„Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt“
Wo man auch hinsieht, war Arbeit nichts anderes als Zwang. Auch heute leben die Menschen in der Regel für die Freizeit.
Wer selbst einmal gearbeitet hat, der weiß, dass Arbeit trotz aller anderslautenden Versprechen oft nicht sonderlich glücklich macht. In der Regel empfinden die Menschen Arbeit als Last, als mühsame Notwendigkeit, die man hinter sich bringen muss, um endlich wieder Freizeit zu haben. Wer arbeitet, der weiß, dass man sich gerade nach den Pausen, den Feierabenden und vor allem nach den Wochenenden sehnt, nicht aber nach den acht Stunden, die man im Büro, beim Kellnern oder in der Ideologieproduktionsstätte der Universität verbringt.
VERKEHRTES VERHÄLTNIS. Der Zwang, den die Menschen erfahren, ist kein eingebildeter, sondern entspricht dem wirklichen Zwangscharakter der gegenwärtigen Gesellschaft, in der die individuelle Selbsterhaltung an die Verwertung von Kapital unter privater Regie gekoppelt ist. Ernährung, Bekleidung und Bespaßung des Individuums sind in diesem System kein Selbstzweck, sondern erscheinen als funktionale Bedingung dafür, dass Menschen arbeitsfähig bleiben und damit das System erhalten. Die Gesellschaft, namentlich ihr verkehrtes Erscheinen als Kapitalverhältnis, setzt die Lebendigkeit und die Erhaltung der Einzelnen in eins mit der Erhaltung des Leibes als Arbeitskraft. Wo ein Zustand herrscht, in dem nicht Bedürfnisse das Maß der Produktion sind und die Arbeit nicht bloß Mittel, es zu befriedigen, herrscht das groteske Gegenteil der Zweck-Mittel- Relation. Statt die Diktatur der Bedürfnisse über die Produktion zu organisieren, also statt dem Profitinteresse des Kapitals einzig und allein die Menschen entscheiden zu lassen, was sie zum guten Leben brauchen, sind die Einzelnen heute bloß Anhängsel der Produktion und das Bedürfnis bloß Anreiz zur Produktion: Verwertung des Werts, Herausschlagen von Profit, der privat angeeignet wird. Der dieser Gesellschaft angemessene Leitspruch lautet daher nicht: Wo ein Bedürfnis ist, da wird es gestillt. Sondern: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.
SÜNDENFALL … Nun könnte man sich fragen: War denn die Arbeit jemals etwas anderes als Zwang? Wenn wir den konkret-geschichtlichen Erscheinungen der Arbeit kein metaphysisches, im Zwang als ihr reines Gegenteil erscheinendes Wesen unterstellen wollen, so war die Arbeit ab dem Austreten der Menschen aus der Natur stets von fremden Zwecken bestimmt, also Zwecken, die von der Bedürfnisbefriedigung der Arbeitenden getrennt sind. Kaum der Natur entronnen, war Arbeit für jeden Menschen Bedingung des nackten Überlebens. Die Lebenszeit der einzelnen Menschen war also voll und ganz von der Bearbeitung der Natur zum Zwecke der Reproduktion der eigenen Existenz aufgesogen. Erst der gemeinschaftlich zustande gebrachte Überschuss, der nicht gleich konsumiert wurde und daher konserviert und angeeignet werden konnte, setzte ein soziales Verhältnis in Gang, in dem die einen gut leben konnten und die anderen ausgebeutet wurden. Herrschaft und Ausbeutung, so stellt es sich paradoxerweise historisch dar, sind erst dann in die Welt getreten, als die Menschen sich durch die Entwicklung ihrer Produktivkräfte aus dem bloßen Zwang der Natur befreit hatten. Dort, wo die Bearbeitung der Natur rational war, also ganz den Bedürfnissen der Menschen verpflichtet, wies sie noch nicht über den bloßen Kreislauf der Natur hinaus. Vom Naturzwang emanzipierte sie sich erst im Überschuss, welcher die Menschen vom bloßen Gattungsexemplar zu sozialen Wesen, und ihr Zusammenleben zur Produktionsgemeinschaft erhob. Es ist ein historisches Verhängnis, welches nicht weiter ableitbar ist, dass das in der Wiege der Menschheit entstehende Mehrprodukt nicht vernünftig aufgeteilt, sondern herrschaftlich angeeignet wurde.
… UND ERBSÜNDE. Durch diesen „Sündenfall“ wurde Herrschaft in Gang gesetzt. Im Laufe der Jahrhunderte nimmt sie allerdings höchst unterschiedliche Formen an. In der Antike waren bekanntlich nur Bürger frei, alle anderen – Frauen und Fremde – wurden von der Freiheit ausgeschlossen. SklavInnen schließlich, welche den arbeitenden Teil der Bevölkerung bildeten und somit eine unumstößliche Bedingung der Reproduktion der antiken griechischen Stadtstaaten darstellten, waren für die Herrschenden kaum mehr als sprechende Werkzeuge – obwohl ihre Arbeit doch die eigene Lebensgrundlage darstellte. Die Humanität der griechischen und römischen Antike, die sich nicht zuletzt in der Philosophie ausdrückte, war untrennbar an Reproduktion der Gesellschaft durch Sklavenarbeit gekoppelt. Die schrankenlose Herrschaft des einen Menschen über den anderen ist also historisch eine Bedingung für den Beginn der europäischen Zivilisation.
Im Feudalismus stand die Reproduktion der Gattung ganz unter der Regie persönlicher Herrschaft des Feudaladels über die Leibeigenen. Die Bauern und Bäuerinnen waren zwar keine SklavInnen mehr, kannten aber trotzdem so gut wie keine Rechte gegenüber ihren Herren, denen sie als Knechte mehr oder weniger auf Gedeih und Verderben ausgeliefert waren. Die Subsistenzökonomie war derart organisiert, dass die Leibeigenen durch Arbeit nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Herren ernährten. Vor der bürgerlichen Gesellschaft haben wir es also mit Gemeinwesen zu tun, die sich durch persönliche, direkte Herrschaft und Ausbeutung auszeichnen.
BLUT UND FEUER. Erst im Zuge der sogenannten ursprünglichen Akkumulation veränderte sich das Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit zu jener Form, wie wir sie heute kennen. Durch die gewaltsame Trennung der Produzierenden von ihren Produktionsmitteln, also der massenhaften Vertreibung von Bauern und Bäuerinnen von ihrem Grundbesitz, wurde die Landbevölkerung zu freien LandarbeiterInnen und zu vogelfreiem, in die Städte strömendem Proletariat umgewandelt. Die nun doppelt freien LohnarbeiterInnen, die frei von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen, aber auch frei von jeglichem Eigentum waren, mussten erst durch Gewalt erschaffen und in das moderne System der Lohnarbeit hineingepeitscht werden. Schlussendlich blieb ihnen nichts mehr anderes übrig, als das einzige, was ihnen blieb – ihre Arbeitskraft als Ware – zu verkaufen. Anders als in den Vertragstheorien der bürgerlichen Staatsphilosophie dargestellt, entstanden die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und die ihnen entsprechende Organisation der Arbeit nicht als vertragliche Einigung zwischen Individuen. Vielmehr musste ein grundlegendes Prinzip der warenproduzierenden Gesellschaft in der gewaltsamen und unmittelbaren Aneignung des Eigentums der Landbevölkerung gebrochen werden: jenes Prinzip, wonach Aneignung von fremdem Eigentum – seien es nun Waren oder die Arbeitskraft – nur durch Vertrag und als Tausch von Äquivalenten stattfinden darf.
LOHNSKLAVEREI. Die Tatsachen, die geschaffen wurden, als das bürgerliche Recht noch schlummerte, wirken heute noch nach. Sie sind der Grund, warum es das bürgerliche Recht überhaupt geben muss: Wo die Menschen als WarenbesitzerInnen und MarktteilnehmerInnen in der allgemeinen Konkurrenz Interessen haben, die einander diametral entgegengesetzt sind (alle haben das Interesse, dass die anderen in der Konkurrenz auf der Strecke bleiben), kann nur das allgemeine Recht Vermittlung schaffen. Damit das Eigentum der einen Person geschützt werden kann, muss diese Person auch alle anderen Personen als WareneigentümerInnen anerkennen. Wo diese wechselseitige Anerkennung verletzt wird, setzt der Staat das Recht – wenn nötig gewaltsam – gegen die Konfliktparteien durch.
Seit der gewaltsamen Herstellung der eigentumslosen Klasse des Proletariats soll also die Aneignung von Waren nur noch auf rechtlichem Wege, also durch Vertrag geschehen. Damit ist aber weder Herrschaft noch Ausbeutung beseitigt. Die Ausbeutung in der warenproduzierenden Gesellschaft vollzieht sich nicht – wie frühsozialistische Vorstellungen unterstellen – gegen das Rechtsideal der bürgerlichen Gesellschaft, sondern sie geschieht durch das Recht. Wo der große Teil der Bevölkerung frei von Eigentum ist, bleibt als Mittel zur Selbsterhaltung nur noch der Verkauf der Arbeitskraft übrig, welche den KapitalistInnen ganz legal und „gerecht“ als angeeignete Ware zukommt. Diesen dürfen sie benützen wie jede andere angeeignete Ware im Produktionsprozess auch. Weil die menschliche Arbeitskraft es an sich hat, Wert schaffen zu können, und damit auch mehr Wert, als für ihre eigene Reproduktion notwendig ist, können sich die KapitalistInnen vollkommen rechtmäßig das Produkt fremder Arbeit aneignen.
BLUMEN AUF DIE KETTEN. Springen wir von diesen allgemeinen Ausführungen in die heutige Zeit, so merken wir, dass sich am grundlegenden Verhältnis nichts geändert hat. Gegen den Einwand, dass es ja den Sozialstaat gäbe, welcher die Verelendung der Arbeitenden verhindert habe, seien hier also noch ein paar Bemerkungen erlaubt. Der Sozialstaat hat zwar erfreulicherweise auch dem lohnabhängigen Teil der Bevölkerung ein Mindestmaß an Bedürfnisbefriedigung und sozialer Absicherung verschafft, dies aber auch nur auf einem Umweg. Betrachtet man die historische Genese etwa des 8-Stunden-Tages oder der Sozial- und Krankenversicherungen, so wird man schnell merken, dass diese Zugeständnisse sowohl von christlich-sozialer, liberaler als auch von sozialdemokratischer Seite kaum aus reiner Menschenfreundlichkeit unternommen wurden.
Der 8-Stunden-Tag etwa gehört zu jenen Maßnahmen, die verhindert haben, dass das Proletariat zugrunde geht, wo also der Staat das allgemeine Interesse des Kapitals (weil nur menschliche Arbeit Wert schaffen kann) gegen die einzelnen KapitalistInnen (welchen egal sein kann und muss, ob diese Arbeiterin oder jener Arbeiter an der Arbeit zugrunde geht) durchsetzte. Das gleiche gilt für die Sozial- und Krankenversicherungen. So erkannte etwa Otto von Bismarck, dass sich die Arbeiterbewegung am besten dadurch ausschalten ließe, die arbeitende Bevölkerung zu integrieren, ihr also Zugeständnisse zu machen, die gleichzeitig die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht gefährden konnten: Das Zuckerbrot hat sich historisch als effektiver erwiesen als die Peitsche.
Lucilio Zwerk studiert an der Universität Wien.