Susanne Weber

Die Suffragetten im Kino

  • 10.03.2016, 18:18
Protest, Hungerstreik, Bomben. Die Aktionen der sogenannten „Suffragetten“ sind fast in Vergessenheit geraten. 100 Jahre später kommt der Kampf ums Wahlrecht und um die Gleichstellung von Mann und Frau ins Kino. Der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ zeichnet die historischen Ereignisse nach.

Protest, Hungerstreik, Bomben. Die Aktionen der sogenannten „Suffragetten“ sind fast in Vergessenheit geraten. 100 Jahre später kommt der Kampf ums Wahlrecht und um die Gleichstellung von Mann und Frau ins Kino. Der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ zeichnet die historischen Ereignisse nach.

Im Abspann wird es spannend. Es sind Zahlen und Länder, die vor Augen führen, wann das Frauenwahlrecht umgesetzt wurde: 1918 in Österreich, 1920 in den USA, 1944 in Frankreich, 1971 in der Schweiz und 1974 in Jordanien. In Saudi-Arabien haben Frauen seit 2015 das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen.

Keine Vielfalt. Es ist erstaunlich, dass es mehr als 100 Jahre gedauert hat, bis der Kampf der „Suffragetten“ (von englisch/französisch „suffrage“ – Wahlrecht) filmisch verarbeitet worden ist. Oder vielleicht auch nicht: Denn Frauen spielen in der Filmindustrie, sowohl auf der Leinwand wie auch hinter den Kulissen, eine Minderheitenrolle. Die Geschichte von Frauen wird selten erzählt – und wenn, dann als kitschige „Sissi“-Variante. Nur 17 Prozent der Mitglieder jener Jury, die Jahr für Jahr die Oscars vergibt, sind Frauen. Die tragenden Figuren in den 100 erfolgreichsten Hollywood-Produktionen sind der Studie „It’s a Man’s (Celluloid) World“ von Martha M. Lauzen zufolge vorwiegend männlich.

Kein Wunder also, dass sich bisher nur wenige Filme und Serien dem Thema gewidmet haben. 1964 singt Winifred Banks in Walt Disneys „Mary Poppins“ den Song „Sister Suffragette“ – eine frühe Hommage an die Frauenrechts- Bewegung und deren prominente Vorkämpferin, Emmeline Pankhurst (1858-1928). Die Erfolgs-Serie „Downton Abbey“ lässt in einer Episode Lady Sybil zur Suffragette werden. In der Serie „Upstairs, Downstairs“ wird Elizabeth während einer Demonstration verhaftet und gerät mit anderen Suffragetten sowie Serienfigur Rose in Gefangenschaft. Hinter Gittern wird Rose Zeugin von Zwangsernährung und Misshandlung. 2013 strahlte die BBC die Sitcom „Up the Women“ aus. Der Kampf um Frauenrechte wird darin geographisch von London nach Banbury verlagert. Margaret (gespielt von Jessica Hynes) versucht, ihre Handarbeitsgruppe in eine Suffragetten- Gruppe zu verwandeln, erhält jedoch Gegenwind von Gruppenmitglied Helen (Zitat: „Das aktuelle System funktioniert perfekt. Ich sage meinem Mann, was er wählen soll.“). In „Up the Women“ steht interessanterweise nicht der Kampf „Frauen gegen Männer“ im Vordergrund: Hier stehen sich Frauen gegenseitig im Weg. Nach zwei Staffeln mit neun Episoden lief die durch Ironie und Wortwitz glänzende Sitcom 2015 aus.

Zum ersten Mal aber steht mit bei „Suffragette – Taten statt Worte“ eine ganze Kinoproduktion – und nicht nur einzelne Episoden oder eine Fernsehserie – im Zeichen des Kampfs um das Wahlrecht für Frauen.

Eine von vielen. Die Entscheidung der Regisseurin einen einzelnen Menschen zu porträtieren – und nicht etwa die Galionsfigur der Suffragetten, Emmeline Pankhurst – erweist sich als richtig. Carey Mulligan brilliert in der Rolle der fiktiven Wäschereimitarbeiterin Maud Watts. Seit ihrer Kindheit schuftet sie in einer Wäscherei im Londoner East End, wird vom Fabrikanten missbraucht und ohne schulische Ausbildung zu einem tristen Dasein verurteilt. Machtlos, weil rechtelos – was ihr Kind, ihre Arbeit und die Politik betrifft. Zufällig, über ihre Kollegin Violet, gerät sie in Kontakt mit der Suffragetten-Bewegung und beschließt sich zu engagieren. Emmeline Pankhurst dagegen, die historisch bedeutsame Frauenrechtlerin, hat, gespielt von Meryl Streep, nur einen Fünf-Minuten-Auftritt. Ihre Rede an die Frauen geht nicht nur Maud Watts ins Ohr, sondern auch den ZuschauerInnen 2016 im Kinosaal.

Es geht dabei – und das ist ein wesentlicher Verdienst von Regisseurin Sarah Gavron – nicht nur um das Frauenwahlrecht. „Ein anderes Leben ist möglich“, lässt die Regisseurin Maud sagen, und drückt damit aus, worum es den Suffragetten auch ging: Den besseren Zugang zu Arbeit und Bildung.

„Deeds, not words“. Nach diesem Motto kämpften um die Jahrhundertwende tausende Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft in Großbritannien und den USA für ihre Rechte. Nachdem jahrzehntelang friedliche Mittel nicht zum Erfolg geführt hatten, änderten die Suffragetten gegen 1910 ihre Taktik. Sie setzten Landsitze in Brand, sprengten Briefkästen, warfen Steine in Schaufenster und wehrten sich mit Hungerstreiks gegen miserable Haftbedingungen. Die Behörden reagierten mit Zwangsernährung, Inhaftierung und Überwachung auf die militanten Aktionen.

Die spektakulären Aktionen der Suffragetten stellt die Regisseurin im Film nicht in Frage. Gewalt als radikales Mittel zum Zweck erscheint legitim. Eines war den Suffragetten durch ihre Aktionen jedenfalls sicher: die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit. Am 4. Juni 1913 warf sich Emily Wilding Davison beim English Derby in Epsom vor ein königliches Pferd und verstarb einige Tage später. Ob Unfall, Leichtsinn oder Selbstmord – sicher war den Suffragetten das Licht der Wochenschau-Kameras beim Begräbnis von Davison, der zum gewaltigen Protestzug der wurde. Die Original-Wochenschauaufnahmen geben dem Film von Gavron Glaubwürdigkeit – und beeindrucken auch heute noch.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Kann jede_r unterrichten?

  • 08.03.2016, 18:02
„Teach for Austria“ rekrutiert angeblich „Top-AbsolventInnen“ für Schulen im sozialen Brennpunkt. Zwei Jahre lang unterrichten die Jung-AkademikerInnen an Neuen Mittelschulen, Berufsschulen und Polytechnischen Schulen. Wer profitiert davon?

„Teach for Austria“ rekrutiert angeblich „Top-AbsolventInnen“ für Schulen im sozialen Brennpunkt. Zwei Jahre lang unterrichten die Jung-AkademikerInnen an Neuen Mittelschulen, Berufsschulen und Polytechnischen Schulen. Wer profitiert davon?

Michael Fellner hat es geschafft. Seit September 2015 ist der BWL-Absolvent einer von 72 „Teach for Austria“-Fellows. Der 25-Jährige unterrichtet an einer Polytechnischen Schule in der Wiener Burggasse. Was hat den Top-Absolventen – Austauschsemester in den USA, Bachelor an der WU, Praktikum bei Red Bull – dazu bewogen, in einer Schulklasse mit Jugendlichen zu arbeiten? „Hier kann ich etwas für die Zukunft verändern“, meint Fellner: „Hier kann ich direkt, Tag für Tag, sehen, ob ich Erfolg habe oder nicht.“ In Fellners Schule werden Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die zu 85 Prozent eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Stolz ist Fellner auf das Projekt „Schulbuffet“: „Die Kids übernehmen regelmäßig das Buffet, von den Einkäufen über die Preisplanung bis hin zur Zubereitung der Speisen und den Verkauf. Durch solche Projekte bringen wir frischen Wind an die Schulen.“

Mit einem strengen, mehrteiligen Ausleseverfahren rekrutiert „Teach for Austria“ seit 2012 Jahr für Jahr ausgezeichnete Studienabsolventinnen und -absolventen. Für zwei Jahre übernehmen sie per Sondervertrag eine volle Lehrverpflichtung an Schulen in Wien und Salzburg. Die Fellows sind an Schulen tätig, die überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, nichtdeutscher Alltagssprache und finanziell schwachem Background besuchen. Das Besondere an „Teach for Austria“: Niemand von den Fellows hat Lehramt studiert. Die akademische Bandbreite der Lehrkräfte reicht von Archäologie über Sinologie und Quantenphysik bis zu Volkswirtschaft.

VERERBTE BILDUNG. Bildung wird in Österreich zu einem großen Teil nach wie vor „vererbt“. Will heißen: Vom ArbeiterInnenkind zum/r AkademikerIn – diese „Karriere“ ist in Österreich die Ausnahme. Laut Statistik Austria erreichen nur 6,6 Prozent der Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss einen Uni- Abschluss – gegenüber 55,8 Prozent der Kinder mit „akademischen“ Eltern.

„Teach for Austria“ ist Teil des weltweiten „Teach for all“-Netzwerks, das ähnliche Programme in 36 Ländern durchführt. Der Geschäftsführer Walter Emberger betont: „Wir wollen Potenziale statt Defizite entdecken. Wir wollen Kinder fit machen für eine immer komplexer werdende Gesellschaft. Wir schauen auf den Output – was können die Kinder?“ Bildung als ökonomische Gleichung also. Dazu passt, dass „Teach for Austria“ zu einem großen Teil von Sponsoren aus der Wirtschaft finanziert wird. Die öffentliche Hand übernimmt die Gehälter der Fellows.

MANGELWARE LEHRKRAFT. Bis 2025 wird die Hälfte der rund 72.000 Lehrkräfte in Österreich in Pension gehen. „Der Markt an guten Leuten ist leer gefegt“, sagt der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann. QuereinsteigerInnen-Programme wie „Teach for Austria“ sind daher laut Stadtschulrat Wien positiv zu sehen. „Wir haben einen akuten Lehrermangel, und das sind junge, engagierte Leute“, so eine Mitarbeiterin des Stadtschulrats, die lieber anonym bleiben möchte. Als eine Konkurrenz zu den „normalen“ Lehrkräften sieht man das Programm nicht, denn: „Sie sind Teil des normalen Systems, eine Ergänzung.“ Michael Fellner bestätigt, dass man „keine Extrawurst“ erhalte.

Durch eine mehrwöchige Sommerakademie und Online-Kurse werden die „Teach for Austria“-Fellows auf den Unterricht vorbereitet. Ein Konzept, das an der Universität Wien auf Skepsis stößt: „Eine gute Germanistin ist noch lange keine gute Deutschlehrerin. Es gehört mehr dazu als fachliches Wissen und ein Pädagogik-Schmalspurprogramm“, meint eine Professorin am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien, die anonym bleiben möchte. Walter Emberger sieht es anders: „Wir wollen die Besten eines Jahrgangs. Die Motivation ist entscheidend.“

WER PROFITIERT? Ob die Schülerinnen und Schüler oder die Fellows den größten Nutzen aus „Teach for Austria“ ziehen? Unabhängige Studien darüber gibt es für Österreich bis dato nicht. Zahlen aus den USA zeigen, dass die von Fellows unterrichteten Schülerinnen und Schüler keine schlechteren Ergebnisse erzielen als jene, die von „normalen“ Lehrkräften unterrichtet werden – aber auch keine besseren. Deborah Appleman, Professorin am Carleton College, merkt an, man stärke ein „heroisches und altruistisches Narrativ“. Einer Verklärung als „Elite“ will „Teach for Austria“ entgegenwirken: „Wir wollen nicht elitär wirken. Es gibt bequemere Wege, den Lebenslauf aufzubessern.“ Für die Fellows gibt es allerdings ein umfassendes Förderungsprogramm, von dem „normale“ Lehrkräfte nur träumen können: Leadership-Ausbildung („exzellente Lehrkräfte sind exzellente Führungskräfte“), Praktika, Workshops, Networking-Abende. „Teach for Austria“ ermöglicht, mit finanzkräftigen Sponsoren im Hintergrund, all das, was im „normalen“ Alltag der Lehrerinnen und Lehrer fehlt: Karriereperspektiven, Weiterbildung, Wertschätzung. Es stellt sich die Frage, warum diese Unterstützung nicht zu den „normalen“ Lehrkräften fließt, die noch 40 Dienstjahre an den Schulen vor sich haben.

Ungefähr die Hälfte der Fellows bleibt nach zwei Jahren weiterhin im Schuldienst. Was Michael Fellner nach 2017 machen wird, ist noch offen. „Der Bildungsbereich ist schon cool. Hier kann ich mehr bewegen als bei einer Firma.“

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Hürdenlauf Nostrifizierung

  • 05.12.2015, 19:18

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Hasan H. (Name auf Wunsch geändert) aus dem syrischen Homs ist seit vier Monaten in Österreich und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Reichenau an der Rax. Sein Asylverfahren ist mittlerweile in Gang, doch Hasan will arbeiten, und zwar so rasch wie möglich. In Syrien war der 33-Jährige als Agraringenieur tätig. Fünf Jahre hat sein Studium gedauert, nach einem weiteren Jahr und einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit wurde ihm der Magistergrad (Arabisch: Al-madjistir) verliehen. Ob das Studium in Österreich anerkannt wird, dafür gibt es keine pauschale Regelung. Im besten Fall wird Hasan H. nach einigen Monaten Verfahrensdauer das Studium voll anerkannt. Im schlimmsten Fall gibt es keinen positiven Bescheid, sondern maximal die Anerkennung einzelner Prüfungen.

HÜRDENLAUF. Es ist ein steiniger, mit Barrieren gepflasterter Weg, den Asylwerbende und anerkannte Flüchtlinge in Österreich gehen müssen, wenn sie ihre akademischen Ausbildungen anerkennen lassen wollen. Dafür braucht es eine Menge Unterlagen, vor allem aber viel Geduld und Durchhaltevermögen. Die Nostrifizierung, so der Fachbegriff für das Verfahren zur Anerkennung ausländischer Studien in Österreich, hängt von Staatsangehörigkeit und Berufsart ab. Eine „automatische“ Anerkennung gibt es nicht – auch nicht angesichts der 90.000 Asylanträge, die in Österreich bis Jahresende 2015 zu erwarten sind. Begründung: Die Studieninhalte sind zu unterschiedlich, eine Prüfung im Einzelfall ist daher zwingend notwendig. Ein syrischer Arzt kann sich nicht darauf verlassen, in Österreich rasch in seinem Beruf arbeiten zu können.

Diese Ungewissheit schreckt viele Migrantinnen und Migranten ab, es überhaupt zu versuchen: Nur jedeR Dritte lässt sich die im Ausland erworbene akademische Ausbildung nostrifizieren. Andere verzweifeln an der Dauer des Verfahrens, an den Ergänzungsprüfungen – und geben am Weg zur Nostrifizierung auf. Selbst eine erfolgreiche Nostrifizierung ist noch kein Garant dafür, danach auch einen adäquaten Job zu bekommen. Laut einer Befragung aus dem Jahr 2012 im Auftrag der Arbeiterkammer Wien ist jedeR dritte MigrantIn in Wien unterhalb ihres/seines Ausbildungsniveaus beschäftigt. Der Anteil von überqualifiziert beschäftigten Migrantinnen und Migranten ist laut OECD in Österreich einer der höchsten innerhalb der 34 OECD-Staaten. Gesamtstatistiken gibt es jedoch nicht.

KOMPETENZ-CHECKS. Erschwert wird die Anerkennung von akademischen Abschlüssen durch das mangelnde Wissen über die Kompetenzen der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Viele Klischees stehen im Raum – doch Daten gibt es kaum bis gar nicht. Um den Bildungsstatus zu erfassen, führt das Arbeitsmarktservice (AMS) aktuell Kompetenz-Checks durch. Mitte Dezember sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Wer ist für die Anerkennung von Studien überhaupt zuständig? Einfach ist es nicht, das herauszufinden. Erste Anlaufstelle ist in den meisten Fällen ENIC-NARIC-Austria. Ein zehnköpfiges Team kümmert sich im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) um Anerkennungsfragen. Einrichtungen dieser Art gibt es in allen EU-Staaten. Doch die tatsächliche Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses als gleichwertig mit dem Abschluss eines inländischen Studiums erfolgt direkt an der Universität bzw. Fachhochschule. Zwischen 2010 und 2013 gab es laut ENIC-NARIC-Austria etwa 13.000 Ansuchen auf Titel-Anerkennung, zum Großteil aus osteuropäischen Staaten und Russland. Nicht notwendig ist die Nostrifizierung übrigens für die Zulassung zu weiterführenden Studien (Magister/Master, Doktorat, PhD).

Es sind also die Universitäten und FHs selbst, die über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse entscheiden. Doch: keine Regel ohne Ausnahme. So erkennt das BMWFW – und nicht die von zwischenstaatlichen (bilateralen) Abkommen direkt an. „Dieses vereinfachte Verfahren gilt für Absolventinnen und Absolventen bestimmter Studien aus Bosnien und Herzegowina, Italien, dem Kosovo, Kroatien, Liechtenstein, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien“, erklärt Heinz Kasparovsky, Leiter der Informationsstelle. Auch Studienabsolventinnen und -absolventen von päpstlichen Universitäten dürfen sich über ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren dank eines bilateralen Abkommens freuen. Initiativen, die Verfahren nun angesichts tausender Asylwerbender in Österreich zu vereinfachen, gibt es aktuell nicht. Dabei könnte eine raschere Anerkennung akademischer Studien dem Mangel an Fachkräften in zahlreichen Branchen entgegenwirken. Einerseits suchen österreichische Krankenhäuser händeringend nach medizinischem Personal, andererseits müssen aber in diesem Bereich ausgebildete Fachkräfte den langen, zermürbenden Weg der Anerkennung gehen.

BEISPIEL: UNIVERSITÄT WIEN. Dem Großteil der an der Nostrifizierung Interessierten bleibt der Gang an die Universitäten und Fachhochschulen nicht erspart. An der Universität Wien entscheidet gemäß Satzung und Universitätsgesetz die/der Studienpräses über die Nostrifizierung. Um das Verfahren starten zu können, sind zahlreiche Unterlagen nötig, so Claudia Universitäten bzw. FHs – einzelne Studien aus bestimmten Staaten aufgrund Fritz-Larott vom Büro der Studienpräses: Neben dem Antragsformular sind das die Geburtsurkunde, ein Staatsbürgerschaftsnachweis/ Reisepass, der Aufenthaltstitel, das Reifeprüfungszeugnis, ein kurzer Lebenslauf, die Urkunde über den ausländischen Studienabschluss und möglichst viele Unterlagen zum absolvierten Studium selbst, also Zeugnisse über Prüfungen, Studienbuch, Studienplan, wissenschaftliche Arbeiten usw. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss zudem nachweisen, dass die Nostrifizierung zwingend notwendig ist für die Berufsausübung oder die Fortsetzung der Ausbildung – ein Nachweis, der in der Praxis häufig schwierig zu beschaffen ist. De facto kann das durch den/die (künftige/n) ArbeitgeberIn geschehen, aber auch durch ein Schreiben einer Behörde.

Neben den Dokumenten ist zudem die Zahlung der Nostrifizierungstaxe erforderlich. Claudia Fritz-Larott von der Universität Wien sagt dazu: „Diese beträgt 150 Euro und ist damit im europäischen Vergleich nicht besonders hoch.“ Das Verfahren verteuert sich jedoch durch die Übersetzung der zahlreichen Dokumente, die für die Nostrifizierung vorzulegen sind. Das Nostrifizierungsverfahren dauert etwa drei Monate, so die Universität Wien, und mündet in einen Bescheid. Ist er positiv, gilt der ausländische Studienabschluss als mit dem inländischen gleichwertig. Ist er negativ, ist eine Anerkennung nicht möglich, denn Inhalt und Dauer des im Ausland absolvierten Studiums gelten als zu stark von den österreichischen Studien abweichend. Ein negativer Bescheid wird auch ausgestellt, wenn Unterlagen fehlen, die Hochschule nicht anerkannt oder die eingereichten Diplome ungültig sind. Möglich ist es dann noch, sich für ein Studium an einer österreichischen Universität einzuschreiben und einzelne Prüfungen anerkennen zu lassen. In der Praxis gibt es häufig einen Mittelweg zwischen positivem und negativem Bescheid: Der Antragstellerin oder dem Antragsteller werden Bedingungen gesetzt: Sie oder er muss dann noch einmal eine Abschlussarbeit verfassen, einzelne Lehrveranstaltungen nachholen oder Prüfungen ablegen. Auf Deutsch, versteht sich.

SPRACHKENNTNISSE ALS SCHLÜSSEL. Hier liegen auch die größten Schwierigkeiten für Migrantinnen und Migranten, so der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF). Auf der Flucht verloren gegangene oder im Herkunftsland zurückgelassene Dokumente lassen sich äußerst selten beschaffen. Dies führt zu Auflagen im Nostrifizierungsverfahren – und zu Verzögerungen. Denn um Prüfungen auf Deutsch ablegen zu können, ist in der Regel ein Sprachniveau auf B2 und damit ein mehrjähriges Erlernen der Sprache erforderlich. Bei „geschützten“ Berufen wie RechtsAnanwältinnen und Rechtsanwälten, Lehrerinnen und Lehrern, Medizinerinnen und Medizinern haben zudem auch die Berufsvertretungen – von der Rechtsanwaltskammer über die Ärztekammer bis hin zum Hebammengremium – mitzureden. Viele Migrantinnen und Migranten, so der WAFF, lassen es daher überhaupt bleiben und nehmen dieses langwierige Verfahren gar nicht auf sich.

Welche Alternativen bleiben Flüchtlingen also? Eine Möglichkeit wäre ein Studierendenvisum. Haken an der Sache ist jedoch, dass dieses bereits im Herkunftsland gestellt werden muss – und neben dem Nachweis, über ausreichend finanzielle Mittel (8.000 Euro am Bankkonto) zu verfügen, auch eine Versicherung sowie einen festen Wohnsitz erfordert. Einfacher geht es mit der Initiative MORE (s. Seite 11). Haken an der Sache: Prüfungen können MORE-Studierende nicht ablegen. In Deutschland startet mit dem Wintersemester die Pilotphase der „Wings University“: Sie ermöglicht, per Online-Studium auf Englisch einen Studienabschluss zu erwerben. Momentan sind vier Studiengänge im Angebot: Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Ingenieurwissenschaften und Architektur. Der Zugang zur Online-Uni erfolgt über Einstufungstests. Zeugnisse müssen die angehenden Studierenden nicht vorlegen. All diese Initiativen, so vorbildlich und kreativ sie auch sein mögen, ändern jedoch nichts am komplizierten Verfahren der Nostrifizierung.

Hasan H. will es jedenfalls probieren und sein Studium hier in Österreich anerkennen lassen. „Was habe ich schon zu verlieren?“, meint der junge Mann aus Syrien. Sobald sein Asylantrag bearbeitet ist, will er seine Unterlagen für die Nostrifizierung an der Universität für Bodenkultur in Wien einreichen. Ihm geht es bei dem Antrag nicht nur um die Anerkennung seines akademischen Titels. Er will sich in Österreich integrieren – anerkannt sein. Nicht nur akademisch und rechtlich, sondern beruflich und persönlich.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

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