Anne Schinko

Land der Papierberge

  • 24.06.2015, 13:51

Die Studienjahre sind angeblich die schönste Zeit des Lebens. Doch wenn Geld für die Miete fehlt, bleibt wenig Zeit zum Nietzsche-Lesen oder Bier-Pong-Spielen. Viele sind daher auf Studienbeihilfe angewiesen – Garantie gibt es keine. Über ein System, das in seinem Regelwerk zu ersticken droht.

Die Studienjahre sind angeblich die schönste Zeit des Lebens. Doch wenn Geld für die Miete fehlt, bleibt wenig Zeit zum Nietzsche-Lesen oder Bier-Pong-Spielen. Viele sind daher auf Studienbeihilfe angewiesen – Garantie gibt es keine. Über ein System, das in seinem Regelwerk zu ersticken droht.

Zwischen 350 und 450 Euro kostet ein Zimmer
in Wien, das heute unter die Bezeichnung „Normalpreis“ fällt. Nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt. Ungefähr 15 bis 25 Quadratmeter Wohnraum hat man dann ganz für sich. Der Rest, also Bad, Toilette und Küche, wird geteilt – mindestens mit einer weiteren Person. 475 Euro beträgt der Maximalbetrag an Studienbeihilfe für Studierende, die nicht am Wohnort ihrer Eltern leben. Daraus ergibt sich eine einfache Rechnung: In einem Monat mit günstigstem Mietpreis und höchster Studienbeihilfe bleiben dann bestenfalls 125 Euro zum Leben. Skripten, Nahrungsmittel, Semesterticket sind da noch zu bezahlen. Auch mit einem Platz im Studierendenheim um etwa 300 Euro wäre ein Studileben so nicht finanzierbar. Und dabei ist den Höchstbetrag an Beihilfe zu erhalten eher Wunschtraum als Realität.

Von Seiten der Stipendienstelle heißt es dazu, dass die Studienbeihilfe keine Finanzierung des Studiums sei, sondern eine Unterstützung, die dazu beitragen solle, den Lebensunterhalt zu sichern. 2013/14 reichten 60.658, also 16 Prozent aller Studierenden, einen Beihilfeantrag ein. Für junge Menschen, die am Wohnort der Eltern studieren, beträgt die Höchststudienbeihilfe 424 Euro im Monat. Studierende, die nicht am Wohnort der Eltern studieren, Vollwaisen, verheiratete oder verpartnerte Studierende, Studierende mit Kind und Studierende, die sich vor Studienbeginn vier Jahre selbst erhalten haben, bekommen höchstens 606 Euro. Davon wird allerdings noch die Familienbeihilfe abgerechnet, wenn sie bezogen wird. Auch abgezogen werden die „zumutbaren Unterhaltsleistungen“ der Eltern oder (Ehe-)Partner_innen beziehungsweise die Alimentenansprüche. Studierende mit erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen bekommen einen Zuschlag, ebenso wie Studierende mit Kind, wenn sie die Sorgepflicht haben. Dieser Betrag wird dann um zwölf Prozent erhöht, um die Höhe der Studienbeihilfe zu errechnen. Die Höchststudienbeihilfe beträgt real entweder 475 oder 679 Euro. Im Jahr 2013/14 haben 6,4 Prozent der Studierenden diese erhalten.

Foto: Alexander Gotter

RECHTSANSPRUCH MACHT NICHT SATT. Doch selbst von einem Mindestmaß an Beihilfe können manche Studierende nur träumen. So auch Julian Hofmayr: Der 23-Jährige studiert Biologie im achten Semester und hat in seinem ersten Semester Studienbeihilfe beantragt. Bekommen hat er nichts, nur einen Brief mit der Information, dass Beihilfen unter fünf Euro nicht ausgezahlt werden. Damals war er verzweifelt: „Ich habe angesucht und bin davon ausgegangen, dass ich aufgrund der gesamten Situation Beihilfe bekomme. Vor allem, weil der Studienbeihilfenrechner im Internet angezeigt hat, dass ich Anspruch auf ein paar hundert Euro hätte.“ Er rief bei der Stipendienstelle an und es wurde ihm gesagt, sein Vater würde zu viel verdienen, wenn auch nur sehr knapp, 20 Euro nämlich. Julians Eltern leben getrennt. Von seinem Vater bekommt er 450 Euro Alimente, damals, im ersten Semes
ter, waren es 400. Für ihn ist die Berechnung der Stipendienstelle nicht nachvollziehbar: „Es zählte im Grunde das Einkommen meines Vaters. Dass meine Mutter kein Einkommen hat, wurde nicht berücksichtigt. Ich hab’ es aber nicht noch einmal versucht, weil mir klar zu verstehen gegeben wurde, dass ich einfach nichts bekomme.“

Julian jobbt daher im Bauhaus, um über die Runden zu kommen. Seine Situation ist keine Ausnahme. Die gerichtlich festgesetzten Alimente werden von der Höchststudienbeihilfe abgezogen. Auch die Familienbeihilfe, die Julians Mutter für ihn bezieht, wird abgezogen. Von den 606 Euro, die ihm zustehen würden, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die Hälfte der Familienbeihilfe überlässt er ohnehin seiner Mutter. Doch selbst wenn er die Familienbeihilfe und Alimente zur Gänze bekommen würde, 600 Euro würden nicht zum Leben reichen.
Suzana Stojanovic vom Sozialreferat der ÖH-Bundesvertretung weiß, dass sogenannte Scheidungskinder bei der Studienbeihilfe oft leer ausgehen. Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil, in den meisten Fällen der Vater, die Alimente nicht zahlt, bleibt den Studierenden tatsächlich keine andere Möglichkeit, als den eigenen Vater zu klagen.

STUDIENEINGANGSKLAGE. Dass Eltern die gesetzlich vorgesehene Unterstützung, den Unterhalt, verweigern, trifft aber nicht nur Studierende mit getrennten Eltern. Ob Eltern das Studium ihrer Kinder unterstützen, hängt nicht nur vom Einkommen ab, sondern auch davon, welche Einstellung zum Studium und welche Beziehung sie zu den Kindern haben. Während manche Eltern gar nichts zahlen, finanzieren andere Eltern über den Pflicht- unterhalt hinaus die gesamten Lebenskosten ihrer studierenden Kinder. Wenn die Eltern genug verdienen, aber das Studium ihres Kindes nicht unterstützen wollen, bleibt der Gang zum Gericht der einzige Ausweg. Das ist natürlich für viele undenkbar, daher verzichten viele Studierende lieber auf ihren gesetzlichen Anspruch und darauf, ihre eigenen Eltern zu klagen, und finanzieren sich – ohne Studienbeihilfe – das gesamte Studium selbst. Oft fällt dann sogar die Familienbeihilfe weg, weil sie von den Eltern bezogen wird. „Mit 18 Jahren ist man volljährig“, sagt Stojanovic, daher sei es absurd, als Studierende_r noch von der Willkür der Eltern abhängig zu sein.
Aus diesen Gründen sieht zum Beispiel die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) ein Problem darin, dass die Studienbeihilfe an das Einkommen der Eltern gekoppelt ist. Die ÖH fordert auch die Anpassung der Studienbeihilfe an die Mindestsicherung. Diese wird jährlich der Inflation angeglichen und beträgt heuer 828 Euro im Monat (Zum Vergleich: Die Armutsgrenze liegt bei 1.104 Euro monatlich.), während die Studienbeihilfe nur alle paar Jahre angepasst wird, zuletzt 2007. Sie macht nur wenig mehr als die Hälfte der Mindestsicherung aus. „Das Gesetz erkennt bei der Mindestsicherung an, dass ein Mensch 828 Euro zum Leben braucht und Studierende bekommen höchstens 475 Euro. Das ist ein Widerspruch in sich“, meint Stojanovic.

STEMPELKISSENWEITSPRINGEN. Zahlreiche Undurchsichtigkeiten, die die Zuteilung und das Ausmaß der Unterstützung betreffen, begleiten den Weg durch das bürokratische Wirrwarr. Die 21-jährige Helene Friedinger meint: „Nur mit der Studienbeihilfe würde ich nicht über die Runden kommen. Deswegen muss ich nebenbei auch noch arbeiten.“ Sie studiert im sechsten Semester Musikwissenschaften an der Universität Wien. Seit vier Semestern ist sie nun auch für Bildungswissenschaften inskribiert. Studienbeihilfe bezieht sie nun für Letzteres, seitdem sie nach zwei Semestern ihre Beihilfe von Musik- auf Bildungswissenschaften ummelden hat lassen – pünktlich im befristeten Zeitraum bis Mitte Dezember des begonnenen dritten Semesters. Danach erhielt sie um 30 Euro im Monat mehr an Beihilfe, obwohl die Höhe der Förderung eigentlich immer zu Beginn des Wintersemesters neu berechnet wird und die Wahl des Studiums mit der Beihilfenhöhe eigentlich nicht zusammenhängt, wie die Stipendienstelle progress mitteilte. Dennoch erhält Helene seit ihrem „Wechsel“ also ganze 360 Euro mehr im Jahr, ohne dass sich außer einer Zeile in einem Formular irgendetwas geändert hätte.

Foto: Alexander Gotter

Der Kalender der 21-Jährigen ist voll: Uhrzeiten über Uhrzeiten, in vielen verschiedenen Farben markiert, reihen sich aneinander. Termine für Seminare, Vorlesungen, Gruppentreffen, abzugebende Haus- und Seminararbeiten – multipliziert mit dem Faktor zwei: für ihre beiden Studienfächer natürlich. Daneben bleibt wenig Zeit für anderes. Doch diese übrige Zeit muss die Studentin nutzen, um ihre Lebensgrundlage zu sichern: 35 bis 40 Stunden im Monat arbeitet sie als persönliche Assistentin, nebenbei noch etwa vier Stunden pro Woche als Babysitterin. Das ist der Preis, den es zu zahlen gilt, wenn das Interesse über mehr als eine Studienrichtung hinausgeht.

Denn gerade für Studierende mit Doppelstudium wird es nach Abschluss des Bachelors für den Erhalt der Studienbeihilfe schnell kompliziert: Zwischen Ende des Bachelors und dem Beginn des Masterstudiums dürfen nämlich nur 30 Monate liegen. „Die Gesetzgeberin will damit erreichen, dass nur Studierende mit Studienbeihilfe gefördert werden, die das weiterführende Studium auch rasch und zielstrebig aufnehmen“, erklärt die Stipendienstelle auf Nachfrage. Verlängert werden diese Fristen nur in Ausnahmefällen, etwa aufgrund eines Auslandssemesters, einer Schwangerschaft oder des Zivildienstes. Problematisch wird ein solcher Stichtag aber vor allem bei Studierenden mit zwei Studienfächern, die für das eine Studium Beihilfe beziehen und nach dessen Abschluss erst das zweite beenden. Bis das Masterstudium begonnen werden kann, sind 30 Monate dann oft schon vorbei – und damit der Anspruch auf Unterstützung. Da laut der Studierendensozialerhebung von 2011 über 60 Prozent der Studierenden arbeiten, kommen diese unter Zeitdruck. Denn jede_r Zehnte gab an, über 35 Stunden pro Woche erwerbstätig zu sein – ein Umstand, der zu einer erheblichen Studienzeitverlängerung führt. Zusätzlich kann in dieser Zeit auch die Bereitschaft, ein neues Studium mit all dem einhergehenden bürokratischen Ballast anzufangen, sinken.

Die Regelungen des Beihilfensystems gehen also an der studentischen Lebensrealität komplett vorbei. Der Leistungsdruck an den Universitäten steigt und ein Studium in Mindeststudienzeit ist – auch ohne Nebenjob – kaum noch zu schaffen. Für den Bezug der Beihilfe wird aber ein positiver Studienerfolg von 30 ECTS im ersten Jahr erwartet. Gerade weil die Beihilfe den Lebensunterhalt nicht sichert und viele Studierende arbeiten gehen müssen, ist sie als fehlgeschlagene Maßnahme zu beurteilen.

GEHEIMGÄNGE. Besonders schwer haben es ausländische Studierende bei der Beantragung von Studienbeihilfe. Auch die Studienbeihilfenbehörde selbst kann dazu keine genauen Auskünfte geben. Gilbert Gmoyen vom ÖH-Referat für ausländische Studierende der TU Wien erzählt: „Die Beratung wird immer schwieriger, weil sich die gesetzlichen Regelungen ständig ändern und nie klar ist, was der aktuelle Stand ist.“ Selbst von der Stipendienstelle Wien bekommt progress die Antwort, dass zur Anspruchsberechtigung ausländischer Studierender keine Auskünfte erteilt werden könnten, weil die jetzigen Regelungen vermutlich bis zur kommenden Antragsfrist im Herbst nicht mehr aktuell sein würden. Studierende aus dem Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz haben unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Beihilfe, eingeschränkt gelten diese auch für türkische Studierende. Student_innen aus anderen Ländern gehen leer aus, es sei denn, sie verfügen über die „Daueraufenthaltskarte EU“.

FAMILIEN(UN)RECHT. Christina Trinkl erhält von der Stipendienstelle keine Beihilfe, obwohl ihre Eltern beide nicht genug verdienen und sie deshalb jeden Samstag zehn Stunden im Supermarkt an der Kasse und nebenher noch als Babysitterin arbeitet. Viele ihrer Studienkolleg_innen allerdings bekommen eine Beihilfe und das obwohl deren Eltern mehr verdienen als ihre eigenen. Zweimal hat sie es nun bereits probiert und immer eine einzeilige Ablehnung erhalten. „Ich verstehe einfach das System dahinter nicht“, sagt sie. Im nächsten Semester wird nun auch ihre Schwester zu studieren beginnen, dann wird sie es ein weiteres Mal versuchen – dieses Mal hoffentlich mit Erfolg. Denn die Anzahl und das Alter der Geschwister wird bei der Berechnung miteinbezogen, wenn diese selbst Studien- oder Familienbeihilfe beziehen oder bei den Eltern mitversichert sind, und wirkt sich günstig auf den Beihilfenanspruch aus. Umgekehrt wird die Studienbeihilfe gekürzt, wenn die Geschwister selbständig werden. Das war etwa bei Helene der Fall. Letztes Jahr begann ihr Bruder mit dem Zivildienst und ihre Schwester zu arbeiten. Dadurch erhielt die Studentin der Musik- und Bildungswissenschaften 70 Euro weniger im Monat als zuvor. Was Trinkl und Friedinger eigentlich dafür können, dass sie Geschwister haben, bleibt offen.

Ein weiteres, regelmäßig auftretendes Problem ist es, wenn Eltern in Pension gehen und eine einmalige Abfertigung bekommen. Dann fällt oft im gesamten nächsten Jahr der Anspruch auf Studienbeihilfe weg. Es zeigt sich auch in dieser Regelung wieder die starke Koppelung der Beihilfe an die Familie, die sehr bürokratisch und oft weltfremd ist.

SCHREIBTISCHKÄMPFE. „Studieren muss für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sein. Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren sowie geringe Toleranzsemester stellen vor allem für Arbeiter_innenkinder und Studierende mit Kind oder anderen Betreuungsverhältnissen unüberwindbare Hürden dar. Ein sorgenfreies selbstbestimmtes Studileben ist also nur möglich, wenn man von zuhause unterstützt wird. Denn das Beihilfensystem ist schon lange kein soziales Auffangnetz mehr – die durchschnittliche Ausbezahlungshöhe beträgt laut Studierendensozialerhebung nämlich gerade einmal 230 Euro“, sagt Lucia Grabetz, die Sozialreferentin der ÖH-Bundesvertretung. Die ÖH fordert vom Staat, die Finanzierung der gesamten Ausbildung zu gewährleisten. Das sei seine Aufgabe und Pflicht und notwendig, da sonst nicht unterbunden werden kann, dass Bildung in Österreich „vererbt“ wird (vgl. Seite 14). Die Studienbeihilfenbehörde sieht das anders: Die Beihilfe sei eben nur eine Beihilfe.

„Gespräche des ÖH-Sozialreferats mit dem zuständigen Wirtschaftsministerium und der Stipendienstelle gibt es bereits regelmäßig und da bringt die ÖH ihre Änderungsvorschläge auch ein“, so Stojanovic. Bisher haben diese Gespräche allerdings wenig an den alten bürokratischen Regelungen gerüttelt. Die Behörde rät jedenfalls allen Studierenden einen Antrag zu stellen, weil aktuell auch viele, die eigentlich rechtlichen Anspruch darauf haben, gar keine Beihilfe beantragen. Der österreichische Weg eben: Bürokratie mit noch mehr Bürokratie bekämpfen, statt eine politische Lösung zu finden.
 

Katharina Gruber studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien. 
Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Diskonterwissenschaft

  • 11.05.2015, 08:00

Der Anteil der Drittmittel an der Finanzierung von Österreichs Hochschulen ist höher denn je. Auch scheint die Einflussnahme wirtschaftlicher Interessen auf die Wissenschaft heute längst kein Tabu mehr zu sein.

Der Anteil der Drittmittel an der Finanzierung von Österreichs Hochschulen ist höher denn je. Auch scheint die Einflussnahme wirtschaftlicher Interessen auf die Wissenschaft heute längst kein Tabu mehr zu sein. 

Österreichs Hochschulen ziehen mit- unter Gelder aus privaten Töpfen und Fonds zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschung heran – sogenannte Drittmittel. Die Verträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft werden der Öffentlichkeit dabei meist nicht zugänglich gemacht. Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) – die Ressorts wurden ja gegen großen Protest der ÖH zusammengelegt – ist angesichts dieser Entwicklungen wenig besorgt. Er sieht die Transparenz bei Drittmitteln als ausreichend und verweist auf die Autonomie der Universitäten hinsichtlich der Ethik-Richtlinien.

EIGENES SÜPPCHEN. Dabei sind Transparenz und Verantwortung an den Universitäten äußerst unterschiedlich geregelt: Die Universität Wien etwa sieht ihre Wissenschaftler_innen alleine für den Inhalt ihrer Vorhaben verantwortlich, bei der Universität Graz hingegen ist jedes durch Drittmittel finanzierte Forschungsprojekt dem Rektorat zu melden. An den Fachhochschulen gibt es wiederum völlig andere Regeln. Da diese nach Privatrecht agieren, besteht auch keine Auskunftspflicht.

„In Bezug auf Drittmittel fordern wir eine ausgeglichene Finanzierung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Wenn Firmen oder andere Vertreter_innen der Wirtschaft also in angewandte Forschung investieren, sollen zehn Prozent zusätzlich entrichtet werden. Drei Prozent sollen dann an die Hochschulen gehen und sieben Prozent an Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung – die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG und dem Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF). Damit kann dann auch die Grundlagenforschung aktiv gefördert werden“, sagt dazu Florian Kraushofer vom Vorsitzteam der Österreichischen Hochschüler_innenschaft.

Weitere Kritikpunkte bezüglich der Drittmittelfinanzierung an den Universitäten: Die Einflussnahme des Privatsektors auf die Forschung und auf die Veröffentlichung oder Geheimhaltung bestimmter Ergebnisse, die Förderung von mono- anstatt multidisziplinären Studien und eine strukturelle Benachteiligung bestimmter Studienfächer. Für viele Forscher_innen sind Drittmittel allerdings die einzige Möglichkeit, überhaupt forschen zu können – ein Resultat der besorgniserregenden Unterfinanzierung der Hochschulen.

Besonders wenn es um internationale Vergleichbarkeit geht, hängt viel von Drittmitteln ab. Für Jonathan Mittermair, Pressesprecher der Johannes Kepler Universität Linz, sind sie sogar Qualitätsmerkmal. „Mitteleinwerbende Forscherinnen und Forscher stellen sich einem Wettbewerb und in fast allen Förderprogrammen werden diese Anträge auch mit internationaler Fachexpertise evaluiert.“ 2014 lukrierte die JKU 35,7 Millionen Euro an Drittmitteln, wovon etwas mehr als die Hälfte von den österreichischen Forschungsfördergebern kam. Dieser Weg soll auch in Zukunft forciert werden. Aber die JKU will die Auftragsforschung in Grenzen halten. „Der Staat wird weiterhin der Hauptfinanzier der Universitäten bleiben und ihre Unabhängigkeit dadurch gesichert sein“, so Mittermair. Die Entwicklung deutet aber in eine andere Richtung.

Foto: Niko Havranek

PRIVAT STATT STAAT. Der Anteil an Drittmittelfinanzierung hat sich in den letzten Jahren rapide erhöht: Laut dem Universitätsbericht von 2014 betrugen die Drittmitteleinnahmen an den österreichischen Universitäten im Jahr 2007 etwas über 400 Millionen Euro, 2013 sind diese um über 47 Prozent gestiegen auf knapp 600 Millionen Euro. Das liegt vor allem daran, dass das Einholen von Drittmitteln vom Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium belohnt wird: Von 2013 bis 2016 gibt es für jene Hochschulen Extra-Geld, denen es gelingt, erfolgreich Drittmittel zu beschaffen. Dafür stehen aus dem sogenannten Hochschulraumstrukturmitteltopf neun Millionen Euro zur Verfügung, von denen im vergangenen Jahr 4,5 Millionen anteilsmäßig verteilt wurden. In diesem Jahr folgt dann die andere Hälfte. Weitere 20 Millionen Euro wird das Ministerium bis 2015 in eine „bessere Verwertung von Forschungsergebnissen“ investieren.

Mitterlehner hat im Februar dieses Jahres zusätzlich einen Forschungsaktionsplan vorgestellt, der die Finanzierung der Forschung durch Private weiter erleichtern soll. Künftig sollen gemeinnützige Stiftungen ähnlich wie Vereine gegründet werden können
und ihre Spenden steuerlich absetzbar sein. Die Drittmittelfinanzierung durch Unternehmen und Private machte im Jahr 2013 bereits mehr als fünf Prozent des gesamten Universitätsbudgets aus. Neben dem Wissenschaftsfonds und der Europäischen Union gehören private Geldgeber_innen wie Dietrich Mateschitz (70 Millionen Euro für die Medizinische Privatuniversität Salzburg), das US-Verteidigungsministerium (knapp neun Millionen für diverse Hochschulen und die Akademie der Wissenschaften) und auch Frank Stronach (500.000 Euro für die Universitäten Graz, Linz und Innsbruck) zu den primären Finanziers.

Foto: Niko Havranek

ÖSTERREICHWATCH. Auch der Campus der neuen Wirtschaftsuniversität ist gesäumt von bekannten Firmennamen: Ein OMV-Bibliothekszentrum, Hörsäle von Red Bull oder Siemens und ein Raiffeisen-Sprachlernzentrum. Das sind längst nicht alle Unternehmen, deren Geld und Einfluss in die Mauern des Unikomplexes geflossen sind. Universitäten präsentieren sich als attraktive Investitionsmöglichkeit für Unternehmen und werben für Sponsoring und Fundraising auf ihren Webseiten.

In Deutschland gibt es seit 2013 die Transparenzinitiative hochschulwatch.de, die über 10.000 Kooperationen zwischen Wirtschaft und Universitäten gesammelt hat und diese Liste online zur Verfügung stellt. Ziel dieser Plattform ist es, Transparenz in der Wissenschaft zu schaffen. Auch in Österreich ist ein solches Projekt vielleicht bald möglich. „Ein Vertreter von Hochschulwatch war im März in Österreich und hat sich mit Vertreter_innen von Transparency Österreich und der ÖH getroffen. Ob und wenn ja, welche Kooperation sich hier ergeben wird, ist aber noch offen“, sagt Florian Kraushofer.

 

Anne Schinko studiert Politikwissen­ schaften und Geschichte an der Universität Wien. 

 

„Er macht blabla, sie macht haha“

  • 25.03.2015, 18:58

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Im Jahr 2007 feierte die österreichische Kabarettistin und Schauspielerin Nadja Maleh mit ihrem ersten Soloprogramm „Flugangsthasen“ in Wien Premiere. Drei Jahre später wurde der gebürtigen Wienerin der Österreichische Kabarettpreis verliehen. Heuer steht sie mit ihrem vierten Programm „Placebo“ abermals auf der Bühne. progress hat mit der Künstlerin über Sexismus, Humor und ihr neues Programm gesprochen.

progress: Warum gibt es im Kabarett deutlich weniger Frauen als Männer?
Nadja Maleh: Das Ungleichgewicht ist meiner Meinung nach eine Folge unserer klassischen Rollenaufteilung. Die ist zwar heute im Wandel, aber alte Muster sind dennoch stark. Im Kabarett lässt sich das so skizzieren: Er sagt etwas Lustiges, sie lacht. Er ist aktiv, sie ist passiv. Er macht „blabla“, sie macht „haha“. Schon junge Mädchen wurden und werden noch immer dazu erzogen zu harmonisieren, anstatt zu polarisieren. Letzteres blieb seit jeher den Männern überlassen. Aber im Kabarett geht es darum Tabus zu brechen, laut zu sein und auch den Mut zu haben Hässlichkeit zu zeigen. Das fällt einerseits manchmal Frauen schwer und andererseits haben manche Männer ein Problem mit Frauen, die die scheinbar natürlichen Verhältnisse in Unordnung bringen wollen. Natürlich kann es als Frau oft auch sehr ermüdend und anstrengend sein, andauernd gegen tradierte Altherren-Vorurteile anzukämpfen. Kein Wunder also, dass nicht so viele Ladies Lust darauf haben. Aber glücklicherweise werden wir Kabarettistinnen immer mehr.

Sehr hartnäckig hält sich das Stereotyp, dass Frauen weniger Humor als Männer hätten.
Das stimmt natürlich nicht. Frauen und Männer haben ohne Frage gleich viel Humor. Auch wenn es da und dort gewiss weniger humorvolle Exemplare gibt.

Woher kommt dann diese Vorstellung?
Humor war in der westlichen Welt nie ein typisch weiblicher Wert, über den sich eine Frau zu definieren hatte. Daher kommen auch solche Behauptungen, dass Frauen weniger Humor hätten als Männer. Schönheit, Sanftheit und Mitgefühl sind hingegen Eigenschaften, die oft Frauen zugeschrieben werden und somit auch jene Charakteristika, mit denen sich Frauen wiederum selbst definieren. Humor ist aber nicht immer gleich Humor. Da gibt es sehr wohl Unterschiede, die wir auch in Bezug auf Mann und Frau attestieren können: Zum Beispiel haben Untersuchungen gezeigt, dass Frauen eher dazu tendieren über sich selbst zu lachen. Männer hingegen machen vermehrt Witze über andere.

Gibt es Sexismus im Kabarett?
Sexismus hat immer etwas mit Ungleichheit und mit dem sozialen Status zu tun. Das Kabarett soll als Spiegel unserer Gesellschaft verstanden werden. Und in der herrscht eben genau diese Ungleichheit. Wenn wir darüber lachen, ist das sicherlich zugleich auch eine Form der unbeschwerten Reflexion darüber. Über die sogenannten „Schwächeren“ zu lachen, war eben immer schon ein Leichtes.

Wurden Sie schon einmal in ihrem Arbeitsbereich sexistisch behandelt?
Ja, da gab es zum Beispiel einmal einen Veranstalter, der von einer Agentur Kabarett-Vorschläge einholte. Als ich ihm vorgeschlagen wurde, war seine Antwort: „A Frau!? Naaa, wir wollen was Lustiges!“

Sind also sexistische Witze vor allem bei männlichen Kollegen beliebt?
Wenn ich jetzt so überlege, dann muss ich ehrlich sagen, dass mir kaum ein Kollege einfällt, der sich in erster Linie sexistischer Witze und Nummern bedient. Und wenn doch einmal, dann kommt das meistens nur bei einem bestimmten Publikum gut an.

Womit wir bei den Zuschauer_innen wären. Wer lacht überhaupt? Über wen wird gelacht? Und gibt es Grenzen des Humors?
Beim Kabarett soll jeder und jede das Recht haben, lachen zu dürfen. Es soll im Gegenzug aber auch über jeden und jede gelacht werden können. Natürlich gibt es Grenzen. Aber diese Grenzen hat jeder Kabarettist und jede Kabarettistin für sich selbst zu wählen. Ein Mindestmaß an Respekt sollte meiner Meinung nach auch im Kabarett niemals fehlen. Wir leben in einer Gesellschaft in der Gedankenfreiheit, Witzefreiheit und darstellerische Freiheit existieren und propagiert werden. Wo die individuelle Barriere erreicht ist, muss der Künstler oder die Künstlerin innerhalb seines und ihres ganz persönlichen ethischen und künstlerischen Rahmens herausfinden.

Wie definieren Sie diesen Respekt und welche Art von Humor grenzt aus?
Es gibt Humor, der zerstörerisch ist, menschenfeindlich oder sogar dumm. Das ist eine Form, die für mich ausgrenzend ist. Auch Humor auf Kosten von jemandes Unzulänglichkeiten, für die er oder sie nichts kann, zählt für mich dazu.

Im Februar fand die Premiere ihres neuen Programms „Placebo“ statt. Wie wichtig sind Klischees? Bedienen Sie sich selbst frauenfeindlicher Witze?
Wir alle erkennen uns und das Leben in Klischees. Sie sind wie der kleinste gemeinsame Nenner unserer Gesellschaft. Im Kabarett wird natürlich immer mit Klischees gespielt. Das ist ein Muss. Im besten Fall aber werden sie neu beleuchtet und erweitert. Für mich tritt Kabarett Frauen und Männern und allen übrigen Klischees gleich fest auf die Zehen.

 

 

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Einstürzende Neubauten

  • 04.02.2015, 16:40

Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?

Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?

2. Jänner 2015: Vom „Learning Center“ der neuen WU fällt eine 80 Kilo schwere Betonplatte. Das Gleiche ist ein halbes Jahr zuvor – im Juli 2014 – schon einmal passiert. Der Campus der WU wurde erst im Herbst 2013 eingeweiht, nun sieht der Vorplatz der Bibliothek wieder wie eine Baustelle aus: Ein Gerüst soll vor weiteren herabstürzenden Fassadenelementen schützen, bis die Ursachen endgültig geklärt sind. Herabfallende Fassadenteile sind an Österreichs Universitäten nicht unbedingt eine Seltenheit: Im Herbst 2012 fiel etwa eine Fensterscheibe aus dem zweiten Stock des Türkenwirt-Gebäudes der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Auch hier steht seitdem ein Gerüst, das die Studierenden vor ihrer eigenen Universität schützen soll. Und auch hier kam durch die fallende Fensterscheibe glücklicherweise niemand zu Schaden.

Diese doch recht dramatischen Beispiele illustrieren, womit Studierende alltäglich konfrontiert sind: Österreichs Universitätsgebäude sind nicht in bestem Zustand. Zwar stürzen nicht ständig Betonplatten von allen Universitäten zu Boden, aber die Liste der Beschwerden ist doch lang: Sie reicht von zu wenig Lern- und Gruppenräumen über inadäquate Toiletten bis hin zu groben baulichen Mängeln, beispielsweise im Fall von Türen, die ständig kaputt gehen, weil sie nicht für die hohe Frequenz an ein- und ausgehenden Studierenden ausgelegt sind. Hinzu kommt, dass viele Universitätsgebäude nicht barrierefrei sind. Der Klassiker ist die Klage über zu kleine Hörsäle, die an manchen Hochschulen schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung ertönt.

MIETKARUSSELL. Was sind die Ursachen für bauliche Mängel? Warum kriegen es die österreichischen Universitäten nicht hin, ihren Studierenden genug Platz und annehmbare Konditionen zum Lernen und Studieren zu bieten? Viele von uns würden mit dem ewigen Mantra, das die österreichische Hochschullandschaft seit vielen Jahren begleitet, antworten:Es fehlt den Universitäten einfach an Geld, um ihre Gebäude zu erhalten oder neue zu errichten. Aberso einfach ist das mit „ihren Gebäuden“ nicht. Die wenigsten Universitäten besitzen die Gebäude, die sie benutzen, selbst. Als die Unis im Jänner 2004 in die sogenannte „Autonomie“ entlassen wurden, haben sie zwar die Hoheit über ihr Finanzgebahren erhalten, die Gebäude blieben jedoch im Besitz einer GmbH: die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).

(c) Mafalda Rakoš

Die BIG, die in die drei Unternehmensbereiche Universitäten, Schulen und Spezialimmobilien gegliedert ist, ist Vermieterin von beinahe allen Universitätsgebäuden Österreichs. Sie steht zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich. Dabei kommt es zu einer paradoxen Situation: Der Bund vergibt in Form von Steuergeldern finanzielle Mittel an die Universitäten, die wiederum diese Gelder als Mieten an die Bundesimmobiliengesellschaft zahlen. Die Mieteinnahmen fließen in der Folge wieder dem Bund selbst zu. Das Geld wird also einmal im Kreis herumgereicht, mit der BIG als mittlere Instanz. Und wenn Geld von einem Konto auf das nächste wandert, wird es natürlich nicht mehr, sondern weniger. Es fallen schließlich Bankgebühren, Verwaltungs- und Transaktionskosten an.

355 MILLIONEN. Die BIG wurde im Jahr 1992 gegründet und löste damit die Bundesgebäudeverwaltung (beziehungsweise die Bundesbaudirektion Wien) ab. Die BIG verwaltet seither den überwiegenden Teil der Immobilien der Republik Österreich. Damals wurde argumentiert, eine staatliche Verwaltung sei zu ineffizient und führe zu langen Wartezeiten bei Bauprojekten, Schwierigkeiten bei der Verwertung nicht mehr benötigter Gebäude und mangelndem Kostenbewusstsein. Das Bewusstsein für die Kosten eines Gebäudes fehlte offenbar sowohl bei den Benutzer_innen der Gebäude als auch bei der Bundesgebäudeverwaltung. Bis 1992 war die Benutzung der Gebäude durch öffentliche Stellen – wie zum Beispiel Universitäten – nämlich kostenlos. Mit der Gründung der BIG änderte sich das: Sie handelte mit den einzelnen Mieter_innen Mieten zu marktüblichen Preisen aus. Bis zum Jahr 2000 verwaltete die BIG zunächst nur Schulen und Universitäten, dann wurde ihr zu einem Preis von 2,4 Milliarden Euro das Eigentumsrecht an fast allen Bundesgebäuden übertragen. Heute betreut die BIG mit ihren Tochtergesellschaften 2.800 Gebäude, die ungefähr einen Wert von neun Milliarden Euro ausmachen. Ungefähr 23 Prozent dieser Gebäude werden von Universitäten genutzt. Die Bundesimmobiliengesellschaft ist die erste Ansprechpartnerin für die Mieter_innen, sie wickelt Bauvorhaben ab, regelt Miet- und Vertragsverhältnisse und kümmert sich um die Instandhaltung ihrer Gebäude. Unter der schwarz-blauen Koalition wurden 2000 ein weiteres Mal die Rechte der BIG erweitert: Mit dem „Bundesimmobiliengesetz zur Verwertung nicht mehr benötigter Liegenschaften“ ist es der BIG nun auf höchster Ebene gestattet, Teilbereiche von universitären Gebäudekomplexen zu verkaufen – etwa an zahlungskräftige Privatinteressent_innen.

Ebenso wie die BIG Gebäude an Private verkaufen kann, können die Unis auch andere Vermieter_innen finden. Allerdings gehören 90 Prozent aller Unigebäude der BIG. Einige Unis besitzen selbst einzelne Grundstücke, so zum Beispiel die Veterinärmedizinische Universität (VetMed): „Das Lehr- und Forschungsgut im Bezirk Baden in Niederösterreich, bestehend aus vier landwirtschaftlichen Betrieben, gehört der VetMed selbst“, erklärt Doris Sallaberger vom Büro des Rektorats der VetMed.

(c) Mafalda Rakoš

Trotzdem muss die VetMed ungefähr 33 Prozent ihres Globalbudgets für Mieten aufbringen – der höchste Anteil aller Unis. Insgesamt mussten die Unis 2013 etwas mehr als 355 Millionen Euro an Miete zahlen. Wie viel Miete die einzelnen Universitäten zahlen, ist dabei sehr unterschiedlich. „Die Lage ist sehr entscheidend, denn jede Uni hat einen eigenen Mietvertrag mit der BIG“, legt Wolfgang Nedobity dar, der bei der Österreichischen Universitätenkonferenz (UNIKO) für Gebäude- und Infrastrukturfragen zuständig ist. Relativ gesehen kommen die BOKU und die TU Wien am zweitschlechtesten weg: Fast 22 Prozent ihres Globalbudgets müssen die technisch-naturwissenschaftlichen Unis für Mieten ausgeben.

HERUNTERKRACHENDE STUDIERENDE. An der BOKU wird derzeit von der BIG das Hauptgebäude renoviert. Damit trotzdem Lehrveranstaltungen abgehalten werden können, ist die „Universität des Lebens“ in die Augasse gezogen. Das klingt ein bisschen nach Hobbit-Romantik, dieser temporäre Standort ist aber in Wirklichkeit der Betonklotz der alten WU. Manche Hörsäle und Büroräumlichkeiten kann die BOKU ohne Mehrkosten nutzen, für das Audimax der alten WU muss sie jedoch extra Miete zahlen, da sie in ihrem Hauptgebäude keinen so großen Hörsaal besitzt. Wohlgemerkt würde dieser Hörsaal ansonsten einfach nur leer herumstehen, wie große Teile der alten WU es momentan tun. Immerhin müssen die BOKU-Erstsemestrigen nicht mehr in ein Großkino am anderen Ende der Stadt fahren, um ihre Vorlesungen zu hören. So richtig zufrieden sind die Studierenden mit ihrem „Ausweichquartier“ aber dennoch nicht: „Es ist bereits mehrmals während der Vorlesungen passiert, dass die Stühle einfach so zerbrachen; die Studierenden purzelten dann mit lautem Krachen runter“, erzählt Simon, der sich auch über fehlende Infrastruktur wie WLAN oder Uhren beklagt: „Ein Lehrender bringt immer selbst eine Wanduhr mit, damit alle die Zeit im Blick haben.“ Auch wenn manche BOKU-Studierende die gute Verkehrsanbindung oder den „post-apokalyptischen Charme“ der Augasse schätzen, so klagen doch beinahe alle über die Klimaanlage, die auch im Winter für arktische Temperaturen in den Hörsälen sorgt.

Pro Studierende_r zahlt die BOKU insgesamt circa 2.050 Euro im Jahr Miete. Damit liegt sie im oberen Mittelfeld, noch mehr zahlen vor allem die künstlerischen Unis, die mit niedrigen Studierendenzahlen und großem Flächenanspruch in dieser Wertung natürlich ziemlich schlecht abschneiden. Das günstigste Verhältnis von Studierenden zu Mieten hat die einzige „Universität“ Österreichs, die auch ihr eigenes Gesetz hat: die Universität für Weiterbildung in Krems zahlte 2013 pro Studi nur 120 Euro Miete, allerdings nicht an die BIG, sondern an das Land Niederösterreich, das die Gebäude für die Donau-Uni bereitstellt.

(c) Mafalda Rakoš

So unterschiedlich die Ansprüche der einzelnen Unis an ihre Gebäude sind, so unterschiedlich entwickeln sich auch ihre Mieten: Vom Jahr 2012 auf das Jahr 2013 war von Steigerungen von bis zu 19 Prozent (JKU Linz) und Minderungen von bis zu zehn Prozent (WU – trotz des Umzuges auf einen neuen Campus) alles dabei. Auch die Erfahrungen der Unis mit der BIG sind höchst unterschiedlich.

Die BIG ist nämlich föderal strukturiert. Die Zentrale in Wien hat jedoch für jedes Bundesland eigene Betreuer_innen, die mit den Universitäten vor Ort zusammenarbeiten; „mehr oder weniger“, wie Reinhold Strasser, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik der Paris Lodron Universität Salzburg sagt. Die Zusammenarbeit der Zentrale mit den Salzburger Landesstellen sei problematisch. Kleinste Gebäudereparaturen müssten jedes Mal zuvor in Wien genehmigt werden. Auch die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Universitäten und der BIG selbst sei ausbaufähig. Ein Beispiel, das absurd klingt, aber die Causa veranschaulicht wie kein zweites, sind Doppelfenster: Bei Reparaturen von Fenstern ist die BIG für die äußere Fensterscheibe, die Uni für die innere zuständig. Dabei handle es sich um eine normale Klausel des Mietgesetzes, wie progress von den Universitäten immer wieder versichert wurde. Wie sinnvoll diese im universitären Alltag ist oder ob sie gar zur angestrebten Kosteneffizienz führt, ist fraglich.

BUNDESLUXUSWOHNUNGEN. Einen ärgeren Konflikt tragen die Studierenden der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien (mdw) mit der BIG aus: Auf der Homepage der Hochschüler_innenschaft der mdw werden Bauspekulation und BIG in einem Satz erwähnt. Darunter sind jede Menge Fotos einer Brachfläche, die an einen Gebäudeflügel der Uni angrenzt. Augenscheinlich eine Baustelle: Rote, gelbe und blaue Container sind darauf zu sehen, umgrenzt von einem grauen Stahlzaun. Bevor die Container auftauchten, gab es uniinterne Bestrebungen, die ohnehin schon begrenzte Nutzfläche der Universität durch die Bebauung dieser anschließenden Brachfläche zu vergrößern: Immer wieder waren solche Pläne aber aus Gründen des Denkmalschutzes abgelehnt worden. Nun hat die BIG, der die Liegenschaft in der Beatrixgasse 11-17 gehört, diese an eine Firma namens „Beatrixgasse 11-17 GmbH“ verkauft – einer Tochter der ARE Development GmbH, die wiederum eine Tochter der BIG ist. 31 Luxuswohnungen mit Blick auf den Stephansdom sollen hier nun gebaut werden.

Die Universität für Musik und darstellende Kunst bietet diverse Instrumentalstudienrichtungen an. Elementarer Bestandteil ist das regelmäßige Üben. Laut Hochschüler_innenschaft laufen aktuell schon täglich Beschwerden von Anrainer_innen, die sich durch die lauten Proben der Studierenden gestört fühlen, bei der Universität ein. Kommt demnächst ein neuer Wohnbau in unmittelbare Nähe der Uni, könnten die ohnehin schon begrenzten Probezeiten ein weiteres Mal gekürzt werden.

(c) Mafalda Rakoš

WIDERSTAND. Studentischer Widerstand gegen BIG-Projekte ist aber nichts Neues: Mitte der 2000er-Jahre kämpfte das selbstverwaltete TüWi-Lokal gegen Pläne der BOKU, das Gebäude (und damit die Grundlage des Lokals und des angeschlossenen Hofladens) der BIG zu überlassen. Dies war nämlich in den Leistungsvereinbarungen festgehalten worden. Der Protest wirkte: Das TüWi, das offiziell auf Flächen der ÖH BOKU (die diese widerum von der BOKU zur Verfügung gestellt bekommt, die sie von der BIG anmietet) steht, blieb. Und wird auch nach dem geplanten Abriss und Neubau des Gebäudes wieder einziehen dürfen.

2013 forderte die UNIKO, dass die BIG sämtliche Unigebäude an die Universitäten zurückgeben sollte, damit diese von der Last der hohen Mieten befreit werden und es auch leichter haben, Kredite aufzunehmen. Heute will von dieser Forderung fast keine Uni mehr etwas wissen: „Die Probleme der Finanzierung der Gebäudeerhaltung bleiben gleich und das was die Universitäten jetzt für die Mieten vom Bund bekommen, würde dann eben nicht mehr gezahlt werden. Tatsache ist aber, dass die Konstruktion Eigentümerin BIG – Mieterinnen Universitäten auch nicht sinnvoll ist, da hier Geld gewissermaßen im Kreis geschickt wird und letztlich profitieren davon die Banken“, erklärt die Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Eva Blimlinger.

Die BIG war bis zu Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu haben. Aber ob mit oder ohne sie: Probleme an Unigebäuden werden letzten Endes nur durch eine höhere Finanzierung gelöst werden können.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Petzt doch!

  • 23.10.2014, 01:52

Fast 200.000 StudentInnen absolvieren jährlich Praktika, meistens unter prekären Bedingungen. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, diesem System entgegenzuwirken. Ein Interview mit Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum.

Fast 200.000 StudentInnen absolvieren jährlich Praktika, meistens unter prekären Bedingungen. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, diesem System entgegenzuwirken. Ein Interview mit Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum. 

progress: Man spricht heute oft von der „Generation Praktikum“. Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, ohne Praktikum im Lebenslauf nach der Ausbildung einen Job zu bekommen?

Veronika Kronberger: Nein, die gibt es nicht. Es wird von den ArbeitgeberInnen inzwischen erwartet, dass man Berufserfahrung mitbringt. Daran ist einerseits die Bildungsexplosion in den 70er Jahren Schuld und andererseits auch die Wirtschaftskrise. Konkret bedeutet das, dass ein Überangebot an qualifizierten ArbeitnehmerInnen einem Markt mit zu wenig freien Arbeitsplätzen gegenübersteht. Die Anforderungen der ArbeitgeberInnen werden dadurch immer höher: Neben einem Studienabschluss müssen BewerberInnen heute auch noch jede Menge Berufs- und Auslandserfahrung und vorzugsweise Kenntnis mehrerer Sprachen vorweisen können. Dass sich die Jobsuche heute als so schwierig gestaltet, wird später natürlich auch zu einem volkswirtschaftlichen Problem: Denn in der Regel dauert es drei Jahre bis JungakademikerInnen in ein unbefristetes Dienstverhältnis einsteigen, bei 25 Prozent sogar fünf Jahre. Bei unserem derzeitigen Pensionssystem sind die Folgen davon dann allerdings weitreichend: Wenn zu wenig Pensionsjahre gesammelt werden, werden immer mehr Menschen unserer Generation zukünftig von Altersarmut betroffen sein.

Warum werden Praktika oft als prekär bezeichnet?

Das Problem ist in den meisten Fällen, dass viele Praktika, die als solche ausgeschrieben werden, in der Realität keine echten Praktika sind, sondern schlichtweg versteckte herkömmliche Dienstverhältnisse. Unternehmen schreiben ihre freien Stellen als Praktika aus, um Personalkosten zu sparen. 60 Prozent aller ab solvierten Pflichtpraktika sind in Österreich unbezahlt. De facto werden so arbeitsrechtliche Bestimmungen umgangen und das ist illegal. Bei den freiwilligen Praktika ist die Situation ähnlich: Davon gelten zwei Drittel als unbezahlt. Unternehmen vernichten damit die eigentlichen Arbeitsplätze. Ein großes Problem ist auch, dass jene, die sich diese unbezahlten Praktika nicht leisten können, nach dem Studium Schwierigkeiten beim Jobeinstieg haben. Das führt zu sozialer Selektion. Das betrifft keineswegs nur StudentInnen, beinahe alle Bildungsschichten sind mit dieser Praktikums-Problematik konfrontiert.

Wie erkenne ich als PraktikantIn, ob mein Praktikum auch tatsächlich ein solches ist?

Das wesentliche Kennzeichen von Praktika ist der Ausbildungscharakter. Ein Praktikum sollte eigentlich zur Hälfte aus Arbeit und zur Hälfte aus Ausbildung bestehen. Es dürfen außerdem keine fixen Dienstzeiten gelten und es darf kein eigener Arbeitsbereich vorgesehen sein. Denn PraktikantInnen sollen in erster Linie in den Arbeitsmarkt hineinschnuppern.

Gibt es auch Möglichkeiten, diesem System entgegenzuwirken?

Das schwerwiegendste Problem war bisher, dass junge Menschen keine Möglichkeiten hatten, diesem rechtswidrigen System ein Ende zu bereiten, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass ihnen der Eintritt in eine bestimmte Berufsbranche verweigert wird. Die gute Nachricht ist, dass das ab sofort möglich ist: Denn wir von der Plattform Generation Praktikum haben zusammen mit dem Sozialministerium und der GPA-djp die sogenannte watchlist-praktikum.at ins Leben gerufen. Diese „Watchlist“ macht es möglich, Unternehmen, die ihre PraktikantInnen unter illegalen Bedingungen beschäftigen, zur Rechenschaft zu ziehen. Das Ganze funktioniert so: Wenn Bedenken bezüglich der eigenen Praktikumsanstellung vorliegen, gibt es online die Möglichkeit, anonym ein Formular auszufüllen, das an die Gebietskrankenkasse weitergeleitet wird. Diese prüft dann unter dem Deckmantel einer Stichprobenkontrolle, ob es sich tatsächlich um eine Praktikumsanstellung handelt. Bewahrheitet sich der Verdacht, werden vermeintliche PraktikantInnen rückwirkend sozialversichert und bekommen das vorenthaltene Gehalt rückerstattet. Dadurch sollen die Rechte von jungen Menschen in der Arbeitswelt gestärkt und faire Arbeit zu fairem Lohn garantiert werden.

Welche Bilanz zieht ihr für das Projekt „Watchlist“?

Es hat sich gezeigt, dass die Idee fruchtet. Seit Juli 2014 gibt es die Seite und es wurden bereits 100 Unternehmen gemeldet, bei denen die Praktikumssituation als bedenklich einzustufen war. Wir sind selbst überrascht – oder besser gesagt – schockiert, denn die Lage ist tatsächlich schlimmer als erwartet. Das Beste ist natürlich, sich immer im Vorhinein abzusichern. Das heißt konkret: Bevor ein Dienstverhältnis eingegangen wird, den Praktikumsvertrag genau zu prüfen. Die ÖH und die Arbeiterkammer bieten solche Prüfungen kostenlos an.

Wie wird noch versucht, aktiv Hilfe zu leisten?

Sehr wichtig war uns bei der Gründung 2006, diese Thematik publik zu machen und eine stärkere mediale Verbreitung zu erreichen. Damals wurden schließlich auch erste Studien durchgeführt, vorher hatte es gar keine empirischen Untersuchungen in Österreich gegeben. In letzter Zeit sind wir aber auch politisch aktiv geworden: Wir lobbyieren und organisieren Veranstaltungen zum Thema. Natürlich ist unsere Organisation auch durch Service geprägt. Wesentlich ist für uns, die Probleme der „Generation Praktikum“ sichtbar und vor allem greifbarer zu machen.

Das Interview führte Anne Schinko.

 

Vertragscheck

Die ÖH bietet gemeinsam mit der GPA-djp Jugend den Vertragscheck an. Hilfe gibt es zu Fragen rund um Arbeitsverträge, Arbeitsrecht, ArbeitnehmerInnenschutz, Versicherung, Dienstverhältnisse und KonsumentInnenschutz. Terminvereinbarung: vertragscheck@oeh.ac.at

Gütesiegel Praktikum

Um zukünftigen PraktikantInnen ein faires Praktikum zu ermöglichen, hat die ÖH gemeinsam mit anderen Interessensvertretungen das „Gütesiegel Praktikum“ ins Leben gerufen. Unternehmen, die PraktikantInnen unter guten Bedingungen anstellen, werden mit dem Gütesiegel ausgezeichnet. www.oeh.ac.at/guetesiegel

Es muss nicht immer Joggen sein

  • 18.07.2014, 17:17

Vier unkonventionelle Sportarten im Portrait.

Vier unkonventionelle Sportarten im Portrait.

Der Weg des Schwertes

Ein Kendoka

Bei der japanischen Kampfsportart Kendo entscheiden nicht Kraft und Größe. „Die Schnelligkeit macht’s aus“, sagt Dieter Hauck und seine Mundwinkel zucken bei dem Gedanken an so manche Niederlage. Die Sportart setzt sich aus den beiden Wörtern Ken und Do zusammen, was so viel bedeutet wie „Weg des Schwertes.“ Mit echten Schwertern wird freilich nicht gekämpft, Bambusstangen in schwertähnlicher Form verhindern wirkliche Verletzungen. Dieter, laut eigenen Angaben eigentlich eher nicht prädestiniert für diese Sportart, weil zu groß und zu stark, trainiert seit über 30 Jahren Kendo. Schon als Jugendlicher beginnt er mit der japanischen Kampfsportart Jiu Jitsu. „Mitunter ein Grund war damals, mich gegen meine noch größeren Brüder wehren zu können“, sagt er und lacht. Durch einen Freund kam der 51-Jährige zu Kendo und ist seither überzeugter Kendoka. Heute ist er Vizepräsident der europäischen Kendo-Föderation.

Im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten setzt Kendo speziell auf der geistigen Ebene an: Den oder die Gegner_ in zu lesen und sich selbst und die Menschen in der eigenen Umgebung zu erfahren, sind Teil des Weges, den es beim Erlernen von Kendo zu bewältigen gilt. Dabei ist die größte Herausforderung bei einem realen oder nachempfundenen Kampf – und damit in der maximalen Risikosituation – die gelernten Techniken durch rasche Entscheidungen und unter Aufwendung aller Energiereserven genau richtig einzusetzen, um den/die Gegner_in zu treffen. Diese Kampfsituationen werden regelmäßig bei Turnieren und bei Welt- und Europameisterschaften nachempfunden, bei denen Dieter auch schon oft als Kämpfer und Funktionär beteiligt war. „Leben kann man von Kendo in Europa allerdings so gut wie nicht“, sagt er. Dafür ist die Kendo- Population in diesen Breiten noch zu klein. In Japan ist die Sportart Teil der Ausbildung von Polizist_innen, des Militärs und der Palastwache und wird auch in Schulen stark gefördert.

Trainiert wird die Kampfsportart ein ganzes Leben lang, sie ist somit Teil des Lebensweges und ständiger Begleiter – auch für den Wiener. Dieter erzählt vom Vater seines japanischen Trainers, der noch bis drei Tage vor seinem Tod Kendo trainiert haben soll. „Wir haben dann gesagt, wir reduzieren das auf zwei Tage, dann haben wir wirklich etwas erreicht“, sagt er und zeichnet mit seinen Armen die typische Schwertbewegung von Kendo nach. (AS)

2,40 Meter hoch, sieben Sprossen
Eine Leiterakrobatin

Eine zufällige Begegnung mit einem Diabolo-Spieler in Berlin hat sie inspiriert und damit ihr bisheriges Leben vollkommen auf den Kopf gestellt. Rosalie Schneitler hat braune Haare und ein Talent, ihr Italienisch so klingen zu lassen, als wäre sie nicht in Oberösterreich geboren. Die heute 30-jährige Mutter beginnt nach diesem Erlebnis die akrobatische Sportart Leiterartistik an der Scuola di Circo Vertigo in Turin zu studieren und entdeckt dort ihre Leidenschaft für den zeitgenössischen Zirkus.

Als eine von 60 Bewerber_ innen an der Zirkusschule wird sie zusammen mit 15 weiteren Studierenden aufgenommen und stellt sich zwei Jahre lang täglich einem siebenstündigen Training: Muskelkraft, Flexibilität, Bodenakrobatik, zeitgenössischer Tanz und Theater stehen auf der Tagesordnung. Dem folgt ein Training in der jeweiligen individuellen Disziplin der einzelnen Studierenden – für Rosalie war es die Leiter: „Drauf zu stehen und das Gleichgewicht zu halten, das ist eine der ersten Aufgaben, die es zu bewältigen gilt“, sagt Rosalie. Ohne die Leiter an die Wand zu lehnen, versteht sich. Danach folgen die ersten Tricks: Über die vorletzte Sprosse springen und auf der anderen Seite wieder auf dieser landen, die Leiter in Tempo auf und ab erklimmen oder auf der obersten Sprosse in „Fliegerposition“, mit dem Becken auf der Leiter, schweben. Heute lebt die Artistin von dieser akrobatischen Sportart und sieht es als ihre größte Herausforderung, ihre körperlichen Fähigkeiten in einen Ausdruck zu verwandeln und so jedes Stück einzigartig werden zu lassen. „Genau das ist das Besondere am zeitgenössischen Zirkus – jede Person trägt ihre persönliche Note zu einem Stück bei.“ Ihr beruflicher Alltag besteht daraus, von Fest zu Fest zu reisen, von einem Auftritt zum nächsten. Von Mai bis Oktober dauert die Saison. Im Winter hingegen werden neue Shows geprobt, alte verbessert und trainiert. Rosalies eineinhalbjährige Tochter und ihr Lebensgefährte – selbst ein Zirkusartist – sind auf ihren zahlreichen Reisen immer im Gepäck.

Doch die geborene Zwettlerin wünscht sich seit kurzem einen festen Platz im Leben. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten überlegt sie, einen Grund in Italien zu kaufen. „In Österreich gibt es für den zeitgenössischen Zirkus leider zu wenige Möglichkeiten“, sagt sie. Dass diese Art von Zirkus aber nun auch langsam hierzulande ankommt, freut sie besonders. (AS)

Paddeln, fangen, Tore schießen
Kanupolo Foto: Christopher Glanzl

Wer Kanufahren und Ballsport mag, der ist beim KanuPolo richtig. Zwei Mannschaften mit je fünf SpielerInnen versuchen bei dieser Crossover-Sportart, einen Ball mit der Hand oder dem Paddel möglichst oft im gegnerischen Tor zu versenken – während sie in einem Kanu sitzen. Die Sportart erfordert Multitasking: „Es ist eine Herausforderung, ein Boot ideal zu manövrieren und gleichzeitig den Ball zu fangen und zu werfen“, meint die Studentin Michaela Motowidlo. Zum KanuPolo kam sie wie viele andere EinsteigerInnen auch: Eigentlich wollte sie, als sie einen Schnupperkurs des Vienna KanuPolo- Teams besuchte, nur paddeln lernen. Heute ist sie ein führendes Mitglied des Vereins. Auch die Sportart selbst ist vor etwa 100 Jahren in Paddelvereinen entstanden.

Gespielt wird auf einem Spielfeld, das etwa die Maße eines Sportbeckens hat. Im Winter besteht die Möglichkeit, indoor zu trainieren. Allerdings sind die BesitzerInnen von Schwimmhallen oft skeptisch, da sie Angst haben, die Boote könnten das Becken beschädigen. So wird bis November im Freien gespielt. Wenn die Feinmotorik durch die Kälte gehemmt wird, verlagert das Team das Balltraining in die Halle, studiert Spielzüge ein oder analysiert Matches. Im Spielfeld gibt es beim KanuPolo keine fixen Positionen, sondern jede/r macht das, was seinen/ihren Fähigkeiten entspricht.

Ein Match dauert zwei Mal zehn Minuten. Die Verletzungsgefahr ist niedrig, da die SpielerInnen Schutzkleidung tragen. Die Boote sind an den Enden gummiert, da es erlaubt ist, gegnerische SpielerInnen zu rammen – allerdings nur, wenn diese gerade den Ball haben. Die Ausrüstung ist hauptsächlich Vereinsbesitz, weshalb die Kosten für die Mitglieder niedrig sind. „Anfänglich kamen hauptsächlich KanufahrerInnen zum Training, allerdings sind die oft sehr individualistisch. Beim KanuPolo geht es aber vor allem um Teamplay“, meint Heinz Hanko, der das Vienna KanuPolo- Teams trainiert.

Die Sportart ist actionreich und es fallen häufig Tore. Deshalb hat das Training des Vienna KanuPolo- Teams an der Alten Donau immer ZuschauerInnen. Einige davon bekommen dann Lust, KanuPolo selbst auszuprobieren. Neben Wien gibt es KanuPolo noch in Ybbs, Innsbruck und Salzburg. Im Moment besteht das Vienna KanuPolo-Team hauptsächlich aus StudentInnen. Im Training wird mixed gespielt, bei Meisterschaften gibt es eine Damen- und Herrenklasse. Weltweit führend sind die Niederlande. Olympisch ist die Sportart jedoch nicht, weshalb es auch wenig Förderungen und Berichterstattung darüber gibt. Es finden aber häufig internationale Turniere statt, an denen das Vienna KanuPolo-Team teilnimmt. Michaela träumt außerdem von einer Damennationalmannschaft, dafür gibt es derzeit allerdings noch zu wenige Spielerinnen. (ML)

Kampf unter Wasser
Unterwasserrugby Foto: Christopher Glanzl

Von Unterwasserhockey über Unterwasserfußball bis zu Unterwasserrugby: Immer mehr Sportarten werden neuerdings auch im Nassen gespielt und so zu einer besonderen Herausforderung. „Man muss verschiedenste Fähigkeiten beherrschen, da der Sport plötzlich dreidimensional wird“, erklärt Heinz Frühwirt, der Co-Trainier des österreichischen Unterwasserrugby- Nationalteams. Neben Ausdauer, Kraft und Teamfähigkeit werden den SpielerInnen auch gute Tauchfähigkeiten abverlangt. „Viele sind von Unterwasserrugby schnell begeistert, geraten aber ebenso schnell an ihre Grenzen“, erzählt Frühwirt, der den Sport selbst schon beinahe seit seiner Erfindung betreibt.

Unterwasserrugby entstand in den 1970er Jahren in verschiedenen Tauchklubs. Ein Spiel dauert zwei Mal 15 Minuten, Tore werden geschossen, indem die SpielerInnen einen mit Salzwasser gefüllten Ball in einem Korb am Beckengrund versenken. Eine Mannschaft besteht aus zwölf SpielerInnen, davon sind sechs im Spiel, sechs warten auf ihre fliegende Einwechslung. Unterwasserrugby ist ein Vollkontaktsport, bei dem, wie beim Rugby, fast alles erlaubt ist, um dem/ der GegnerIn den Ball zu entreißen. Drei SchiedsrichterInnen, zwei unter, eine/r über Wasser, achten darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Zur Ausrüstung gehören ein kurzer Schnorchel, Flossen, eine Maske, eine Badehaube und ein Badeanzug. Die Verletzungsgefahr ist durch das Wasser gemindert, da es die Wucht der Stöße dämpft. „Man kann sich die Sportart als Mischung zwischen Basketball und Eishockey vorstellen. Basketball, weil es mehr Körperkontakt als beim Rugby gibt, Eishockey wegen des fliegenden Einwechselns der SpielerInnen“, erklärt Frühwirt.

Unterwasserrugby ist ein Sport im Auftrieb. Der Wiener Unterwasserrugby Club, der drei Mal pro Woche nach Badeschluss in öffentlichen Schwimmbädern trainiert, profitiert vor allem von einem Unterwasserrugby-USI-Kurs. Den Großteil des Vereins machen StudentInnen aus, die restlichen Mitglieder sind bunt gemischt. Trainiert wird mixed, bei höheren Meisterschaften gibt es Damen- und Herrenteams. Etwa ein Drittel der SpielerInnen sind weiblich, wobei in Österreich gerade versucht wird, ein Damenteam aufzubauen. Unterwasserrugby ist ein traditionell europäischer Sport, führend sind hier vor allem die skandinavischen Länder sowie Deutschland. In Österreich wird Unterwasserrugby in Wien, Salzburg, Klagenfurt, Graz und Innsbruck gespielt. Olympisch ist die Sportart nicht, aber in Wien beispielsweise gibt es ausreichend Förderungen für das Team, so dass es regelmäßig an internationalen Turnieren teilnehmen kann. (ML)

Margot Landl studiert Politikwissenschaft sowie Deutsch und Geschichte im Lehramt in Wien.
Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte in Wien.