Vorträgen, die live aus dem Audimax gesendet wurden, mit. Bis heute hat die Facebook-Gruppe „Audimax Besetzung an der Uni Wien – Die Uni brennt!“ mehr als 30.000 Mitglieder. Die Solidarität ist groß. Auch nach der Räumung des Audimax am 21. Dezember. 

Medien springen auf. Der Schritt, soziale Netzwerke zur Aufmerksamkeitssteigerung und Vernetzung zu nutzen, stellt eine Emanzipation von herkömmlichen Medien dar. Nicht mehr Fernsehen, Radio oder Print entscheiden, was die Öffentlichkeit erfährt, sondern die Studierenden selbst. Die professionelle Vernetzung via Internet motiviert die Protestierenden, hält sie am Laufenden und die Proteste für lange Zeit am Leben. Nach kürzester Zeit springen die traditionellen Medien auf. Nicht nur, weil das Audimax voll ist, sondern vor allem weil ihnen der Protest im Internet imponiert. Sie stilisieren die professionelle Vernetzung der Studierenden als Innovation hoch.
„Während das Web 1.0 rein zur Informationsbeschaffung diente, steht das Web 2.0 für Koordination. Die Studierendenbewegung ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Protestbewegungen im Internet organisieren und in reale Bewegungen umgesetzt werden“, sagt Alexander Banfield-Mumb, der an der Universität Salzburg die Rolle von digitalen Medien in Protestbewegungen erforscht.
Studentische Milieus gelten traditionell als beweglich.  Die Organisation entsteht spontan, ist oft basisdemokratisch und wird von einer hohen Fluktuation geprägt.  Wenn jemand ausfällt, bricht nicht das ganze System zusammen, sondern die Lücke wird gefüllt. Zu viel Bewegungsfreiheit kann jedoch Chaos schaffen. Das Internet gibt dem Protest eine Struktur. In ihm wird koordiniert und kaum jemand hat sich daran gestoßen, dass alle Tätigkeiten in einem Presseraum der Uni Wien zusammenliefen. Zentralismus wird in diesem Aspekt akzeptiert. Die Arbeitsgruppe Presse, ein Team aus ständig wechselnden Menschen, ist das Herz der Bewegung. Weil sie Übersicht schafft. 

Couch Aktivismus. Das geschmeidige Zusammenspiel von Online-Vorbereitungen und Offline-Aktivitäten ist kein Novum. Wie gut so etwas funktioniert, hat man sowohl bei den WahlkampfhelferInnen von Obama als auch bei den Protesten im Iran gesehen. Zu einem Großteil scheitern jedoch Protestaktionen, die im Internet geschmiedet wurden. Couch-Aktivismus nennt sich das Phänomen, wenn trotz großer AnhängerInnenschaft im Internet kein Protest auf der Straße zustande kommt.
Soziale Netzwerke scheinen das Benzin für die Maschine der österreichischen Studierendenproteste gewesen zu sein. Was wäre passiert, wenn das Benzin weniger professionell aufbereitet gewesen wäre? Wäre die Maschine kollabiert? Eine Antwort darauf wäre reine Spekulation. Der Blick über die Grenzen Österreichs zeigt jedoch, dass es auch anders gehen kann. „In Deutschland wurde das Web 2.0 viel weniger in die Proteste eingebunden“, stellt Christoph Bieber, Politologe an der Justus-Liebig Universität in Gießen, fest. Als Begründung nennt er drei Schlagworte: StudiVZ, Dezentralisierung, Twitter.
Das Image von Twitter sei in Deutschland angeknackst und deshalb weniger beliebt bei den Studierenden, vermutet Bieber. Außerdem habe man sich schwergetan, die verschiedenen Proteste zu koordinieren. Das mag einerseits an der hohen Anzahl der streikenden Unis gelegen sein, andererseits habe man sich schlichtweg für das „falsche“ Netzwerk entschieden: „Die deutschen Studierenden setzten auf StudiVZ. Ein Fehler, da sich StudiVZ nur beschränkt für externe Vernetzungen eignet.“ 

Lucky Streik. Vor rund 13 Jahren hatten die deutschen Studierenden den Aufstand im Internet unter dem Slogan „Lucky Streik“ schon erprobt. Die Zeitungsberichte von damals lesen sich ähnlich euphorisch wie heute. Netzbegeisterte StudentInnen erstellten Webseiten und Streik-E-Mail-Listen.  Audio- und Videodateien peppten das Angebot auf und sogar Chats soll es auf den Seiten gegeben haben. Der Betreuer einer Webseite erinnert sich an die „atemberaubende“ Zeit: „Am Abend vor der Bonner Demo kam durchschnittlich alle zwei Minuten eine E-Mail mit einer neuen streikenden Uni an.“
Die Webseiten haben den Streik 1997 überdauert. Das Erfahrungswissen ist den ProtestlerInnen geblieben. Auch bei der aktuellen Studierendenbewegung in Österreich wird die Infrastruktur und das Know-How die Protagonisten und Protagonistinnen überdauern. „Das Mobilisierungspotential des Web 2.0 ist längst nicht ausgenutzt“, sagt Banfield-Mumb, „und auch die nächste Stufe, das Web der Kooperation, blieb so gut wie unberührt.“
Verbesserungsvorschläge gibt es viele – etwa wie die Stimmen im Chat neben dem Live-Stream am besten in Diskussionen eingebunden oder wie im Wiki gemeinsam Themen bearbeitet werden können. Eine Chance, Online- und Offline-Protest weiter zu professionalisieren, bietet jedenfalls der Gegengipfel zur Jubiläumsfeier des Bologna-Prozesses im März. Die AktivistInnen könnten zeigen, dass der Protest einen längeren Atem hat als einigen PolitikerInnen lieb ist. Wenn nur genug Leute hingehen.  N

 

Pflastersteine nach Athen tragen

  • 13.07.2012, 18:18

Hellas muss Milliarden an Euro sparen. PolitikerInnen kündigen die radikalsten Reformen der Geschichte der jungen Demokratie an. Das treibt die Massen auf die Straßen, schürt Widerstand und belebt Zivilcourage und Demokratiebewusstsein. Eine Reportage.

Hellas muss Milliarden an Euro sparen. PolitikerInnen kündigen die radikalsten Reformen der Geschichte der jungen Demokratie an. Das treibt die Massen auf die Straßen, schürt Widerstand und belebt Zivilcourage und Demokratiebewusstsein. Eine Reportage.

Ein Mann fuchtelt wütend mit den Händen in der Luft. Die Fotografin, gegen die die griechische Schreitirade gerichtet ist, zuckt mit den Schultern. „You are not in Barcelona!“, bricht es aus ihm heraus – und das obwohl die Linse der Kamera nicht einmal seinen Kopf im Focus hat. Für sie interessanter sind die schwarz vermummten Männer rund um ihn herum. Die schweren Gasmasken mit den rüsselartigen Schnauzen haben sie fest an die Köpfe geschnallt, die oft noch jungenhaft anmutenden Körper stecken in schwarzen Kapuzenpullovern. Von den mehreren hunderttausend Demonstrierenden, die an jenem fünften Mai durch die Innenstadt Athens mal singend, mal schreiend, mal still und leise marschieren, zählt nur ein Bruchteil zum gewaltbereiten Schwarzen Block. Dennoch scheinen tausende PolizistInnen – mit Schlagstock, Tränengas und Schockbomben bewaffnet, mit Gasmaske und Abwehrschild geschützt – an jenem schwülen Mittwochnachmittag nur wegen ihnen die Straßen zu säumen. Abwartend stehen sie da, beobachten wie sich die Massen vorbeischieben. Es ist ruhig solange sich nicht die Wut der Enttäuschten über die PolizistInnen ergießt. 

Die Ruhe vor dem Sturm ist laut. Wüste Beschimpfungen sind zu vernehmen, bis der erste zur Bierflasche greift und sie auf die PolizistInnen schleudert. Steine, so groß, dass sie gerade noch in eine Hand passen, folgen. Die Masse schiebt sich panikartig davon, manche flüchten durch die engen Gassen. Schaulustige stehen abseits, ziehen sich vorausahnend Stofffetzen vor Mund und Nase. Jeder weiß in diesem Moment, was als nächstes kommt. Ein Mann ganz in Schwarz schmeißt einen Molotowcocktail auf die in grün gekleideten Zielscheiben seiner Wut, Mülltonnen werden angezündet, die Polizei feuert Schockbomben und Tränengas. Es kracht, es knallt und zurrt. Ein stechender, juckender, lähmender Geruch liegt beißend in der Luft, dringt in das Gewand und reizt Tränendrüsen und Atemwege. Wer will und kann, der flüchtet. Andere sehen an jenem Tag wie eine Bank in Flammen aufgeht. Bei der größten Demonstration seit der Revolution vor 35 Jahren ersticken drei Bankangestellte hinter den gut verriegelten Eingangsbereichen, die die Banken in diesen Tagen vor Angriffen schützen sollten. Auch am nächsten Tag bleiben sie verriegelt. Schwarze Fahnen hängen an metallenen Rollläden.
Der Generalstreik in Athen ist die wütende Reaktion auf die rigorosen Sparmaßnahmen der griechischen Regierung. PensionistInnen und BeamtInnen werden bis zu einem Fünftel ihres Gehalts verlieren. In den kommenden Monaten soll eine Reform nach der anderen beschlossen werden. Das Pensionssystem und die Krankenkassen werden komplett umgestaltet, die Steuerbehörden neu aufgestellt, die Zahl der politischen VertreterInnen in den Regionen soll schrumpfen und die 10.000 staatlichen Kommissionen werden zusammengestrichen. 30 Milliarden Euro will die Regierung wegen der drohenden Staatspleite einsparen. Gleichzeitig bekommt Hellas in den kommenden drei Jahren von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Notkredite in Höhe von € 110 Milliarden. Wer Geld gibt, der bestimmt dieAuflagen, und  so dürfen die EU und der IWF all die Reformen überprüfen und, wenn sie es als notwendig empfinden, den Geldhahn abdrehen. Griechenland geht als erstes Land, das sich bevormunden lassen muss, in die Geschichte der Euro-Zone ein. 

Korruption und Vetternwirtschaft. Viele, die auf die Straße gingen, haben die Militärdiktatur in den späten 60er und frühen 70er Jahren miterlebt. Sie wollen sich nichts mehr diktieren lassen. „Get out IMF“ prangt in roter Schrift auf einem alten Bank-Gebäude am Syntagma- Platz. Manch einer spricht in diesen Tagen vom Austritt aus der EU. Nicht Vassilis P., der als Kellner in einem Restaurant am Fuße der Akropolis eine Gemüseplatte serviert. „Die Griechen sind Mitschuld an der Krise. Jahrzehntelang hat man durch Korruption und Vetternwirtschaft ganz gut vom System gelebt.“ Jene, die nicht in die Hand, die sie füttert, beißen wollen, beugen sich während der Demonstration neugierig über die hübschen Balkone am Syntagma-Platz, lassen sich die Haare schneiden in einem der vielen Friseursalons, die trotz Generalstreik in der Innenstadt regen Betrieb haben, oder sie schlürfen überhaupt in sicherer Entfernung ihren Cappuccino um € 4,50 am Kolonaki-Platz.
Rund € 30 Milliarden pro Jahr versickern in Griechenland in der Schattenwirtschaft. Die Regierung unter der Führung von Premierminister Giorgos Papandreou will nun den Steuersündern den Garaus machen. Geschehen soll dies etwa durch eine Überwachungstechnik aus Israel. tatt Quassam-Raketen im Gaza-Streifen sollen Satelliten über Griechenland nun die versteckte Swimmingpools und Luxuskarossen in Vorort-Villen ausfindig machen. Warum besteht ein Teil der GriechInnen aus korrupten SteuerhinterzieherInnen? Sie als geizig abzustempeln, wäre wahrlich zu einfach. Nein, das Problem ist strukturell: Es ist das fehlende Vertrauen in den Staat, das zur mangelnden Steuerehrlichkeit führt.
Seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 teilen sich grob gesehen zwei große Parteien die Macht über Griechenland auf. Den Grundstock zur heutigen Staatsschuld legte die Regierung von Andreas Papandreou – Vater des heutigen Ministerpräsidenten – der aktuell regierenden Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK). Er griff mit seiner populistischen usgabenpolitik in den 80er Jahren tief in die Staatskassen. Die meisten großen Ausgabenschübe gingen jedoch in der Vergangenheit auf das Konto der zweiten, großen Partei: Der konservativen Partei Neue Demokratie  (ND). Die Regierung unter Konstaninos Karamanlis, die im vergangen Jahr abgewählt wurde, ist für die Verdoppelung des Haushaltslochs verantwortlich. Jedoch ist die Schuldfrage nicht allein mit diesen zwei Parteien geklärt – das ganze politische Establishment hat dem traditionellen griechischen Usus gefrönt, denStaat als Beute zu betrachten und den öffentlichen Dienst vom Staatssekretär bis zur Putzfrau mit eigenen Leuten zu füllen.
Aus diesem Grund sind die Feindbilder der Demonstrierenden nicht primär die BesserwisserInnen innerhalb der EU oder des IMF, sondern die eigenen PolitikerInnen. Was die Menschen eint, ist ein Grundverständnis über die korrupte Elite. „So nicht!“, sagen viele, ballen die linke Hand zu einer Faust und strecken sie in die Höhe. Verkörpert wird der Feind durch die schwer bewaffneten PolizistInnen, die an allen Ecken und Enden für Zucht und Ordnung sorgen. Was in Österreich unvorstellbar wäre, passiert in Griechenland in sämtlichen Straßen, auch ohne Demonstration: Eine Frau kracht mit einer Horde von schwer bewaffneten PolizistInnen zusammen, die oft scheinbar grundlos das von vielen Studierenden und linksautonomen BewohnerInnen bevölkerte Viertel Exarchia belagern. Sie schreit und schimpft, stößt gegen das Schutzschild der ExekutivbeamtInnen. Es wird zurückgeschubst, ihr Geschrei wird lauter und in Bruchteilen von Sekunden stürmen zwei Dutzend ZivilistInnen auf die verlängerten Arme der Regierung zu. Zivilcourage ist in Griechenland dieser Tage kein abstrakter Begriff. 

Der Abend danach. Am Abend nach der Demonstration ist es ungewöhnlich ruhig in Exarchia. Wo sich sonst vor liebevollen Graffiti-beschmierten Häusern die junge Generation zum Biertrinken trifft, schleicht heute nur eine Katze über die glatten Pflastersteine. Bars, Restaurants, Shops – sie alle sind verriegelt. Mit den DemonstrantInnen ist auch das Leben von den Straßen abgezogen. Kaum ein Auto parkt anarchistisch am Straßenrand, die PolizistInnen sitzen angelehnt an das Gitter der Eingangspforten eines Supermarktes. Sie wirken erschöpft und gelangweilt. So manch einer spielt in diesen Leerlaufstunden mit dem Handy. Nicht weit von ihnen entfernt ist das Polytechnische Institut – einer der wenigen Rückzugsorte in Athen, wo seit Beginn der jungen Demokratie die Polizei keinen Zutritt hat. An der Straßenecke wurde im Dezember 2008 der 15-jährige Alexandros von einem Polizisten erschossen. Damals war viel von der Perspektivenlosigkeit der jungen Generation die Rede. Mittlerweile hat sich die Situation verschlimmert. Im Herbst 2009 war in Griechenland bereits jede vierte Person unter 24 Jahren ohne Job. Bald werden sich die Leute womöglich nicht mehr über die 700-Euro-Generation beklagen, die nicht gerecht bezahlt wird, sondern über die hoffnungslose Gegenwart ohne Beschäftigung. „Wer es sich leisten kann, der studiert im Ausland“, sagt die Journalistin Karolina T., „und kommt nicht mehr zurück.“ Die junge Griechin mit dem schwarzen Lockenkopf ging vor sechs Jahren zum Studieren nach London. Bis heute hat sie Rückkehrpläne, aber keine Möglichkeiten.
Neben Griechenland ist die Jugendarbeitslosigkeit auch in Italien und Spanien sehr hoch. Im März waren im krisengebeutelten Spanien bereits 41,3 Prozent der jungen Menschen ohne Arbeit. Auch hier ist die Tendenz steigend. Die Jugendarbeitslosigkeit ist eng mit der Krise verknüpft, die auch die mediterranen Staaten erfasst hat. Vor allem seit der Diskussion rund um den Rettungsschirm für Griechenland sind alte Stereotype und Vorurteile gegen die SüdländerInnen wieder am Köcheln. Faul und träge sollen sie sein, die Menschen in jenen Ländern, in denen viele so gerne ihre Sommerurlaube verbringen. Schon jetzt haben gehässige BritInnen die Abkürzung „Pigs“ für Portugal, Italien, Griechenland und Spanien erfunden. Vier Staaten, von denen befürchtet wird, dass die aktuelle Wirtschaftskrise sie wie zarte Grashalme in einem Sturm umknickt. Vielleicht waren die wütenden Worte „You are not in Barcelona!“ des griechischen Demonstranten unbewusst vorausahnend. Vielleicht gehen das nächste Mal hunderttausende SpanierInnen auf die Straßen. Zumindest für das Demokratiebewusstsein könnte das gut sein.

 

Endstation Mundtot

  • 13.07.2012, 18:18

Die Regierung feilt an einem Terrorismuspräventionsgesetz, das eine lebendige Protestkultur gefährden könnte. Schuld daran sind vor allem unpräzise Formulierungen.

Die Regierung feilt an einem Terrorismuspräventionsgesetz, das eine lebendige Protestkultur gefährden könnte. Schuld daran sind vor allem unpräzise Formulierungen.

„Der Glaube an eine größere und bessere Zukunft ist einer der mächtigsten Feinde gegenwärtiger Freiheit.“ (Aldous Huxley)

Angst zu haben, das kennen wir. Mal sind es Banalitäten des Lebens, wie eine bevorstehende Prüfung, ein Zahnarztbesuch oder das Leben in  einer fremden Stadt. Mal geht es tiefer, wird existenzieller, wenn einem die Angst vor dem Tod die Nächte zum Tag macht. Angst besteht meist vor etwas Unbestimmtem, etwas, das vor uns liegt oder vor uns liegen könnte.
Seit 9/11 hat man mehr denn je Angst vor Terrorismus. Seit dem TierschützerInnenprozess Angst vor dem Mafiaparagraphen. Und nachdem vier AktivistInnen, die Mistkübel angezündet haben, nun die Anklage nach dem Terrorismusparagraphen droht, muss sich nun gänzlich vor dem Staat gefürchtet werden. Plant die politische Elite gegenwärtig unter dem Deckmantel Terrorismus die Zivilgesellschaft mundtot zu machen?

Terrorcamp. Am 26. April stellte Innenministerin Maria Fekter gemeinsam mit dem Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Peter Gridling den neuen Verfassungsschutzbericht 2010 vor. Sie plauderten ein wenig über die Zunahme linksextremer Delikte, die Teilnahme von etwa 20 ÖsterreicherInnen an ausländischen Terrorcamps und den Rückgang von Strafrechtshandlungen von militanten Tierrechtsgruppen auf ganze drei Fälle.
Alles in allem wurde festgestellt, dass keine größere Bedrohungen der Sicherheit Österreichs bestehe. Damit das so bleibt, verwies Fekter stolz auf das im April im Ministerrat durchgewinkte Terrorismuspräventionsgesetz: „Radikalisierung und Extremismus haben keinen Platz in unserem Land. Daher ist das Terrorismuspräventionsgesetz ein unverzichtbarer Baustein für die Grundwerte unseres Rechtsstaates.“
Was zur Vollendung dieses Terrorismuspräventionsgesetzes noch fehlt, sind die Paragraphen 278e (Ausbildung für terroristische Zwecke), 278f (Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat) und 282a (Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten), über die in einem Justizausschuss im November wohl noch heftig debattiert werden wird.
Schon im Jänner hagelte es Kritik aus der Zivilgesellschaft, nicht nur in Bezug auf die oben genannten Paragraphen, sondern auch hinsichtlich der Paragraphen 278a (Bildung einer kriminellen Organisation), 278b (Bildung einer terroristischen Vereinigung), 278c (Terroristische Straftaten), 278d (Terrorfinanzierung), die bereits in Kraft getreten sind.
Die Mehrheit jener, die sich in den Stellungnahmen auf der Parlamentsseite äußerten, forderte eine komplette Abschaffung der Entwürfe. Das Gesetz sei „absurd“, bestenfalls in der „Müllverbrennungsanlage“ aufgehoben, hier würde man unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung BürgerInnenrechte, ja sogar Meinungs- und Pressefreiheit untergraben. Sämtliche JuristInnen sprechen von zu unpräzisen Formulierungen und einer völlig überzogenen Erweiterung des Strafrechts.
Auffallend war der Verweis der PolitikerInnen, internationale Abkommen einhalten zu müssen. Seit 9/11 hat sich in der westlichen Welt ein regelrechter Sicherheitswahn entwickelt. Rahmenbeschlüsse wie der europäische Haftbefehl, die davor jahrelang auf Eis gelegt waren, wurden in nur wenigen Monaten durchgepeitscht. Plötzlich waren polizeiliche und justizielle Sonderbefugnisse – Stichwort Überwachung und Lauschangriff – zum Wohle der „braven BürgerInnen“ besser argumentierbar. Nach und nach verschoben sich die Verdachtslogik der Nachrichtendienste und die Beweislogik der Justiz.

Online Durchsuchungen. Sämtliche Antiterrorgesetze und Rahmenbeschlüsse zur Prävention von Terrorismus zeichneten den Weg vor, dass bereits der bloße Verdacht der Begehung einer terroristischen Tat genügt, um eine Person strafrechtlich zu verurteilen. „Österreichs Kampf gegen den Terrorismus ist im internationalen Vergleich noch recht zögerlich. Onlinedurchsuchungen, die in Deutschland bereits angewendet werden, sind bei uns noch nicht genehmigt. Auch ist es im Moment unvorstellbar, Personen, die als TerroristInnen verdächtigt werden, zu inhaftieren – wie es in Großbritannien der Fall ist", sagt Ingeborg Zerbes vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien.
Kann man nun aufatmen, weil Österreich nicht die Speerspitze der Terrorismusgesetzgebung ist? Nein – sind sich unter anderen der Österreichische Rechtsanwaltskammertag, das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte oder Amnesty International (Österreich) einig. Der Hund liegt nämlich im Detail begraben: In der Formulierung der Gesetze, die äußerst unpräzise und weit gefasst ist. Hier ein kleiner Auszug:

§ 282a. (1) Wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird […].
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer auf die im Abs. 1 bezeichnete Weise eine terroristische Straftat (§ 278c Abs. 1 Z 1 bis 9 oder 10) in einer Art gutheißt, die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen.

Allein dieser Gesetzestext wirft dutzende Fragen auf: Ist es strafbar, wenn man die Vorgehensweise der Attentäter auf das World Trade Center detailliert in einem stark frequentierten Blog zu beschreiben? Was geschieht, wenn das Stauffenberg-Attentat gutgeheißen wird? Wie weit darf gegangen werden, um das Rechtsempfinden zu empören? Gerhard Benn-Ibler vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag äußert sich dazu mit den Worten: „Diese Straftaten zu potentiell terroristischen zu machen, verlässt endgültig den Bereich des Vertretbaren.“

Unibrennt-Bewegung. Je nach Auslegung könnte auch die jüngste Audimax-Besetzung Elemente einer terroristischen Straftat erfüllen. Konkret heißt es im Paragraph 273c, dass folgendes unter eine terroristische Straftat fällt: Wenn die Tat dazu geeignet ist, „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens […] herbeizuführen“. Nun ist die Unibrennt-Bewegung logischerweise darauf ausgerichtet, durch eine langhaltende Besetzung das öffentliche Leben zu stören, um die Behörden zum Handeln zu zwingen.
Das wohl aktuellste Beispiel dafür, wie das neue Terrorismuspräventionsgesetz missbraucht werden könnte, ist die mögliche Anklage nach Paragraph 278b (Bildung einer terroristischen Vereinigung) der vier Wiener Studierenden, die. in der Nacht von 26. auf 27. Juni zwei Mistkübel vor der Filiale des Arbeitsmarkservice in der Wiener Redergasse im fünften Bezirk angezündet haben sollen. Im Moment wird wegen verbrecherischem Komplott, Brandstiftung und Sachbeschädigung gegen sie ermittelt und geprüft, ob der Paragraph 278b auf sie anwendbar ist.
Würden die vier, die auch an der Unibrennt-Bewegung mitwirkten, nach dem Paragraph 278b angeklagt werden, so könnte auch die studentische Protestbewegung ins Visier der Behörden geraten.
Es scheint nicht gut zu stehen um die politische Kultur in diesem Land. Anstatt die Zivilgesellschaft zu schützen, werden ihre Freiheiten beschnitten. Anstatt sie zum Reden und Handeln zu ermuntern, wird Angst geschürt. Angst vor dem Staat zu haben ist fatal für eine Demokratie.

Das Kreuz mit den Formulierungen

  • 13.07.2012, 18:18

Ingeborg Zerbes forscht am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter anderem über österreichisches und europäisches Strafrecht. Mit PROGRESS sprach sie über das Terrorismuspräventionsgesetz, die Unwissenheit der Gesetzes-Schreiberlinge und die Absurdität des TierschützerInnenprozesses.

Ingeborg Zerbes forscht am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter anderem über österreichisches und europäisches Strafrecht. Mit PROGRESS sprach sie über das Terrorismuspräventionsgesetz, die Unwissenheit der Gesetzes-Schreiberlinge und die Absurdität des TierschützerInnenprozesses.

PROGRESS: Frau Zerbes, haben Sie Angst vor Terrorismus?

Ingeborg Zerbes: Nein, nicht vor einem konkreten Anschlag in Österreich. Natürlich ist mir bewusst, dass es weltweit ein Problem ist.

Im österreichischen Strafgesetzbuch ist der Begriff Terrorismus nicht definiert. Es wird lediglich ein Typ von Straftaten beschrieben, die unter Terrorismus fallen. Warum ist das so?

Terrorismus ist schwer fassbar. In einem frühen UN-Übereinkommen wird Terrorismus so beschrieben, dass es dabei nicht darum geht, gezielt einer Person Schaden zuzufügen, sondern es sollen so viele Personen wie möglich getroffen werden. Das Ziel von Terrorismus ist es, in der Gesellschaft eine besonders nachhaltige Verunsicherung zu schaffen.

Laut Verfassungsschutzbericht stellt der Terrorismus für Österreich keine größere Bedrohung dar. Dennoch feilt man an einem Terrorismuspräventionsgesetz. Ist die Verhältnismäßigkeit für so ein Gesetz überhaupt gegeben?

Verhältnismäßigkeit ist ein unglaublich dehnbarer Begriff. Wenn es letzten Endes um Leib und Leben geht, dann ist die Verhältnismäßigkeit auf dieser Ebene durchaus gegeben, aber in Hinblick auf die Effizienz und Notwendigkeit eines solchen Gesetzes möglicherweise nicht.

Viele Formulierungen im Terrorismuspräventionsgesetz sind dermaßen unbestimmt, dass ein großer Interpretationsspielraum bleibt. Warum kann man das nicht klarer definieren?

Es ist schwierig – auch für die Autoren von Gesetzestexten – mit Sprache umzugehen. Die Schwierigkeit wird umso größer, wenn bereits der Tatbestand eines Delikts nicht klar umrissen ist. Woraus soll sich ein Verdacht ergeben? Welche Handlungen machen denn verdächtig, wenn man in irgendeiner Vereinigung ein Mitglied ist? Bei dem Tatbestand, die sich gegen gefährliche Gruppen richten, weiß niemand, wann denn eigentlich ein Verdacht vorliegt und damit strafrechtliche Ermittlungen beginnen dürfen.

Wie hoch sehen Sie die Chancen, dass das Terrorismuspräventionsgesetz überarbeitet wird? Beziehungsweise: Glauben Sie, dass die Paragraphen, die noch verhandelt werden, ganz verworfen werden?

Ich denke, die Gesetze werden ohne wesentliche Veränderung durchgesetzt werden. Die Strafdrohung als solche ist nicht das Problem. Ich glaube nicht, dass viele Personen aus Österreich zu Ausbildungslagern fahren und deshalb verurteilt werden. Das Problem ist die Verdachtsrecherche. Bei so einem Gesetz kann es theoretisch passieren, dass Menschen mit muslimischen Wurzeln verdächtigt werden, zu einem Terrorcamp zu fahren, wenn sie ihre Angehörigen in arabischen Ländern besuchen.

Woher kommt der Glaube, dass man mit solchen Gesetzen Terrorismus verhindern kann?

Wenn man naiv ist, könnte man sagen, dass von jenen, die in einem Ausbildungslager waren und deshalb verhaftet worden sind, keine Gefahr mehr ausgeht. Außerdem können Strafdrohungen eine abschreckende Wirkung haben – das ist schließlich der Sinn, eben solche einzuführen.

Ich bezweifle, dass TerroristInnen sich von einer härteren Gesetzgebung abschrecken lassen.

Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Im Gegenteil! Ich denke, dass die Wut auf die staatliche Autorität nur noch größer wird. Die Gruppe, vor der man am meisten Angst hat, sind Muslime. Vorbehalte gegen diese Menschen und Strafgesetze, die auf diese Menschen zugeschnitten sind, verursachen noch tiefere Gräben. Ein Kopftuchverbot beispielsweise – das ist jetzt zwar kein Straftatbestand – geht letzten Endes in die gleiche Richtung.

Der §278 wurde nicht nur in Bezug auf das Terrorismuspräventionsgesetz heiß diskutiert, sondern vor allem in Bezug auf den §278a. Er war der Auslöser für den größten TierschützerInnenprozess, der je in der Zweiten Republik stattgefunden hat. Sind die TierschützerInnen eine kriminelle Organisation?

Nein. Nur weil die Tierschützer Wertkartenhandys und einen EDVSpezialisten haben, sind sie noch lange nicht unternehmensähnlich organisiert. Ein Unternehmen hat eine glasklare Weisungshierarchie. Dort kann man sich nicht aussuchen, bei welcher Aktion man teilnimmt oder nicht. Die Tierschützer können das.

Wann hätten Sie den Prozess beendet?

Schon nach der Anklageschrift. Ich hätte die meisten Beweise gar nicht aufgenommen. Wenn es sich um konkrete Delikte handelt, die die Angeklagten begangen haben, dann müssen sie dafür bestraft werden und nicht wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Mir kommt es so vor, als würde sich die Richterin verpflichtet dazu fühlen, nachträglich all diese Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Es wurden Beweisaufnahmen bei Dingen geführt, die mit der Sache gar nichts zu tun haben.

Glauben Sie, dass der Prozess mit einem Freispruch endet?

Ich hoffe es.

In der Diskussion rund um den § 278a fordern nun viele, dass man den Paragraphen mit der Bereicherungsabsicht einer kriminelle Organisation einschränkt. Mit diesem Zusatz wäre eine Überwachung der TierschützerInnen nicht möglich gewesen. Warum wird das nicht geändert?
 
Es ist im Moment ein Gesetzesvorhaben in Arbeit. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass so eine Veränderung auch verhindern würde, dass zum Beispiel eine rechtsradikale Organisation über den Paragraph 278a bekämpft werden kann. Wenn Rechtsradikale sich organisieren, etwa um Kebap-Stände zu zerstören oder Ausländer zu nötigen, dann können sie auch nur mehr wegen des konkreten Straftatbestandes zur Verantwortung gezogen werden und nicht bereits wegen ihres Zusammenschlusses.