Cornelia Girardi

Wir leben in einem sehr, sehr konservativen Land

  • 13.07.2012, 18:18

Dafür, dass Nationalratspräsidentin Barbara Prammer das zweithöchste Amt der Republik ausübt, ist sie sehr unbekannt. Ein politisches Porträt einer stillen Kämpferin.

Dafür, dass Nationalratspräsidentin Barbara Prammer das zweithöchste Amt der Republik ausübt, ist sie sehr unbekannt. Ein politisches Porträt einer stillen Kämpferin.

„Es sind nicht alle 183 so, wie einige wenige sich ständig darstellen“, sagt Barbara Prammer über die Abgeordneten des Hauses, dessen Chefin sie ist, und es klingt fast ein wenig liebevoll. „Aber da gibt es natürlich schon enorme KandidatInnen. Die könnte ich jetzt namentlich aufzählen, tue ich aber nicht, weil das ohnedies alle wissen.“ Gemeint ist damit natürlich unter anderem der dritte Nationalratspräsident und Mitglied der schlagenden Burschenschaft Olympia, Martin Graf (FPÖ). Trotz wiederholter demokratiepolitisch inakzeptabler Taten und Aussagen seit seiner umstrittenen Wahl ins Präsidium (so lud er unter anderem den rechtsextremen Professor Walter Marinovic als Redner ins Parlament ein) blieben alle Anträge zu seiner Abwahl  ohne Erfolg. Die jüngste Debatte zur Abwahl von Nationalratspräsident Graf entwickelte sich letztendlich gar zu einer Farce über die Frage, von wem sich die bei einem Parlamentarier-Fußballturnier nicht anwesende Präsidentin Prammer vertreten hätte lassen dürfen, um Grußworte auszusprechen. Nach 14 Stunden wurde die Sitzung geschlossen, eine Einigung über die Frage der Präsidenten-Abwahl musste wieder einmal vertagt werden. 

Junge Mutter. Aber Barbara Prammer, die als Nationalratspräsidentin das zweithöchste Amt im Staate trägt, hat gelernt, geduldig zu sein. Gerade was jene Themen betrifft, die sie laut eigener Aussage seit Beginn ihrer Karriere in den Mittelpunkt gerückt hat: „Frauenthemen, Demokratieentwicklung, internationale Politik – die sprödesten Themen überhaupt.“ Was die Frauenthemen betrifft, bekommt Prammer schon früh in ihrem Leben persönliche Gründe, sich zu engagieren: Kurz nach der Matura wird sie schwanger und arbeitet daraufhin als alleinerziehende Mutter am Gemeindeamt ihrer Heimatgemeinde Ottnang in Oberösterreich. Als stellvertretende Amtsleiterin muss sie bei einer Gemeinderatssitzung Protokoll führen und wird dabei Zeugin ihrer eigenen Diskriminierung. Bei der Sitzung wird beschlossen, dass der Mann, der an Prammer eigentlich Teile seiner Kompetenzen hätte abgeben müssen, mit einer Sekretärin ausgestattet wird, während sie auf dem niedrigeren Level weiterarbeiten soll. „Das war eines der eindrucksvollsten Ereignisse meines Lebens“, sagt Prammer heute, und auch der Grund, warum sie zu studieren begonnen habe. „Weil ich mir damals gedacht habe: Es reicht mir. Ich mag so nicht mehr weitertun.“
Heute würden Frauen im Gegensatz zu ihrer Generation etwas älter werden, bis sie die ersten Diskriminierungserfahrungen machten. Allerdings sei der öffentliche Druck und auch der Druck „von einer sehr männlich orientierten Gesellschaft“ noch immer enorm. Darum fordert Prammer sowohl Frauenquoten als auch wieder mehr Kampagnen, denn „wir leben in einem sehr, sehr konservativen Land und es ist vieles in den Köpfen der Menschen noch nicht drinnen. Wenn ich immer noch höre, wie lange die Frauen zuhause bleiben müssen, weil sonst die Kinder missraten werden.“ Und verantwortlich und schuld wenn irgendwas schief geht seien sowieso nur die Frauen – „das ist ja alles zum wahnsinnig werden mittlerweile.“ 

Objektive Wahrheit? Bei diesen Worten wird Prammers Stimme laut und es ist spürbar, wie sehr ihr das Thema nahegeht. Zur Zeit des Frauenvolksbegehrens war Prammer selbst Frauenministerin unter Viktor Klima und musste miterleben, wie nach der schwarz-blauen Wende als eine der ersten Maßnahmen das Frauenministerium abgeschafft wurde. Dann nimmt sie sich aber wieder zurück. Sie hat ja mittlerweile auch einen anderen Job. Und in diesem hat Prammer genug zu tun: Am 30. Juni sollen die Klubs über eine Ausweitung der beruflichen Immunität von Abgeordneten abstimmen. Prammer setzt sich außerdem schon länger für eine Reform der Geschäftsordnung des Nationalrates bei Untersuchungsausschüssen ein. Nach deutschem Vorbild des sogenannten Organstreitverfahrens soll demnach die parlamentarische Minderheit von einem Viertel der Abgeordneten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen können. Auch wenn die Einzelheiten dieser Reform derzeit noch ausgehandelt werden müssen, soll sie im Sommer über die Bühne gehen. Ein weiterer ausstehender Punkt ist natürlich die anstehende Totalrenovierung des Parlaments, die nun effektiv erst 2013 begonnen werden kann. „Wer nicht gut plant, hat schlecht gebaut“, verteidigt Prammer den späten Baubeginn und weckt so einmal mehr den Eindruck, als gehöre es zu den höchsten Tugenden einer Nationalratspräsidentin, sich unermüdlich in Geduld zu üben.
Immerhin, in mehreren für sie wichtigen Punkten konnte Prammer seit ihrem Antritt bereits große Erfolge verbuchen. Erstens sei das Parlament „um ein vielfaches weiblicher geworden“, freut sich Prammer. Von zwei VizedirektorInnen sei jetzt eine eine Frau, von sieben Dienstleistenden seien drei Frauen und vier Männer, bei den Abteilungsleitungen sei man bei rund 40 Prozent angelangt. Eine zweite wichtige Änderung im Hohen Haus unter der Nationalratspräsidentin Prammer ist die Öffnung des Hauses für die Bevölkerung durch regelmäßige Veranstaltungen zu demokratiepolitischen Themen, Lesungen und Ähnlichem. Als ihr „neues Steckenpferd neben der Frauenpolitik“ bezeichnet Prammer die Demokratiebildung für den jüngeren Anteil der Bevölkerung. Im Parlament wird diese in Gestalt der 2007 von Prammer ins Leben gerufenen Demokratiewerkstatt verwirklicht (siehe S. 14), mit beinahe täglich stattfindenden Workshops für Kinder zu Demokratiepolitik und Medien. „Das, was wir den Kindern vermitteln müssen, ist, dass sie kritisch sind, dass sie alles kritisch hinterfragen.“ Während Prammer über dieses Thema spricht, kommt sie mehr und mehr in einen Redeschwall, der in scharfen Worten gipfelt: „Es gibt keine objektive Wahrheit in der Politik.“

 

Heute eben keine gute Kunst

  • 13.07.2012, 18:18

Hyo Lee (26) studiert an der Universität für angewandte Kunst Fotografie.

Hyo Lee (26) studiert an der Universität für angewandte Kunst Fotografie.

Waschbären sind für Hyo Lee das Größte. Auch bei der aktuell laufenden Ausstellung der 26-jährigen Fotografiestudentin im Wiener Eventlokal Elektro Gönner stehen die Bären mit den charakteristischen schwarzen Augenschatten im Mittelpunkt. Nicht mehr als die logische Folge einer seltsamen Leidenschaft: Tagelang schaut die gebürtige Koreanerin momentan YouTube- Videos von Waschbären, zeichnet sie, redet begeistert über ihre Eigenheiten. „Wenn ich einen Waschbär auf Papier zeichne, ist das für mich so faszinierend, dass ich es immer und immer wieder machen will.“ Die mittlerweile seit fünf Jahren in Wien lebende Hyo Lee ist überzeugt davon, dass alle KünstlerInnen von Zeit zu Zeit von Themen besessen sind: „Du weißt nicht, was es ist, aber du kannst nicht aufhören damit. Wenn du bis zum Schluss den Grund für deine Faszination, den Sinn in einer Sache nicht finden kannst, musst du aufgeben. Aber vorher brauchst du immer diese Phase des Übertreibens, Ausreizens.“
Den Grund für ihre Besessenheit von Waschbären kann Lee heute – zumindest teilweise – schon benennen: Sie zieht in ihrer künstlerischen Arbeit eine Analogie zwischen dem Verhalten von Waschbären und den „Party people“, jenen nachtaktiven, überwiegend destruktiv lebenden Mitglieden der Party- und Spaßgesellschaft, zu denen sie sich auch selbst zählt. „Wir beide, Waschbären und Partymenschen sind ständig auf der Suche nach etwas, obwohl wir es schon hatten. Bei den Waschbären ist es das Essen. Sie essen, essen, essen, ohne je zufrieden zu sein. Sie sind gierig, immer auf der Suche, und nehmen im Grunde alles, was sie kriegen können. Bei uns ist es dasselbe, nur sind wir eben auf der Suche nach mehr Drogen, Alkohol oder mehr Sex auf der Party.“

Von Mercedes zur Kunst. Lee denkt nicht gerne zu lange nach, bevor sie anfängt zu arbeiten. Sie wolle ganz einfach die Dinge tun, die ihr Spaß machen. Themen, die sie faszinieren, die sie persönlich betreffen, greift sie auf. „Kunst ist für mich die einzige Möglichkeit, besessen von mir selbst zu sein, ohne dafür kritisiert zu werden“, ist Hyo Lee überzeugt. „Es gibt Phasen, in denen ich nur Selbstportraits machen kann, weil ich so voll bin mit mir selbst.“ Voll von sich selbst sein, das gibt es für Hyo Lee eigentlich erst, seit sie seit 2006 an der Universität für angewandte Kunst Fotografie studiert. Davor verbringt sie, aufgewachsen als Tochter eines Reiseunternehmers und einer Hausfrau in Seoul, ihr Leben als funktionierendes Mitglied ihrer Familie und der koreanischen Leistungsgesellschaft. Während ihre Schwester herausragende Noten schreibt, aber auch laut und fordernd ist, bleibt Hyo stets ruhig und unkompliziert. Schon als kleines Kind zeichnet sie gern und gut, gewinnt Preise. Als sie sich im zweiten Jahr der High School für den Kunstzweig einschreiben will, ihr Vater sie aber lieber im Wirtschaftszweig sehen würde, akzeptiert sie seinen Wunsch. Danach beginnt sie ein Wirtschaftsstudium in Seoul, das sie mit 23 auch beendet. Während dieser Zeit macht sie in verschiedenen europäischen Städten Praktika, die sie durch die berufliche Tätigkeit ihres Vaters als Reiseunternehmer bekommt, eine dieser Städte ist Wien. Für Lee ist sofort klar: In dieser Stadt will sie leben. Nachdem sie ihr Studium beendet und noch sieben Monate bei Mercedes-Benz gearbeitet hat, müssen ihre Eltern ihren Wunsch, wegzugehen, akzeptieren.

Unerschütterlicher Optimismus. Als Lee zwei Tage vor der Aufnahmeprüfung in Wien ankommt, hat sie einige lose Fotos dabei. Sie klebt unter Zeitdruck noch ein Portfolio zusammen, ohne zu wissen, wie ein solches auszusehen hat – und wird an der Angewandten aufgenommen. „Auf gewisse Weise bin ich so natürlich durch Zufall zur Kunst gekommen. Aber ich glaube nicht, dass es irgendjemand wagen würde, nur aus Zufall heraus als KünstlerIn zu leben. Das ist viel zu riskant, nicht nur finanziell gesehen. Auch, weil man sich auf gewisse Weise eine eigene Welt aufbaut und so Gefahr läuft, niemals richtig erwachsen zu werden.“ Lee ist aber mit unerschütterlichem Optimismus gesegnet. Während unproduktiver Phasen sage sie sich: „Gut, heute mache ich eben keine gute Kunst. Dann kann ich wenigstens Spaß haben und Party machen, ich arbeite ohnehin in einem Lokal. Und wenn ich dabei keinen Spaß habe, verdiene ich heute eben einfach nur Geld.“ Sie richtet sich auf, so dass der Katzenprint auf ihrem Sweater sichtbar wird, und grinst: „Das macht alles total einfach.“

Die so gern verschwinden möchte

  • 13.07.2012, 18:18

Bettina Földesi (25). Tänzerin und Performerin

Bettina Földesi (25). Tänzerin und Performerin

„21 und freischaffende Künstlerin? Dazu habe ich mich damals einfach nicht bereit gefühlt“, sagt Bettina Földesi, Tänzerin, seit Beginn des Interviews im Schneidersitz auf der noch kühlen Frühlingswiese sitzend. Sie tanzt seit sie sechs Jahre alt ist. Es beginnt mit Ballett und rhythmischer Sportgymnastik, mit 14 kommen Abendklassen in zeitgenössischem Tanz dazu, in der Schule mit Tanzschwerpunkt choreographiert sie selber. Nach der Matura beginnt sie in Salzburg am SEAD (Salzburg Experimental Academy of Dance) eine dreijährige Ausbildung zur zeitgenössischen Tänzerin. Mit 21 macht sie dort ihren Abschluss. Nach ihrer Ausbildung geht sie nach Wien, trainiert dort mittels eines Förderstipendiums des Tanzquartier Wien und macht Stücke.

Dann folgt allerdings die Krise. „Ich hatte nach meiner Ausbildung das Gefühl, gut, technisch bin ich vielleicht soweit. Aber von PerformerInnen wird erwartet, dass sie ihre Arbeit künstlerisch genau verorten können, dazu muss man viel über Kunsttheorie, aktuelle Kunstschaffende und zeitgenössische Kunst wissen. Für mein Gefühl hatte ich damals definitiv noch nicht genug Zeit gehabt, mich theoretisch damit zu befassen. Jedenfalls wusste ich absolut nicht, was ich der Welt als Künstlerin eigentlich sagen will.“ So inskribiert sie Philosophie und will vom Tanz zwei Jahre lang nichts wissen: „Das war wie ein Ventil, um Druck abzulassen. Endlich einmal etwas machen, wo keiner etwas von mir erwartet. Einfach in der Masse von Studenten untergehen, wo jedem egal ist, was du tust.“
Kunst schaffen sei für sie schon immer mit starken Erwartungshaltungen verbunden gewesen. Zu Beginn ist es der starke körperliche Leistungsdruck in der rhythmischen Sportgymnastik. Als sie mit 14 zeitgenössischen Tanz entdeckt, erlebt sie zum ersten Mal, dass es nicht wichtig ist, wie dick oder dünn jemand ist, wie hoch die Beine sind. Vielmehr geht es darum, den eigenen Körper sinnvoll einzusetzen, zum Beispiel die Gravitation und das eigene Gewicht bei Sprüngen zu nutzen. Földesi, die unter den SportgymnastInnen immer als „zu unbeweglich“ galt, ist fasziniert: „Ich habe plötzlich gemerkt, dass mein Körper nicht per se schlecht ist – er ist einfach so, wie er ist, und wenn ich ihn so nütze, wie er ist, kann ich mehr daraus kriegen.“ Als die junge Frau sich mit fortschreitender Zeit zunehmend mit Performance beschäftigt, merkt sie allerdings, dass du dich als KunstschaffendeR immer behaupten musst: „Du musst das, was du sagst, immer sehr wichtig finden. Was diesen Umstand betrifft, muss ich noch hart an mir arbeiten, um künstlerisch erfolgreich zu sein.“ Denn sie habe sich beim Training schon immer gern in die hintere Reihe gestellt, oder sehr lange den anderen zugehört, bevor sie ihre eigene Idee aussprach.

Auf der Bühne verschwinden. Ironischerweise plant die Tänzerin derzeit ein Projekt, das fast so wirkt, als greife es ihre Selbstzweifel auf: „Ich möchte in diesem Stück probieren, ob ich auf der Bühne verschwinden kann, obwohl ich körperlich anwesend bin.“ Bei genauerer Betrachtung ist aber zu erkennen, dass hier kein Zusammenhang besteht – vielmehr interessiert Földesi das Spiel mit der Bühnenpräsenz. Wenn sie selber Tanzstücke ansehe, falle ihr immer wieder auf, dass eine Tänzerin mit ihrer Präsenz eine gewisse Zeitspanne lang ihre volle Aufmerksamkeit fordere, dann aber würden als Zuschauerin irgendwann die Gedanken wieder abschweifen. „Mich interessiert genau dieser Moment, in dem die Präsenz der Tänzerin für die ZuschauerInnen verschwindet. Ob sich die Tänzerin durch gewisse inszenatorische Mittel zum Beispiel auch vor den ZuschauerInnen verstecken kann.“ Um das zu untermalen, erzählt sie von einem Tänzer, der fünf Minuten lang auf der Bühne nichts anderes tut, als mit den Beinen zu stampfen. „Je länger er das tut, umso mehr entzieht sich der Tänzer der Aufmerksamkeit des Publikums.“
Dass der Tanz als Bühnenkunst immer im Moment existiert, hat für Földesi Vor- und Nachteile. Einerseits sei er durch seinen vergänglichen Charakter weniger leicht zu vermarkten als zum Beispiel Kunstobjekte. Andererseits liege genau in dieser Vergänglichkeit der Zauber des Erlebens für TänzerIn und ZuschauerIn. Manchmal überlegt die junge Tänzerin auch, ob sie ohne den Tanz leben könnte. Sie weiß es noch nicht. „Aber ich weiß, dass mein Körper beim Tanzen auf der Bühne ganz genau weiß, was er zu tun hat. Ich bin dann in jeder Sekunde hundertprozentig anwesend. Nicht wie sonst, beim Kaffeekochen etwa, wo man mit den Gedanken auch nicht beim Kaffeekochen ist, sondern woanders. Es ist ein so Genau-Drinnen-Sein in sich selbst, dass man das Gefühl hat, frei zu sein … das fällt mir dazu ein.“

„Ich habe nun einmal keinen Goldesel“

  • 13.07.2012, 18:18

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

PROGRESS: Vergangenen Herbst haben Sie gesagt: „Mit dem Besetzen von Hörsälen werden keine Studienbedingungen verbessert.“ Was hätten Sie denn getan, wenn Sie sich als Studentin in einem überfüllten Hörsaal wiedergefunden hätten?

Karl: Ich hätte früher den Dialog mit der Politik gesucht. Ich habe Verständnis dafür, dass die vollen Hörsäle für die Studierenden natürlich ein Problem sind. Die Studienbedingungen in den Massenstudien sind sowohl den Studierenden als auch den Lehrenden nicht zumutbar. Ich hätte mir als Studierende auch vorstellen können, an Demonstrationen teilzunehmen. Aber ich hätte sicher keine Hörsäle besetzt, weil man dadurch andere Studierende am Studieren hindert. 

Sie fordern Zugangsbeschränkungen. In Österreich fangen allerdings um 14 Prozent weniger Menschen an zu studieren als im Durchschnitt der OECD-Länder, auch die AkademikerInnenquote ist weit niedriger. Sind Beschränkungen wirklich der richtige Weg?

Ja, die Akademikerquote ist in Österreich zu niedrig. Mein erklärtes Ziel ist es ja auch, die Akademikerquote zu erhöhen. Nur haben wir in Österreich gerade in den Massenfächern sehr hohe Drop-Out-Quoten. Und wir sehen ganz klar, dass mehr Studierende nicht automatisch mehr Absolventinnen und Absolventen bedeuten. 

Die Drop-Out-Quote ist in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Ländern mit 24 Prozent im Vergleich zu 31 Prozent niedrig. 

Aber in Ländern, wo es Zugangsregelungen gibt – und das sind viele europäische Länder – besteht trotzdem eine höhere Akademikerquote als in Österreich. Zum Beispiel in Finnland, dem Parade-Bildungsland. Dort hat man Zugangsregelungen an den Universitäten und die Universitäten selbst können zum Beispiel Aufnahmetests vornehmen. 

Haben Sie eine konkrete Vorstellung für Zugangsbeschränkungen in Österreich?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Zugangsregelungen, die müssen wir diskutieren. Wenn Sie zum Beispiel an Veterinärmedizin denken, dort gibt es ein mehrstufiges Verfahren, wo es auch Bewerbungsgespräche gibt. Da kann man durchaus auch über kreative Möglichkeiten nachdenken und auch internationale Vergleiche heranziehen, wie dort mit Zugangsregelungen umgegangen wird. 

Neben Zugangsbeschränkungen fordern Sie auch Studiengebühren. Ist das korrekt?

Ich habe immer gesagt, dass sich meines Erachtens Studienbeiträge bewährt haben, aber momentan Studienbeiträge nicht durchsetzbar sind. Es ist jetzt nicht meine erste Priorität, Studienbeiträge wieder einzuführen. 

Sind Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren denn wirklich die einzigen Maßnahmen für bessere Studienbedingungen?

Es geht auch darum, die Studienpläne zu verbessern. Hier sind wir bei der Bologna-Architektur. Die Umsetzung ist in Österreich nicht an allen Universitäten so gelaufen, wie sie laufen hätte sollen. Hier führe ich Gespräche mit den Verantwortlichen. Es ist aber auch wichtig, dass die Defizite, die Sie von den einzelnen Universitäten kennen, am Hochschuldialog mit den Studierenden besprochen werden. 

Wie könnte man die Studienpläne besser gestalten?

Man muss sich natürlich die Fehler ansehen, die passiert sind. Aufgefallen ist mir zum Beispiel die inhaltliche Überfrachtung, die teilweise passiert ist. Dass zum Beispiel ein achtsemestriges Diplomstudium in sechs Semester hineingepresst wurde. Oder dass die Wahlfächer gestrichen wurden. Und dann muss man sich in einem zweiten Schritt ansehen: Was kann man besser machen? Und da ist es mir wichtig aufzuzeigen, wo sind Best Practice Modelle, es gibt ja auch gute Studienpläne. 

Wären bei der Erarbeitung der Studienpläne weniger Fehler passiert, wenn Studierende und Lehrende im Mittelbau besser eingebunden gewesen wären? An manchen Universitäten hat es ja funktioniert.

Haben Sie da Beispiele?

Ich verschaffe mir gerade einen Überblick, will aber die gelungenen und weniger gelungenen Beispiele noch nicht veröffentlichen. 

Nicht nur die Protestbewegung der Studierenden verlangt mehr Geld für die Hochschulen, auch Universitätenkonferenz und Senatsvorsitzende fordern die Erhöhung der Hochschulausgaben auf zwei Prozent des BIP schon bis 2015, nicht erst 2020. Warum macht man das nicht?

Wir sind auf dem Weg zum Zwei-Prozent-Ziel. Man muss sehen: Hier geht es um öffentliche Mittel und um private Mittel. Im Moment liegen wir bei 1,3 Prozent des BIP, davon sind 1,2 Prozent öffentliche Mittel, nur 0,1 Prozent sind privat. Mit den 1,2 Prozent des BIP liegen wir über dem Schnitt der EU19 und der OECD. 

Aber bis wann werden die zwei Prozent erreicht sein?

Das Ziel ist 2020. Aber da ist nicht nur die öffentliche Hand gefordert, es fehlen vor allem private Mittel. 

Und warum nicht bis 2015? 

Wir haben im Moment eine wirtschaftlich schwierige Phase, das sollte auch an den Studierenden und den anderen Hochschulpartnern nicht vorübergegangen sein. Es werden auch andere Ressortkollegen mehr Geld für ihre Ressorts fordern. Aber ich werde mich natürlich dafür einsetzen, für die Universitäten mehr Geld zu bekommen.

Die Republik hat aber auch für das Bankenpaket im vergangenen Jahr fast sieben Milliarden Euro Schulden aufgenommen. Um die Hochschulausgaben bis 2015 auf  zwei Prozent des BIP zu erhöhen, bräuchte man pro Jahr 200 Millionen Euro. 

Bevor ich Wissenschaftsministerin wurde, war ich ÖAAB-Generalsekretärin. Und ich war da bei sehr vielen Treffen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dort wurde immer gefragt: Das Geld, das die Banken bekommen, warum gibt man das nicht für Arbeitsmarkt- und Sozialpakete aus? Ich wünsche mir natürlich als Wissenschaftsministerin mehr Geld für die Universitäten. Aber es gibt auch von anderen Kreisen berechtigte Forderungen.

Das ist ja schön und gut, wenn man die einen Bedürftigen gegen die anderen ausspielt. Sie müssen als Wissenschaftsministerin selber wissen, dass die Bankenkrise nicht selbst von der Bevölkerung verschuldet wurde.

Die Bevölkerung hat aber auch gern bei Banken ihr Erspartes gesichert. Wenn die Banken Probleme bekommen hätten in Österreich, da hätten wir ein generelles Problem gehabt. Das muss man schon auch sehen. 

Also sind Banken wichtiger als Bildung.

Nein, das sage ich nicht. Ich will nur nicht die einen gegen die anderen ausspielen. Es gibt viele Bereiche, in die investiert werden muss. Ich bin Wissenschaftsministerin und wünsche mir, dass Geld in die Universitäten, Fachhochschulen und in die Forschung fließt. Aber ich alleine bestimme nicht über das Geld. 

Klar.

Ich habe nun einmal keinen Goldesel und ich habe auch keine Gelddruckmaschine.

Mit Ihrer Aussage zum Studienplatzproblem: „Wenn in einem Opernhaus alle Karten verkauft sind, kann auch niemand mehr hinein“ haben Sie vor kurzem für Aufregung gesorgt. Warum sind Sie und die ÖVP so dagegen, mehr Studienplätze zu finanzieren?

Ich kenne ja Massenstudien. Ich habe selbst in einem Massenstudium studiert und gelehrt. Ich weiß auch, dass die Probleme, die wir in den Massenstudien haben, nicht behoben werden können, indem man einfach nur mehr Geld investiert. Ich kann nicht von heute auf morgen größere Hörsäle schaffen, man kann auch nicht von heute auf morgen genügend qualifiziertes Lehrpersonal rekrutieren. Das funktioniert so nicht. 

Das muss ja nicht von heute auf morgen sein, sondern in einem angemessenen Zeitraum.

Schon. Man braucht hier die entsprechenden strukturellen Maßnahmen. Ein Massenstudium kann man auch mit mehr Geld nicht wirklich qualitativ hochwertig führen. 

Cirka 20.000 Nicht-EU-BürgerInnen studieren in Österreich. Diese müssen als einzige Gruppe von Studierenden an Unis Studiengebühren zahlen. Nach dem Studium muss ein Großteil von ihnen wieder zurück in ihre Heimatländer. Warum gibt es hier eigentlich so ein Zwei-Klassen-System?

Dass diese Regelungen teilweise für die Betroffenen schwierig sind, ist klar. Meines Erachtens ist es auch nicht sehr zielführend, dass Drittstaatsangehörige hier studieren dürfen, und wenn sie fertig ausgebildet sind, nicht hierbleiben dürfen, also hier ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellen dürfen beziehungsweise nur unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel als Schlüsselarbeitskräfte. Wenn Drittstaatsangehörige hier eine Ausbildung bekommen, dann sollten sie auch hier die Möglichkeit haben, sich eine Arbeit zu suchen. 

Wäre das ein Ziel?

Das fällt nicht in mein Ressort, das kann ich nicht alleine bestimmen. Aber mir würde es sinnvoll erscheinen, etwa eine Regelung wie in Deutschland vorzusehen: Dort wird eine bestimmte Zeit für die Arbeitssuche eingeräumt, und wenn in einer bestimmten Zeit eine Arbeit gefunden wird, kann man diese Tätigkeit auch aufnehmen. 

Was ist mit den Studiengebühren, die Nicht-EU-BürgerInnen an den Universitäten als einzige von vornherein zahlen müssen?

Wenn Sie sehen, wie viel an Studienbeiträgen die Drittstaatsangehörigen in anderen Ländern zahlen, dann muss ich sagen, sind die Studienbeiträge in Österreich für diese Gruppe wirklich niedrig. Die Drittstaatsangehörigen könnten auch in andere EU-Länder studieren gehen und in den meisten anderen Ländern müssen sie viel mehr bezahlen. 

Viele andere Länder treiben aber auch einen größeren Aufwand, AusländerInnen in ihren Ländern anzuwerben. Was macht da Österreich?

An den Kunstuniversitäten gibt es viele Drittstaatsangehörige, etwa aus dem asiatischen Raum. Und sonst haben wir ja ohnehin sehr viele Studierende an unseren Universitäten. 

Ziel der Universitäten ist doch, die besten Köpfe zu sich zu bringen. Warum holt man sich nicht die besten Studierenden?

Weil wir da im Wettbewerb mit etwa Harvard, Cambridge, Oxford und so weiter einfach nicht mitkönnen. Die besten Köpfe werden dort angeworben, weil sie dort viel bessere Studienbedingungen haben. 

Sie haben doch gerade gesagt, die Studiengebühren sind in Österreich so niedrig.

Aber die bekommen dort beispielsweise ein Stipendium. 

Könnten Sie das in Österreich auch bekommen?

Ich habe immer gesagt, wenn die Studienbeiträge wieder eingeführt werden, wäre das natürlich auch mit einer Verbesserung des Studienförderungssystems verbunden. Für mich müssen Studienbeiträge immer mit einem guten Stipendiensystem Hand in Hand gehen.  

Sie sprechen sich für eine Verlängerung des Moratoriums für die Quotenregelung im Medizinstudium aus. Warum sucht man nicht eine langfristige Lösung wie Ausgleichszahlungen, wie etwa seit 1996 zwischen den skandinavischen Ländern üblich?

Weil von Seiten Deutschlands keine Bereitschaft besteht, Ausgleichszahlungen zu leisten. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass in Deutschland die Universitäten Ländersache sind, die Universitäten fallen also in die Kompetenz der Bundesländer. Das heißt, man müsste hier Vereinbarungen mit jedem einzelnen Bundesland treffen. Und die deutschen Bundesländer werden vermutlich nicht sagen: „Juhu, wir zahlen nun an Österreich.“

Sie sind jetzt seit knapp einem Monat Ministerin. Sehnen Sie sich nicht manchmal in den Hörsaal zurück?

[lacht] Nein, jetzt noch nicht. Ich habe noch zu wenig Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was jetzt in meinem Leben anders ist. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo ich wieder sehr gerne in den Hörsaal zurückkomme. 

Und glauben Sie, die Studierenden werden Sie dann freundlich begrüßen?

Ich habe zu den Studierenden immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Ich habe auch sehr viele Diplomanden und Dissertanten betreut. Also das war nie ein Problem.

Vom Wesen Europas

  • 13.07.2012, 18:18

Was verbindet den Wiener Stadtteil Ottakring mit dem Balkan?

Buch-Rezension

Was verbindet den Wiener Stadtteil Ottakring mit dem Balkan? In Karl-Markus Gauß’ Erzählung Im Wald der Metropolen ist die Antwort weniger offensichtlich, als man vermuten würde. Bei ihm ist Ottakring Schauplatz vom Leben desjenigen Schriftstellers, bei dem „so viel gestorben wie in keinem anderen Werk der Weltliteratur“ wird, dem Slowenen Ivan Cankar nämlich, der über zehn Jahre in einem düsteren Kabinett bei einer Ottakringer Näherin zur Untermiete lebte, und welchem die Ottakringer Straße als Vorlage für seinen Roman Die Gasse der Sterbenden diente.
Erkundungen wie diese, die an 13 Stationen und noch mehr Schauplätzen innehalten, machen die ineinander verwebten Reportagen zu einer großen Erzählung. Kleine Hinweise, aufgelesen an Gedenktafeln oder Grabsteinen, verweisen dabei zu immer neuen Orten, Personen und Ereignissen: So war das Ottakring von 1911, damals innerhalb weniger Jahre zur Vorstadt der Fabriken und Zinskasernen gewachsenen, auch Schauplatz von ArbeiterInnenaufständen, die von habsburgischen Soldatentruppen aus Bosnien und Herzegovina niedergeschlagen wurden. Für die unangenehmen Aufträge wie Verprügeln und Niederschießen rekrutierte die Monarchie lieber Soldaten vom Balkan als aus Wien.
Gauß führt die LeserInnen vom Burgund bis zum Belvedere, von Brünn nach Bukarest, von den künstlich gotischen Plätzen des schlesischen Oppeln bis zur neapolitanischen Piazza San Francesco, hält inne in der trägen Hitze griechischer Inseln, um endlich in die europäische Hauptstadt Brüssel zu kommen. Richtungsweisend für die Wege, die Gauß im Laufe des Erzählens einschlägt, sind die Lebens- und Arbeitsstationen zahlreicher SchriftstellerInnen, die auf jeden Fall die ProtagonistInnen in Gauß´ Werk darstellen. Gauß ist Herausgeber der Literaturzeitschrift Literatur und Kritik, die Erforschung von Biographien Schreibender sind nicht zum ersten Mal Teil seiner Arbeit. Insofern ist Im Wald der Metropolen nicht nur im Bezug auf persönliche Bemerkungen im Verlauf des Buches, wie der wiederkehrenden Angst vor dem drohenden Herzinfarkt, autobiographisch. Eine Vielzahl von Anekdoten aus dem Leben des Begründers der modernen serbischen Schriftsprache, Vuk Karadžić, des kroatischen Nationaldichters Petar Preradović oder des Brünner Dichters Ivan Blatný, um nur einige zu nennen, machen das Buch auch zu einer Zusammenschau des intellektuellen Lebens in Europa.
Ist Im Wald der Metropolen über weite Strecken von der Vergangenheit inner-europäischer Verstrickungen geprägt, thematisiert Gauß an mehreren Stellen auch Europas Randgruppen als zweite Protagonisten: Einerseits die Roma als Beispiel für die größte innereuropäische Randgruppe. Andererseits zeigt Gauß am Beispiel der überwiegend afrikanischen EinwohnerInnen des Brüsseler Stadtviertels Marollen auf, dass Europa die neue Randgruppe der von außen nach Europa dringenden ZuwanderInnen nicht mehr länger aufhalten wird können.
Die vielleicht am schönsten beschriebenen ProtagonistInnen in Im Wald der Metropolen sind aber diejenigen, die von der Geschichte und ihren Verstrickungen völlig ungerührt scheinen: Die Alten und Greise der Städte und Inseln Südeuropas, die, in der Mittagshitze in Straßen schlurfend und auf Mauern sitzend, Sinnbild für die Ewigkeit sind.