Vinzent Rest

Markt der Emotionen

  • 10.03.2014, 23:38

An der KAOSPilot Business School in Dänemark lernen Studierende und Firmen, wie Emotionen genutzt werden sollen, um Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen.

An der KAOSPilot Business School in Dänemark lernen Studierende und Firmen, wie Emotionen genutzt werden sollen, um Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen.

Ende der 1990er-Jahre wurde von den beiden US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftern B. Joseph Pine und James H. Gilmore das Ende der service economy und der Übergang hin zur experience economy verkündet. Im Zentrum der individuellen Konsumentscheidung stehen aus ihrer Sicht nicht mehr bloß Preis und Qualität des Produkts sondern Erfahrungen und Emotionen, die mit dem Produkt und dem Unternehmen verbunden werden. Um diese Identifikation von Käufer_in und Produkt zu erreichen, müssen Unternehmen laut den Wissenschaftlern möglichst authentisch agieren. Events und besonders Sponsoring gelten dabei als Schlüssel zum Erfolg.

Emotionen gewinnen somit zunehmend an Bedeutung für den Kaufprozess. Handelt es sich beim sogenannten Staging, der Entwicklung von auf Emotionen abzielenden Marketingstrategien, um eine manipulative Verkaufstaktik? Als besonders erfolgreiches Beispiel dafür gilt Red Bull, dem Attribute wie Draufgängertum und Verwegenheit bescheinigt werden. Von Red Bull gesponserte Athlet_innen stürzen sich aus fast 40.000 Metern Höhe in den Abgrund, um dem Unternehmen Pluspunkte in Sachen Authentizität zu verschaffen. Haben solche Aktivitäten, denen sich beileibe nicht nur Red Bull bedient, noch mit dem Produkt zu tun? Der Verdacht, dass emotional geladene Marketingstrategien über Produktions- und Verkaufsbedingungen unserer bunten Warenwelt hinwegtäuschen soll, liegt nahe.

progress hat im Gespräch mit einem Vertreter des Experience Design nach dem Weltbild hinter der Emotionalisierung des Konsums gefragt. Niels Jensen ist Alumnus und Verantwortlicher für das Experience Design-Programm der KAOSPilot Business School im dänischen Århus.

progress: Was ist Experience Design und wie wird es vermittelt?

Jensen: Üblicherweise schicken Unternehmen einzelne Angestellte in unsere dreitägigen Workshops. Wir bitten sie mit einer konkreten Problemstellung aus der Praxis zu uns zu kommen, die wir dann besprechen und gemeinsam angehen. Wir überlegen uns gute Geschichten und Erfahrungen, die wir mit einzelnen Produkten, Dienstleistungen oder Marken verbinden. Unternehmen kommen zu uns, um Anregungen zu bekommen, wie sie bestimmte Konsumerfahrungen prägen können, etwa mit Konzepten für Stores oder Events. Dafür spielen wir verschiedene Situationen etwa mit Rollenspielen oder Improvisationstheater durch, damit sich die Unternehmen selbst mit genau dem Gefühl, das sie ihren Kundinnen und Kunden vermitteln wollen, identifizieren können. Sie sollen selbst formulieren, welche Emotionen ihre Angebote auslösen sollen. Es gibt bestimmte Werte, die uns in unserem Konsumverhalten leiten, und wir möchten diese Werte, wie etwa Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung, von den von uns gewählten Unternehmen repräsentiert sehen. Und am allerwichtigsten ist es Konsumentinnen und Konsumenten das Gefühl zu geben, dass sie ihre eigene Konsumerfahrung mitgestalten. Menschen möchten den Firmen in ihrem Alltag begegnen, etwa in Form von Events.

Das klingt gewissermaßen nach Manipulation. Führt Experience Design Konsumentinnen und Konsumenten mit konzeptionierten Erfahrungen und Emotionen nicht auch in die Irre?

Informationen sind heute so leicht zugänglich, dass ich darin keine Gefahr sehe. Positive Erfahrungen im Konsum von Produkten eines bestimmten Anbieters können nur dann erzeugt werden, wenn positive Prinzipien, wie etwa Wertschätzung auch fix in der dortigen Unternehmenskultur verankert sind. Andernfalls wirkt es nicht authentisch. Es geht darum, mit bestimmten Situationen zu spielen, und auszuloten, wie ein Unternehmen sich bestmöglich positiv aber auch authentisch präsentieren kann.

Joseph Pine behauptet Authentizität sei heute der entscheidende Faktor für eine Konsumentscheidung. War das jemals anders?

Seit ungefähr 50 Jahren beobachten wir eine Desintegration alter gesellschaftlicher Institutionen wie Familie oder Kirche. Durch den Verlust dieser stabilen Anhaltspunkte sind wir auch als Konsumenten ständig auf der Suche nach Sicherheit. Gleichzeitig haben wir mehr Geld und mehr Freizeit als je zuvor. Da wir heute nicht mehr 16 Stunden täglich damit beschäftigt sind für unser Auskommen zu arbeiten, bleibt mehr Zeit für die Beschäftigung mit der eigenen Identität. Konsum ist identitätsstiftend geworden. In authentisch empfundenen Gütern finden wir uns oft selbst wieder.

Dass Menschen heute mehr Geld und Zeit als jemals zuvor haben, steht im krassen Gegensatz zu Phänomenen wie Burn-Out oder Working-Poor. Ist Experience Design ein Marketingkonzept, dass nur bei einkommensstarken Konsumgruppen zieht?

 Es ist ein Konzept für westliche Märkte, ja. Trotz einer extremen Polarisierung zwischen Arm und Reich, sehe ich die Nachfrage nach ökologischen Produkten aber als etwas Universelles an, ungeachtet der Einkommensstärke. Das gilt auch für Trends wie Freiwilligenarbeit. Es gibt eine allgemeine Nachfrage danach Gutes zu tun. In einer dynamischen und sich rasch verändernden Welt streben wir nach einem aktivierenden Selbstbild und wollen Anteil nehmen.

Eine gesteigerte Nachfrage danach Gutes zu tun, würde auch bedeuten, dass sich das auf Unternehmenspolitiken auswirkt. Ist der verstärkte Ruf nach mehr Corporate Social Responsibility (CSR) mehr als nur ein Marketing- Gag?

Ich glaube, dass CSR sowohl reines Marketing, als auch ernst gemeint sein kann. Wenn es die Forderung nach fair gehandelten Produkten oder guten Arbeitsbedingungen gibt – warum sollte ein Unternehmen nicht darauf eingehen? Warum können wir nicht gemeinsam mit Unternehmen für eine gute Sache kämpfen? Wenn es so einfacher ist finanzielle Mittel für Kampagnen aufzustellen, sehe ich das als eine durchwegs positive Entwicklung. Mit mehr Geld kann auch mehr bewirkt werden. Große gesellschaftliche Herausforderungen werden wir als Zivilgesellschaft in Zukunft nur gemeinsam mit Unternehmen und dem öffentlichen Sektor angehen können.

Vinzent Rest studiert Internationale Politische Ökonomie in Kopenhagen.

Everything is going to be alright

  • 28.09.2012, 17:55

Laut The Economist ist Vancouver neuerdings die teuerste Stadt Nordamerikas. Auch bislang als Problembezirke geltende Stadtteile werden zum Exerzierfeld profitorientierter Stadtentwicklung.

Laut The Economist ist Vancouver neuerdings die teuerste Stadt Nordamerikas. Auch bislang als Problembezirke geltende Stadtteile werden zum Exerzierfeld profitorientierter Stadtentwicklung.

Lange Zeit galt Vancouver als verschlafenes Nest – trotz seiner Rolle als größte Stadt des kanadischen Westens. In den 1960er- Jahren wandelte sich die Provinz British Columbia mehr und mehr zu einem Rückzugsgebiet für US-amerikanische Wehrdienstverweigerer, die in einer Flucht nach Kanada die einzige Alternative zum Einsatz im Vietnamkrieg sahen. Und so ähnelt die politische Tradition Vancouvers jener der als liberal geltenden US-Bundesstaaten des pazifischen Westens, Oregon und Washington State.

Besonders bemerkenswert ist der liberale Umgang mit dem Konsum von Marihuana: Vancouver duftet mancherorts wie die touristischen Gegenden Amsterdams. British Columbia gilt trotz seines rauen Klimas als eines der weltweit größten Anbaugebiete. Für kanadische Verhältnisse ist das Klima ungewöhnlich mild. Dass die Wintertemperaturen als erträglich gelten, ist mitunter Grund für die große Anzahl von Obdachlosen in Vancouver. Besonders der östliche Teil der Innenstadt, der Stadtbezirk Downtown Eastside (DTES), ist ein Zentrum der sichtbaren Obdachlosigkeit und gilt als einer der ärmsten innerstädtischen Bezirke Kanadas.

Bedrohte Heterogenität. Die geographische Nähe zu Asien und der zweitgrößte Hafen an der nordamerikanischen Pazifikküste machen Vancouver zu einem attraktiven Handelsplatz. Die daraus resultierende Nachfrage nach Arbeitskräften hat viele Menschen aus Asien in die Stadt gelockt. Heute sprechen 52 Prozent der Bevölkerung eine andere Muttersprache als Englisch, gut ein Drittel der Bevölkerung stammt aus China. Nicht-kanadische Herkunft wird in einem Einwanderungsland wie es Kanada ist, in dem nur wenige Menschen leben, deren kanadischer Pass schon auf mehr als zwei Generationen zurückgeht, nicht als Manko gesehen. Die Postleitzahl teilt sich DTES mit dem historischen Stadtviertel Gastown. Noch zu Beginn des neuen Jahrtausends galt auch Gastown als Problemviertel. Nach und nach revitalisierten vereinzelt kleine Geschäfte und Boutiquen das Antlitz der fünf bis sechs Straßenzüge. Das geschah freilich nicht, ohne auch größere Unternehmen und Immobilienfirmen auf den Plan zu rufen. Heute ist Gastown hip. Die billigsten Wohnungen gibt es dort heute für circa 40 Euro pro Quadratmeter. Auf Craigslist finden sich 35 m2 für $CA 1100, also um 900 Euro. Damit konkurrieren die Wohnungspreise in Downtown Vancouver mit denen Manhattans. Problematisch ist diese Preissteigerung vor allem für die ursprünglich in Gastown und DTES lebenden Menschen. Für diese werden der zunehmende Zuzug von Besserverdienenden und die damit einhergehende Verdrängung aufgrund der Preissteigerung zur existenziellen Bedrohung. Gentrifizierung bezeichnet den Prozess, im Zuge dessen traditionelle ArbeiterInnenviertel mit  BewohnerInnen mit niedrigem Medianeinkommen und oft auch niedrigem Bildungsniveau, nach und nach zu Stadtteilen der gut ausgebildeten Besserverdienenden werden, wobei die weniger privilegierte Bevölkerung verdrängt wird. Dies passiert mithilfe von finanziellen Ressourcen sowie oft mit Unterstützung durch die Immobilienbranche und die Stadtverwaltung. Das soziologische  Phänomen Gentrifizierung wird daher meist mit der Marketing-Umschreibung „Revitalisierung“ verschönt.

Immobilien-Hot-Spot Vancouver. Die Immobilienindustrie wurde erst verhältnismäßig spät auf Vancouver aufmerksam. Begonnen hatte die „Aufwertung“ mit der Weltausstellung, die 1986 hier Station machte. Mit der Annektierung Hong Kongs durch die Volksrepublik China im Jahr 1997, wurde Vancouver für zahlreiche Vermögende aus Hong Kong attraktiv, die Enteignungen durch die neue kommunistische Führung fürchteten. Mit der Vergabe der Olympischen Spiele für 2010, die 2003 erfolgte und in der sich Vancouver auch gegen Salzburg in der Endauswahl durchsetzen konnte, setzte eine weitere Preisexplosion am Immobilienmarkt
ein, Grundstücke wurden zum Spekulationsobjekt und für ein Vielfaches des ursprünglichen Kaufpreises verkauft. Während ein kleines Grundstück mit Einfamilienhaus im Vorort West Vancouver, das als kanadische Gemeinde mit dem höchsten Medianeinkommen gilt, zu Beginn des Jahrtausends schon stolze zwei Millionen Dollar einbrachte, hat sich der Marktpreis bis 2012  auf acht Millionen Dollar vervierfacht. Zu den bekanntesten Anwesen Vancouvers zählt etwa jenes der US-Talkmasterin OprahWinfrey. Nach und nach wurde die Innenstadt Vancouvers von Immobilienfirmen aufgekauft und saniert. Dem südlich der Downtown gelegenen Yaletown, das heute als Inbegriff von Neureichtum gilt, folgte Gastown als Schwerpunkt von innerstädtischer Revitalisierung.

Anders als in Yaletown ist die soziale Demographie Gastowns, das vor allem für Menschen mit Bildungs- und Kunsthintergrund attraktiv ist, allerdings noch wesentlich heterogener. Als weitere Beispiele von Gentrification in Vancouver können auch das Stadtviertel South Main und ein Abschnitt am Commercial Drive genannt werden. Hier sind es aber vor allem Studierende und vereinzelte Boutiquen, die die Straßenzüge revitalisieren. Eine Vermarktung durch die Immobilienbranche ist dort noch weitgehend ausgeblieben. Gleichzeitig werden einst als unerschwinglich geltende Gebiete, etwa im Stadtteil West End, heute wieder preiswert – preiswert im Verhältnis zu im Galopp steigenden Mieten in Gastown, wohlgemerkt.

Konflikte und Gentrification. Bis vor kurzem galt die DTES als letztes innerstädtisches Viertel mit erschwinglichen Mieten, wo auch sozial benachteiligte Gruppen noch Platz in der Stadt hatten. Durch die Vermarktung des Straßenabschnitts zwischen Abbott Street und Gore Avenue, wo die Stadtverwaltung Bauplätze lieber für die Errichtung teurer Kondominien zur Verfügung stellt, statt leistbare Sozialwohnungen zu bauen, reduziert sich dieser Platz jedoch zunehmend. NGOs wie das Carnegie Community Action Project (CCAP) protestieren gegen diese Entwicklung und treten als Interessensvertretung für die in den städtischen Vertretungsgremien stark unterrepräsentierten BewohnerInnen der DTES auf. Einzelne Gruppierungen helfen, indem sie leerstehende Häuser aufkaufen, sanieren und zu niedrigen Preisen vermieten. Die DTES bietet mittlerweile ein soziales Kontrastprogramm, das schwer zu übersehen ist: Schicke Coffeeshops teilen sich die Fassade mit halbverfallenen Stundenhotels: Neben einer mit der neuenAcne-Kollektion ausgestatteten Boutique können Abhängige von der Stadtregierung subventioniertes Methadon beziehen. Dass dieses Kontrastprogramm nicht immer im Ausstechen der finanziell Schwächeren enden muss, beweist der Unternehmer Mark Brand: Im Herbst 2011 hat er das Diner Save on Meats saniert und wiedereröffnet und bietet dort neben günstigem Frühstück für die hiesigen Bobos auch vergünstigte Sandwiches und eine Suppenküche für die Obdachlosen der Hastings Street an. Dennoch stößt  Brands Geschäftsaktivität auf den Widerstand einiger in der DTES tätigen Aktionsgruppen, wie etwa der DTES not for DevelopersCoalition. Diese sprach sich im Februar dieses Jahres für einen Boykott des Diners als Gentrifier Landmark aus.

Weiterführende Informationen:
http://thedependent.ca/featured/gentrifiers
http://ccapvancouver.wordpress.com
http://saveonmeats.ca

Wir sind so smart!

  • 28.09.2012, 01:28

4179 Mal wurde der Artikel des Klimaforschers Boyd Cohen zu seiner Recherche zu Smart Cities, der Anfang des Jahres auf dem Design-Blog Co.Exist veröffentlicht wurde, getweetet. Was hat es mit diesen Rankings auf sich?

4179 Mal wurde der Artikel des Klimaforschers Boyd Cohen zu seiner Recherche zu Smart Cities, der Anfang des Jahres auf dem Design-Blog Co.Exist veröffentlicht wurde, getweetet. Was hat es mit diesen Rankings auf sich?

Diese Städte-Rankings stellen Wien ein gutes Zeugnis aus: 2011 kürte die Unternehmensberatungsagentur Mercer die Hauptstadt zum dritten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt. Wien ziert triumphierend das Cover des Smart City Rankings und ist laut dem britischen Unternehmen QS die fünftstudierendenfreundlichste Stadt der Welt. Damit liegt Wien nach dem permanenten Spitzenergebnis im Mercer Quality of Living Ranking auch im Wettkampf der am „smartesten“ gemanagten Städte
der Welt auf Platz eins.

Was auf den ersten Blick wie eine wissenschaftliche Gegenüberstellung aussieht, ist allerdings nicht viel mehr als ein journalistischer Shake bestehender Rankings. Cohen beschreibt die Methodik als eine Melange aus vier etablierten Studien, darunter ein für Wien erfreuliches Innovation City Ranking, eine Studie über E-Government sowie die Mercer Quality of Living Survey. Das von der US-amerikanischen Consulting-Agentur erstellte Ranking vergleicht eine Vielzahl von Indikatoren, etwa das wirtschaftliche, soziale und politische Umfeld genauso wie die Qualität von Konsumgütern oder das Erholungs- und Freizeitangebot. Boyd Cohen definiert eine Smart City als „Stadt, die smart geführt wird und die das Management ihrer Ressourcen, der Infrastruktur und der Interaktion mit der Bevölkerung smart organisiert, (…) eine erstklassige Lebensqualität, einen geringen ökologischen Fußabdruck, ein ausgeklügeltes Verkehrssystem, das FußgängerInnen und öffentlichen Verkehr Autos vorzieht und das die Anwendung innovativer und grüner Technologien in der Stadt bei gleichzeitiger Schaffung von Unternehmenschancen vorantreibt“. Eine sehr reiche Sammlung von Kriterien also, die mitunter schwer zu messen sind und von den herangezogenen Studien in dieser Form gar nicht durchleuchtet werden. Cohen räumt im Gespräch mit dem progress zwar ein, dass seine Methoden einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten, betont aber gleichzeitig, dass es eine Reihung der Smartness von Städten auf globaler Ebene vorher nicht gegeben habe. Also doch ein ernstzunehmendes Ergebnis?

Städte-Rankings für Studierende. Ein für Studierende relevantes Ranking lieferte letztes Jahr QS, das Consulting für Universitäten, andere Bildungsinstitutionen sowie auch Privatpersonen in Bildungsfragen anbietet. Es bewertete erstmals Universitätsstädte nach Studierendenfreundlichkeit. Gereiht wurde nach den Kriterien Student Mix, Quality of Living, Employer Activity und Affordability.
Wien wurde als fünftbeste Student City gereiht, Paris ist der Studie zufolge die studierendenfreundlichste Stadt der Welt. Wien verdankt die hohe Platzierung vor allem der Internationalität der Studierenden, vergleichsweise niedrige Lebenserhaltungskosten und Studiengebühren sowie der allgemein hohen Lebensqualität. Faktoren wie die aktuelle finanzielle Lage der Universitäten sowie Betreuungsverhältnisse oder Forschungsmöglichkeiten wurden dagegen gänzlich ausgeblendet. Und Studienstädte mit weniger als 250.000 EinwohnerInnen wie etwa Salzburg oder Innsbruck wurden erst gar nicht beachtet. Dass dabei essentielle Aspekte, die zur Qualität eines Studiums beitragen, ausgespart werden, muss sich nicht zum Vorteil der Betroffenen auswirken. Wie können solche Rankings nun richtig verstanden und konsumiert werden?

Die Macht der Zahlen. Rankings erfüllen verschiedene Funktionen: Sie quantifizieren ansonsten qualitative Merkmale von Städten wie Lebensqualität oder Freundlichkeit, um Vergleichbarkeit herzustellen, wo oft keine ist. Dafür ist es notwendig, komplexes Datenmaterial in einfache Formen zu gießen. Diese Komplexitätsreduktion führt unter anderem dazu, dass Wien, einst die Stadt an der blauen Donau und im Wienerwald, zur Stadt mit 107 Lebensqualität-Punkten wird. Ändert sich die Gewichtung der Kriterien, ändert sich das Ranking – obwohl die Donau nicht weniger blau ist. „Rankings sind etwa für die Evaluierung von Verteilungsfragen nicht ausgelegt. Wien hat unbestritten eine hohe Lebensqualität und das E-Government ist gut“, meint Verena Madner, Professorin am Forschungsinstitut für Urban Management und Governance an der Wirtschaftsuniversität Wien: „Die Frage ist, ob man da stehen bleiben will. Impulse, sich weiterzuentwickeln, spiegeln sich in solchen Rankings nicht wider.“

Die Attraktivität dieser vereinfachten Darstellung spielt auch den Medien in die Hände und führte zu einer raschen Verbreitung. Dabei wird auf eine kritische Reflexion der Parameter, der Datengrundlage und der Rolle der AuftraggeberInnen oft verzichtet. Konzerne mit Ranking-Ambitionen wie Mercer oder Siemens oder Medienunternehmen wie Economist oder Monocle sind mehrheitlich nämlich private, gewinnorientierte Unternehmen. Deren Eigeninteresse und mögliche Beeinflussung durch finanzielle Anreize sind Beispiele für problematische Konstellationen, die sich durch die Gewinnorientierung der rankenden Organisationen ergeben können. Bei bewusster Berücksichtigung der Tatsache, dass Rankings ein wertendes Weltbild beinhalten, ist das kein Problem – sie verbietet aber die Verallgemeinerung vom speziellen Ranking zum allgemeinen Freudentaumel.

Das Mercer-Ranking etwa zeigt, dass solche Reihungen meistens eine spezifische Funktion haben – etwa als Orientierungshilfe für ManagerInnengehälter. Eine günstige Platzierung in einem renommierten Ranking bedeutet keineswegs eine hohe Lebensqualität für alle. Dennoch ist das für eine Stadt eine erfreuliche Nachricht, auch weil ein Spitzenplatz als Bescheinigung des guten „Standorts“ gesehen wird. Das wirtschaftliche Interesse an Rankings ist also evident, wobei Madner anmerkt: „Solche Rankings sollten nicht überbewertet werden oder in Selbstzufriedenheit bei der Stadtführung resultieren. Aber Ideen aus Wien werden so auf die Reise geschickt.“

Best practice. Dabei besteht die Gefahr, dass Städte im Kampf um den besten Platz im angeblichen Standortwettbewerb dazu neigen, die von den Studien untersuchten Indikatoren bestmöglich zu erfüllen. Städte werden auf diese Weise angeleitet, die normativ als Best Practice bezeichneten Maßnahmen aufzugreifen, wie auch Boyd Cohen festhält: „Eine Smart City ist auch smart genug, zu wissen, dass sie nicht alles weiß, und dass sie nicht am besten in allem ist. Sie befindet sich in einem Städtenetzwerk und teilt ihre herausragenden Initiativen mit anderen Städten bzw. – falls sie keine Lösungen für ein Problem parat hat – verbündet sich mit jenen Organisationen, die sich damit am besten auskennen.“ Die damit verbundene Schaffung von internationalen Vorbildern zeigt, dass Rankings weniger dazu dienen, die Wirklichkeit abzubilden, als eine Wirklichkeit zu schaffen: Nämlich die von miteinander um Smartness, und damit um Geld und schlaue Köpfe, konkurrierenden Städten.

Zur Info

QS Best Student Cities 2012:
1. Paris
2. London
3. Boston
4. Melbourne
5. Wien
6. Sydney
7. Zürich
8. Berlin

Mercer Smart Cities Ranking:
1. Wien
2. Toronto
3. Paris
4. New York
5. London
6. Tokio
7. Berlin
8. Kopenhagen

An Tagen wie diesem

  • 26.09.2012, 01:45

Am 27. Jänner 2012 ist der 67. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Truppen. Weltweit wird an diesem Tag der Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie gedacht. In Österreich jedoch findet ein anderes Ereignis statt

Am 27. Jänner 2012 ist der 67. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Truppen. Weltweit wird an diesem Tag der Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie gedacht. In Österreich jedoch findet ein anderes Ereignis statt: In der Hofburg, in den Prunksälen der Republik, feiert sich der Wiener Korporationsring (WKR) anlässlich seines alljährlichen Balles – unter Vorstand der Burschenschaft Olympia. Diese wird vom Dokumentationsarchiv Österreichischen Widerstands (DÖW) als rechtsextrem und revisionistisch eingestuft.
Am letzten Freitagabend im Jänner hat sich in der Wiener Innenstadt eine ungewöhnliche Tradition eingebürgert: Sie gleicht einer Geisterstadt, der oberirdische öffentliche Verkehr kommt zum Erliegen und ihre einzigen legitimen BewohnerInnen scheinen Polizeikräfte und schlagende Burschenschafter samt Begleitung zu sein. Dieses Jahr hat die dafür verantwortliche Veranstaltung einen besonders schalen Beigeschmack: Der Balltermin überschneidet sich mit dem internationalen Holocaust-Gedenktag, der seit dem Beschluss der UN-Generalversammlung im Jahr 2005 auf den 27. Jänner fällt.
An diesem Tag gelang es der sowjetischen Armee Auschwitz-Birkenau zu befreien, wo Schätzungen zufolge über eine Million Menschen, hauptsächlich Jüdinnen und Juden aus Ungarn, ums Leben kamen. Die sowjetische Armee fand jedoch nur mehr rund 7000 Inhaftierte im Lager vor. Unter den Befreiten befand sich auch Otto Frank, Anne Franks Vater. Weitere 60.000 waren in den Tagen und Wochen zuvor auf Todesmärsche in Richtung Westen geschickt worden.
An diesem Jahrestag wird der schlagende Burschenschafter und Klubchef der Wiener FPÖ Johann Gudenus wohl in der Hofburg tanzen. Für ihn stellt das kein Problem dar, denn er sieht deutschnationale Burschenschaften als bürgerliche Bewegungen. Die dem WKR vorsitzende Verbindung Olympia, welcher auch der dritte Nationalratspräsident Martin Graf angehört, zeigt allerdings mit ihrer Einladungspolitik mit Faible für prominente Holocaustleugner eindeutig, welchen Geistes Kind sie ist. Auf der Gästeliste standen bereits der wohl bekannteste revisionistische Historiker David Irving, der 2005 auf dem Weg zu einer Veranstaltung der Olympia in Wien festgenommen und später wegen Wiederbetätigung verurteilt wurde, sowie die rechtsextremen Liedermacher und NPD-Politiker Michael Müller („(...) mit sechs Millionen Juden fängt der Spaß erst richtig an“).
Hinter der bürgerlichen Fassade sind die antisemitischen und revisionistischen Botschaften leicht auszumachen. Und den schlagenden Verbindungen wird mit dieser Veranstaltung einmal mehr ermöglicht, ihre menschenverachtende Ideologie zu inszenieren. 2013 wird der WKR Ball nach momentanem Stand nicht in der Hofburg feiern dürfen. Damit reagierten die GesellschafterInnen der Hofburg auf den öffentlichen Druck, der sich in den letzten Jahren verstärkte.

Wir müssen reden!

  • 13.07.2012, 18:18

Unsere Generation ist die letzte, die die Möglichkeit haben wird, mit jenen Menschen zu sprechen, die Krieg, Verfolgung und Diktatur in Österreich miterleben mussten. Viel Zeit dürfen wir aber nicht mehr verlieren, um diese Chance zu nutzen.

Unsere Generation ist die letzte, die die Möglichkeit haben wird, mit jenen Menschen zu sprechen, die Krieg, Verfolgung und Diktatur in Österreich miterleben mussten. Viel Zeit dürfen wir aber nicht mehr verlieren, um diese Chance zu nutzen.

Der 1928er Jahrgang war der letzte, der in den Krieg gezogen ist. 82 Jahre alt werden die noch lebenden VertreterInnen dieses Jahrganges 2010. Damit haben sie die durchschnittliche Lebenserwartung von ÖsterreicherInnen bereits um knapp vier Jahre übertroffen. Laut den Erhebungen des Statistischen Zentralamts von 2008 beträgt die Zahl der vor 1928 Geborenen etwa 350.000. Werden nur die männlichen ZeitzeugInnen gezählt, die im Gegensatz zu den weiblichen auch aktiv in Kriegshandlungen verwickelt waren, sind es knapp 100.000. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil von diesen aufgrund des fortgeschrittenen Alters nicht mehr im Stande ist, genaue Angaben zu den Geschehnissen und dem Erlebten zu machen. Viele, der in den historisch relevanten Jahren Geborenen, mussten ihr Leben bereits für den sinnlosen Todeskampf des maroden Hitler-Deutschland geben oder starben in den bombardierten Städten. Viele sind es also nicht, die heute noch leben und auch über das Erlebte sprechen möchten und können.
Daraus ergibt sich natürlich auch eine Verantwortung, nämlich das Geschehene an die Nachwelt weiterzugeben, um dem viel zitierten Satz „Niemals vergessen!“ Genüge zu tun. Gerade in Zeiten, in denen wichtige Elemente unserer Demokratie wie das Verbotsgesetz von PolitikerInnen des rechten Randes in Frage gestellt werden, ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, weshalb es Gesetze wie dieses gibt und warum wir in Österreich unsere Erinnerungskultur immer wieder erneut in Frage stellen müssen. Aus dem „Nie wieder!“ wird so ein „Warum noch immer?“, das neben einer konkreten Handlungsaufforderung auch noch ein verstärktes Reflektieren impliziert. 

Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht. So lautete das Credo von Agnes Primocic, einer österreichischen Widerstandskämpferin, die 1905 in Hallein geboren wurde. Sie war als Betriebsrätin in einer Tabakfabrik tätig und in der Kommunistischen Partei engagiert, weshalb sie sowohl von den Machthabern in der Zeit des Austrofaschismus als auch von den Nazis bedroht, verfolgt und auch mehrmals eingesperrt wurde. In den Achtzigerjahren begann sie damit, in0w Schulklassen über ihr Wirken im Widerstand zu sprechen. Es war ihr wichtig, Jugendlichen die Wichtigkeit von Zivilcourage zu vermitteln. Bis ins hohe Alter setzte sie diese Tätigkeit fort und wiederholte immer, wie wichtig es ist, gegen Unrecht aufzubegehren. Vor drei Jahren verstarb sie im Alter von 102 Jahren.
Eindrucksvoll ist auch die Geschichte der polnisch-stämmigen Jüdin Havka Raban-Folman, die während der Besetzung Polens als Botin zwischen den verschiedenen Widerstandsverbänden in den jüdischen Ghettos, die auf ganz Polen verteilt waren, fungierte. Nach ihrer Verhaftung wurde sie ins gefürchtete Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Aufgrund eines Formfehlers wurde sie jedoch als Polin und nicht als Jüdin registriert und kam wohl auch deshalb mit dem Leben davon. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Israel und gründete gemeinsam mit anderen Überlebenden im Norden des Landes den Kibbuz Lohamei Ha‘Getaot, was übersetzt Ghettokämpfer bedeutet, und wo sie bis heute lebt. In ihrem Beruf als Lehrerin hatte sie die Möglichkeit, mit jungen Menschen über die Geschehnisse zu sprechen und sie für die Thematik zu sensibilisieren. Bis heute spricht sie mit Jugendlichen über ihre Erlebnisse und betreut bis zu drei Jugendgruppen täglich.

Situation in Österreich. Auch in Österreich kommt das Problem der immer kleiner werdenden Zahl von ZeitzeugInnen regelmäßig zur Sprache. Durch Projekte wie A Letter To The Stars wurde das Ganze auch medial vermehrt breit getreten. Bei diesem Projekt wurden SchülerInnen aufgefordert, an österreichische Überlebende der Shoah, die über die ganze Welt verstreut leben, Briefe zu schreiben.
Wichtig ist aber das Bewusstsein, dass ZeitzeugInnen nicht nur durch groß organisierte Projekte angesprochen werden können, sondern nächste ZeitzeugInnen auch in der NachbarInnenschaft zu finden sind. Ihre Geschichten können eines Tages nicht mehr gehört werden und uns kommt ein wichtiges historisches Dokument abhanden. Die Devise lautet: Jetzt handeln, fragen, zuhören und reden, bevor es zu spät ist.