Anne Marie Faisst

Karrieresprungbrett ÖH

  • 12.05.2017, 22:39
Die ÖH bietet das einzigartige Erlebnis, in einer Koalition mit höchst unterschiedlichen Leuten zu arbeiten: ein kurzer Einblick in eine Institution mit Karrierist*innen, Nachwuchspolitiker*innen und engagierten Studierenden.

Die ÖH bietet das einzigartige Erlebnis, in einer Koalition mit höchst unterschiedlichen Leuten zu arbeiten: ein kurzer Einblick in eine Institution mit Karrierist*innen, Nachwuchspolitiker*innen und engagierten Studierenden.

Räumen wir gleich zu Beginn mit einem Vorurteil auf, welches der ÖH-Arbeit oft unterstellt wird: Es ist Arbeit! Und zwar viel Arbeit, undankbare Arbeit und unterbezahlte Arbeit. In meiner langen ÖH-Karriere durfte ich vor allem großartige ÖH-Frauen kennen lernen, die für eine Aufwandsentschädigung von 360 Euro 30 bis 40 Stunden die Woche gearbeitet haben. Viele stellten ihr Studium und ihr Sozialleben hinten an, um sich für bessere Studienbedingungen für alle Studierenden einzusetzen. Die Studierenden danken es oft mit Ignoranz, Abneigung oder gar off ener Feindschaft. Von der Opposition bekommt man noch ständig an den Latz geknallt, dass man sich nur um die „Weltrevolution“ kümmere und nicht um studienrelevante Themen und Service. Nur wird verkannt, dass die meisten Studienvertretungen eben beides machen.

Und dabei zerreiben sie sich zwischen dem Anspruch, bessere Bedingungen an Hochschulen zu schaff en, und der Realität, ein System mitzutragen, das in den letzten Jahren immer mehr Verschlechterungen in diesem Bereich brachte, gerade für nicht privilegierte Studierende.

REALISMUS UND SEILSCHAFT. Dass man nach Jahren zermürbender ÖH-Arbeit dann auch einen Nutzen ziehen oder wenigstens keinen Nachteil daraus haben möchte, ist verständlich. So sagte mir eine ÖH-Kollegin vor einiger Zeit, als eine sehr gut bezahlte Stelle in einer parteinahen Organisation ausgeschrieben wurde: „Jetzt habe ich mir jahrelang den Arsch aufgerissen für die Fraktion und die Partei, jetzt will ich dann auch einen Posten von denen haben.“ Diese Erwartungshaltung wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas präpotent, doch sie ist realistisch. Bei einer Stelle in der Partei oder deren Vorfeldorganisationen spielt die Mitgliedschaft und die Linientreue mindestens eine genauso große Rolle wie die Qualifikation.

Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass nicht wenige Parteigranden ihre politische Karriere in der ÖH begannen. Schaut man sich die Liste der ehemaligen ÖH-Vorsitzenden (und damit den prestigeträchtigsten Posten innerhalb der ÖH) an, dann finden sich die Namen einiger prominenter Politiker*innen: Sigrid Maurer, der während ihrer Zeit als ÖH-Vorsitzende der GRAS noch Hausverbot im Parlament wegen Störung erteilt wurde, sitzt jetzt eben dort. Wer in der SPÖ Karriere machen will, sollte sich ein Beispiel an Heinz Fischer (Vorsitzender der Bundesvertretung) und Michael Häupl (VSStÖ-Vorsitzender) nehmen und die politische Karriere bereits im Studium in Angriff nehmen. Im Übrigen war es Michael Häupl als VSStÖ-Vorsitzender, der Peter Pilz aus dem VSStÖ ausschloss. Das hat dessen Karriere nach einem Parteiwechsel wohl nicht geschadet. Auch bei den Konservativen ist ÖH-Arbeit gern gesehen – Reinhold Lopatka war Studienvertreter der Jurist*innen in Graz – allerdings ist die Mitgliedschaft im erzkonservativen Cartellverband wohl noch karrierefördender.

Die ÖH-Politik ist hier sowohl Ochsentour als auch Politkindergarten, wo Nachwuchspolitiker*innen schon mal Erfahrungen am parteipolitischen Parkett sammeln können. Gleichzeitig gibt es Vorgaben der Partei, die auch hier umgesetzt werden müssen. Kostspieligen Projekten oder Rücklagenauflösungen steht man zögerlich gegenüber, will man sich doch nicht mit einem zweiten „Café Rosa“ die politische Karriere verbauen.

Wer sich also in der ÖH abgearbeitet hat, kann bei manchen Fraktionen zurecht auf einen der hochdotierten Parteijobs hoffen. ÖH-Arbeit wird aber nicht nur in der Bewerbung zur/m Parlamentsmitarbeiter*in gerne gesehen, sondern auch in staatsnahen Betrieben helfen ÖH-Erfahrung und das richtige Parteibuch. Bundeskanzler Christian Kern kann ein Lied davon singen, sein Weg führte über den VSStÖ zu den ÖBB.

Wenn die „parteiunabhängige“ ÖH-Fraktion keinen Posten abwirft, dann kann man immer noch seine politische Meinung mir nichts dir nichts wechseln, so geschehen bei Kilian Stark, der noch 2013 für die FLÖ in der Bundesvertretung arbeitete und 2014 schon für die Grünen Penzing tätig war.

REBELLION UND QUALIFIKATION. Gerne wird die Studienzeit dann rückwirkend als rebellische Phase imaginiert, in der man noch aufmüpfi g und idealistisch war. Doch selbst diesen Anspruch haben einige in der ÖH wohl nicht an sich selbst. Denn nicht nur die Parteien wissen von der nützlichen Erfahrung, die man in der ÖH sammeln kann. Wer in der ÖH tätig war, weiß, wie man Veranstaltungen organisiert, Texte schreibt und redigiert, Verhandlungen führt und im Team zusammenarbeitet. Das sind alles Skills, die auch auf dem freien Markt gerne gesehen sind – und deshalb ist die ÖH im Lebenslauf ein großes Plus. Gerade im Öffentlichkeitsreferat lernt man all die nützlichen Tools, die man später in jeder PR-Firma und Werbeagentur einsetzen kann. Und inzwischen wissen auch Studierende, dass es kaum ein Manko ist, ein wenig länger fürs Studium zu brauchen, aber durch die ÖH schon Berufserfahrung auf dem Buckel zu haben.

Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass die ÖH-Arbeit nicht allen offensteht. Natürlich gibt es redliche Bemühungen, gerade von Basisgruppen, so inklusiv und off en wie möglich zu sein. Doch nicht alle Studierenden haben die Zeit und die Ressourcen, sich der ÖH-Arbeit zu widmen. Hat man zum Beispiel Betreuungspflichten, wird die Teilnahme an abendlichen Plena, die sich bis in die Nacht ziehen, nahezu unmöglich. Auch sind nicht alle Studierenden entsprechend gut vernetzt, um einen Posten in Hochschul- oder gar Bundesvertretung zu ergattern. Auch wenn ÖH-Arbeit aufwendig und wichtig ist und Respekt verdient, so ist sie gleichzeitig ein Privileg.

Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung in Wien und ist seit Jahren politisch in der ÖH aktiv.

Anmerkung der Redaktion: In der Print-Version dieses Artikels stand fälschlicherweise, der Grüne Nationalratsabgeordnete Julian Schmid sei bei der GRAS gewesen. Es handelte sich um eine Verwechslung. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Die Flucht in die Polyamorie

  • 12.05.2017, 12:54
Polyamorie präsentiert sich als Gegenentwurf zur romantischen Zweierbeziehung. Doch das Patriarchat wird dadurch alleine noch nicht angegriffen.

Polyamorie präsentiert sich als Gegenentwurf zur romantischen Zweierbeziehung. Doch das Patriarchat wird dadurch alleine noch nicht angegriffen.

Jede Person, die offen damit umgeht, mehrere Partnerschaften gleichzeitig zu haben, kennt das: „Das geht nie gut“, „Das funktioniert nicht“, „Eine*r kommt immer zu kurz“. Die essentialisierende Annahme, dass Monogamie normal sei und deswegen funktioniere, schwingt bei jeder dieser Aussagen mit. Wenn man dann allerdings antwortet, dass monogame Beziehungen oft nicht funktionieren und Untreue einer der häufigsten Trennungsgründe ist, wird meist darauf verwiesen, dass nicht die Monogamie schuld an der Trennung sei.

Ob in Filmen, im Fernsehen oder in Büchern: Die ideale romantische Liebe ist die treue Beziehung zwischen zwei meist heterosexuellen Menschen. Mit der zunehmenden Normalisierung von Homosexualität gibt es nun auch Erzählungen, in denen zwei Männer oder zwei Frauen ihr Glück in der romantischen Zweierbeziehung finden. Sind in einer Erzählung jedoch mehrere Personen miteinander verbandelt, muss das Beziehungsgeflecht am Ende in klare Bahnen gelenkt werden. Gerade im Young Adult Genre muss sich eine junge Frau oft zwischen zwei Männern entscheiden, siehe Twilight oder The Hunger Games. Es ist nicht einmal denkbar, dass am Ende alle drei miteinander glücklich werden könnten. Immer und immer wieder wird so Monogamie normalisiert und als die einzige Lebensform dargestellt, die dem „Wesen des Menschen“ entspricht. Die Argumentationsmuster verweisen oft auf die Evolutionsbiologie, die die Monogamie naturalisiert. So sei es zur Kinderaufzucht am besten und wird mit HöhlenmenschenVergleichen unterfüttert. Die gleiche Argumentationskette wird dann auch verwendet, um Homosexualität mal als Spielart der Natur, mal als Abartigkeit darzustellen.

AUSWEG POLYAMORIE. Polyamorie setzt sich aus dem griechischen „poly“ (mehrere) und dem lateinischen „amor“ (Liebe) zusammen und ist ein Obergriff für die Praxis, mit mehreren Menschen gleichzeitig Beziehungen zu führen. Dies geschieht mit vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Polyamorie als Praxis stellt sich gegen das hegemoniale Bild der monogamen romantischen Zweierbeziehung (RZB) und trifft deshalb oftmals auf Verwunderung, Ablehnung und Diskriminierung.

Polyamorie Praktizierende grenzen sich zum Teil ganz bewusst von offenen Beziehungen ab, um das Image zu vermeiden, dass es sich bei Polyamorie um „anything goes“ handle. Vielmehr stellt man die Verbindlichkeit in den Vordergrund: „Mein Herz hat Platz für mehr als einen Partner. Ich suche keine Abenteuer, ich mag es langfristig. Ich betrüge nicht, ich handle einvernehmlich. Ich lüge nicht, ich mache es transparent. Ich bin kein Freiwild, ich trage Verantwortung. Ich liebe tiefer als nur zum Spaß. Ich bin Poly. Ich lebe die Liebe.“ So lautet das Motto einer der größten deutschsprachigen polyamourösen Gruppen auf Facebook. In diversen Facebook-Gruppen und Foren wird der Eindruck vermittelt, dass man sich der Ideologie der Monogamie nicht entgegenstellt, sondern sie als auserwählte Gruppe überwunden hat. Unterschwellig schwingt mit, man hätte eine neue Stufe des Bewusstseins erreicht, in der alle achtsam miteinander umgehen. So folgt jeder Vorstellung neuer Mitglieder ein ganzer Wust an Definitionen zwischen poly, bi, vegan und spirituell.

IDENTITÄT POLYAMORIE. Man liest in vielen Foren: „Gerade bin ich mono, fühle aber poly“ oder „Single und Poly“ und in der Reportage „Unter Anderen – Wahre Lieben“ spricht eine interviewte Person davon „polyamor geboren zu sein“. Als Person, die offen damit umgeht, mehr als eine Partnerschaft zu führen, lebt man ständig gegen die gesellschaftliche Erwartung an. Die Welt scheint nicht für einen gemacht zu sein; ständiger Erklärungs- und Rechtfertigungsdruck führen dazu, dass man es sich wohl lieber in Nischen der eigenen Szene gemütlich macht als Gegenwehr zu leisten. Anstatt Biologismen in die Wüste zu schicken, werden Artikel geteilt, die die angeblich non-monogame Natur des Menschen bezeugen. Man erklärt sich gerne bereit, Journalist*innen für Interviews und Reportagen zur Verfügung zu stehen, um zur Normalisierung beizutragen, präsentiert sich dann aber in Klischees. In der Reportage Unter Anderen – Wahre Lieben wird Attmann Wicka, prominenter Aktivist der Poly-Szene interviewt und dabei gefilmt, wie zwei seiner Freundinnen sich kennen lernen. In einer mit esoterischem Kitsch überladenen Wohnung bittet er dann beide, am Boden sitzend mit einer Klangschale zu spielen. Haremskonnotationen kommen auf und dies wird an keiner Stelle problematisiert.

Sexismus scheint grundsätzlich kaum ein Thema in Poly-Kreisen zu sein. Es sind meistens die Frauen in Partnerschaften, die mehr Beziehungs- und emotionale Arbeit leisten. In Poly-Beziehungen führt das zu Mehrfachbelastungen, die nicht diskutiert werden. Man will die Monogamie überwinden, aber am Patriarchat wird nicht gerüttelt.

KEINE GEGENWEHR. Polygame Menschen sind konfrontiert mit Ablehnung, Anfeindungen, Zwang zur Verheimlichung und struktureller Diskriminierung. Polygame Ehen sind verboten, womit die Gleichstellung zur hegemonialen Norm verwehrt wird. Polygam Lebende dürfen zusammen nicht gleichberechtigt die Sorge für Kinder übernehmen oder auch nur ein Konto eröffnen. Doch anstatt gegen den Primat der Monogamie anzukämpfen, sich gegen die strukturelle Diskriminierung zu wehren und für mehr Rechte zu kämpfen, flüchten sich viele polygame Menschen in die Nestwärme der eigenen Szene. So wird die Hegemonie der Monogamie sicher nicht gebrochen.

Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Mehr als eine Autopanne.

  • 06.04.2017, 18:14
Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

„Die Überstellung“ von Regisseur Michael Grudsky findet dagegen die genau richtige Länge.

Irgendwo im Nirgendwo in der Wüste Negev steht Abu Sharif vor seiner letzten Überstellung bis seine Haftstrafe in zwei Wochen abgebüßt ist. Der junge Befehlshaber Erez versucht streng die Disziplin durchzusetzen, die seine untergebenen Soldaten vermissen lassen und eher kommod mit den Regeln und den Gefangenen umgehen.

Der Produzentin Nina Poschinski gelang es, Drehgenehmigungen in einem israelischen Gefängnis und in der Wüste Negev zu bekommen, was sich in der bemerkenswertenCinemateographie widerspiegelt. Im Niemandsland der Wüste taucht eine Festung der Überwachung auf, die abgelöst wird von bombastischen Weitwinkelaufnahmen der Wüste auf der Fahrt in Abu Sharifs letzten Gefängnisaufenthalt Megiddo. Als dann plötzlich der Wagen einen Motorschaden hat, geraten die Soldaten in eine Ausnahmesituation. Abu Sharif ist Automechaniker, darf aber laut Erez weder seine Handschellen ablegen noch den Wagen berühren. Es scheint Erez einziger Halt, in einer aus den Fugen geratenen Situation streng nach Vorschrift vorzugehen. Erst als der Fahrer durch sein Asthma in eine lebensbedrohliche Situation zu kommen droht, lässt Erez es zu, Hilfe von dem Mann anzunehmen, von dem er nur Schaden erwartet. Abu Sharif hilft und schafft so einen kurzen Moment der Kameraderie auf der Weiterfahrt. Es wird über Autos und Zigaretten geredet und gelacht. Der normale tägliche Wahnsinn dringt jedoch über das Radio ein, das einen Terroranschlag in Ashkelon meldet, der Heimatort eines der Soldaten, der panisch seine Freundin anruft. Die Rollen sind wieder klar verteilt und alles was bleibt, ist Schweigen.

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Es ist die Unmöglichkeit von Freundschaft und Frieden in einer ausweglosen Situation, die den Nahostkonflikt im kleinen Rahmen der Autofahrt spiegelt. Die Schuldfrage bleibt nicht unbeantwortet: Es ist der Terrorismus der Feinde Israels, die eine Normalität verhindert. Die Fronten sind wieder geklärt, hier ein (ehemaliges) Mitglied einer islamistischen Gruppe, dort Soldaten, die ihren Dienst tun und doch nicht ihre Liebsten zu schützen vermögen, wenn Terrorist*innen attackieren.

Bemerkenswert war auch eine Frage des Moderators im Publikumsgespräch. Der Film sei ja durchaus kritisch gegenüber Israel (der Regisseur merkte hier an, dass er dies nicht so sehe), ob dieser dann überhaupt in Israel zum Beispiel im Rahmen eines Festivals zeigen könne. Hier zeigt sich ein Bild von Israel, dass selbst vor der Kulturszene nicht Halt macht: Israel lasse keine Kritik an seiner Politik zu. Der Regisseur musste den Moderator erst darauf hinweisen, dass es in Israel keine Zensur gibt und durchaus noch viel kritischere Filme in Israel gezeigt werden.

Die Überstellung, DE 2017 | Hebr. mit dt. UT |23 Minuten

Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.

Jenseits des elektrischen Stacheldrahtzauns

  • 01.04.2017, 17:12
Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend.

Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend. Das Leben von Hauptfigur Belens (Iride Mockert) dagegen ist trist. So trist, dass es ihr scheinbar selbst die Sprache verschlagen hat. Durch eine Agentur vermittelt, wird sie Teil der vielen unsichtbaren Arbeiter*innen in einer Gated Community in Argentinen. Sie schrubbt, putzt und wäscht in einer riesigen Villa, wo für sie selbst nur Platz in einem kleinen Kämmerchen hinter der Waschküche bleibt. Vom Sohn des Hauses wie ein Gegenstand, und von dessen Mutter wie ein kleines Kind behandelt, beschwert sie sich nicht und verharrt in ihrer gehorsamen Sprachlosigkeit. Belen bleibt isoliert, nie sind im Film Interaktionen mit den anderen unzähligen Care-Arbeiter*innen der Community zu sehen. So wie deren Arbeit sind auch sie im Film bis auf eine Ausnahme unsichtbar gemacht.

Die Kamera nimmt sich Zeit, die Gated Community als Ort der Sterilität zu zeigen, deren künstliche Aufgeräumtheit sich in englischem Rasen, Golf- und Tennisplätzen manifestiert. Doch jenseits des surrenden elektrischen Stacheldrahtzauns tut sich für Belen schon bald eine spannende neue Welt auf, die es jedoch erst nach und nach zu erkunden gilt.

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Die Gewalt des Bürgertums blitzt immer wieder auf, etwa wenn Belens Arbeitgeberin von ihrem Sohn angeschrien und gedemütigt wird, weil er mit dem Erfolgsdruck als Nachwuchstennisspieler nicht zurecht kommt. Die anbiederische Freundlichkeit der Hausherrin Belen gegenüber, lässt das hierarchische Machtverhältnis nur noch deutlicher zutage treten. Als die Hausherrin wegen des Krachs jenseits des Elektrozauns nicht schlafen kann, weckt sie ihre Untergebene mitten in der Nacht und bittet sie mit ihr Tee zu trinken und sich Videos ihres Sohnes anzusehen. Belen bleibt nicht viel anderes übrig und muss spätnachts die Hand ihrer Arbeitgeberin halten, bis diese eingeschlafen ist.

Die Neugier treibt Belen schon bald zur Quelle des Lärms jenseits des Zauns, wo sie lauter nackte Menschen vorfindet, die ihre Wochenenden mit Tantraworkshops und Naturverbundenheit füllen. Die erst komplett Verschreckte wagt sich mit jedem Wochenende weiter vor, bis sie schließlich Eingang in die Community findet. Der Kontrast von Nudist*innen-Camp und Gated Community könnte nicht größer sein. Die Nudist*innen scheinen im Garten Eden zu residieren: mit Gebäuden, die halbverfallen wie Schlösser aus der dichten Vegetation hervorlugen, mit weißen Pferden und von Vogelgezwitscher untermalter Geräuschkulisse. Am Anfang vor jeder körperlichen Berührung zurückschreckend, findet Belen zu sich selbst und auch wieder ihre Sprache. Sie singt, reimt und ist vergnügt, immer wieder unterbrochen von der Rückkehr in das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis. Sind es erst noch Momentaufnahmen des Nudist*innen-Camps und lange establishing shots der Gated Community, kehrt es sich irgendwann um und die Bilder der sterilen Bürgerlichkeit unterbrechen nur noch kurz wie unangenehme Insektenstiche das Paradies der selbst gewählten Befreiung.

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Doch ist dem Paradies die Vertreibung eingeschrieben und je paradiesischer es wird, desto mehr wächst die Angst vor dem unausweichlichen Unheil. Schließlich entpuppt sich der Elektrozaun als Schlange, die keine Erkenntnis, sondern nur den Tod bringt. Die Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft dringt ein, als einer der Nudist*innen zu Tode gegrillt wird. Doch anstatt für den überladenen Zaun bestraft zu werden, schließt die Exekutive in einer real allzuoft erlebten Umkehr das Camp. Der Traum ist aus.

Doch so viel sei gespoilert: Belen lässt sich nicht mehr in die fremdbestimmte Unmündigkeit zurückführen und kehrt die Spirale der Gewalt in einem fulminanten Finale um.


Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.


 

Gegenöffentlichkeit, die keine ist

  • 23.02.2017, 20:45
AJ+ präsentiert sich auf den ersten Blick wie ein progressives, alternatives Medium. Doch hinter den eingängigen Kurzvideos steht ein global agierender Medienkonzern mit antisemitischer Agenda.

AJ+ präsentiert sich auf den ersten Blick wie ein progressives, alternatives Medium. Doch hinter den eingängigen Kurzvideos steht ein global agierender Medienkonzern mit antisemitischer Agenda.

AJ+ gibt vor, ein Medium „für die vernetzte Generation“ zu sein, das ein „Licht auf soziale Kämpfe wirft und Stimmen stärkt, die den Status Quo bekämpfen“. Finanziert wird der Kanal von Al Jazeera. Der global agierende Medienkonzern aus Katar möchte mit AJ+ ein neues Publikum ansprechen. Ein Schönheitswettbewerb für Meerschweinchen in Peru; Schüler*innen, die vor dem Krankenhaus für ihren krebskranken Lehrer singen; jesidische Frauen, die gegen ISIS kämpfen und ein Clip über die USA, die den Israelis 38 Millarden Dollar Militärhilfe überweisen, damit sie noch mehr palästinensische Kinder töten können. Wait, what? Das alles sind Videos, die AJ+ innerhalb einer Woche auf Facebook veröffentlicht hat. AJ+ gestaltet seine Videos so, dass in den ersten drei bis fünf Sekunden eine eyecatching Überschrift und interessante Bilder zu sehen sind: Clickbait, das dank Facebook-Autoplay funktioniert. Die Videos sind meist nicht länger als eine Minute, untertitelt, ohne Voiceover und am Ende immer mit dem schwarz-gelben AJ+-Logo versehen.

EMSIGE ANTISEMITISCHE BIENE. AJ+ hat über sechs Millionen Likes auf Facebook und mehr als eine Milliarde Views. Seit Juni 2014 online, war das Portal bereits 2015 der zweitgrößte Videoproduzent im Facebook-Nachrichtensektor. Die Themen sprechen ein globales, vernetztes Publikum an: BlackLivesMatters, der Syrienkonflikt, feministische Themen wie sexualisierte Gewalt an US-Colleges, gemischt mit süßen Videos von Tieren und den neuesten Grausamkeiten der Israelis. AJ+ betont, trotz der hundertprozentigen finanziellen Abhängigkeit von Al Jazeera völlige Freiheit bei der Contentauswahl zu haben. Das scheint zum Teil auch zu stimmen: AJ+ setzt sich für die Rechte der LGBTIQ-Community ein und äußert sich klar feministisch. Im nun zweijährigen Bestehen hat AJ+ fast überall von sozialen Missständen berichtet. Über die Proteste im Zuge der Sommerspiele in Rio, die Festung Europa und politische Unruhen in Indien – doch bestimmte Teile der arabischen Halbinsel werden in der Berichterstattung ausgespart. Kein einziger Post über die schrecklichen Arbeitsbedingungen beim WM-Stadionbau in Katar oder über sonstige Missstände in den Golfstaaten. Während AJ+ sich mit seinem westlichen Publikum freut, dass Schwule und Lesben in den USA nun heiraten dürfen, wird in Katar Homosexualität mit fünf Jahren Gefängnis und 90 Peitschenhieben bestraft. Darüber verliert AJ+ ebenfalls kein Wort.

DER VERBINDENDE FAKTOR. Bis zur Absetzung von Al Jazeera America teilte man sich mit AJ+ die Büros. Wie es dort zugegangen ist, beschrieben ehemalige Angestellte, die Al Jazeera wegen Sexismus und Antisemitismus verklagten und zum großen Teil recht bekamen. Während AJ+ empowernde feministische Clips produzierte, wurden Frauen in den gleichen Büros diskriminiert und waren sexistischen Übergriffen ausgesetzt. Antisemitische Äußerungen standen an der Tagesordnung, der CEO von Al Jazeera America tätigte vor versammelter Belegschaft Aussagen wie „whoever supports Israel should die a fiery death in hell“. Das stellt jedoch keinen Kontrast zu AJ+ dar, sondern kann als verbindender Faktor zu Al Jazeera gesehen werden. Nur verzuckert AJ+ seinen Antisemitismus und kleidet ihn in das Mäntelchen der Israelkritik.

Nun ist eine Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der Politik Israels, Antizionismus und Antisemitismus nicht immer leicht. Der Politiker und Aktivist Naran Sharansky hat dazu den 3-D-Test entworfen und meint, antisemitische Kritik könne daran erkannt werden, dass sie Israel „delegitimiert, dämonisiert und mit doppeltem Standard“ misst. AJ+ teilt jede Woche mindestens zwei bis drei Videos zum Thema Israel, keinem anderen Land außerhalb der USA widmet der Kanal dermaßen viel Aufmerksamkeit. Ein Beispiel für dämonisierende Berichterstattung ist der Fall Dima al Wawi. Dima war 12 Jahre, als sie von israelischen Soldaten festgenommen und am Kopf getreten wurde. Sie musste als jüngste weibliche Gefangene in einem israelischen Gefängnis ausharren und durfte keinen Kontakt zu ihren Eltern haben, so AJ+. Warum Dima im Gefängnis war, wird verschwiegen: Sie stach mit einem Messer mehrmals auf einen israelischen Soldaten ein. Gefragt, ob sie ihre Tat bereue, meinte sie, das Einzige, was sie bereue, wäre, dass der Mann nur verletzt, aber nicht tot sei. Der Kontakt zu ihren Eltern wurde ihr verboten, weil sie für die Radikalisierung ihrer Tochter mitverantwortlich waren. Damit sei nicht bestritten, dass die Unterbringung einer 12-Jährigen in einem Gefängnis unvertretbar ist. Illustriert sei an diesem Beispiel jedoch die verzerrende Berichterstattung durch das bewusste Weglassen bestimmter Informationen.

In einem für AJ+-Verhältnisse recht langen Video besucht eine Reporterin die AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) Konferenz. Der Text liest sich wie eine Undercover Story: „Dena went inside the pro-Israel lobby AIPAC“. Den Juden und Jüdinnen auf dem Kongress wird vorgeworfen, sie kümmerten sich mehr um Israel als um die USA. Unterschwellig bedient AJ+ das antisemitische Klischee, dass „die Juden kein Vaterland“ kennen würden. Im Video heißt es, Menschen seien zum Kongress gekarrt worden, um bei ihren Repräsentant*innen für Israel zu lobbyieren, und sogar Schüler*innen würden dazu benutzt. In Palästina ist eine 12-jährige eine Heldin, weil sie („allegedly“) versucht hat, einen Soldaten umzubringen – in den USA ist es moralisch verwerflich, wenn eine wahlberechtigte Schülerin mit ihrem Abgeordneten über Israel spricht. Diese Clips sind kurz, pointiert und werden als unbedenklich konsumiert, geshared und geliked. AJ+ schafft es, einem riesigen, sich tendenziell progressiv verstehenden Publikum antisemitische Inhalte leicht bekömmlich zu servieren.

Anne Marie Faisst ist Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Fiktion …

  • 22.06.2016, 12:32
Zur Darstellung von Drogendealer_innen in Filmen und Serien ...

Zur Darstellung von Drogendealer_innen in Filmen und Serien ...

Die uneindeutige Weiblichkeit von Snoop
Felicia „Snoop“ Pearson in der HBO-Serie The Wire wird von Felicia Pearson gespielt. Neben professionellen Schauspieler*innen wurden auch viele Lai_innen gecastet. Unter anderem Pearson, die selbst Drogendealerin war und mit 14 zu acht Jahren Gefängnis wegen Mordes verurteilt wurde. Zu Beginn nur Statistin wird ihre Rolle in weiterer Folge ausgebaut. Sie dealt nicht direkt mit Drogen, sondern ist dafür zuständig, Leute aus dem Weg zu räumen, bringt deshalb im Laufe der Serie dutzende Menschen um und scheint dabei nie von irgendwelchen Skrupeln geplagt zu sein. Sie steht symbolisch und am treffendsten für den Typus „Men with Tits“, da sie durch nichts als Frau zu erkennen ist. Nur am Ende, bevor sie von einem früheren Verbündeten hingerichtet wird, fragt sie diesen noch: „Does my hair look good?“, woraufhin ihr entgegnet wird: „You look good Felicia.“ Es ist das erste und einzige Mal, dass sie von einem der ihren mit Felicia angesprochen wird. Erst im Tod wird sie zur Frau.
[Anm. d. A.: Ich danke Laura Söllner für ihre Mithilfe.] Anne Marie Faisst arbeitet als Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Uni Wien.

Das undynamische Duo
Ein Verkaufsort, eine Droge: Jay und Silent Bob vertreiben in zahlreichen Filmen des Regisseurs Kevin Smith Marihuana vor dem „Quick Stop“-Laden in Leonardo, New Jersey. Als Kinder haben sie sich dort kennengelernt und so ihren Platz im Leben gefunden. Sie sind die liebenswerte Version lästiger Dealer_innen an der Straßenecke: Zwar machen sie Radau und belästigen Passant_innen, doch erweisen sie sich immer wieder als Menschen mit gutem Herz. Wenn es die Handlung erfordert, begehen sie ihre kleinkriminellen Taten im nächstgelegenen Einkaufszentrum oder reisen auch quer durchs Land. Die beiden sind nicht eindimensional auf das Dealen reduziert. Ihr Erwerbsleben bleibt aber eine nicht näher ausgestaltete Facette wie auch ihre anderen Charakteristika – etwa der Kunstgriff, dass Silent Bob, wenn er denn mal redet, meist etwas Bedeutungsvolles zu sagen hat. Die beiden sind also nicht mehr (und sollen auch nicht mehr sein) als Cartoon- Figuren, quasi die straffälligen Enkel der Marx Brothers.
Markus Grundtner hat Rechtswissenschaften sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. Er arbeitet als Konzipient in Wien.

Grace Saves Herself
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes erbt Grace Trevethyn einen Schuldenberg. Ihrem Haus, das sich unweit eines west-englischen Fischerdorfes befindet, droht die Zwangsversteigerung. Die Hauptfigur des Films Saving Grace ist eine begnadete Gärtnerin. Als ihr Hausangestellter Matthew sie darum bittet, seine angeschlagenen Hanfpflanzen aufzupeppeln und ihre Bemühungen binnen kürzester Zeit Wirkung zeigen, haben beide die rettende Idee: Grace und Matthew pflanzen hochpotentes Marihuana an. Bald wissen alle im Dorf – inklusive des örtlichen Polizisten – vom groß dimensionierten Drogenanbau. Aus Verständnis für die von finanziellen Nöten geplagte Grace unternehmen sie nichts. Größere Polizeirepression droht erst, als Grace und Matthew versuchen, ihre Ernte in London zu verkaufen. Auf dem Anwesen von Grace kommt es zum Showdown zwischen Polizei, einem hippieesken Kleindealer und dem Handlanger des potentiellen Großabnehmers. Dank eines Hanffeuers löst sich alles im kollektiven Rausch auf. Die Verarbeitung des Erlebten in Form eines Bestseller- Romans wirft schlussendlich das nötige Kleingeld für Grace ab.
Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Ein Schneemann in Kolumbien
Robin Hood, Familienmensch und Serienmörder: Die Serie Narcos nimmt sich dem Leben und Wirken Pablo Escobars an. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln all jener Lebenswelten und behördlichen Schutzbereiche, welche von Escobar berührt, beeinflusst oder gar eingerissen wurden. Die Hauptperspektive bleibt jedoch jene eines US-Drogenpolizisten. Die erste Staffel folgt dem Aufstieg vom kleinen Schmuggler zum internationalen Kokain- Großhändler. Gezeigt wird Escobar als Mann mit Ambitionen, dessen krimineller Hintergrund ihm aber den Eintritt in die Politik verwehrt. Eben diese Obrigkeit zwingt er mit Entführungen, Auftragsmorden und Terroranschlägen in die Knie. Er errichtet gar sein eigenes Gefängnis und sperrt sich dort selbst mit allen Annehmlichkeiten ein, um nicht an die USA ausgeliefert zu werden. Am Schluss der ersten Narcos-Staffel muss Escobar seine persönliche Festung verlassen, weil sich zwei Staatsgewalten (die US-amerikanische und die kolumbianische) nicht von einem einzelnen Mann die Stirn bieten lassen wollen.
Markus Grundtner hat Rechtswissenschaften sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. Er arbeitet als Konzipient in Wien.

Mutter Oberin!
Er hat stets feinen Stoff. „Mutter Oberin“/„Mother Superior“, aus der Kultromanverfilmung „Trainspotting“. „Was darf’s denn sein?“, fragt der von Keith Allen personifizierte Dealer mit Stil. Heroin natürlich. Was sonst? Intravenös. Wie sonst? Fixbesteck vergessen? Kein Problem; der fürsorgliche Mitvierziger aus der Lebensrealität des schottischen Autors Irvine Welsh entsprungen, hilft gerne aus. Lou Reeds „Perfect Day“ ertönt in der Verfilmung von Danny Boyle, mit dem damals blutjungen Ewan McGregor in der Hauptrolle. Als heroinaffiner Renton versinkt er prompt im roten Teppich, einem Grabe gleich. Zu viel war es. Zu rein. So zerrt die Oberin seinen bewusstlosen Körper möglichst sanft aus dem Arbeiter_innensiedlungs-Wohnblock auf die Straße und ruft ein Taxi. Denn Taxler_innen stellen keine Fragen. Die Oberin steckt Renton ein paar Pfund in die Hemdtasche. Tätschelt liebevoll die Wange – Kundenpflege aus dem Bilderbuch.
Jan Marot studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien und Zürich.

Tarantinos Version eines Dealers
In „Pulp Fiction“ (1994) werden fast alle Formen von Kriminalität in irgendeiner Weise gezeigt. Der Lieblingsdealer von Vincent – dem Handlanger eines Gangsterbosses und Hauptfigur im Film – ist Lance. Er lebt mit seiner Frau in einem gemütlichen Vorstadthaus und muss zum Arbeiten dieses nicht mehr verlassen. Er begrüßt dort seine Stammkund_ innen und versorgt sie mit hochklassigem Stoff. Lance selbst ist den Drogen nicht abgeneigt, ist aber bei weitem kein Junkie. Er arbeitet also nicht, um sich seine Sucht zu finanzieren. Viel Platz bekommt er in Quentin Tarantinos Blockbuster nicht. Der Film lebt von der Vielzahl an coolen Typen und ihren Sprüchen. Die Welt der organisierten Kriminalität wird sehr stilisiert, voller Klischees und Verweisen auf Popkultur zelebriert. Sehr realitätsnah ist die Darstellung von Lance also nicht, der gern vor dem Fernseher hockt und um drei Uhr nachts genüsslich Frühstücksflocken verzehrt.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies in Wien.

Lest hier den begleitenden Artikel über die realen Drogendealer*innen

Klag die Uni!

  • 08.03.2016, 13:47
Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes daran ändern kann.

Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz daran ändern kann.

„Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz“ ist ein langes Wort. Das BGStG soll die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen regeln. Schon seit 2006 schreibt das BGStG vor, dass alle öffentlichen Gebäude, Verkehrsmittel und Geschäftslokale barrierefrei zu erreichen sein müssen. Für die Implementierung dieses Gesetzes hatte man in Österreich zehn Jahre lang Zeit. Seit 1. Jänner 2016 ist diese Frist verstrichen. Barrierefreiheit heißt im Sinne des Gesetzes nicht nur Rampen und Aufzüge zu errichten, sondern sämtliche Hürden abzuschaffen und zum Beispiel Homepages von öffentlichen Institutionen barrierefrei bedienbar zu machen oder auch Filme mit Untertiteln zu gewährleisten. „Ziel dieses Bundesgesetzes ist es, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen,“ so der Gesetzestext. Auch die Hochschulen in Österreich haben sich an dieses Gesetz zu halten.

Barriere Hochschule. Wenn in Österreich eine Frist verstreicht und die Ziele noch nicht erreicht sind, dann könnte sich der Gesetzgeber Mühe geben, die Frist einzuhalten, oder die Frist einfach verlängern. Letzteres hat der Bund im Falle der öffentlichen Gebäude, zu denen die meisten Hochschulen zählen, gemacht.

Zwölf Prozent gaben bei der letzten Studierendensozialerhebung an, eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu haben, die sich auf das Studium auswirkt. Rund ein Prozent aller Studierenden gaben an, eine Behinderung zu haben (das sind über 3.700 Personen) und fünf Prozent eine chronische Krankheit (das sind über 18.500). Für diese Gruppe ist der Unialltag um einiges hürdenreicher. Es ist nervig für Studierende in den Hörsaal im dritten Stock zu kommen, doch für Studierende mit Rollstuhl ist es oft schlicht unmöglich. Während in den repräsentativen Hauptgebäuden oft nachträglich Lifte und Rampen eingebaut wurden, werden die Nebengebäude meist mehr schlecht als recht nachgerüstet. Aber auch die Hochschulen haben sich an das BGStG zu halten und müssten seit 1. Jänner überall barrierefrei zugänglich sein. Barrierefrei sind laut BGStG „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“. Wie sieht es nun damit aus?

Klagerecht. Österreich ist ein Land der Sonderregelungen. Gefühlt gibt es für jede Regelung sechs Ausnahmen. Auch beim BGStG sieht es nicht besser aus. Generell gilt die Verhältnismäßigkeit oder wie es im § 6 des Gesetzes heißt eine Ausnahme bei „unverhältnismäßigen Belastungen“. Bei „unverhältnismäßigen Belastungen“ liegt keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vor, wenn „die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, insbesondere von Barrieren, rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre“. Unverhältnismäßigkeit kann zum Beispiel durch einen zu großen (finanziellen) Aufwand oder Denkmalschutz gegeben sein. Dies trifft vor allem bei alten Unigebäuden zu und darauf ruht man sich oft aus. Das BGStG bringt nun aber eine wesentliche Änderung, welche die Hochschulen ins Schwitzen bringen könnte, und zwar das Klagerecht.

Das BGStG sieht ein Klagerecht vor, wenn Einzelpersonen oder Gruppen (Verbandsklage) durch Hürden daran gehindert werden, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Erst kommt es jedoch zu einem Schlichtungsverfahren bei den Landesstellen des Bundessozialamts, das auf eine außergerichtliche Einigung abzielt. Oft wird über die Höhe der Entschädigung verhandelt. Erst wenn keine Einigung erzielt wird, kommt es zu einem Gerichtsverfahren.

Kein Umbau. Das größte Defizit des Gesetzes bleibt jedoch auch nach der Fristverstreichung erhalten. So kritisiert Martin Ladstätter, Gründungsmitglied des BIZEPS-Behindertenberatungszentrums, dass „mit einer Klage Barrierefreiheit nicht erreichbar ist, weil das Gesetz nur Schadenersatz zuerkennt. Konkret bedeutet dies, dass ein Gericht zwar eine gewisse Summe an Schadenersatz festlegen, nicht aber einen Umbau anordnen kann.“ Die Barriere bleibt also bestehen. Meist ist es nämlich billiger zu zahlen als umzubauen. Dabei ist mit barrierefreien Gebäuden allen geholfen. Aufzüge sind nicht nur für Menschen mit Rollstühlen von Vorteil, keiner geht gerne mehrere Stockwerke die Treppen hoch. Eine bessere und einfache Ausschilderung hilft nicht nur Menschen mit Sehschwierigkeiten, sondern allen bei der Orientierung in großen und unübersichtlichen Universitätsgebäuden.

Viele Studierende mit Behinderungen wissen nicht, dass die Universität Barrierefreiheit gewährleisten muss und sie ein einklagbares Recht darauf haben. Viele wissen auch nicht, dass jede Hochschule ab einer gewissen Größe eine*n Behindertenbeauftragte*n haben muss, der sich mit Themen der Barrierefreiheit auseinandersetzt und Studierende mit Behinderungen berät. Diese Behindertenbeauftragten werden von den Rektoraten aber angehalten, die Studierenden nicht über ihr Klagerecht zu informieren. Dabei würde sich auf den Hochschulen wohl schnell etwas verändern, wenn die Schadenersatzkosten höher wären als die Kosten für Umbauten.


Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.


Links:
Referat für Barrierefreiheit ÖH-Bundesvertretung
Referat für Barrierefreiheit ÖH Uni Wien
BIZEPS

Veranstaltungshinweis:
Am 16.3. findet eine Podiumsdiskussion zum Thema: HÜRDENLOS STUDIEREN?! "Wie barrierefrei sind Österreichs Hochschulen?" an der Universität für Bodenkultur Wien (2. Stock, Sektor D in der „alten WU“, Augasse 2-6, 1090 Wien) statt. Weitere Informationen beim Facebook-Event hier.

Ein Schwarzer Stormtrooper

  • 05.12.2015, 12:11

Der neue Star Wars Film sorgt schon vor seinem Erscheinen für Furore. Eine Frau und ein Schwarzer Stormtrooper spielen zentrale Rollen.

Seit gut einem Jahr gibt es immer wieder Enthüllungen über den neuen Star-Wars-Film, der – wie seine Vorgänger – wieder Teil einer Trilogie werden soll. Vor dem Filmstart wusste man erstaunlich wenig über Storyline und Charaktere. Die ersten Informationsquellen waren die Trailer, die seit einem Jahr erscheinen. Die paar Minuten Material reichten jedoch völlig, um Fans in Rage zu versetzen und das allein aus einem Grund: Ein Stormtrooper ist Schwarz*!

Stormtrooper sind Klone von Jango Fett, der weiß war. Nun fragt mancher Fan: Wenn alle Stormtrooper identische Klone sind, wie kann dann bitte ein Schwarzer Schauspieler in der Stormtrooper- Uniform stecken? Abgesehen davon, dass er die Uniform auch einfach nur angezogen haben könnte, um sich zu verstecken, wie es Luke und Han in „A New Hope“ getan haben, zeigt die Entrüstung darüber, dass ein Stormtrooper Schwarz ist, den unverhohlenen Rassismus unter solchen Fans auf.

Auch wenn manche „Star-Wars“-Fans da anderer Meinung sind, ist Star Wars kein abgeschlossenes Universum mit festgeschriebener Geschichte. Es verändert sich mit jedem Film, mit jedem Comic, mit jedem neuen Buch. Es wächst, und wie jede andere trägt auch diese Welt Widersprüche in sich. Kein Widerspruch ist, dass ein Stormtrooper Schwarz ist: Im expanded universe (also den Büchern, Comics, Serien etc.) wird erklärt, dass Stormtrooper keine Klone mehr sind, sondern menschliche und nicht-menschliche Freiwillige. In „A New Hope“ sind die Stormtrooper alle unterschiedlich groß und haben verschiedene Stimmen. Den erzürnten Fans geht es also nicht um eine strikte Auslegung des „wahren Inhalts“ von „Star Wars“. Es geht nicht darum, dass ein Stormtrooper Schwarz ist, sondern darum, dass einer der Hauptdarsteller Schwarz ist.

ALS HOLLYWOOD NOCH IN ORDNUNG WAR. Während Frauen, Homosexuelle und die BürgerInnenrechtsbewegung schon in den 1960ern gegen die rassistische, sexistische und homophobe Wirklichkeit kämpften, trugen Regisseure wie George Lucas in den 1970er Jahren viel zur Restauration eines weißen und patriarchalen Hollywood-Mainstreamkinos bei. Die Helden waren wieder kernige weiße Typen, die Frauen hübsches Beiwerk und wenn es schwarze Figuren gab, waren sie Sidekicks. In der originalen „Star Wars“-Trilogie „A New Hope“, „The Empire Strikes Back“ und „Return of the Jedi“) gibt es genau sechs Schwarze Figuren – im ersten Teil kommt keine davon vor. Nur eine Schwarze Person – Lando Calrissian – hat einen Namen und tritt in mehr als einer Szene auf. Auch in der Prequel-Trilogie – „A Phantom Menace“, „Attack of the Clones“ und „Revenge of the Sith“ – gibt es keine Schwarzen HauptdarstellerInnen, wenn auch mehr Schwarze Nebendarsteller – etwa den Jedi Meister Mace Windu. Dafür führte George Lucas die rassistisch gezeichnete Figur Jar Jar Binks neu ein. Dessen Akzent erinnert nicht nur an einen jamaikanischen – er wird zudem als leichtgläubig und dumm dargestellt, macht alles kaputt und muss ständig von jemandem zurechtgewiesen oder gerettet werden. In vielerlei Hinsicht entspricht er dem Stereotyp des unschuldig-naiven Schwarzen Sklaven, wie es etwa in Filmen der 1930er Jahre häufig anzutreffen war. Neben der rassistischen Karikatur Jar Jar Binks gibt es auch die antisemitische: Der Schrotthändler Watto spricht mit jiddischem Akzent, hat eine riesige Hakennase, trägt einen breitkrempigen Hut, lügt und betrügt sich durchs Leben und Jedi Mind Tricks funktionieren bei ihm nicht. Er sagt tatsächlich: „Mind tricks don't work on me … only money.“ Der Grund dafür, dass so viele (männliche) weiße „Star Wars“-Fans angesichts eines Schwarzen Stormtroopers ausrasten, ist, dass „Star Wars“ viele Menschen an ihre Kindheit – den Zeitpunkt als sie zum ersten Mal mit dem Franchise in Berührung kamen – erinnert. Diese Kindheit imaginieren sie als eine bessere Welt, in der die Aufgaben klar verteilt waren. Die männliche Hauptfigur war gut und stark und der präpupertäre Zuschauer identifizierte sich mit ihr. Er wollte mit Han Solo durch die Galaxie fliegen und fand Prinzessin Leia in ihrem SklavInnenkostüm heiß. Und plötzlich gibt es diese neuen Filme, die so partout nicht mehr in die alte Vorstellung vieler Star-Wars-Fans passen wollen. Nicht nur ist ein Stormtrooper schwarz, noch dazu spielt eine Frau eine Hauptrolle und ist sogar auf den Filmpostern am größten abgebildet – mit Waffe! Das passt in die Verschwörungstheorie, dass Hollywood den sinistren Plan verfolge, uns mit in Action verpackter feministischer Propaganda zu infizieren, männliche Ikonen zu demontieren, zu verweiblichen oder gleich durch weibliche Schauspielerinnen zu ersetzen.

Das Genre Science Fiction/Action wird in dieser Logik als männlicher Bereich der Filmwelt gelesen. Weiße Männer würden diese Filme hauptsächlich konsumieren, also wäre es nur folgerichtig, dass alle zentralen Rollen mit weißen Männern besetzt werden, so wie es in der Original-Trilogy der Fall war. Eine der größten Maskulinistenseiten im englischsprachigen Raum, „Return of Kings“, fragt sich über die „Star Wars“-Filme: „Did The New Star Wars Casting Have A Racial Agenda?“ und kommt zu dem Schluss: „With easily 95% of the Star Wars fan base being white male, it’s hard to believe it was done to market to it’s core demographic.“ Weibliche und nicht-weiße Fans werden wie so oft unsichtbar gemacht. Dabei waren und sind die verschiedensten Menschen SciFi-Nerds. Aber Bewegungen wie GamerGate wollen dieses Feld als weiß und männlich markieren, was ihnen auch oft gelingt. Unsere Vorstellung eines typischen Nerds ist weiß und männlich, alles andere passt nicht ins Bild.

Dabei gab es schon seit den Anfängen von SciFi- Actionfilmen Heldinnen, die auch zu feministischen Ikonen wurden: Ellen Ripley tötete das Alien im Alleingang, wenige Jahre später war es Sarah Connor, die erst gegen und dann mit dem Terminator um das Schicksal der Menschheit kämpfte. „Star Wars“ hat sich hier allerdings nicht besonders hervorgetan. In der Original Trilogie schafft keiner der drei Filme den Bechdel Test – ein Indikator für die Präsenz und Wichtigkeit von Frauen in Filmen; dessen drei Regeln sind: 1. Es müssen mindestens zwei Frauen mit Namen im Film mitspielen, 2., sie müssen miteinander reden, und zwar 3. über etwas anderes als Männer. Außer Leia kommt keine Frau in mehr als einem Film vor und es gibt im ganzen Star-Wars-Universum außer ihr nur noch eine Frau mit Namen: Lukes Adoptivmutter Tante Beru. Leia ist tough und wartet nicht darauf, von Männern gerettet zu werden. Sie schießt, gibt dem Macho Han Solo Kontra und ist hart im Nehmen. Trotzdem musste sie im letzten Film im Sklavinnenkostüm der Traum aller männlichen SciFi-Nerds werden und schließlich doch in den Armen Han Solos landen.

DIE JÜDISCHE VERSCHWÖRUNG. Dass es im neuen Film mit Rey eine weibliche Hauptfigur gibt, dass sie zentral auf dem Filmposter ist, dass sie eine Waffe in der Hand hat und ebendort nicht komplett sexualisiert oder als hübsches Beiwerk dargestellt wird, war gepaart mit einer Schwarzen Hauptfigur für einige Fans Grund genug, von einem „weißen Genozid“ zu sprechen. Gemischt mit einer Prise Antisemitismus kamen dann solche Tweets zustande: „A friend in LA said #StarWarsVII is basically ‚Deray in Space‘. Jewish activist JJ Abrams is an anti-white nut. #BoycottStarWarsVII.“ Wer JJ Abrahms Werk kennt, weiß, dass Feminismus und Diversität nicht gerade zu seinen Hauptanliegen zählen. Die neuen „Star Trek“-Filme, bei denen er als Regisseur und Produzent fungierte, waren von Sexismus durchzogen und fallen in ihrer Regressivität noch hinter die Serie aus den 1960ern zurück. Insofern wäre auch von den neuen „Star Wars“-Filmen nicht allzu viel Progressives zu erwarten gewesen. Was sie jedoch zeigen ist, dass sich 2015 andere Gesellschaftsgruppen als weiße Männer langsam ihren Platz erkämpfen. Hollywood erkennt, dass Diversität ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist. Denn wer mehr KonsumentInnengruppen anspricht, ist tendenziell erfolgreicher an den Kinokassen.

DIE ANGST VOR DEM MACHTVERLUST. Es bleibt die Frage, warum es so einen starken Backlash gibt gegen Filme, die sich einfach nur um mehr Diversität bemühen. Die Filme sind nicht, wie von Maskulinisten behauptet, sonderlich feministisch oder wollen irgendeine heimliche Indoktrination vornehmen. Allein der Gedanke daran zeigt, wie absurd und zugleich verschwörungsideologisch derlei Statements sind. Das Gesagte passt in altbekannte Verschwörungstheorien, wonach Hollywood von Juden regiert werde, die den Weißen systematisch ihren angestammten Platz an der Sonne nehmen wollen, sie verweiblichen und Frauen zum Feminismus bekehren wollen, damit die heile weiße christliche Familie kaputtgeht. Die wahren Männer dürfen demnach nur mehr schwarze Männer sein. Rassismus, Sexismus und Antisemitismus vermischen sich zu einem Weltbild, in dem weiße heterosexuelle Männer und ihre Privilegien ständiger Bedrohung ausgesetzt sind. Dieser „Bedrohung“ zum Trotz ist auch die Mehrheit des aktuellen „Star Wars“-Casts weiß und/oder männlich.

* Bei „Schwarz“ und „weiß“ geht es nicht um Farbe, sondern die Begriffe verweisen auf rassistische Konstruktionen und rassifizierte Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Bezeichnet werden also keine „biologischen“ Eigenschaften, sondern gesellschaftliche Positionen.

Anne Marie Faisst ist Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Universität Wien.