Eva Maltschnig

Das ist blanker Zynismus

  • 13.07.2012, 18:18

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann im Gespräch über verblüffende Einsparungen im Budget, die Strategie der Regierung und die Erfolgsaussichten von Studierendenprotesten.

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann im Gespräch über verblüffende Einsparungen im Budget, die Strategie der Regierung und die Erfolgsaussichten von Studierendenprotesten.

PROGRESS: Herr Liessmann, was bedeuten die Budgetkürzungen für die Wissenschaft in Österreich?

Liessmann: Die Diskrepanz zwischen dem, was ständig lauthals proklamiert wird – „Wissensgesellschaft, Forschung und Bildung sind unsere Zukunft, et cetera“ – und der Realität wird immer größer. Nehmen wir das Beispiel Bachelor-Abschluss: Auf der einen Seite wird er von der Regierung nicht als akademischer Abschluss gewertet, gleichzeitig sagt man bei der Beihilfenkürzung: „Aber die Studierenden sind eh nach drei Jahren fertig, was brauchen sie danach noch weiter Unterstützung?“ Das ist blanker Zynismus. Auch die Schließung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat uns internationalgeschadet. Wenn man die Berichte der deutschen Feuilletons dazu gelesen hat, sieht man, wie peinlich das eigentlich ist. Das wiegt das bisschen Geld, das hier eingespart werden kann, wirklich nicht auf.

Wo im Budget hätten Sie gespart?

Nur weil die dafür Verantwortlichen inkonsistente Dinge machen, muss nicht jeder interessierte Bürger bessere Rezepte vorlegen. Da bräuchten wir keine „politischen Eliten“, wenn das jeder nachdenkende Mensch auch machen könnte. Aber manchmal hat man den Eindruck, dass es sich genau so verhält.
In diesem Budget hat man weder größere Strukturreformen ins Auge gefasst, noch eine Neuorientierung des Steuersystems in Angriff genommen. Ein richtiger Schritt und wichtiges Signal wäre gewesen, die Besteuerung von Arbeit zu senken und die von Vermögen zu erhöhen. Passiert ist nichts.

Was ist von dieser Regierung noch zu erwarten?

Ich glaube nicht, dass wir von dieser Regierung noch irgendwelche strategischen Entscheidungen erwarten können. Man wird halt auf dieser Ebene weitertun, wird da und dort auch bei den nächsten Budgets Einschnitte vornehmen, und dann mit den Betroffenen reden. Das ist ja auch so eine seltsame Strategie – man verkündet zuerst ein Spar-Budget ohne vorher mit den Betroffenen zu diskutieren, und lädt sie nachher, wenn ohnehin schon alles entschieden ist, zu Gesprächen ein. Kollegen, die in außeruniversitären Forschungseinrichtungen arbeiten, haben zuerst den Brief bekommen, dass die Basisförderung gestrichen wird, und dann wurden sie zu Gesprächen gebeten. Das ist kommunikationstechnisch ein ganz schlechter Stil. Ich möcht‘ wirklich wissen, was eigentlich diese hochbezahlten und vollkommen überbewerteten Kommunikationsberater machen, die ja überall herumschwirren, und wohl auch unsere Regierung beraten? Da sehe ich wirklich Sparpotential, auf die könnte man leicht verzichten.

Die Studierenden versuchen jetzt vehement, sich gegen das Sparpaket zu wehren. Meinen Sie, das macht Sinn?

Das Einzige, bei dem die Regierung Intelligenz zeigt, ist, dass sie dort spart, wo keine großen Widerstände erwartet werden. Die Regierung hält den Bildungssektor für gesellschaftlich unwichtig, sowohl der Sache nach als auch in Hinblick auf mögliche Protestaktionen. So gesehen muss man nüchtern sein. Chancen sehe ich nur, wenn es hier zu einer breiten Koordination von Protestmaßnahmen zwischen Universitäten, Rektoren, Studierenden, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Schulen und Lehrern kommt. Aber man merkt, wie schwer das ist. Kaum werden die außeruniversitären Forschungseinrichtungen zugesperrt, finden sich schon Rektoren, die das ganz toll finden, weil sie glauben, ein paar Hunderttausend von diesen eingesparten Euros werden auf ihre Universität abfallen. Mit diesem Prinzip des Sich-spalten-Lassens kann die Regierung natürlich rechnen, und wahrscheinlich werden auch Rektoren und Studenten auf keine gemeinsame Basis kommen. Dann werden die Protestaktionen in Einzelaktion verpuffen, und das hält die Regierung schon aus.

Waren Sie von den Sparmaßnahmen im Bildungssektor eigentlich überrascht?

Nein, eigentlich nicht. Budgets über Einsparungen bei Bildung und Sozialem zu sanieren, liegt ja europaweit im Trend. Überrascht war man vielleicht über Details. Auf bestimmte Ideen, wie die Familienbeihilfe zu kürzen und gleichzeitig die Studienbedingungen zu verschlechtern oder außeruniversitäre Forschungsinstitute zu schließen, muss man erst kommen, das war zum Teil echt verblüffend.

STOP statt STEP?

  • 13.07.2012, 18:18

Zwei der drei Anträge auf Zugangsbeschränkungen nach §124b wurden nicht beschlossen, doch Ministerin Karl lässt nicht locker. Neues Projekt der Ministerin ist eine neue Studieneingangsphase, an deren Ende kräftig ausselektiert werden soll.

Zwei der drei Anträge auf Zugangsbeschränkungen nach §124b wurden nicht beschlossen, doch Ministerin Karl lässt nicht locker. Neues Projekt der Ministerin ist eine neue Studieneingangsphase, an deren Ende kräftig ausselektiert werden soll.

Die Anträge auf Zugangsbeschränkungen nach §124b für Architektur und die Wirtschaftsuniversität Wien wurden im Mai im MinisterInnenrat abgelehnt,  lediglich“ das Pubilizistik-Studium wird ab Herbst wieder beschränkt werden. Was für zukünftige Publizistik- StudentInnen eine massive Hürde bedeutet, ist Beatrix Karl noch lange nicht genug. Im Gegenteil, sie verbuchte die Ablehnung der restlichen Anträge als Niederlage und einigte sich dafür mit der Koalitionspartnerin auf eine Neugestaltung der Studieneingangsphase – die STEP soll zur Knock-Out-Phase werden. Eine Aktion der ÖH vor dem Bundeskanzleramt, eine Rektoratsbesetzung mit Kurzbesuch im Audimax und eine Besetzungs-Visite im BMWF waren die spontanen Reaktionen der Studierenden darauf, der Ausstieg der ÖH und der #unibrennt-Bewegung aus dem Hochschuldialog nur der nächste logische Schritt. 

Knock-Out. Trotz der vielen negativen Reaktionen lässt sich die Ministerin nicht beirren – erst kürzlich bestärkte sie ihre Forderungen nach Knock-Out-Phasen zu Studienbeginn bei einer Veranstaltung in Innsbruck. Die gewünschte „Qualität“ sei ohne Selektion nicht zu erreichen. Hier eine Gegenthese: Die gewünschte „Qualität“ der Studieneingangsphase lässt deutlich zu wünschen übrig, nicht die Fähigkeiten der StudienanfängerInnen!
Der Einstieg in die akademische Welt an sich fällt nicht leicht. Besonders an großen Universitäten und in großen Studienrichtungen ist der culture-clash zwischen schulischer Allround- Versorgung und universitärer Selbstständigkeit groß. Sich einen Stundenplan das erste Mal selbst zu erstellen, ist eine veritable Herausforderung – an der aber kaum eineR scheitert. Das zeigt die Studie über frühe StudienabbrecherInnen, die im letzten Jahr vom BMWF herausgegeben wurde: Das „System Universität“ habe nur 5,5 Prozent der AbbrecherInnen abgeschreckt, die wichtigsten Gründe für einen Abbruch sind nicht erfüllte Erwartungen an das Studium sowie Probleme mit der Vereinbarkeit von Studium und Erwerbsarbeit.
Ein ähnliches Bild zeigt der Projektbericht zum Studienwechsel, der ebenso vom BMWF in Auftrag gegeben wurde: 72 Prozent der Befragten wechselten ihr Studium, weil sie etwas anderes erwartet hatten oder sich die eigenen Interessen veränderten (62 Prozent). Die Gründe für den frühzeitigen Drop-Out können also nicht den neu gewonnenen Freiheiten, die ein Universitätsstudium mit sich bringt, zugeschanzt werden.
Dass Reformbedarf bei vielen Studieneingangsphasen besteht, leugnet niemand und wird auch durch die Empirie gezeigt. Problembearbeitung ist allerdings vorrangig in der größeren Durchlässigkeit zwischen Studienrichtungen angesagt – ein System, in dem ein Studienwechsel in den ersten beiden Semestern unproblematisch und ohne Zeitverlust vollzogen werden kann, wäre zumindest in verwandten Fachrichtungen dringend nötig. Das wäre zum Beispiel durch eine höhere Wahlfreiheit in der ersten Studienphase, in der Kurse aus verschiedenen Studienrichtungen belegt werden können, möglich. Auch die Studienwahl würde so erleichtert und verbessert, denn durch eine gute allgemeine Einführungsphase ins Fachgebiet erschließt sich erst die Vielfalt der Möglichkeiten.

Kerncurriculum. Einige Universitäten arbeiten bereits jetzt mit einem Kerncurriculum, das im ersten Studienjahr absolviert werden soll: Die Montanuniversität Leoben bietet ein gemeinsames erstes Studienjahr für neun Studienrichtungen an, die Studienwahlentscheidung zwischen den angebotenen Fächern verlagert sich also ein Jahr nach hinten. Ähnlich geht die Wirtschaftsuniversität Wien vor – diese Studieneingangsphase ist aber weniger für ihre Orientierung, sondern für ihre gnadenlose Selektion bekannt: Geschätzte 80 Prozent aller Studierenden an der WU werden hier rausgeprüft.
Es kommt also auf die Intention an, mit der Studieneingangsphasen umgesetzt werden: Sollen Studierende in die Hochschule integriert oder aus der Uni gedrängt werden? Karls Wünsche diesbezüglich sind eindeutig: Die Orientierung, die momentan laut Universitätsgesetz Ziel der Studieneingangsphase sein muss, soll der Selektion weichen. Am Ende der STEP soll es, wenn es nach der Ministerin geht, künftig Aufnahmeverfahren geben, deren Bestehen Voraussetzung für das weitere Studium sein soll – flächendeckende Zugangsbeschränkungen nach einem Jahr „Vorlaufzeit“ also.
Das Ziel, die AkademikerInnenquote zu erhöhen, wird damit freilich meilenweit verfehlt werden. Österreich hat nicht nur im OECDSchnitt zu wenige AbsolventInnen sondern auch weniger StudienanfängerInnen als die meisten Industriestaaten. Dass es für Volkswirtschaften wenig nachhaltigere Investitionsmöglichkeiten als Bildung gibt, ist ebenso Fakt. Ministerin Karl verschließt die Augen vor diesen Tatsachen – bleibt nur noch zu hoffen, dass „Spiegelministerin“ Claudia Schmied mehr Weitblick beweist und dem Beschränkungswahnsinn den gesellschaftlich notwendigen freien Bildungszugang entgegenhält. Wir Studierende werden uns in jedem Fall gegen die geplanten Schranken wehren.

 

Neue Bildung braucht das Land

  • 13.07.2012, 18:18

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist Geschichte. Dass jetzt bei der Bildung Schluss sein muss mit Rumwurschteln, sollte mittlerweile allen klar sein. Die ÖH zieht ein Fazit über 2009, und hat Hoffnung für 2010.

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist Geschichte. Dass jetzt bei der Bildung Schluss sein muss mit Rumwurschteln, sollte mittlerweile allen klar sein. Die ÖH zieht ein Fazit über 2009, und hat Hoffnung für 2010.

Abschaffung von Mitbestimmungsrechten und demokratischen Organen. Zugangsbeschränkungen. Verschulung. Leistungsdruck. Studiengebühren. Die hochschulpolitischen Assoziationen zu den Nuller-Jahren halten sich fast durchgehend im negativen Bereich auf. Kaum ein Jahr, in dem nicht irgendetwas am österreichischen Hochschulsystem schlimmer wurde. Auch das Schulsystem wurde durch einfaches Nicht-Reformieren dem endgültigen Verfall preisgegeben.
Immer wieder haben sich Studierende zusammengetan, um gegen diese Verschlechterungen zu protestieren: Die Einführung der Studiengebühren, die Umsetzung des Universitätsgesetzes, das Elitenförderungsprogramm der schwarz-blauen Bundesregierung, schulpolitische Katastrophen und der rote Studiengebühren-Umfaller hatten immer wieder Demos, Kundgebungen, riesige Umzüge, Aktionen und (Rektorats-)Besetzungen zur Folge. Rückwirkend stellt sich für alle Involvierten die Frage, ob diese Proteste abseits einer massiven Förderung der transparentstoffverkaufenden Wirtschaft nachhaltige Verbesserungen erzielen konnten. Zum Teil, würden einige sagen. Fast 90 Prozent aller Studierenden zahlen mittlerweile keine Studiengebühren mehr, die Studienbeihilfe wurde geringfügig angehoben (nominell, nicht real), die Studierenden an Fachhochschulen sind jetzt Teil der ÖH und verfügen damit über eine gesetzliche Vertretung.
Das Fazit ist also eher mau. Von gefühlten tausend Demos und realen hunderttausenden Protestierenden ist politisch nicht viel übrig geblieben. Frei nach Antonio Gramsci drohte der Optimismus des Willens am Pessimismus des Verstandes zu scheitern. Schließlich wurde im Juli 2009 das undemokratische Universitätsgesetz reformiert, mit der grundlegenden Konsequenz, dass Zugangsbeschränkungen nun in so gut wie jedem Fach eingeführt werden können. Aufsehen erregte das aber keines. 

Bildung brennt. Die Politikverdrossenen strafte das Jahr 2009 aber Lügen – weder von langer Hand geplant noch von Institutionen organisiert beschloss eine große Zahl von Studierenden schlicht und ergreifend, dass es jetzt genug ist. Genug mit Ellbogentechnik, Sitzplatzproblemen, engen Studienplan-Korsetten und prekären Lebensverhältnissen. Wie ein Waldbrand weitete sich der Protest in unglaublicher Geschwindigkeit von der Akademie der Bildenden Künste auf ganz Österreich aus. Die heftigsten Bildungsproteste ausgerechnet am Ende der Nuller-Jahre, wo doch die Reform der Hochschulen zu standortgerechten Dienstleistungsanbietern längst abgeschlossen sein hätte sollen und die Kundschaft StudentInnen gelangweilt an der Kassa steht.
Es hat sich ausgesessen. Für die ÖH bieten diese Proteste auf der einen Seite große Unterstützung in ihren Anliegen. Sie zeigen, dass die Forderungen nach offenen Universitäten, freier Bildung und sozialer Absicherung von Studierenden nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern über eine riesige Basis verfügen. Auf der anderen Seite sind in ÖH-Strukturen Erinnerungen an vergebliche alte Kämpfe stets präsent. Besonders unter Schwarz-Blau wurden Proteste regelmäßig einfach ausgesessen. Erstmals in der Frage der Studiengebühren führte ein Zusammenspiel aus einem günstigen innenpolitischen Moment und der Tatsache, dass die ÖH die Abschaffung der Studiengebühren zur Glaubwürdigkeitsfrage für die SPÖ gemacht hatte, zu dem Erfolg der teilweisen Abschaffung. Für die ÖH gilt es demnach, die Forderungen der Studierendenbewegung von 2009 politischer Umsetzung zuzuführen und dafür alle Kanäle zu nützen.

Vorsätze und Hoffnungen. 2009 ist das Fass mit der Novelle des Universitätsgesetzes übergelaufen – die StudentInnen haben begonnen, sich zu wehren. Der Dialog Hochschulpartnerschaft, den das Wissenschaftsministerium daraufhin einleitete, soll eine grundlegende Veränderung des Hochschulwesens anstreben. Inwieweit sich innerhalb dieser Struktur Verbesserungen erzielen lassen, wird sich aber erst zeigen. Jedenfalls nehmen wir unsere Zielsetzung ernst – allen voran die Zurückeroberung freier, demokratischer Hochschulen – und werden aktiv Verbesserungsvorschläge liefern.
Für 2010 hat sich die ÖH-Bundesvertretung einiges an Projekten vorgenommen. Das Jahr startet für uns politisch mit dem Kongress Higher Education Reloaded (siehe Seite 11), mit dem wir Student-Innen die Möglichkeit geben wollen, sich zu vernetzen und ihr bildungspolitisches Wissen zu erweitern. Darüber hinaus wollen wir natürlich auch 2010 das StudentInnenleben ein Stück schöner, gerechter und einfacher machen: Wir vertreten euch wie immer in wohnpolitischen Fragen, beraten euch in sozialrechtlichen und studienrechtlichen Angelegenheiten. Außerdem haben wir uns vorgenommen, unser Beratungsangebot in Form eines Studien- und Sozialrechtswikis besser aufzubereiten, uns für den Arbeitsmarktzugang von Studierenden aus Nicht-EWR-Staaten einzusetzen und endlich studienrechtliche Mindeststandards für FH-Studierende zu erreichen.
Die Hoffnung, dass in den Zehner-Jahren einiges besser wird, lebt – nicht zuletzt aus der traurigen Gewissheit, dass die Nuller-Jahre ein verlorenes Jahrzehnt für emanzipatorische Hochschulpolitik waren.

 

 

Schotten dicht!

  • 13.07.2012, 18:18

Das Leitmotiv von Beatrix Karls Amtszeit hat sich in den letzten Monaten immer deutlicher gezeigt: Der offene Hochschulzugang soll beendet werden. Mit oder ohne Koalitionspartnerin, mit oder ohne gesetzliche Grundlage und gegen die Studierenden.

Das Leitmotiv von Beatrix Karls Amtszeit hat sich in den letzten Monaten immer deutlicher gezeigt: Der offene Hochschulzugang soll beendet werden. Mit oder ohne Koalitionspartnerin, mit oder ohne gesetzliche Grundlage und gegen die Studierenden.

Ausgerechnet den Karfreitag hat sich Beatrix Karl ausgesucht, um die Anträge auf Zugangsbeschränkungen nach § 124b des Universitätsgesetzes 2002 in den Fächern Publizistik, Architektur und der Wirtschaftsuniversität Wien in Begutachtung zu schicken.

Konsequent beschränken. Karls Position zu Zugangsbeschränkungen zieht sich konsequent durch ihre politische Karriere. Bereits als Wissenschaftssprecherin der ÖVP setzte sie sich für die Abschaffung des offenen Hochschulzugangs ein. Wenig verwunderlich forciert Karl auch als Ministerin Schranken an den Unis. „Die Regelung des Hochschulzugangs sei zwar nicht die eleganteste Lösung, aber eine notwendige, um die Probleme der Massenuniversität zu lösen“, war in einer ihrer ersten Presseaussendungen als Ministerin zu lesen.
Mit dieser Position steht sie den Interessen der Studierenden diametral entgegen, doch andere PlayerInnen im Hochschulbereich fordern und fördern dieses Anliegen. Allen voran steht Christoph Badelt, ehemaliger Chef der Rektoren, Karl zur Seite. Badelt versucht, Zugangsbeschränkungen zu einer Frage der Gerechtigkeit umzudeuten: Immer wieder wirft er Argumente wie eine sozial selektive Sekundarstufe, deren negative Effekte nicht durch offenen Zugang zu Hochschulen ausgeglichen werden könne, oder die ungerechten Knock-Out Prüfungen im ersten Abschnitt, die aufgrund von Kapazitätsproblemen an der WU Wien rund 80 Prozent der Studierenden vor Beginn des zweiten Abschnitts eliminieren müssen, in die Wagschale.
Auffallend ist die Intensitätssteigerung seiner Forderungen nach Beschränkungen seit der Abschaffung der Studiengebühren – brachte einst jede Inskribientin und jeder Inskribient der WU bares Geld, bleibt mit der heutigen Regelung nur ein großer Verwaltungsaufwand. Was Badelt in seinen Argumenten ebenso verschweigt, ist die Problemlosigkeit, mit der der Rektor fast eine halbe Milliarde Euro für den prestigeträchtigen Neubau der WU ausverhandeln konnte, doch eine Anhebung der Kapazitäten für die Lehre wird als unmöglich abqualifiziert.
Welchen Weg die Wirtschaftsuniversität in ihrer Zulassungspolitik einschlagen möchte, ist aufmerksamen LeserInnen seit Abschluss der letzten Leistungsvereinbarungen zwischen WU und Ministerium klar. Auf Seite drei des im Dezember letzen Jahres von Generalsekretär Faulhammer und Rektor Badelt unterzeichnetenPapiers wird als Maßnahme zur Verbesserung der Betreuungsrelation festgelegt: „In diesem Zusammenhang wird die WU einen Antrag nach § 124b (6) UG stellen.“ Das scheinbar neutrale Management-Tool „Leistungsvereinbarung“ wird zum Grundstein politischer Entscheidungen.

Notfallparagraph. Der Paragraph 124b im Universitätsgesetz ermöglicht eine Beschränkung des Hochschulzugangs für bestimmte Studienrichtungen unter folgenden Voraussetzungen: Die Studienrichtung muss von einem deutschen Numerus Clausus Studium betroffen sein, alle Universitäten, an denen die Studienrichtung angeboten wird, müssen den Antrag gemeinsam stellen, und die Studienbedingungen müssen durch die „erhöhte Nachfrage ausländischer Staatsangehöriger“ unvertretbar sein. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann die Bundesregierung eine Verordnung über die Zahl der zuzulassenden StudienanfängerInnen festlegen, diese Zahl darf aber nicht unter dem Durchschnitt der Studierenden der letzten drei Jahre liegen.
Vor allem der Antrag der WU liegt außerhalb jedes gesetzlichen Rahmens: Die WU hat als einzige Uni für jene Studienrichtung, in der vornehmlich (internationale) BetriebswirtInnen ausgebildet werden, einen Antrag gestellt. Die Anzahl ausländischer Studierenden an der WU ist in den letzten Jahren prozentual gesunken, das geht sogar aus den Daten im Antrag hervor. Und die Beschränkung der Erstsemestrigen auf 3.600 Studierende würde eine deutliche Reduktion der Studierendenzahlen bedeuten.
Kein Grund für die Ministerin, den Antrag abzulehnen, im Gegenteil. Nachdem die Koalitionspartnerin SPÖ Ablehnung für die Anträge in der Architektur (kein signifikanter Anstieg ausländischer Studierender) und der WU signalisierte, schickte die Ministerin die Anträge trotzdem in Begutachtung – sie wolle die Koalitionspartnerin während der Begutachtungsphase noch überzeugen.
Hinter den Kulissen sind einige verwundert: Weniger Anträge als erwartet wurden gestellt. Doch Ministerin Karl arbeite daran, das so schnell wie möglich zu ändern. Bei Terminen mit Rektoren halte sie konsequent dazu an, so viele Anträge auf Zugangsbeschränkungen wie möglich zu stellen. Am Ende ihrer Mission stünde dann ein Hochschulraum mit flächendeckenden Zugangsbeschränkungen und zentral gesteuerter Planung der Studierendenzahlen.

Notfallprotest. Was für die Ministerin ein erstrebenswertes Ziel ist, bedeutet für viele MaturantInnen das Ende der tertiären Ausbildung, bevor sie überhaupt begonnen hat. Für jene kritischen ÖHs und protestierenden Studierenden, die im Herbst ein Window of Opportunity im Hochschulbereich öffneten und für demokratische und offene Hochschulen kämpften, ist das eine inakzeptable Entwicklung, der auf geeignete Art und Weise Widerstand entgegengesetzt werden muss. Revolutionen sind nicht planbar, doch das Hochschulsystem hat dringend eine nötig, denn die momentane Politik bedeutet eine rückwärtsgewandte Reform. Der erste Schritt für eine Verbesserung der Situation an den Hochschulen ist eine Ablehnung aller 124b- Anträge durch die Regierung, eine Rücknahme der Budgetkürzungen im Bildungsbereich und eine deutliche Aufstockung der Unibudgets durch kluge einnahmenseitige Refinanzierung ohne konsumbremsende Massensteuern. Rationalen Argumenten scheinen Ministerin Karl und die ÖVP nicht zugänglich zu sein – scheinbar müssen erst Hörsäle besetzt werden, damit Veränderung möglich wird.

Selbstverwaltet mitgestalten

  • 13.07.2012, 18:18

Seit 1945 gibt es in Österreich eine Institution, die die Interessen aller Studierenden vertritt – die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Heute setzt sie sich für die Rechte der Studierenden und für gute Studienbedingungen für alle ein.

Seit 1945 gibt es in Österreich eine Institution, die die Interessen aller Studierenden vertritt – die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Heute setzt sie sich für die Rechte der Studierenden und für gute Studienbedingungen für alle ein.

Starke Vertretung. Fast alle Studierenden (ausgenommen Studierende an privaten Hochschulen) in Österreich sind Mitglied der ÖH. Der Mitgliedsbeitrag wird zu Semesterbeginn eingehoben – er ermöglicht die Unabhängigkeit der ÖH von Regierung, Wirtschaft und politischen Parteien. Die ÖH ist eine Körperschaft Öffentlichen Rechts, was bedeutet, dass die ÖH selbstverwaltend über ihre Agenden entscheidet, welche per Gesetz die Förderung ihrer Mitglieder und die Vertretung der Interessen selbiger sind.
Demokratie ist ein weiterer Grundsatz, dem die ÖH als selbstverwaltete Institution verpflichtet ist – das heißt, dass alle 2 Jahre sämtliche Studierenden ihre VertreterInnen selbst wählen, und das auf verschiedensten Ebenen.

ÖH ist nirgends gleich. So vielfältig wie die Studierenden an den verschiedenen Hochschulen und Studienrichtungen, so unterschiedlich ist auch die Arbeit der lokalen ÖH-Strukturen. Der erste Kontakt mit der ÖH ist für Studierende meist die Studienvertretung – diese kümmert sich zum Beispiel um Beratung im konkreten Studienplan oder arbeitet bei der Erstellung neuer Lehrpläne mit. Je nach Universität können auch Vertretungsebenen eingerichtet werden, die alle Studienrichtungen eines Fachbereichs zusammenfassen (früher „Fakultätsvertretungen“). Es gibt an jeder Universität eine übergreifende Vertretungsebene. Die Universitätsvertretung verhandelt mit Rektorat und Uni-Rat und organisiert je nach Universität auch Beratung und Veranstaltungen für Studierende.
An Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen werden die lokalen Vertretungen von ihren jeweiligen StudiengangssprecherInnen oder –vertretungen, und im Fall der Fachhochschulen auch von JahrgangssprecherInnen konstituiert. Aus ihrer Mitte werden eine Vorsitzende bzw. ein Vorsitzender und StellvertreterInnen gewählt.
Die ÖH Bundesvertretung wird seit 2005 nur noch indirekt gewählt – das Studierendenparlament wird nach Maßgabe der lokalen Wahlergebnisse beschickt. Dieser Wahlmodus wurde 2004 von Elisabeth Gehrer in einer Nacht- und Nebelaktion eingeführt. Er hätte eine regierungskritische ÖH mundtot machen sollen. Kurzfristig gelang dies nicht, doch mit Zeitverzögerung zeigt sich nun, was dieses mittlerweile nicht mehr so neue Wahlrecht heißt: Die Mehrheitsfindung in der ÖH Bundesvertretung wird nahezu unmöglich, die Schlagkraft dieser Institution leidet unter dem undemokratischen System, das die Stimmen der Studierenden je nach Universität unterschiedlich gewichtet.

Service und Politik. Nichts desto trotz wird in der ÖH Bundesvertretung emsig gearbeitet – 10 Referate, die für unterschiedliche Bereiche zuständig sind, teilen sich die Agenden auf. Zum Beispiel unterstützt das Sozialreferat Studierende im Kampf durch den Beihilfendschungel, das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten setzt sich unter anderem für studienrechtliche Mindeststandards an Fachhochschulen ein.
Gemeinsam ist allen Referaten ein Interesse: die österreichische Bildungslandschaft mitzugestalten. Nach dem Motto „Service, das hilft. Politik, die wirkt“ ist die Beratung von Studierenden nur eine Seite der Medaille. Die ÖH bezieht zu Gesetzesentwürfen Stellung, lobbyiert bei verschiedenen gesellschaftlichen PlayerInnen (Ministerien, Gewerkschaften, Hochschul-Vertretungen, etc) für die Interessen von Studierenden und wird auch nicht müde, die wichtigsten Anliegen der Studierenden gebetsmühlenartig zu wiederholen. Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen wären gesellschaftlicher Konsens, würde die ÖH nicht immer wieder dagegen eintreten.

Keine eierlegende Wollmilchsau. Viele Probleme der Studierenden lassen sich leider durch gute Vertretungsarbeit alleine kaum lösen. Einerseits ächzen die Hochschulen durch die Bank unter dem rigiden Sparkurs, der seit Jahren die Studienbedingungen verschlechtert. Andererseits werden die Studien immer verschulter und der finanzielle Druck auf die Studierenden steigt – ehrenamtliche Tätigkeiten und damit die aktive Mitgestaltung in der ÖH wird zum Luxus, den sich die Mehrheit der Studierenden, die ihre lehrveranstaltungsfreie Zeit im Nebenjob verbringt, nicht mehr leisten kann. 
Die Rationalisierung der bildungspolitischen Auseinandersetzung und damit auch der Hochschulstruktur lässt wenig Raum für eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Es liegt an den Studierenden, sich aktiv einzubringen und das Spielfeld wieder zu erweitern.

 

Wessen Protest?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Eiterblase ist geplatzt. Der Unmut an den Hochschulen ist übergeschwappt, seit fast zwei Monaten protestieren Studierende in Österreich und anderswo gegen völlig verfehlte Bildungspolitik. Aber welche Rolle nimmt die ÖH bei diesen Protesten ein?

Die Eiterblase ist geplatzt. Der Unmut an den Hochschulen ist übergeschwappt, seit fast zwei Monaten protestieren Studierende in Österreich und anderswo gegen völlig verfehlte Bildungspolitik. Aber welche Rolle nimmt die ÖH bei diesen Protesten ein?

Am 20.10.2009 besetzten Studierende die Aula der Akademie der bildenden Künste. Grund waren die Ergebnisse der Leistungsvereinbarungen zwischen der Universität und dem Ministerium, die wichtige Anliegen der Studierenden und des Senates nicht beachtet hatten und als undemokratische Diktate keinerlei Mitsprache ermöglichten. Zwei Tage darauf wurde aus einer Demonstration im Votivpark eine weitere Besetzun; das Auditorium Maximum der Universität Wien wurde am 22. Oktober zu einem freien Hörsaal. Die symbolische Wirkung dieser Einnehmung des Raumes gab auch in anderen Bundesländern Anstoß zu handeln. Unis in Linz, Graz, Innsbruck und Salzburg wurden besetzt, in Klagenfurt wurden Solidaritätsbekundungen gestartet und auch FH-Studierende organisierten Proteste an ihren Hochschulen. 

Das Fehlen der ÖH? Im Schnellverfahren hatte vor allem die Besetzung des Audimax der Uni Wien die vollständige Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit auf sich gezogen und war zum Epizentrum des (hochschul-)politischen Diskurses geworden. Die „Protestbewegung“ war geboren und wurde besonders von der Medienlandschaft beklatscht, bejubelt und gelobt. Die Medien waren auch die ersten, denen das vermeintliche Fehlen der ÖH auffiel.
„Warum steht die ÖH nicht an der Spitze der Demo?“ „Warum verhandelt die ÖH nicht über die Forderungen?“ Spätestens ab dem zweiten Besetzungs-Tag wurden diese Fragen gestellt – wohlgemerkt nicht von den aktiv Handelnden, sondern von JournalistInnen, PolitikerInnen und Rektoren. Den protestierenden und besetzenden Studierenden waren die Antworten auf diese Fragen ohnehin klar; sie konnten erst aus einer verfehlten Wahrnehmung der Funktionsweise der „Protestbewegung“ heraus gestellt werden.
Als identitätsstiftendes Merkmal vereint die protestierenden Studierenden vor allem die horizontale Organisationsform ihrer Aktionen. Es gibt keinen Vorstand, Streikrat oder etwaige Führungsspitzen; die Arbeit funktioniert über offene Arbeitsgruppen, die sich bei Bedarf vernetzen. In Plena werden gemeinsame Entscheidungen gefällt, denen jedoch immer ein kollektiver Gedanke zu eigen ist. Dass viele Institutionen damit überfordert sind, liegt auf der Hand. „Mit wem sollen wir verhandeln?“, fragt das Rektorat. „Wen können wir interviewen?“, fragen die Medien. Es gibt keinen Kopf, der ins Rampenlicht gehalten werden oder für die gesamte Gruppe zur Verantwortung gezogen werden kann: es gibt viele davon. Das macht es besonders für die Politik schwer, in den althergebrachten Mechanismen von Ignorieren, Scheinlösungen anbieten und Kritik-im-Keim-ersticken zu verbleiben.

290.000 Studierende. Die ÖH ist im Gegensatz zur Protestbewegung fest im Gefüge des institutionalisierten politischen Raums verankert. „Die ÖH ist die gesetzliche Interessensvertretung von über 290.000 Studierenden in Österreich“, steht auf der Homepage der ÖH-Bundesvertretung. Sie existiert als Körperschaft öffentlichen Rechts auch unabhängig von den Personen, die die Struktur mit Aktivität füllen – das gegensätzliche Prinzip ist den Protesten zu attestieren. Genau dieser Unterschied erklärt ganz einfach das Zusammenspiel zwischen der ÖH und den Protesten: Menschen, die in der ÖH aktiv sind, bringen sich bei Hörsaalbesetzungen, Demos, Arbeitsgruppen und Aktionstagen ein, diskutieren mit, entwickeln Forderungen, schmieden Pläne. 

Sich selbst vertreten. Natürlich könnte ein Widerspruch zwischen der schieren Existenz einer gesetzlichen Interessensvertretung und einer Protestbewegung, die „von der Basis“ kommt, festzustellen sein. Schließlich geht es der ÖH darum, in der bildungspolitischen Auseinandersetzung als Institution, die durch ihren gesetzlichen Rahmen der repräsentativen Demokratie verpflichtet ist, das Bestmögliche für die Studierenden zu erreichen, während viele BesetzerInnen nicht wollen, dass Einzelne für sie sprechen. Dass das nicht zwingend ein Widerspruch ist, zeigt die Handlungsweise der ÖH. Sie akzeptiert und fördert das Nebeneinander zweier Strategien der politischen Arbeit, die dieselben Ziele verfolgen: offene und demokratische Hochschulen in offenen und demokratischen Gesellschaften. 

Gegenseitig solidarisch. Das bedeutet, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. ÖHlerInnen können aufgrund ihrer Erfahrungen der Protestbewegung wertvolles Wissen im Bereich der Hochschulpolitik und der dazugehörigen komplexen Gesetzesmaterie zur Verfügung stellen. Nicht von ungefähr decken sich die Forderungen der besetzten Hochschulen zu 90 Prozent mit Themen, die von der ÖH seit vielen Jahren bearbeitet werden.
Die Protestbewegung zeigt durch kreative Aktionsformen und innovative Kommunikationsstrategien neue Dimensionen in der politischen Arbeit auf, ohne die die momentane Debatte überhaupt nicht möglich wäre. Und die ÖH-Bundesvertretung macht’s nach – auf ihren Sitzungen gibt’s nun auch live-Twitterberichte und einen Video-Stream.
Wessen Protest? „Unser Protest!“, antworteten die TeilnehmerInnen der Demo, an der viele (ehemalige) ÖH-MitarbeiterInnen teilnahmen. Die Ziele sind dieselben, die Rollen und Methoden ergänzen sich gegenseitig. Worin der Protest mündet kann schwer vorhergesagt werden. Wir als ÖH werden jedenfalls hartnäckig alle Kanäle und Ressourcen nützen, um Verbesserungen für Studierende zu erreichen, und versuchen, unsere Rolle zu erfüllen: Wir lassen uns nicht mundtot machen; wir geben keine Ruhe. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht in einem Jahr.

Was ist Hochschulbildung wert?

  • 13.07.2012, 18:18

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Warum eigentlich? Wie die Rendite von Bildung gemessen werden kann und welchen Sinn das Argument in der gegenwärtigen Diskussion um mehr Geld für Österreichs Hochschulen macht.

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Warum eigentlich? Wie die Rendite von Bildung gemessen werden kann und welchen Sinn das Argument in der gegenwärtigen Diskussion um mehr Geld für Österreichs Hochschulen macht.

Österreichs Hochschulen sind in Geldnöten. Laut Universitätsbericht des Wissenschaftsministeriums wurden 2009 3,79 Prozent der Bundesausgaben für Hochschulen verwendet, das sind rund drei Milliarden Euro. Für die 22 öffentlichen Universitäten und 19 Fachhochschulen reicht das nicht aus. Besonders die Geldprobleme der so genannten Massenuniversitäten haben im letzten Jahr große Aufmerksamkeit erlangt, unter anderem als Reaktion darauf wurden Forderungen nach flächendeckenden Zugangsbeschränkungen seitens der Rektoren und des Wissenschaftsministeriums erneut laut.
Auf der Finanzierungsseite ist keine Besserung in Sicht: Österreich muss sparen. Die EU hat ein Verfahren wegen übermäßigem Defizit eingeleitet, dass die Regierung mehr oder weniger zum Handeln zwingt. Die Maastricht-Kriterien sind einzuhalten um einen stabilen Euro zu gewährleisten, hier sind sich Europäische Zentralbank und Kommission einig. Maximal sind eine Neuverschuldung von drei Prozent des BIP und eine Verschuldungsquote von 60 Prozent des BIP erlaubt, sonst drohen Sanktionen – Österreich rechnet für 2010 mit einem Defizit von 4,7 Prozent und einer Schuldenquote von 70,2 Prozent, ab 2011 muss daher konsolidiert werden. Die Pläne dafür werden freilich erst nach den Landtagswahlen vorgelegt, doch die Hochschulen ziehen sich jetzt bereits warm an. Für die Universitäten beginnt 2011 eine neue Leistungsvereinbarungsperiode, bei der die Gelder neu verteilt beziehungsweise gekürzt werden. Bereits jetzt wird in so genannten „Begleitgesprächen“ seitens des Ministeriums auf die zu erwartenden sinkenden Mittel hingewiesen.
An den Hochschulen zu sparen ist in, das zeigen Beispiele aus den USA und dem Vereinigten Königreich. Direkte soziale Folgekosten wie Arbeitslosigkeit und Armut werden von Kürzungen im tertiären Sektor nicht erwartet, also wird der Sparstift hier zuerst angesetzt. Das hoch verschuldete Großbritannien (erwartetes Defizit 2010: Zwölf Prozent, Schuldenstand 79,1 Prozent) beschloss Kürzungen von über einer halben Milliarde Euro für das Studienjahr 2010/2011, weitere Einbrüche bis zu 35 Prozent des Gesamtbudgets der Unis werden befürchtet, höhere Studiengebühren und zusätzliche Abgaben für AbsolventInnen sind zu erwarten. In den USA (erwartetes Defizit: Zehn Prozent, Schuldenstand 2011 mit 100 Prozent prognostiziert) brachen angesichts der Wirtschaftskrise sowohl die privaten Mittel als auch die öffentlichen Ausgaben für Hochschulen ein. Die stark verschuldeten Bundesstaaten sparen an der tertiären Bildung, die Finanzspritze des Bundes war zu gering, um im bildungsbereich Kürzungen verhindern zu können.

Hier sparen? Keine gute Idee. ÖkonomInnen schreien bei diesen Spar-Ideen laut auf. Sogar jene, die üblicherweise Budgetdisziplin als höchstes wirtschaftliches Ziel sehen, argumentieren gegen Kürzungen bei (tertiärer) Bildung. Grund ist die langfristig positive Wirkung, die gut ausgebildete Arbeitskräfte auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes haben.
Die Humankapitaltheorie liefert den theoretischen Hintergrund zu diesem Argument. Aufbauend auf der Annahme, das menschliche Arbeitskraft maßgeblich zur Wertschöpfung und damit zum Wirtschaftswachstum beiträgt, bedingt bessere Ausbildung den effektiveren Einsatz von Arbeitskraft. Wie eine neue Maschine angeschafft werden kann, um die Produktionsleistung zu verbessern, könne auch in die (Weiter)Bildung von Angestellten investiert werden, um das Ergebnis zu verbessern. Die getroffenen Investitionsentscheidungen der AkteurInnen sind rational, davon geht die klassische Theorie aus: Sowohl der Staat als auch das Individuum entscheidet nach klaren Kriterien, wann es sich auszahlt in Bildung zu investieren. Zahlen und profitieren tun nämlich beide.
Die Bildungsrendite, wie sie die OECD berechnet, wiegt die Investitionskosten für Ausbildung mit den daraus erzielten Gewinnen ab. Teile der Faktoren fallen dem Staat, andere dem Individuum zu. Studiengebühren, etwaiger Verdienstentgang (berechnet nach dem geltenden Mindestlohn) und andere Kosten, die direkt mit dem Studium in Verbindung stehen, sind Investitionskosten, die für die einzelnen StudentInnen anfallen, Gelder, die für Hochschulen sowie für Stipendiensysteme und/oder geförderte Studienkredite bereit gestellt werden, fallen als Investitionsaufwand dem Staat zu. Das wichtigste return on investment für Studierende ist der künftig erwartete höhere Verdienst. Davon profitiert auch der Staat durch das höhere Steueraufkommen, höhere Sozialabgaben und niedrigere Transferleistungen. Außerdem wird aufgrund der geringeren Arbeitslosenrate von AkademikerInnen auf eine niedrigere Belastung der Arbeitslosenversicherung geschlossen. Durchschnittlich liegen die so berechneten öffentlichen Erträge von Investitionen in tertiärer Bildung bei den OECD-Staaten bei 300 Prozent: Für jeden Euro, den die Staaten in Akademiker (!) investiert, kommen drei zurück – so die Berechnungen aus der jährlich erscheinenden OECD-Studie Education at a Glance. Der Investitionsertrag bei Frauen liegt aber deutlich darunter, die geringere spätere Entlohnung, die rund ein Drittel unter jener von Männern liegt, schmälert die individuelle und öffentliche Rendite. Diese Zahlen sprechen aus budgetpolitischer Perspektive eindeutig für Investitionen in (tertiäre) Bildung, die OECD empfiehlt selbst dann in akademische Ausbildung zu investieren, wenn die Ausgaben ein zusätzliches Budgetdefizit bringen würden – auf lange Frist zahlt sich Hochschulbildung sicher aus.

Unschärfen. Viele Aspekte, in denen AkademikerInnen zu einer Verbesserung der öffentlichen Haushalte beitragen, sind in dem Indikator noch nicht inbegriffen. Durch ihr höheres verfügbares Einkommen konsumieren sie in absoluten Zahlen mehr als andere, die dadurch eingehobene Mehrwertsteuer lässt die Staatskasse nochmals klingeln. AkademikerInnen sind gesünder und politisch interessierter – so genannte positve externe Effekte, also wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zusatznutzen, der gar nicht im ursprünglichen Investitionsziel inbegriffen war, sind klar zu erkennen.
Aber wie präzise kann der wirtschaftliche Wert von AkademikerInnen wirklich gemessen werden? Selbst die OECD hegt Zweifel an der Genauigkeit ihrer Aussagen. So wird in Education at a Glance für die Berechnung der Rendite eines Hochschulstudiums von einem Realzinssatz von drei Prozent ausgegangen, um den Zeitfaktor der Investitionen einberechnen zu können. Wird dieser Wert nur geringfügig geändert, würden die errechneten Absolutbeträge deutlich schwanken. Ein anderer Unsicherheitsfaktor sind nicht prognostizierbare Veränderungen am Arbeitsmarkt – wenn sich die Nachfrage nach bestimmten akademischen Fachkräften ändert, steigt oder fällt auch das zusätzliche Einkommen, das durch das abgeschlossene Studium erzielt werden kann. Die oben erwähnten externen Effekte zu beziffern ist noch schwieriger. Nichts desto trotz sprechen jedoch die Vergleiche und die Renditen eine deutliche Sprache: Investitionen in tertiäre Bildung sind budgetpolitisch gerechtfertigt.

Wessen Erträge? Besonders in Zeiten von drohenden Sparpaketen Sparpaketen ist das Argument des wirtschaftlichen Nutzens von Bildung natürlich hilfreich, aus sozialwissenschaftlicher wie aus gesellschaftspolitischer Perspektive muss damit allerdings sehr vorsichtig umgegangen werden. Zunächst bedeuten die beeindruckenden öffentlichen und privaten Renditen nicht zwangsläufig Positives: Wenn nur wenige Menschen ein Hochschulstudium abschließen, kommt der zusätzliche Ertrag auch nur dieser Bevölkerungsgruppe zu Gute. Beim öffentlichen Ertrag verhält es sich wie bei allen öffentlichen Geldern: Über die Verwendung wird auf politischer Ebene entschieden. Ob aus dem Mehr an Einnahmen höhere Mindestsicherung oder eine Senkung des Spitzensteuersatzes finanziert werden, hängt von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Die Verteilungsfrage muss also im selben Atemzug gestellt werden, wie Hochschulbildung als Top-Investition angepriesen wird: Für wen werden die Renditen verwendet? Je progressiver ein Steuersystem und je durchlässiger das Bildungssystem, desto ausgleichender kann tertiäre Bildung für eine Gesellschaft wirken.
Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive muss allerdings auch die Grundannahme der Humankapitaltheorie in Frage gestellt werden: Gewinnmaximierung ist nicht das einzige Entscheidungskriterium der AkteurInnen. Menschen studieren nicht nur deshalb, weil sie sich später höhere Einkommen erwarten. Sie beginnen eine tertiäre Ausbildung, weil ihre Eltern studiert haben – soziale Selektion ist ökonomisch nicht rational, und sie passiert trotzdem. Auch die Rationalität öffentlicher Investitionsentscheidungen ist zweifelhaft: Hier kann sich die OECD wohl noch Jahrzehnte lang ins Zeug legen und der Österreichischen Regierung eine extrem ertragreiche und gleichzeitig risikofreie Anlagemöglichkeit anpreisen, die Erfolgsaussichten auf mehr Geld für Hochschulen sind gering.
Flaute herrscht momentan bei jenen Argumenten, die in den 1970er Jahren die Bildungsdiskussion dominierten. Hochschulbildung als Mittel des sozialen Aufstiegs, Hochschulen als wichtige Bestandteile selbstkritischer und offener Gesellschaften und Bildung als Akt der geistigen Befreiung – damit wird heute keine Podiumsdiskussion mehr gewonnen. Zwar mag es auf den ersten Blick egal sein, warum in Hochschulen investiert wird, ist mensch doch um jeden zusätzlichen Euro froh. Die Ökonomisierung der Argumente hinterlässt jedoch auch Spuren in der Hochschulorganisation („unternehmerische Universität“), den Studienplänen (Bologna- Struktur) und den Studierenden selbst. Wenn die Zeit an der Hochschule wirklich nur noch als Selbst- Investment gesehen wird, verliert der tertiäre Sektor aus demokratiepolitischer Sicht an Attraktivität.

Schönheit im Zerfall

  • 13.07.2012, 18:18

Wer der Perfektion misstraut, ist in New Orleans gut aufgehoben. Vieles bröckelt ab, und doch ist die Stadt das Interessanteste, was die Golfküste zu bieten hat. Ein Erfahrungsbericht.

Wer der Perfektion misstraut, ist in New Orleans gut aufgehoben. Vieles bröckelt ab, und doch ist die Stadt das Interessanteste, was die Golfküste zu bieten hat. Ein Erfahrungsbericht.

Rumms. Das Taxi erwischt ein Schlagloch mit 35 mph, die Fonds-InsassInnen schüttelt es durch. “I hate this street!”, flucht der Fahrer. Er befindet sich auf einer der Hauptverkehrsstrecken der Stadt, selbst dort findet sich eine breite Auswahl an “Potholes”, dem gemeinsamen Erkennungsmerkmal der Straßen von New Orleans. Nicht nur die Straßen bröckeln. Häuser, Dächer, Autos, Plätze: Ohne Dellen, abblätternder Farbe und fehlende Steine wären sie nicht Teil der Stadt. Was mit dem Euphemismus Elegant Decay umschrieben wird, ist Ausdruck der prekären sozioökonomischen Situation der Crescent City.
Das Stadtbudget ist knapp, doch nicht nur der Verwaltung fehlt hier das Geld, sondern auch den BürgerInnen. Das Median-Haushaltseinkommen in New Orleans liegt bei knapp 37.000 Dollar, das sind etwa 15.000 Dollar weniger als im U.S.- Durchschnitt. 24 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
So viel Negatives kann schon über New Orleans geschrieben werden, ohne den Hurrican Katrina auch nur einmal zu erwähnen. Dieses Symbol für das Versagen des amerikanischen Katastrophenschutzes markiert hier die Stunde Null der Zeitrechnung. 2005 standen weite Stadtteile wochen- und monatelang in einer toxischen Brühe. Was Sturm und Wasser übrigließen, fraß der Schimmel auf.
Wenn hier nichts rosig und alles schadhaft ist, warum wollten die BewohnerInnen nach Katrina in die Stadt zurück? Weil New Orleans die interessanteste Stadt der USA ist, behauptet die Tafel an der Stadteinfahrt. Und Belege finden sich dafür genug: großzügige Parks, die von angelegten Teichen über verwilderte Eichenwälder bis zu Baseball-Feldern alles bieten. Der Lake Ponchartrain, an dessen Ufer es sich ein wenig wie am Meer anfühlt. Historische Bauten, die nicht Hochhausprojekten zum Opfer gefallen sind, sondern stolz renoviert wurden. Der mächtige Mississippi und die Öltanker, die den Old Man River entlanggleiten. Kein(!) Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Eine kreative und ambitionierte Essenskultur. Und natürlich die Musik. Bars mit Live-Musik gibt es hier wie Sand am Meer. Allerdings finden sich darin nicht wie in Österreich mehrheitlich stark alkoholisierte Möchtegern-Bon- Jovis, sondern ernstzunehmende MusikerInnen. Sie reinterpretieren Jazz-Standards aus den 20ern, erfinden den Rockabilly neu oder pusten in einer 10er-Formation als Brass Band die halbe Straße weg. Kein Jazz-Fan? Kein Problem – von Bright Eyes bis Jay-Z können geneigte Austauschstudierende hier alles haben. Fast jedes Wochenende steht ein anderes Festival am Programm, und die Stadt ist leistbar.
Wer sich aus dem Uni-Campus rauswagt, kann hier also eine tolle Zeit verbringen. Denn alleine wegen den Hochschulen kommen wenige her. Die beste Privatuniversität am Platz ist die Tulane University. Für etwas über 40.000 Dollar Studiengebühren im Jahr bekommen Kinder reicher Eltern hier einen Campus mit hübschen historistischen Gebäudefassaden geboten. Im Times Higher Education Ranking der besten Hochschulen der USA taucht diese Alma Mater dennoch nicht auf. Im lokalen akademischen Feld allerdings nimmt sie einen wichtigen Platz ein. Nicht zuletzt ist die Tulane University der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt und damit ein unverzichtbarer ökonomischer Motor. Ein Großteil der Studierenden kommt jedoch nicht aus New Orleans oder Louisiana, denn wer hier lebt, kann sich die hohen Studiengebühren selten leisten. 70 Prozent der Studierenden an der Tulane sind „weiß“, die Uni passt damit gut in die Demografie des Stadtteils, in dem sie angesiedelt ist: Uptown. Die Gegend ist hübsch, die Streetcars sind pittoresk, die Immobilien teuer, und wer hier wohnt, ist selten arm.
Am Ufer des Lake Ponchartrain, also mehr oder weniger am anderen Ende der Stadt, befindet sich die öffentliche Universität. Die University of New Orleans kann zwar ein vielversprechendes Akronym vorweisen, doch die Gebäude sind weniger prächtig, die Campus-Ausstattung dürftiger und die Eichhörnchen dreister als an der privaten Schwester Tulane. Hier kostet ein Studienjahr als Bachelor-StudentIn „nur“ etwa 4.700 Dollar, und so finden sich hier viele Studierende aus New Orleans. 55 Prozent der Studierenden sind „weiß“. In einer Stadt mit 30 Prozent „Weißen“ im demografischen Mittel ist das zwar immer noch viel, aber der Campus-Rundgang zeigt deutlich mehr Diversität als jener an der Tulane University. Mit Star-Alumni kann sich diese Uni kaum schmücken, dafür aber mit ihrer bekanntesten Studienabbrecherin: US-Talkshowmoderatorin und Schauspielerin Ellen DeGeneres.

Die Erzählungen der Studierenden über die Zeit nach Katrina zeigen die Perspektive der Jungen auf die Naturkatastrophe. Quer durch den Bundesstaat und noch weiter waren sie im Wintersemester 2005 verstreut. Viele landeten in Baton Rouge, und sie konnten das Sankt Pölten von Louisiana nicht ausstehen. Am Tag als New Orleans „wieder aufsperrte“, kamen sie zurück. Geschäfte habe es da zwar noch keine gegeben, doch mit Food-Trucks tuckerten die Hilfsteams täglich durch die Stadt und verteilten Essen. Für Studierende mit beschränkten Budgets seien das paradiesische Zustände gewesen, so erzählen einige.
Mit der Zäsur „Katrina“ hat sich für New Orleans auch eine Möglichkeit eröffnet: Besser zurückzukommen. Rebirth Brass Band ist der passende Name für die beste Bläser-Kombo der Stadt, und als 2010 die New Orleans Saints den Superbowl in die Crescent City holten, schien das Comeback perfekt. Doch auch systematische, nicht nur symbolische „rebirths“ finden sich in der Stadtgeschichte. Vor Katrina war New Orleans für die schlechtesten öffentlichen Schulen des Landes bekannt. Nach einer radikalen Umstrukturierung des Schulsystems schneiden die Jugendlichen in
den standardisierten Bildungstest nun deutlich besser ab. Aktuell wird ein neuer Versuch unternommen, die Mord rate der Stadt zu senken. Während in Österreich auf 100.000 EinwohnerInnen ein halber Mord pro Jahr kommt, beläuft sich diese Zahl in New Orleans auf 52.
Opfer und TäterInnen sind fast ausschließlich junge AfroamerikanerInnen – Arbeitslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven haben damit mehr zu tun als die oft beschworene Bandenkriminalität. Diese „Kultur der Gewalt“ soll nun nachhaltig geschwächt werden. Die Stadtregierung finanziert ein Gewaltpräventionsprojekt mit 250.000 Dollar. Ob New Orleans damit weite Sprünge machen kann, wird sich zeigen.

„Kleines“ Spiel groß im Geschäft

  • 13.07.2012, 18:18

Erschreckend viele Menschen werfen ganze Monatsgehälter in Glücksspielautomaten. Das provoziert immer mehr soziale Probleme, doch die Politik kümmert sich nur halbherzig um Lösungen. Gesetzeslücken und Vollzugsstreitigkeiten stehen einem Verbot der Automaten im Weg.

Es ist ein Bombengeschäft. Der größte österreichische Glücksspielkonzern Novomatic versetzt mit seinen Jahresabschlüssen regelmäßig die AktionärInnen in Staunen. Ein Umsatzplus von 19 Prozent und 131 Millionen Euro Profit erwirtschaftete das Gumpoldskirchner Unternehmen im Jahr 2010. Verkauf und Vermietung von Glücksspielautomaten sowie der Betrieb von Glücksspielen machen den Löwenanteil davon aus. Laut eigenen Angaben betreibt Novomatic weltweit 165.000 Spielautomaten. Stimmen die Rahmenbedingungen, ist das Geschäft krisensicher. 2009 musste der Konzern zwar einen leichten Umsatzrückgang einstecken, da Russland das Glücksspiel verbot, doch wo die Spielautomaten erlaubt sind, liefern sie regelmäßig hohe Erträge. Das ist kein Wunder, denn 60 Prozent des Umsatzes liefern Spielsüchtige, die aufgrund ihrer Krankheit immer mehr Geld in die Automaten werfen. Und so kümmerte sich der Konzern gut um die Rahmenbedingungen in Österreich: Lobbyismus und großzügiges Sponsoring von Parteien ebneten den Weg zu einem Glücksspielgesetz, mit dem Novomatic „zufrieden“ sei.

Wiederbelebt. Als soziales Problem erlebt die Spielsucht eine Renaissance. Sie hängt mit der Liberalisierung des Glücksspielmarktes zusammen.
Seit den 1980ern wurde das vormals strikt monopolisierte Geschäft für MarktteilnehmerInnen geöffnet. In Folge dessen stieg das Angebot, die Spielsucht folgte am Fuß. Besonders das Automatenglücksspiel hat Anteil daran.
Ein Beispiel aus Kärnten verdeutlicht das: Während vor 1997 weniger als ein Prozent der PatientInnen der Suchtklinik De La Tour an pathologischem Spielverhalten litten, stieg diese Zahl nach der Legalisierung des so genannten kleinen Glücksspiels an. 2005 hielten sie bei 15 Prozent.
Die Automaten fördern das Suchtverhalten: Ein Spiel dauert ein oder zwei Sekunden, oft erscheinen Beinahe-Jackpots am Schirm, den SpielerInnen wird vorgegaukelt, sie könnten durch geschicktes Spielverhalten das Ergebnis beeinflussen. Doch am Ende gewinnen die BetreiberInnen, so schreibt es das Gesetz vor: Zwischen 85 und 95 Prozent der Einsätze müssen die Automaten wieder ausspucken. Da bleibt für alle restlichen Beteiligten genug übrig: AutomatenherstellerInnen, BetreiberInnen und die öffentliche Hand profitieren.
Letztere hat allerdings einigen Handlungsspielraum. Das Glücksspiel ist bundesgesetzlich geregelt. In der Frage der Automaten wurde mit dem neuen Glücksspielgesetz von 2010 Regelungskompetenz an die Länder abgegeben. Sie können selbst entscheiden, ob das kleine Glücksspiel im Bundesland legal sein soll oder nicht. Wenn ja, kann eine an der Bevölkerungszahl ermittelte Obergrenze von Automaten aufgestellt werden.
Das Land erhebt dafür Gebühren. In Wien werden beispielsweise 1400 Euro pro Automat und Monat kassiert. Diese können entweder als „Einzelaufstellungen“ (maximal drei Automaten pro Lokal, 1 Euro Maximaleinsatz) oder in Automatensalons (bis zu 50 Automaten, 10 Euro Maximaleinsatz) bewilligt werden.
Krankhaftes Automatenspiel kommt ziemlich teuer. Jene, die den Weg zur Spielsuchtberatung schaffen, sind durchschnittlich mit 40.000 Euro verschuldet. Beschaffungskriminalität, Therapie, Gerichtskosten, SchuldnerInnenberatung, zerrüttete Familien und Arbeitsplatzverlust sind typische „Nebeneffekte“ des Automatenspiels. Sie kosten Geld, und zwar mehr als der Staat damit einnimmt. Das ist das Ergebnis einer Studie von Joanneum Research, die 2009 publiziert wurde. Von der Legalisierung des kleinen Glücksspiels hält das aber kaum ein Bundesland ab. In Wien, der Steiermark, Niederösterreich und Kärnten sind die Automaten bereits erlaubt, der Oberösterreichische Landtag beschloss kürzlich die Legalisierung, auch das Burgenland steht schon in den Startlöchern.

Lücke im Gesetz.

Ein Verbot sei unmöglich durchzusetzen, argumentieren die PolitikerInnen häufig. Das würden die vielen illegalen Automaten zeigen, die etwa in Oberösterreich nicht kontrolliert werden konnten. Die Gründe dafür liegen sowohl im Gesetz, als auch im Vollzug desselben. Während 2010 die Glücksspiel-Soko des Finanzministeriums ausrückte, um illegale Automaten zu konfiszieren, wurde die Beschlagnahmung von der jeweils zuständigen Bundespolizeidirektion bereits zweimal aufgehoben. Polizei und Finanz sind sich nicht einig, wie der Vollzug der Gesetze vonstatten gehen soll.
Auch eine Lücke im Gesetz stellt die Politik vor Probleme. So können zwar die Länder entscheiden, ob sie das kleine Glücksspiel legalisieren wollen oder nicht, doch geringfügig andere Spielautomaten – Video Lotterie Terminals (VLT) – können überall in beliebiger Zahl aufgestellt werden. Landesgesetze hin oder her. Sie gelten als Lotteriespiele und sind im Glücksspielgesetz in einem anderen Paragraphen geregelt, haben aber mindestens so verheerende Auswirkungen wie die Landes-Automaten. Denn Höchsteinsatzgrenzen gibt es bei diesen Geräten nicht. Davon profitieren die Österreichischen Lotterien bzw. ihr Mehrheitseigentümer, die Casinos Austria, da sie die einzige Lizenz für Online- Lotterien besitzen.
Für Christoph Lagemann von der ARGE Suchtvorbeugung macht ein Verbot, das nicht durchgesetzt werden kann, wenig Sinn. Denn ein illegaler Markt schaffe noch mehr Probleme. Sein Interessensverband gab eine Studie zum Thema Spielsuchtvorbeugung in Auftrag, die Mitte Mai veröffentlicht wurde. Dort steht schwarz auf weiß: 64.000 ÖsterreicherInnen haben ein Spielsuchtproblem, 60 Prozent der Umsätze im Automatenglücksspiel kommen von ihnen. Kurzfristig müsse der SpielerInnenschutz ausgebaut und die Prävention verbessert werden. Allerdings sei das Automatenglücksspiel „eine derart gefährliche Sache, dass langfristig über den Umgang damit noch einmal nachgedacht werden muss“, gibt Lagemann zu bedenken. Ein staatliches Glücksspielmonopol, das die Gewinne der Allgemeinheit zuführt, wäre seiner Meinung nach die vernünftigste Lösung.
In Österreich haben sich besonders die Bundesländer mit ihrer impliziten Zustimmung zum Glücksspielgesetz selbst ein Ei gelegt: Scheinbar können sie das Angebot zwar regeln, aufgrund der VLTs und der Streitigkeiten im Vollzug sitzen sie jedoch am kürzeren Ast. „Durchgerutscht“ sei die VLT-Regelung im Gesetz, hört man aus dem Parlament. Während sich die Politik selbst um ihren Handlungsspielraum bringt, wirft die Bevölkerung Tag für Tag weiter Geld in die Automaten. Doch die Lücken im Gesetz könnte man schließen – es scheitert am mangelnden Willen.

Die Autorin studierte Sozioökonomie in Wien und ist Vize-Chefin der Sektion8.