Sandra Schieder

Vom Hochschulabschluss in die Krise

  • 12.03.2016, 15:12
Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Mit Mitte Zwanzig ziehen junge Menschen eine erste Lebensbilanz und fragen sich: Ist das Leben, das ich führe, das Leben, das ich führen will? Das endet oftmals in einer handfesten Krise.

Wer den Hochschulabschluss in der Tasche hat, hat auch das Rüstzeug, um in eine verheißungsvolle Zukunft zu starten. So sollte es zumindest sein. Was für die einen nämlich nach Aufbruch, Chancen und Freiheit klingt, ist für andere wiederum mit Angst, Unsicherheiten und Verzweiflung verbunden. Und darum verwundert es nicht weiter, wenn junge Menschen in dieser Lebensphase – nämlich beim Übergang vom Ausbildungs- zum Berufsleben – in eine Krise schlittern. Die Rede ist hier von der sogenannten „Quarterlife Crisis“.

#QUARTERLIFECRISIS. Ein Blick auf Twitter bestätigt: Die Quarterlife Crisis beschäftigt junge Menschen. Tweets wie „Ich hatte zwar keinen genauen Plan, wie mein Leben mit 24 aussehen sollte, aber so wie es jetzt aussieht… #quarterlifecrisis“, „Gespräche mit gleichaltrigen Berufstätigen zeigen mir auf: Ich würde auch nicht tauschen wollen. #quarterlifecrisis“ oder „Der Hashtag #quarterlifecrisis beschreibt mein Denken und meine Situation gerade sehr gut.“ lassen eine düstere Stimmungslage vermuten und sind nur ein Auszug der unzähligen Tweets zum Thema. Drei junge Menschen, die sich ebenfalls mit dem Hashtag #quarterlifecrisis zu Wort gemeldet haben, haben sich dazu bereit erklärt, über das Thema „Quarterlife Crisis“ zu sprechen: Thu Trang Eva (22) studiert „Zeitbasierte und Interaktive Medien“ an der Kunstuniversität Linz, Pia (28) hat kürzlich am Institut für Publizistik der Universität Mainz ihr Studium abgeschlossen und Roland (28) arbeitet als Assistenzarzt in der Notfallmedizin in Marburg.

Woran die drei erkannt haben, dass sie in einer Quarterlife Crisis stecken? „Ich habe vor allem gemerkt, dass mich das typische Generation Y-Gefühl, nämlich etwas ganz Besonderes aus meinem Leben machen zu müssen, plötzlich überfordert hat. Zudem hatte ich ständig Zweifel, welchen Weg ich denn nun einschlagen soll“, erzählt Pia. Mit dem Gefühl, den falschen Weg eingeschlagen zu haben, kämpft Roland: „Meine Berufsentscheidung zweifel‘ ich stark an. Ich habe einfach das Gefühl, dass ist nicht das Richtige.“ Obwohl Thu Trang Eva genau weiß, dass sie das Richtige macht, machten sich insbesondere in den ersten zwei Semestern ihres Studiums Zweifel breit: „Ich hatte damals den Eindruck, dass meine StudienkollegInnen viel besser, erfolgreicher und kreativer sind als ich.“ Den Eindruck, dass FreudInnen und KollegInnen ein besseres und erfolgreicheres Leben führen, als man selbst es tut, gewinnen junge Menschen auch über Social Media. „Die Geschichte mit Facebook und der plötzlichen Vermutung, im Vergleich schlechter abzuschneiden als andere, kenne ich sehr gut. Zum Glück wurde mir schnell klar, dass das Meiste auf Facebook reine Selbstdarstellung und nur eine Seite der Medaille ist.“

IST-ZUSTAND VS. IDEAL-ZUSTAND. Mit Mitte Zwanzig, also am Ende ihres ersten Lebensviertels, überkommt viele junge Menschen das Bedürfnis, eine erste Lebensbilanz zu ziehen, ob das Leben auch den eigenen Erwartungen und Vorstellungen entspricht. In dieser Phase stellen sie oftmals ihre Lebensentwürfe in Frage oder gleichen den Ist-Zustand mit dem vor Jahren anvisierten Ideal-Zustand ab. Dabei sind es Fragen wie „Bin ich mit meinen Beziehungen, meinen Interessen und meinem Job zufrieden?“, „Was mache ich mit meinem Leben?“ und „Wo sehe ich mich in der Zukunft?“, die jungen Menschen schlaflose Nächte bereiten. Während der Lebensweg der Eltern und Großeltern oftmals eingeschränkt und vorgezeichnet war, ist die Generation Y - also jene Menschen die zwischen 1980 und 1999 geboren sind - die erste Generation, die im Bewusstsein aufgewachsen ist, dass sie ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gestalten können. Es ist die Freiheit, die zur Last wird und der Optionenüberschuss, der Entscheidungen erschwert. Die Freiheit wird vom permanenten Gefühl begleitet, dass man nicht alle Möglichkeiten, die einem offenstehen, gut genug nützen kann. Damit einhergehend entsteht auch oft der Eindruck, dass andere mehr aus ihren Möglichkeiten machen, als man selbst. Gleichzeitig machen anstehende Entscheidungen das Leben schwer, denn wer sich für etwas entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig auch immer gegen etwas. Hier bekommt die Redensart „Wer die Wahl hat, hat die Qual“ einmal mehr ihre vollständige Berechtigung. Was sich auf den ersten Blick nach einem Luxusproblem anhört, kann tatsächlich in einer handfesten Krise enden.

Populär wurde der Begriff „Quarterlife Crisis“ um die Jahrtausendwende, als die beiden amerikanischen Autorinnen Abby Wilner und Alexandra Robbins das Buch „Quarterlife Crisis: Die Sinnkrise der Mittzwanziger“ verfassten. Dazu interviewten die beiden rund 200 MittzwanzigerInnen, werteten die Ergebnisse ihrer Befragungen aus und fassten sie in ihrem Buch zusammen. In diesem beschreiben sie die Quarterlife Crisis als einen Übergang von der „akademischen Welt“ in die „echte Welt“, an dem junge Menschen unaufhörlich ihre eigenen Entscheidungen und ihre Zukunft hinterfragen.

ORIENTIERUNGSLOSIGKEIT. Anlässlich ihrer Master-Thesis an der Wirtschaftsuniversität Wien hat Rafaela Artner sich intensiv mit dem Thema „Quarterlife Crisis“ beschäftigt und anhand einer Online-Umfrage die Verbreitung dieser Krise erhoben. Insgesamt haben 2.640 AkademikerInnen zwischen 20 und 30 Jahren des deutschsprachigen Raumes an der Ende 2014 durchgeführten Online-Umfrage teilgenommen. Durch die Auswertung ist Rafaela Artner zu dem Ergebnis gekommen, dass knapp ein Viertel (23,4 Prozent) der Befragten mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Quarterlife Crisis leidet. Zwei interessante Fakten dazu: Laut den Ergebnissen sind Frauen, sozial Schwächere und Personen, die noch zu Hause wohnen, stärker betroffen als andere. Ein nennenswerter Zusammenhang zwischen dem Alter und dem akademischen Erfolg haben sich jedoch nicht nachweisen lassen - das heißt wohl, dass hochmotivierte KarrieristInnen von derselben Krise geplagt werden können wie LangzeitstudentInnen ohne große Karriereambitionen. Thomas Schneidhofer, mittlerweile Professor für Personal und Management an der Privatuniversität Schloss Seeburg, war Rafaela Artners Masterarbeitsbetreuer und weist darauf hin, dass in der Online-Umfrage lediglich die Selbsteinschätzung abgefragt wurde und es sich keineswegs um eine diagnostische Aussage handelt, dass rund ein Viertel der Befragten an einer Quarterlife Crisis leidet. „Wir können nicht sagen, dass wir definitiv wissen, dass die Befragten an einer Quarterlife Crisis leiden. Wir können nur sagen, dass ein sehr hoher Anteil der Befragten, nämlich insgesamt rund ein Viertel, angibt, unter der Quarterlife Crisis zu leiden“, so Schneidhofer.

Zusammengefasst sind es drei Symptome, die auf eine Quarterlife Crisis schließen lassen, erklärt Thomas Schneidhofer: „Das sind die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der momentanen Lebenssituation und zukünftigen Lebensplanung, die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der beruflichen Ziele und Berufswahl und die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Familiengründung und Karriereplanung.“ Diese drei Symptome lassen junge Menschen mit Mitte Zwanzig dann häufig in eine Krise schlittern. „Es geht um ein Gefühl der Perspektivenlosigkeit unter der gleichzeitigen Erfahrung, eigentlich schon recht viel gemacht und erreicht zu haben, aber nicht so ganz genau zu wissen, wie es weitergeht“, erklärt Schneidhofer.

KRISE ALS CHANCE. Warum die Quarterlife Crisis ein Phänomen der Generation Y ist, liegt laut Rafela Artner sowohl an der Überforderung mit der Vielzahl an Möglichkeiten, als auch am gestiegenen Konkurrenz- und Leistungsdruck. Die Erwartungshaltung der Generation Y sei wesentlich höher als die vorangegangener Generationen. Sie suche viel stärker nach dem Sinn des Lebens. Dazu kommt, dass sich junge Menschen heute viel stärker mit anderen vergleichen und dies heute im Vergleich zu früher auch sehr viel einfacher möglich ist. Die Vergleichsobjekte sind zum einen Menschen, die einem selbst aufgrund ihres bisherigen Werdegangs sehr ähnlich sind und andererseits auch Menschen, die aus anderen Gründen eine Vorbildfunktion ausüben. Social Media ermöglicht es, rasch und unkompliziert Einblick in das Leben dieser Menschen zu bekommen. Das kann dazu führen, dass man den Eindruck bekommt, dass alle anderen den besseren Job, die tollere Partnerschaft und grundsätzlich das erstrebenswertere Leben haben. „Durch diesen Vergleich kann natürlich der Eindruck entstehen, dass wir immer schlechter abschneiden, als die anderen. Und dabei haben wir gar nicht so wirklich im Kopf, dass das, was die über sich preisgeben, auch nur die positiven Dinge im Leben sind“, erklärt Schneidhofer.

Wissenschaftlich abgesicherte Methoden, um wieder aus einer Quarterlife Crisis herauszufinden, gibt es bisher noch keine. „Es lässt sich aber vermuten, dass es mit dem Eintritt ins Berufsleben und mit der Absicherung der beruflichen Perspektiven zu einer Besserung kommen müsste“, schließt Schneidhofer. Ein Patentrezept, um wieder aus der Krise herauszufinden, haben auch Thu Trang Eva, Pia und Roland nicht. Während Roland dabei ist, sich alternative Berufsmöglichkeiten zu erarbeiten, versucht Thu Trang Eva, sich nicht immer selbst so unter Druck zu setzen und einfach einmal zu schauen, wohin der Weg sie führt. Und Pia hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mehr auf sich selbst und weniger auf die anderen zu fokussieren. Und bis es soweit ist, zahlt es sich in jedem Fall aus, die Chancen, die sich aus dieser Krise ergeben, zu ergreifen. Zum Beispiel die Chance, dass eine Bestandsaufnahme des bisherigen Lebens nicht nur sinnvoll, sondern auch reinigend sein kann. Und eine solche Bestandsaufnahme macht man meist eben nur dann, wenn es nicht so rund läuft.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

Schlaflos

  • 24.06.2015, 17:12

Nur zwei Stunden Schlaf am Tag? Das polyphasische Schlafmodell, ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, soll das ermöglichen. progress sprach mit dem Schlafberater Georg Mühlenkamp.

Nur zwei Stunden Schlaf am Tag? Das polyphasische Schlafmodell, ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, soll das ermöglichen. progress sprach mit dem Schlafberater Georg Mühlenkamp.

Zeit, die wir mit Schlafen verbringen, ist Zeit, die uns tagsüber oft fehlt. Doch ist Schlaf tatsächlich verlorene Zeit, die wir sinnvoller nützen könnten? Gerade in der Prüfungs- und Abgabenzeit am Ende des Semesters tauschen viele Studierende Studienerfolg  gegen Schlaf,  wie einige US-Studien zeigen. Das polyphasische Schlafmodell kann helfen, das eigene Schlafpensum zu reduzieren. Dabei handelt es sich um einen künstlich umgestellten Schlafrhythmus, bei dem, im Gegensatz zum monophasischen Schlafmodell, statt über einen längeren Zeitraum in der Nacht mehrmals täglich für kürzere Zeit geschlafen wird.

progress: Eine Studie der Universität Cambridge besagt, dass zu viel Schlaf genauso ungesund ist wie zu wenig Schlaf – wie viel Stunden Schlaf benötigen wir wirklich?
Georg Mühlenkamp: Jeder Mensch hat ein individuelles Schlafmuster, das zum Teil vererbt wird und zum Teil antrainiert ist. Es gibt Menschen, denen reichen täglich fünf Stunden Schlaf,  um ihre Leistungsfähigkeit zu regenerieren. Andere wiederum benötigen zehn Stunden Schlaf. Der statistische Mittelwert liegt bei sieben Stunden.  Versuche  von SchlafforscherInnen  in  sogenannten Bunkern - ProbandInnen haben keine Uhr, kein natürliches Licht, keinen Kontakt zur Außenwelt - zeigten, dass die Menschen anfangs zehn Stunden durchschliefen und dabei ihr Schlafdefizit aufholten. Danach schliefen sie circa acht Stunden am Stück.

Polyphasisches Schlafen bedeutet im Gegensatz zum monophasischen Schlafen,  dass man mehrmals kurz am Tag schläft. Welche physischen und psychischen Beeinträchtigungen kann das mit sich bringen?
Eine Änderung des Schlafrhythmus ist mit den Auswirkungen eines Jetlags oder einer Zeitumstellung vergleichbar. Dazu zählen zum Beispiel Appetitlosigkeit, Depressionen, Konzentrationsschwächen, Stimmungsschwankungen und Unwohlsein.

Ist Leistungsfähigkeit ohne ausreichenden Schlaf überhaupt möglich?
Wir alle wissen, wie es uns nach einer schlaflosen Nacht geht. Unsere Leistungsfähigkeit hängt zum überwältigenden Teil von unserem Schlaf ab. Ein Beispiel: SpitzensportlerInnen können nur dann Topleistungen vollbringen, wenn sie vor Wettkämpfen ausreichend schlafen. Daher ist Doping mit Schlafmitteln im Spitzensport weit verbreitet.

Bei einer Umstellung des Schlafrhythmus auf polyphasisches Schlafen leidet der Körper besonders in den ersten Wochen unter Schlafentzug. Welche Folgen hat Schlafentzug über einen längeren Zeitraum?
Der Schlaf dient der geistigen, psychischen und physischen Regeneration. Unser Immunsystem regeneriert sich während des Schlafs und auch der größte Teil der Zellerneuerung geschieht im Schlaf. Unser Gedächtnis sortiert jede Nacht Wichtiges und Unwichtiges. Schlafentzug birgt schwere gesundheitliche Risiken und ist das weltweit am häufigsten eingesetzte Foltermittel. 

Wenn wir acht Stunden am Stück schlafen, stellen sich auf die Nacht verteilt in etwa zwei Stunden Tiefschlafzeit –  also  die  für die  Erholung wichtigen REM-Phasen – ein. Beim polyphasischen Schlafen wird das Gehirn mehrmals am Tag dazu gebracht, beim Einschlafen direkt in diese REM-Phasen zu gleiten und danach gleich wieder aufzuwachen. Was ist daran so verlockend?

Fälschlicherweise halten viele Menschen die Schlafzeit für verlorene Zeit und möchten daher ihr Schlafpensum reduzieren. Internet und Fernsehen haben  unsere Gesellschaft in eine 24-Stunden-Gesellschaft verwandelt. Wer schläft, hat Angst etwas zu verpassen.

Polyphasisches Schlafen kann nach unterschiedlichen Mustern praktiziert werden – die extremste Variante ist das „Uberman“-Schlafmuster. Konkret bedeutet das  sechs Mal 20 Minuten Schlaf und 22 Stunden Wachzeit täglich. Kann sich ein solches Schlafmuster bewähren?

Wenn es tatsächlich gelingt, sich während dieser insgesamt zwei Stunden Schlaf durchgehend in den REM-Phasen zu befinden, dann ja. Gelingt das nicht, ist es mit diesem Schlafmuster ähnlich wie mit Energiedrinks und Kaffee: Sie versetzen einen in ein künstliches Wachsein. Hier verwechselt man Unruhe sehr schnell mit Lebensenergie.

Gibt es eine gesunde und effektive Technik, das eigene Schlafpensum zu reduzieren?
Definitiv nicht. Wir sollten unser Schlafpensum auch nicht  reduzieren und unseren Schlaf nicht als Zeitverschwendung betrachten. Unsere Gesundheit, unser Sozialverhalten und unsere Leistungsfähigkeit hängen vom gesunden und erholsamen Schlaf ab.

In zahlreichen Blogs, Online-Foren und Büchern berichten  Menschen über ihre Erfahrungen mit dem polyphasischen Schlafmodell. Ist polyphasisches Schlafen ein Trend?
Ich würde es nicht als Trend bezeichnen, aber als einen begrüßenswerten Schritt in die Richtung, sich mit seinem oder ihrem Schlaf zu beschäftigen. Was gegen einen Trend spricht, ist die Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit durch den Arbeitsrhythmus in ein zeitliches Schema zur Regeneration gezwungen wird.

Viele kommen in ihren Selbstversuchen zum Schluss, dass das polyphasische Schlafmodell langfristig gesehen nicht sehr erholsam ist. Warum wird der Versuch des polyphasischen Schlafens dennoch praktiziert?

Wir leben in einer Zeit, in der Menschen das Interesse am Schlaf wiederentdecken und sich mit ihrem eigenen Schlafverhalten auseinandersetzen wollen. Wegen der Sachzwänge wie Arbeit oder Studium bleibt es in der Regel  aber beim Versuch.


Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOAN- NEUM in Graz.

Mozart, Schnitzel, Haider

  • 11.05.2015, 08:00

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche.

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche. 

progress: Sie sind gebürtige Belgierin und kamen um 2000 nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt konnten Sie den Wahlerfolg der FPÖ unter Jörg Haider und die anschließende ÖVP-FPÖ-Koalition miterleben. Welchen Eindruck hatten Sie von Österreich?
Nathalie Borgers: Bevor ich nach Österreich gekommen war, hatte ich fünf Jahre in Amerika gelebt. Der Wechsel vom liberalen San Francisco zum konservativen Wien war für mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich habe mich damals erkundigt und erfahren, dass Österreich seine politische Vergangenheit nie aufgearbeitet hat. Und dann kommt so ein charismatischer Politiker wie Jörg Haider daher. Da hat man schon ein bisschen Angst.

Wie kommt es, dass einem verstorbenen Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes weit über die Landesgrenzen hinaus eine derartige Popularität zuteil wird?
Jörg Haider war seit der Mozartkugel die einzige Neuigkeit aus Österreich. Österreich ist ein Land, das sich über seine Vergangenheit verkauft. Und natürlich ist er wegen seiner unfassbaren Aussagen über das Dritte Reich international bekannt geworden.

13 Jahre nach Ihrem Österreichaufenthalt kehrten Sie zurück, um eine Doku aus einer Außenperspektive zu machen. Sie erwähnen, dass Sie Haider nie persönlich begegnen wollten. Warum?
Ein Porträt von Jörg Haider wäre schon im Jahr 2000 möglich gewesen, weil er gerade an die Macht gekommen war. Ich weiß nicht, ob ich mich damals wirklich distanzieren hätte können. Jörg Haider war eine energiegeladene, verführerische Persönlichkeit, der ich mich nicht annähern hätte wollen.

Mit wenigen Ausnahmen sind es vor allem Familienmitglieder, WegbegleiterInnen und VerehrerInnen, die im Film zu Wort kommen. War es schwer, auch kritische Stimmen zu finden?
Das war eine bewusste Entscheidung. Kritische Menschen, mit denen ich reden hätte können, hätte ich genug gefunden. Es gab aber natürlich auch Menschen, die das nicht wollten. Das waren aber keine KritikerInnen, sondern Opfer. Also Menschen, die von Jörg Haider in Zeitungen verleumdet worden waren und deren Ruf ruiniert wurde. Diese Menschen haben sich geweigert, mit mir zu sprechen. 

Jörg Haiders Eltern waren überzeugte Nazis – der Vater Mitglied in der NSDAP, die Mutter Führerin im Bund Deutscher Mädl. Welchen Einfluss hatte die Gesinnung seiner Eltern auf seine Persönlichkeit und seinen politischen Werdegang?
Seine Eltern fühlten sich nach dem Krieg ungerecht behandelt, weil sie das Entnazifizierungsprogramm durchmachen mussten. Und ich glaube, dass sie ihm dieses Gefühl von Ungerechtigkeit mitgegeben haben. Diesbezüglich hat er seine Eltern immer verteidigt und sich für die Bekämpfung der vermeintlichen Ungerechtigkeit eingesetzt.

Politisches erfährt man von den ProtagonistInnen wenig, Persönliches viel. Ich weiß jetzt, dass Haider seinen Apfelstrudel ohne Rosinen bevorzugte. Was konnten Sie über den Politiker Jörg Haider in Erfahrung bringen?
Sein Plan war: weniger Staat, mehr Platz für ihn selbst. Natürlich bräuchte der Staat dringend Reformen, aber Gewerkschaften und Kammern abzuschaffen, wie Haiders FPÖ das wollte, ist nicht der richtige Weg. Denn wer Stück für Stück den Staat abschaffen möchte, schafft auch die Demokratie ab. 

Ihre Recherchearbeit führte Sie auch in die Festzelte der Freiheitlichen. Auf einem Ulrichsberg-Treffen haben Sie sich ein wenig gefürchtet. Warum?
Ich habe sehr schnell bemerkt, dass auf solchen Treffen keine Menschen willkommen sind, die nicht dieselben Gedanken teilen. Das sind Menschen, die an etwas glauben, das ich für gefährlich halte. Dort herrschte eine feindliche Stimmung, die mich in Furcht versetzte.

Stefan Petzner nennen Sie den „Pressesprecher, der mit mir nicht spricht“. Aus welchen Gründen wollte er an einem Film über seinen selbst ernannten „Lebensmenschen“ nicht mitwirken?
Stefan Petzner ist nicht sehr medienscheu, darum war ich sehr überrascht, dass er mit mir nicht sprechen wollte. Ich glaube, er konnte mich und mein Filmprojekt einfach nicht richtig einordnen.

Sie haben auch das mittlerweile geschlossene Asylheim auf der Kärntner Saualm besucht – eine von jeglicher Infrastruktur abgeschottete „Sonderanstalt“ für AsylwerberInnen, die als „zu gefährlich für die Gesellschaft“ eingestuft wurden. Wie war es vor Ort?
Der Ort selbst ist wunderschön. Aber was nutzt einem eine schöne Landschaft, wenn man komplett abgekapselt ist? Die Hausbetreiberin hat mich durch das Heim geführt. Bei vielen ihrer Aussagen hatte ich Gänsehaut. Zum Beispiel meinte sie, dass man problematische Menschen entfernen müsse. Als Betreiberin dieses Hauses hat sie für die Unterbringung der AsylantInnen Geld bekommen und agierte möglichst kostensparend, indem sie nur verdorbenes Essen und kalte Duschen anbot.

In Ihrem Film haben Sie sich darauf konzentriert, das Leben von Jörg Haider nachzuzeichnen. Es heißt, zum Leben gehört auch immer der Tod. Die genauen Umstände seines Todes haben Sie aber nicht thematisiert. War das eine bewusste Entscheidung?
Wenn Sie mit dieser Frage auf die Verschwörungstheorien anspielen, muss ich sagen, dass das für mich nicht so interessant ist. Es betrifft nur einen kleinen Teil der Menschen, die wirklich an diese Verschwörungstheorien glauben. Ich glaube, er war einfach alkoholisiert und deswegen ist er mit seinem Auto ausgerutscht.

Am rechten Rand ausgerutscht, wie Sie in Ihrem Film kommentieren.
Genau.

Obwohl Jörg Haider das Bundesland Kärnten mit der Hypo Alpe Adria und den damit verbundenen Haftungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Ruin getrieben hat, wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Der Unfallort in Lambichl ist Trauer- und Pilgerstätte.
Sehr vielen Menschen ist das alles einfach nicht bewusst. Die KärntnerInnen haben von ihm in einer Aktion einmal 100 Euro bekommen und nicht bemerkt, wie diese 100 Euro graduell wieder in Form von Steuern und Abgaben von ihrem Konto weggegangen sind. Sie müssten sich wirklich fragen, warum sie auf solche Sachen hereinfallen, aber das tun sie nicht.

Mit Jörg Haider stand Europa am Anfang eines Rechtspopulismus, der mittlerweile in vielen eu- ropäischen Ländern salonfähig geworden ist. Warum verfallen Menschen solchen PolitikerInnen?
Immer, wenn in der Gesellschaft große Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen System herrscht, kommt ein neuer Typ, der den Menschen erzählt, dass er alles retten wird. Und daran wollen die Menschen glauben. Ich denke, das ist ein sich wiederholender Zyklus.

Der Titel Ihres Filmes lautet „Fang den Haider“. Ist es Ihnen gelungen, Jörg Haider einzufangen?
Der Titel spielt darauf an, dass es gar nicht so einfach ist, ein Chamäleon wie Jörg Haider wirklich zu fangen. Ich denke, mir ist es gelungen, etwas vom System, aber nicht den Typ Jörg Haider einzufangen.

„Fang den Haider“
Regie: Nathalie Borgers
90 Minuten
ab 29. Mai im Kino

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz. 

 

Keine Studienbeihilfe für FH-Studis?

  • 25.03.2015, 18:08

Personen, die sich in einem Vorbereitungslehrgang auf eine Studienberechtigungsprüfung befinden, haben Anspruch auf Studienbeihilfe – alle, bis auf zukünftige FH-Studierende. Nun wurde eine neue Verordnung erlassen.

Personen, die sich in einem Vorbereitungslehrgang auf eine Studienberechtigungsprüfung befinden, haben Anspruch auf Studienbeihilfe – alle, bis auf zukünftige FH-Studierende. Nun wurde eine neue Verordnung erlassen.

Studieren ohne Matura? Sobald die Studienberechtigungsprüfung erfolgreich absolviert wurde, ist das kein Problem. Ob an einer Universität, Pädagogischen Hochschule oder Fachhochschule: Im Vorfeld müssen zur Vorbereitung auf die Studienberechtigungsprüfung ein- bis zweisemestrige Vorbereitungslehrgänge besucht werden. Nach Studienförderungsrecht haben neben ordentlichen Studierenden auch Personen, die sich auf eine Studienberechtigungsprüfung vorbereiten, Anspruch auf Studienbeihilfe. Für die Zuerkennung müssen bestimmte Vorraussetzungen – wie etwa finanzielle Förderungswürdigkeit – erfüllt sein. Personen, die diese Voraussetzungen mitbringen, bekommen – je nachdem, wie viele Prüfungen sie ablegen müssen – ein bzw. zwei Semester Studienbeihilfe. Alle, bis auf jene, die sich auf eine Studienberechtigungsprüfung für ein Fachhochschulstudium vorbereiten. Um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen, wurde nun eine entsprechende Verordnung erlassen. Aber zuerst einmal alles von Anfang an.

KEINE GLEICHSTELLUNG. 2013 wandte sich ein Betroffener mit einer Beschwerde an die Volksanwaltschaft und brachte vor, dass er seit dem Wintersemester 2012/2013 einen zweisemestrigen Vorbereitungslehrgang für die Studienberechtigungsprüfung an einer Fachhochschule absolvierte. Ab Oktober 2013 plante er, an dieser Fachhochschule zu studieren. Für den Studiengang hatte er – unter der Voraussetzung der positiven Absolvierung der Studienberechtigungsprüfung – bereits eine Studienplatzzusage. Für die Zeit des Besuchs des Vorbereitungslehrganges hatte er einen Antrag auf Studienbeihilfe eingebracht, der von der Studienbeihilfenbehörde abgewiesen wurde. Grundlage für den negativen Beihilfenbescheid war die gültige Rechtslage: Nach dem Studienförderungsgesetz (StudFG) haben nur Personen, die sich auf eine Studienberechtigungsprüfung an einer Universität oder Pädagogischen Hochschule vorbereiten, Anspruch auf Studienbeihilfe, nicht aber jene, die dies auf einer Fachhochschule tun. Diesbezüglich fehlte eine Verordnung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMWF).

Aber das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen es zu Benachteiligungen von FH-Studierenden gegenüber Uni-Studierenden kommt (progress berichtete). „Das Problem liegt hier in der unterschiedlichen gesetzlichen Verankerung von Universitäten und Fachhochschulen. Die Vollziehung der Studienvorschriften im Rahmen der Hoheitsverwaltung muss endlich auch für die Fachhochschulen gelten. Rechtlich würde das heißen, das Fachhochschul-Studiengesetz um einen einzigen Satz auszuweiten. Das wird allerdings seit 20 Jahren blockiert“, so ÖH-Vorsitzende Viktoria Spielmann, die hier Versäumnisse ortet.

SCHIEFE LOGIK. Der Betroffene konnte nicht nachvollziehen, dass eine solche Verordnung bislang nicht erlassen wurde und sah darin eine grobe Ungleichbehandlung. Damit ist er nicht allein. Die 19-jährige Olivia Hawelka studiert Marketing und Kommunikationsmanagement und hatte im Vorjahr an der Fachhochschule Kufstein einen Vorbereitungslehrgang für die Studienberechtigungsprüfung an einer Fachhochschule besucht. Sie kann diese Ungleichbehandlung weder verstehen, noch nachvollziehen. Es sei „absurd, auf wie vielen verschiedenen Ebenen Studierende und zukünftige Studierende an Fachhochschulen benachteiligt werden“. Auch die Volksanwaltschaft hinterfragte die sachliche Begründung für diese fehlende Verordnung.

Daraufhin erklärte der damalige Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Karlheinz Töchterle, dass mit der Absolvierung eines Vorbereitungslehrganges an einer Fachhochschule noch keine automatische Zulassung zu einem Fachhochschulstudium verbunden sei. „Dem hielt die Volksanwaltschaft entgegen, dass es mittlerweile zahlreiche Studienrichtungen an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen gibt, bei denen nach Absolvierung der Studienberechtigungsprüfung ebenfalls erst noch Auswahl- und Eignungsverfahren durchlaufen werden müssen, um zum gewünschten Studium zugelassen zu werden“, so der zuständige Volksanwalt Peter Fichtenbauer.

Dieser kritisierte diese Vorgangsweise auch im Bericht an das Parlament 2014 und regt an, Personen, die einen Vorbereitungslehrgang für eine Studienberechtigungsprüfung an einer Fachhochschule besuchen, eine Studienbeihilfe unter den gleichen Bedingungen zu gewähren, wie anderen Personen, die sich auf eine Studienberechtigungsprüfung vorbereiten.

NEUE VERORDNUNG. Schlussendlich konnte das Bundesministerium überzeugt werden. Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Reinhold Mitterlehner bestätigte die „Absicht” die Kandidatinnen und Kandidaten der Studienberechtigungsprüfung an Fachhochschulen mit denen der Universitäten und Pädagogischen Hochschulen gleichzustellen. Die erforderliche Verordnung wurde auch mit Wirkung ab dem Studienjahr 2014/15 erlassen und damit sind die gleichen Bedingungen für alle gegeben. Olivia Hawelka hätte sich diese Verordnung schon früher gewünscht. Jetzt kann sie rückwirkend keinen Antrag mehr stellen. Anders sieht es für die 22-jährige Döndü Ersoy aus: Sie ist besonders erfreut über die neue Verordnung. Aufgrund des Vorbereitungslehrganges musste sie ihren Vollzeitjob auf Teilzeit reduzieren und verdient dadurch wesentlich weniger. „Nun kann ich es endlich angehen und auch einen Antrag auf Studienbeihilfe stellen“, sagt sie. „Wir begrüßen, dass nun alle Studierenden die Möglichkeit haben, in der Zeit der Prüfungsvorbereitung finanziell entlastet zu werden. Die Verordnung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, schließt Spielmann.

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

Teilst du schon oder besitzt du noch?

  • 23.03.2015, 20:46

Alternative Konsumformen wie das Teilen und Mieten von Gütern liegen im Trend. Rettet die „Shareconomy“ die Welt oder spült sie doch wieder Millionen in die Kassen von MonopolistInnen?

Alternative Konsumformen wie das Teilen und Mieten von Gütern liegen im Trend. Rettet die „Shareconomy“ die Welt oder spült sie doch wieder Millionen in die Kassen von MonopolistInnen? 

Annika ist Mitte 20, Akademikerin und lebt im urbanen Raum. Reisen organisiert sie über Onlineplattformen und Networking betreibt sie auf Facebook und LinkedIn. Mobilität und Nachhaltigkeit sind ihr ein Anliegen, gegenüber Materialismus und Konsumwahn ist sie kritisch eingestellt. Annika gibt es nicht wirklich. Aber sie ist – wenn es nach KonsumforscherInnen geht – die Idealkonsumentin der „Shareconomy“. Kurt Matzler, Professor an der Universität Innsbruck, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Shareconomy und bestätigt: „Der typische Konsument der Shareconomy ist nicht der sparsame, langweilige und wirtschaftlich unattraktive Kunde. Er ist jung, gebildet, postmodern und liebt einen abwechslungsreichen Lebensstil.“ Annikas Lebensstil steht stellvertretend für all jene, die kein Auto besitzen, aber dennoch manchmal damit übers Wochenende aufs Land fahren wollen; für jene, die sich kein teures Hotelzimmer leisten, sondern in einer privaten Unterkunft ein Land kennenlernen möchten; und für jene, die Werkzeuge lieber leihen statt sie teuer zu kaufen.

GRENZENLOSES TEILEN. „Ungefähr 80 Prozent aller Gegenstände, die wir besitzen, werden im Schnitt nur einmal im Monat verwendet“, so Matzler. Mit dem Gedanken, dass diese doch verliehen werden können, liebäugeln immer mehr Menschen. Eine Studie Matzlers zeigt, dass in Österreich in erster Linie Bücher, Filme und Sportartikel ver- und geliehen werden. „Auf der Hitliste sind weiters Utensilien für Partys und Feste, Werkzeuge und Gartengeräte“, ergänzt Matzler.

Die Wirtschaft des Teilens ist kein neues Phänomen, sondern hat sich lediglich durch die Digitalisierung verändert: Früher hat man sich von NachbarInnen den Rasenmäher oder die Milch geliehen. Die steigende Anonymität in Großstädten trägt ihren Teil dazu bei, dass diese Praxis heute zunehmend über den digitalen Weg abgewickelt wird. Der Begriff „Share Economy“ geht auf den Ökonomen Martin Weitzmann zurück; im deutschsprachigen Raum wird auch häufig von der „Wirtschaft des Teilens“ oder dem „KoKonsum“ – dem kollaborativen Konsum – gesprochen. Weitzmanns ursprünglicher Gedanke war es, dass sich der Wohlstand einer Gesellschaft erhöht, wenn alle MarktteilnehmerInnen mehr teilen. Dadurch soll eine neue Ära eingeläutet und das Zeitalter des Kapitalismus beendet werden. Ob Wohnungen, Transportmittel, Werkzeuge, Mode, Musik und Videos oder Lebensmittel – für alles gibt es eine eigene Onlineplattform, also eine App oder Website. Überall tauchen gerade Shareconomy-Startups auf. „Im Moment erleben wir einen großen Boom. Zahllose neue Plattformen entstehen, viele verschwinden nach kurzer Zeit aber wieder. Wahrscheinlich werden wir bald eine Phase der Ernüchterung sehen, in der es zu einer Konsolidierung kommt. Danach setzt sich dann der Trend auf solideren Beinen stehend fort“, ist Matzler überzeugt.

Auf dem Wohnungsmarkt ist Airbnb die mit Abstand populärste Onlineplattform. Das Unternehmen konnte bereits 17 Millionen Gäste in 190 Ländern und über 600.000 Unterkünfte vermitteln. Egal ob man eine Couch für eine Nacht oder ein Apartment für mehrere Wochen sucht – die Bandbreite des Angebots ist enorm. Oft sind zwar dem finanziellen Spielraum Grenzen gesetzt, der Fantasie dafür aber nicht. Wer bereit ist, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, kann auch auf einem Boot, in einer Villa oder einem Schloss residieren.

Was Airbnb für den Wohnungsmarkt ist, ist Uber am Transportmittelmarkt. Uber ist eine Onlineplattform, die Fahrgäste an private FahrerInnen mit Wagen über eine App vermittelt. Während der Fahrdienst im Jahr 2010 gerade einmal in drei Städten aktiv war, hat er sich mittlerweile in rund 170 Städten in 43 Ländern etabliert; seit dem Vorjahr gibt es ihn auch in Wien. Wer sich nicht chauffieren lassen möchte, hat eine weitere Möglichkeit: Carsharing. Das erfreut sich vor allem bei jungen GroßstädterInnen, die kein eigenes Auto besitzen, zunehmender Beliebtheit. Nach der Registrierung bei einem Angebot – etwa Car2Go oder Zipcar – haben KundInnen die Möglichkeit, via App oder auf einer Website ein Auto in ihrer Nähe zu suchen, es mittels KundInnenkarte zu öffnen, damit von A nach B zu fahren und es dann an einem beliebigen Parkplatz wieder abzustellen.

Es gibt kaum noch Güter, die weiter als ein paar Mausklicks entfernt sind. Wer bei IKEA erfolgreich eingekauft hat, kann über Apps wie (das mittlerweile stillgelegte) Why Own It oder usetwice.at herausfinden, wer in der Nähe beispielsweise über eine Bohrmaschine verfügt. Ähnlich funktioniert das System im Bereich der Mode. Auf der Onlineplattform kleiderkreisel.at kann Kleidung gekauft, verkauft und getauscht werden. Wer auf der Suche nach einem exklusiven Stück ist, kann sich auf pretalouer.de DesignerInnenkleidung leihen statt kaufen. Und wollte man früher einen ganz bestimmten Song hören oder Film sehen, musste man eine CD oder eine DVD besitzen. Heute kann auf Musikdienste wie Spotify, Napster oder Simfy oder Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime Instant Video oder Snap by Sky zurückgegriffen werden.

Illustration: Ulrike Krawagna

MEHR TEILEN, MEHR KONSUM. Bei diesen alternativen Konsumformen spielen praktische Aspekte wie Preis, Verfügbarkeit und Qualität eine große Rolle. Laut einer repräsentativen Umfrage der Leuphana Universität Lüneburg, ist Nachhaltigkeit für KonsumentInnen ein wichtiger Faktor. Die Verbindung von gemeinschaftlichem Konsum mit dem Umweltgedanken sind ein naheliegender, da durch Mitbenutzung der Besitz und somit auch die zusätzliche Produktion eines Gutes nicht mehr notwendig ist. Das Problem dabei ist: Insgesamt weniger konsumiert wird nur, wenn privater Konsum durch gemeinschaftliche Nutzung ersetzt wird. Was aber, wenn durch die Angebote der Shareconomy neue Konsumwünsche geschaffen werden? Dass dies der Fall ist, vermutet auch Brigitte Kratzwald, Sozialwissenschaftlerin und Vertreterin der Commons-Bewegung, die das Ziel verfolgt, vorhandene Ressourcen gemeinschaftlich zu nutzen: „Das Konsumdenken der Menschen entwickelt sich in der Shareconomy nur in eine andere Richtung. Sie erkennen, dass sie durch diese alternative Konsumform noch mehr haben können als bisher. Durch Carsharing können sie dann jede Woche mit einem anderen Auto fahren und auf der Kleiderbörse können sie sich jede Woche etwas Neues zum Anziehen ausleihen.“ Carsharing-Angebote werden in großen Städten auch oft anstelle von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis benutzt. Als Alternative zum privaten Auto oder Taxi nützt Carsharing der Umwelt – wird jedoch die Bahn dadurch ersetzt, ist der Effekt auf die Umwelt negativ. Trotz dieser Vorbehalte scheinen hier die positiven Effekte auf die Umwelt jedoch zu überwiegen, wie eine Studie des Wuppertal Instituts bilanziert: Durch die oft sehr kleinen Mietwagen ist der Schadstoffausstoß niedriger als bei den meisten privaten Autos.

Dass Besitz und Eigentum zunehmend an Bedeutung verlieren werden, vermutete der Ökonom Jeremy Rifkin bereits um die Jahrtausendwende. Damals prognostizierte er, dass das Internet die Bedürfnisse einer Gesellschaft verändern werde. Der Wohlstand der Menschen werde nicht mehr ausschließlich über die Summe der Besitztümer gemessen. Er prophezeite, dass „die Ära des Eigentums zu Ende geht und das Zeitalter des Zugangs beginnt“. Besonders für junge Menschen ist es heute tatsächlich nicht mehr in dem Maße erstrebenswert, ein eigenes Auto oder Haus zu besitzen, wie das noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Sowohl die Babyboomer-Generation als auch die sogenannte Generation X sind Generationen, die auf Statussymbole – wie etwa Auto, Boot und Haus mit Garten – Wert legen. Für die Generation Y haben materielle Privilegien keinen so hohen Stellenwert mehr – stattdessen zählen Freiheit, Flexibilität und Freizeit zu ihren wichtigsten Werten, wie einige Studien, etwa von Deloitte oder TNS, zeigen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Lebensrealitäten geändert haben. Heute leben Menschen nicht mehr von Geburt an am selben Ort und verbleiben bis zur Pension im selben Job. Wer häufig den Wohnort oder den Job wechselt, kann Besitz und Eigentum auch als Belastung empfinden. Auf die Annehmlichkeiten, die Besitz mit sich bringt, möchten viele Menschen dennoch nicht verzichten. Daher lautet ihr Credo: möglichst wenig Besitztümer anhäufen, die wir nicht ständig brauchen, und möglichst einfachen Zugriff auf Dinge, wenn wir sie brauchen.

Illustration: Ulrike Krawagna

RECHTLICHE GRAUZONEN. „Mein ist auch dein“ – so lautet die Kernbotschaft der Shareconomy. Das Prinzip wirkt auf den ersten Blick altruistisch, nachhaltig und sozial. BefürworterInnen sprechen von einem gemeinschaftsorientierten und ressourcenschonenden Lebensstil. Das scheint auch Matzlers Studie zu bestätigen: Er fand heraus, dass der Gemeinschaftsgedanke (75 Prozent), der Umweltgedanke (61 Prozent) und das Sparen (65 Prozent) zu den persönlichen Hauptmotiven für das Mieten, Leihen und Teilen zählen. KritikerInnen haben eine andere Sichtweise auf die Shareconomy: Die wenigsten AnhängerInnen seien daran interessiert, die Welt zu retten, und ein Ende der Konsumgesellschaft sei keineswegs in Sicht. „Ich sehe an der Shareconomy die Gefahr, dass noch mehr Dinge zur Ware und immer mehr Lebensbereiche über Geld geregelt werden. Früher habe ich ein freies Zimmer kostenlos aus Gastfreundschaft angeboten. Und heute vermiete ich es lieber auf Airbnb, um damit Geld zu verdienen“, so Brigitte Kratzwald. Vor allem aufgrund der Digitalisierung entwickeln sich zunehmend kommerzielle Formen des Teilens, die dem klassischen Kapitalismus Tür und Tor öffnen und in fast jeden Lebensbereich vordringen. Bei genauerem Hinsehen ist aus der Shareconomy ein Milliardengeschäft geworden: Mit einem geschätzten Wert von 10 Milliarden US-Dollar spielt Airbnb in der gleichen Liga wie große Hotel-Ketten.

Für die KonsumentInnen geht die billige und schnelle Verfügbarkeit von Konsumgütern außerdem oft mit dem Verlust von Sicherheiten einher. Traditionelle DienstleisterInnen haben Auflagen einzuhalten: Hotels müssen Notausgänge, Feuerlöscher und Stornomöglichkeiten haben, Taxiunternehmen müssen Technik- und Gesundheitsüberprüfungen über sich ergehen lassen. Diese Bedingungen fallen bei den Sharing-Angeboten größtenteils weg. Die Konsequenz sind weniger Kosten für die AnbieterInnen und geringere Sicherheitsstandards für die KonsumentInnen. Deshalb verfolgen KonsumentInnenschützerInnen wie Nina Tröger von der Arbeiterkammer Wien das Thema genau: „Prinzipiell gilt bei Angeboten von Privatpersonen zu Privatpersonen das Konsumentenschutzgesetz nicht – außer wenn ein Unternehmen zwischengeschalten ist, mit dem ein Vertrag eingegangen wird“, so Tröger. Auch wenn je nach Angebot unterschieden werden muss, gibt es bei Mitbenutzungen oft dieselben Probleme. „Wenn beispielsweise ein Schaden an dem geteilten Gut festgestellt wird – sei es Auto oder Zimmer –, kann es zu Streitigkeiten über Haftung und Schadenshöhe kommen.“ Diese Probleme dürften den meisten KonsumentInnen aber bewusst sein – in der Arbeiterkammer treffen diesbezüglich nur wenige Beschwerden ein.

Auch für AnbieterInnen gibt es zwei Seiten der Medaille. Wenn man sich einen Nebenverdienst erwirtschaften will, ist Uber mit flexiblen Arbeitszeiten und maximaler Selbstbestimmung eine gute Sache – denn FahrerInnen sind nicht angestellt, sondern selbständig. Bietet man seine Arbeitskraft auf einer dieser Plattformen an, bleibt man aber bei Leistungen wie Mindestlohn, Sozialversicherung oder Krankengeld auf der Strecke.

Illustration: Ulrike Krawagna

Während die Ambivalenz für die direkt involvierten Personen offensichtlich ist, ist dieses Geschäftsmodell für die Unternehmen zweifelsohne profitabel. Sie streichen alleine für die Vermittlung Provisionen und Gebühren ein, während die Risiken zum Großteil bei den AnbieterInnen und KonsumentInnen liegen. Auffällig ist, dass sich in den meisten erfolgreichen Sparten große AnbieterInnen einen großen Teil des Marktsegments sichern. Die werden dann zum Selbstläufer: Je mehr Menschen eine App oder Website nutzen, desto besser funktioniert das Angebot.

Diese boomenden Onlineplattformen sorgen aber auf Seiten der Konkurrenz und des Staates nicht gerade für Begeisterungsstürme. Vergangenes Jahr protestierten europäische TaxifahrerInnen gegen Uber, da sie ihren Berufsstand durch die unregulierten Angebote angegriffen sahen. Aber auch staatliche Institutionen reagierten zunächst mit einiger Härte. Das Finanzamt kann viel schwerer überwachen, ob Taxifahrten oder Wohnungen gewerbsmäßig vermittelt werden, da die neuen AnbieterInnen Privatpersonen sind. Einnahmen aus diesen Tätigkeiten müssten zwar versteuert werden, de facto stößt man hier aber an rechtliche Grauzonen und Grenzen der Kontrollierbarkeit. Steuereinbußen werden genauso befürchtet wie Schäden an etablierten Wirtschaftszweigen.

WHAT WOULD MARX DO? Die Zeitung Chronicle hat erhoben, dass in San Francisco zwei Drittel der Angebote auf Airbnb ganze Apartments oder Häuser sind. Das lässt erahnen, wie weit sich dieser Dienst mittlerweile von den Anfängen des Couchsurfens entfernt hat. Während bei Couchsurfing Gästezimmer kostenlos zur Verfügung gestellt wurden und die Interaktion und Vernetzung mit den GästInnen im Vordergrund stand, ist bei der Zimmervermietung der kommerzielle Trend mittlerweile ausschlaggebend – es geht ums Geldmachen durch optimale Nutzung von Wohnbereichen durch kurzfristige Vermietungen.

Der Anteil an langfristig vermieteten Wohnungen und Häusern ist mit drei Prozent zwar relativ gering, jedoch zeigt er ein Problem auf: Während in vielen Städten Mietpreisregulierungen gang und gäbe sind, um leistbares Wohnen sicherzustellen, können diese Regulierungsmaßnahmen durch langfristige Vermietungen über Internetportale wie Airbnb umgangen werden. Ob durch die zusätzliche Verknappung von Wohnraum durch kurzfristige Vermietungen die Mietpreise tatsächlich steigen, ist nicht geklärt – wissenschaftliche Studien dazu sind rar.

Jedenfalls steht die Shareconomy wohl nicht an der vordersten Front einer wirtschaftlichen Revolution. Obwohl viele Seiten von der aufkeimenden Wirtschaft des Teilens profitieren, ist sie tief eingebettet in eine kapitalistische Gesellschaft. Kommerzielle Platzhirsche schlagen Profit durch die Schaffung von neuen, unregulierten Märkten. Neue Bedürfnisse und Formen ihrer Befriedigung werden geschaffen und bringen eine Heerschar prekarisierter Arbeitskräfte mit sich.

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und PR an der FH JOANNEUM Graz. 
Philipp Poyntner studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien.

 

Auszeit von der Außenwelt

  • 20.03.2015, 18:20

In seinem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ gibt Constantin Wulff Einblick in das Innenleben einer psychiatrischen Abteilung und das Seelenleben von jungen Menschen. Schauplatz: Tullner Landesklinikum. Abteilung: Kinder- und Jugendpsychiatrie.

In seinem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ gibt Constantin Wulff Einblick in das Innenleben einer psychiatrischen Abteilung und das Seelenleben von jungen Menschen. Schauplatz: Tullner Landesklinikum. Abteilung: Kinder- und Jugendpsychiatrie. 

„Ich heiße Leonie. Alle fragen, warum ich so seltsam bin. Keiner weiß eine vernünftige Erklärung. Dabei wäre ich gerne genauso wie die anderen.“ Junge PatientInnen mit unterschiedlichen Hintergründen, Krisensituationen und Schicksalen eint ein Wunsch: Sie wären gerne wie die anderen. „Die anderen“, das sind Gleichaltrige und FreundInnen in einer Welt, die sich außerhalb der Abteilung für Kinder und Jugendpsychiatrie des Landesklinikums Tulln weiterdreht. Leonie erzählt das im Rahmen einer Therapiesitzung, die sich nicht als solche inszeniert. Liegt die Diagnose einmal vor, wird schnell klar: Ein Patentrezept zur Behandlung gibt es nicht. Durch spielerische Gesprächssituationen, geschickte Kreativitätstechniken und musikalische Klangexperimente will das ärztliche Personal mehr über das Seelenleben junger PatientInnen in Erfahrung bringen. Diese sind von problematischen Vorgeschichten und traumatischen Erlebnissen gezeichnet. Angstzustände, Bulimie, Medikamentensucht, Schizophrenie und Suizidgedanken begleiten ihren Alltag.

PERSONALMANGEL ALS HERAUSFORDERUNG. Das ärztliche Personal selbst findet sich oft an den persönlichen Grenzen. Im Fokus steht ein Arbeitsalltag zwischen hingebungsvoller Aufopferung und zeitlichem Druck, der von ÄrztInnenmangel geprägt ist. „Es ist nicht mehr fünf vor, sondern zehn nach Zwölf“, ist das Resümee einer arbeitsinternen Besprechung, in die das Publikum als stille BeobachterIn mitgenommen wird. Neben mangelnden Ressourcen und bürokratischen Hürden werden auch dienstliche Grenzen debattiert. Etwa, wie es gelingen kann, bei Verdacht auf (sexuellen) Missbrauch einzuschreiten. Oft sind dem ärztlichen Personal nämlich beim Bemerken von Verletzungen bei ihren PatientInnen die Hände gebunden. Eine problematische Schlüsselszene, deren Ergebnis letztendlich über die Zukunft von jungen Menschen entscheiden kann.

INNENANSICHT MIT AUSSENBLICK. „Wie die anderen“ spielt sich ausschließlich im Inneren des Tullner Landesklinikums ab – ohne dabei den Blick nach Außen zu verlieren. Die taktisch kluge Kameraführung macht es möglich, Blicke und Gesten in den Fokus zu rücken und Worte überflüssig zu machen. Beispielsweise wenn es darum geht, die Freude von PatientInnen über einen Fortschritt oder den Frust des ärztlichen Personals über Handlungsunfähigkeit einzufangen. Der Film führt das Publikum gänzlich ohne Kommentar, Musik und Wertungen durch die kühlen Gänge und Zimmer der Klinik. Das Tabuthema „Psychiatrie“ löst sich in zwischenmenschlichen Dialogen auf, die von sozialer Wärme und einem einfühlsamen Miteinander geprägt sind. Die letzten Szenen werfen nochmals besorgniserregende Fragen auf, deren Beantwortung dem Publikum überlassen wird.

„Wie die anderen“ 
Regie: Constantin Wulff
95 Minuten
ab 11. September 2015

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

FHs: Erlaubt ist, was nicht verboten ist

  • 23.10.2014, 01:23

Willkürliche Exmatrikulation, Verpflichtungen als kostenlose WerbeträgerInnen herzuhalten und Abtreten von Rechten: Fachhochschul-Studierende müssen Ausbildungsverträge mit teils fragwürdigen Klauseln unterschreiben und erleben eine massive Benachteiligung.

Willkürliche Exmatrikulation, Verpflichtungen als kostenlose WerbeträgerInnen herzuhalten und Abtreten von Rechten: Fachhochschul-Studierende müssen Ausbildungsverträge mit teils fragwürdigen Klauseln unterschreiben und erleben eine massive Benachteiligung.

Dieses Semester stehen 19.000 FH-StudienanfängerInnen 28.000 abgewiesenen BewerberInnen gegenüber. Auf jene, die die Hürden des Aufnahmeverfahrens erfolgreich absolviert haben, wartet an den ersten FH-Tagen eine Weitere: Zweifelhaft anmutende Ausbildungsverträge müssen unterschrieben werden.

Zum Beispiel sichert sich die FH Krems in ihrem Ausbildungsvertrag ab, dass keine Person , die sie vom Studium ausschließen will, ernsthaft dagegen berufen kann und schließt „die Anrufung der ordentlichen Gerichte ausdrücklich aus". Am Management Center Innsbruck nutzt man die Studierenden als kostenlose Werbeträger. Diese müssen unterschreiben, dass sie sich „zur aktiven Mitwirkung an Marketing- und Öffentlichkeitsarbeitsmaßnahmen" verpflichten. Und an der FH Campus Wien treten die Studierenden durch das Unterschreiben alle „Nutzungs- und Verwertungsrechte“ ihrer Abschlussarbeiten und anderer geistiger Schöpfungen in „zeitlich, örtlich und inhaltlich unbeschränkter und ausschließlicher Form" an die Fachhochschule ab.

An eben dieser Vertragsklausel der FH Campus Wien stößt sich der 23-jährige Johannes Burk. Vor wenigen Wochen begann er dort sein Masterstudium „IT-Security“. Als ihm der Ausbildungsvertrag ausgehändigt wurde, ist ihm schnell jene Klausel ins Auge gesprungen, durch die er alle Rechte an seinen Arbeiten für immer abtritt. Daraufhin wandte er sich an die Bundes-ÖH, welche ihn an den Verein für Konsumenteninformation (VKI) verwiesen hat. Das Ergebnis der Beratung beim VKI war ernüchternd: Er müsse das Risiko eingehen, sich der Klausel zu widersetzen und abwarten, ob die FH klagt. Dass sich die FH tatsächlich auf ihre Rechte berufen und klagen würde, glaubt er aber nicht. Was ihn vor allem stört, ist „der Fakt, dass ich mich dann strafbar mache, wenn ich beispielsweise eine eigene Geschäftsidee umsetze“. Da es für ihn keine Option war, den Studienplatz nicht anzunehmen, hat er den Vertrag letzten Endes unterschrieben. „Meine Konsequenz ist, dass ich sämtliche vielversprechende Projektideen komplett vom Studium fernhalte“, schließt Burk.

Privatrecht ermöglicht Willkür. Dass die Ausbildungsverträge kritisiert werden, habe man erst aus den Medien erfahren, heißt es aus den Büros der Hochschulleitungen. „Falls hier Bedenken bestehen, setzen wir uns gerne zusammen, besprechen das Problem und finden eine Lösung“, erklärt Ulrike Prommer, Geschäftsführerin der FH Krems. „Wir nehmen dies zum Anlass, die entsprechenden Klauseln kritisch zu beleuchten und wo es Bedarf gibt, Adaptierungen vorzunehmen“, verspricht Arthur Mettinger, Rektor der FH Campus Wien. Und den Bedarf gibt es auf jeden Fall, wenn es nach Tobias Kurtze, dem Vorsitzenden der ÖH FH Campus Wien geht. Er spricht sich für „die Überführung der Fachhochschulen in ein hoheitliches System und konkreten Regelung von Ausbildungsverträgen an Fachhochschulen“ aus. Zu einer gemeinsamen Stellungnahme bekennen sich Andreas Altmann, Rektor, und Michael Seidl, ÖH-Vorsitzender des MCI Management Center Innsbruck: „Im Rahmen der letzten Überarbeitungen des Ausbildungsvertrages war die Studierendenvertretung eingebunden. Die im Ausbildungsvertrag geregelte Zustimmung der Studierenden zur Mitwirkung an Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule ermöglicht ja auch Vorhaben, welche den Studierenden zugute kommen.“

Der Grund für solche Ausbildungsverträge: Zwischen Fachhochschulen und Studierenden gilt das Privatrecht. Das Wissenschaftsministerium gibt also keine studienrechtlichen Rahmenbedingungen vor, die für einheitliche Verhältnisse hinsichtlich der Rechte und Pflichten zwischen Fachhochschulen und Studierenden sorgen, wie es an Universitäten der Fall ist. Auch das Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) regelt viele dieser Rechte und Pflichten nicht, welche dann stattdessen in einem Ausbildungsvertrag festgehalten werden. Rechtsanwalt Ingo Riß (anwalt-riss.at) erklärt den Unterschied zwischen Privatrecht und Universitätsrecht so: „Das Privatrecht regelt allgemein die Handlungsspielräume von Menschen und Institutionen zueinander. Im Privatrecht ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Das Universitätsrecht dagegen gehört dem öffentlichen Recht an, das dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist. Hier heißt es: Verboten ist, was nicht erlaubt ist.“ Auch die Übertragung aller UrheberInnen oder Verwertungsreche findet er problematisch: „Das ist unzulässig. Im Rahmen der gesetzlichen Regeln besteht Handlungsfreiheit, die aber dennoch seine Grenze bei unsachlicher Willkür und rechtlicher Sittenwidrigkeit hat.“ Die Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung an Werbung oder Marketing beurteilt er ähnlich. Riß weiter: „Den Ausschluss des Rechtsweges oder extrem kurze Fristen für Beschwerden gegen Ausbildungsvertragskündigungen stufe ich als richtige Knebelungsklauseln ein.“

Sittenwidrig. So sieht auch die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) die Ausbildungsverträge, die die Studierenden an manchen Fachhochschulen vorgelegt bekommen. Doch nicht nur, dass Studierende vielleicht werbend „am Tag der offenen Tür ein Kapperl tragen müssen“, stößt Bernhard Lahner vom Vorsitzteam der Bundes-ÖH sauer auf. Immer mehr Studierende, sagt er, würden sich mit Beschwerden an die ÖH-Beratungsstelle wenden – und es seien echte „Härtefälle“ darunter. Unter diesen Härtefällen befindet sich auch ein FH-Student, der mittlerweile exmatrikuliert wurde. Besagter Student konnte seinen dritten und letzten Prüfungstermin für eine Lehrveranstaltung krankheitsbedingt nicht wahrnehmen. Ihm wurde eine negative Beurteilung eingetragen und er wurde gemäß FHStG nach drei negativen Ergebnissen exmatrikuliert. Sein Erklärungsversuch bei der Studiengangsleitung und beim Kollegium blieb erfolglos. Ihm bleibt nur noch der Weg vor das Zivilgericht. Eine solche Klagsführung bringt aber ein erhebliches Kostenrisiko mit sich. Weiters ist mit einer entsprechenden Dauer der Verfahren zu rechnen. Studierende an Universitäten sind hier besser gestellt, da nach dem Universitätsgesetz studienrechtliche Angelegenheiten in den Bereich der Hoheitsverwaltung fallen. Das heißt, die Universitäten haben über solche Streitigkeiten mittels Bescheid zu entscheiden. Gegen einen solchen Bescheid kann das Bundesverwaltungsgericht angerufen werden. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht besteht kein Prozesskostenrisiko für die Studierenden.

Volksanwaltschaft fordert Gleichstellung. Zur Lösung des Problems fordert die Bundes-ÖH einen FH-Gipfel, um gemeinsam mit der Fachhochschul-Konferenz und dem Wissenschaftsministerium das Studienrecht zu überarbeiten. „Es geht mir darum, dass alle Studierenden, egal wo und was sie studieren, die gleichen Rechte haben. Es ist absurd, dass FH-Studierende als Einzelpersonen gegen riesige Institutionen vor dem Zivilgericht klagen müssen und die Freundin oder der Freund auf der Uni eine Beschwerde schreibt und alles weitere sich dann von allein erledigt“, so Lahner. Die Bundes-ÖH befindet sich mit ihrer Forderung nach einer Angleichung der Fachhochschulen an das Universitätsrecht in guter Gesellschaft: Schon im Vorjahr hat die Volksanwaltschaft in ihrem Bericht die Schlechterstellung von FH-Studierenden angeprangert. In einer Stellungnahme fordert die Volksanwaltschaft, „Studierende an Fachhochschulen mit Studierenden an Universitäten gleichzustellen, indem im Fachhochschul-Studiengesetz geregelt wird, dass die Fachhochschulen bei der Vollziehung der Studienvorschriften im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig werden“.

Bildung als Produkt. Kurt Koleznik, Generalsekretär der Fachhochschul-Konferenz, hält wenig von der Idee, FH- und Uni-Studierende rechtlich gleichzustellen. Er ist der Meinung, „dass eine Überführung von Fachhochschulen in ein hoheitliches System dem Grundgedanken des Public-Private-Partnership Modells widerspricht“. Dadurch käme es zu einer Entdifferenzierung zwischen Fachhochschulen und Universitäten. Bei einem Auto- oder Hauskauf müsse doch auch ein Vertrag zwischen dem Käufer und dem Verkäufer abgeschlossen werden. In diesem Punkt scheiden sich die Geister zwischen der FHK und Bundes-ÖH. „Hier wird das Studieren an einer FH als Produkt und als Konsumieren von Bildung verstanden. Wir sehen ein Studium aber nicht als Erwerb eines Produktes und deswegen ist es ganz klar, dass es Veränderungen braucht“, entgegnet Lahner. Aus dem Wissenschaftsministerium heißt es, dass man „sowohl mit der Bundes-ÖH als auch mit der Fachhochschul-Konferenz in gutem Kontakt“ stehe und man sich „gerne als Vermittler“ anbiete.
 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

Mit Apps durch den Unialltag

  • 05.12.2015, 11:34

Für jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile mehr oder weniger hilfreiche Apps. Von Zeitmanagementtools, Kreativitätstechniken bis hin zum WG-Assistenten und Lernpausen-Begleiter. progress hat sich für euch durch den App-Dschungel gewühlt.

Für jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile mehr oder weniger hilfreiche Apps. Von Zeitmanagementtools, Kreativitätstechniken bis hin zum WG-Assistenten und Lernpausen-Begleiter. progress hat sich für euch durch den App-Dschungel gewühlt.

Längst haben Smartphones und Tablets einen festen Platz im Leben von StudentInnen. Obwohl in regelmäßigen Abständen die Frage diskutiert wird, inwieweit diese Geräte durch die permanente Erreichbarkeit und Kommunikation tatsächlich einen Mehrwert haben, bleibt eines unbestritten: Sie sind unglaublich praktisch – auch für StudentInnen. Insbesondere sind es die kleinen Helferlein – sogenannte Apps – die zur Organisation des Unialltags beitragen. Zahlen dazu, wie viele StudentInnen in Österreich tatsächlich gezielt Apps für diesen Zweck nutzen, gibt es noch keine. Wir geben dennoch einen Überblick zu den hilfreichsten Apps – denn für fast jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile eine oder sogar mehrere davon.

VORLESUNGEN: AUDIODATEIEN STATT MITSCHRIFTEN. Wer in einer Vorlesung zwar körperlich anwesend ist, gedanklich aber mit einem Cocktail am Strand sitzt, nimmt die Lehrveranstaltung am besten mit der App „Evernote“ auf, anstatt selbst Mitschriften zu erstellen. Um die Audiodateien später noch einmal wiederzufinden und anhören zu können, lassen sie sich ablegen, verschlagworten und mit anderen Dateien – etwa Vorlesungsskripten – verknüpfen. Die App ist eine echte Allrounderin, wenn es um die effektive Organisation von Arbeiten, Checklisten, Dateien, Notizen und Recherchen geht. Wer beim nochmaligen Anhören der Audiodateien das Gesprochene beschleunigen möchte, greift am besten auf die App „PodSpeed“ zurück, die es ermöglicht, Audiodateien in erhöhter Geschwindigkeit abzuspielen. Zukunftsmusik ist bis heute noch die Möglichkeit, Gesprochenes aufzuzeichnen und automatisch in ein Schriftstück umzuwandeln. Die App dafür gibt es zwar schon und sie nennt sich „Dragon Dictation“ – sie ist aber noch weit davon entfernt, ein schriftliches Skript einer mündlichen Vorlesung zu erstellen.


TERMINPLANUNG: AUF EINEN BLICK. Ein chaotischer Lehrveranstaltungsplan, anstehende Prüfungen und Abgabetermine? Die App „iStudiez“ hilft dabei, alle Lehrveranstaltungen auf einen Blick zu erfassen und erinnert an Prüfungen und Abgabetermine. Darüber hinaus kann die App Noten speichern und den aktuellen Notendurchschnitt errechnen. Einen ähnlich praktischen Kalender bietet auch die App „Studien-Kal“. Ein Vorteil ist, dass sich der eigene Kalender mit denen der StudienkollegInnen synchronisieren lässt. Wer den Überblick über die Noten nicht verlieren möchte, trägt sie einfach in ein Diagramm ein und lässt sich berechnen, welches Ergebnis für die nächste Prüfung notwendig wäre, um am Semesterende die Wunschnote zu erreichen. Die Android-Alternative zu „iStudiez“ und „Studien-Kal“ ist die App „Timetable“, die mit ähnlichen Funktionen aufwarten kann. Ein Pluspunkt der App sind die sogenannten Widgets in Form von Infokästchen, die auf den Desktop geheftet werden können und die wichtigsten Termine des Tages anzeigen.

  • iStudiez: nur für iOS verfügbar (gratis)
  • Studien-Kal: nur für iOS verfügbar (€ 1,99)
  • Timetable: nur für Android verfügbar (gratis)

IDEEN DIGITAL STRUKTURIEREN. Wer es liebt, seine Ideen statt auf Papier digital zu strukturieren und wieder umzustrukturieren, sollte auf das gute alte Mindmapping setzen. Die App „iThoughts“ ermöglicht es StudentInnen, sämtliche Ideen, aber auch komplexen Lehrstoff bildlich darzustellen. Die Maps können in alle gängigen Formate exportiert, direkt per E-Mail verschickt und auf sozialen Netzwerken geteilt werden. Zudem lassen sich Dateien aus anderen Programmen problemlos importieren. Um den Durchblick zu bewahren und den Überblick nicht zu verlieren, ist die App mit einem modernen Design und einer intuitiven Menüführung ausgestattet. Und auch mit der App „Mindjet“ können Ideen und Lehrstoff schnell und einfach in Maps inklusive Unterzweigen und Bildern erfasst werden. Ein bildhaftes Gedankengerüst aus Haupt- und Unterzweigen lässt sich zudem mit der App „SimpleMind“ erstellen. Neben der Möglichkeit Links einzubauen, lassen sich die Maps in alle gängigen Formate exportieren und mit der Dropbox verknüpfen.

  • iThoughts: nur für iOS verfügbar (€ 11,99)
  • Mindjet: iOS und Android (beide gratis)
  • SimpleMind: iOS (€ 5,99) und Android (€ 4,79)


SOZIALE KONTAKTE KNÜPFEN. Mit der App „Jodel“ erfahren StudentInnen durch anonyme Postings in ihrem Nachrichtenfeed zum einen, was gerade in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert, und können sich zum anderen durch die anonyme Chatfunktion mit anderen StudentInnen in ihrer Nähe austauschen. Die Kombination aus anonym und lokal erfreut sich besonders auf Unigeländen großer Beliebtheit, wenngleich die App in Österreich noch nicht wirklich Fuß gefasst hat. Sie eignet sich ideal dazu, persönliche Alltagserfahrungen sowie Bilder im Nachrichtenfeed zu teilen oder sich im Chat zum Mittagessen oder gemeinsamen Lernen mit anderen StudentInnen zu verabreden. Eine österreichische Alternative zu „Jodel“ ist die App „Unipocket“. Die App setzt ebenfalls auf Lokalität, aber nicht auf Anonymität. Ziel ist es, StudentInnen die Vernetzung mit ihrer unmittelbaren Umgebung zu vereinfachen, Freunde zu treffen, neue Kontakte zu schließen und StudentInnen in unirelevanten Angelegenheiten auf den neuesten Stand zu bringen. Vernetzung im noch kleineren Stil, nämlich ausschließlich mit den eigenen MitbewohnerInnen,ermöglicht die App „Flatastic“. Ziel der App ist es, die Kommunikation zwischen MitbewohnerInnen zu vereinfachen und das Zusammenleben zu organisieren. Ob Einkaufsliste, Pinnwand oder Putzplan – mit der App lassen sich diese in einer WG wichtigen Elemente nun digitalisieren und sind für alle MitbewohnerInnen jederzeit auf dem Smartphone oder Tablet einsehbar.

  • Jodel: iOS und Android (beide gratis)
  • UniPocket: iOS und Android (beide gratis)
  • Flatastic: iOS und Android (beide gratis)

ABSCHALTEN UND AUFLADEN. Ob Gruppenarbeit, Prüfungsvorbereitung oder Seminararbeit: Lernpausen sind das A und O. Es gibt viele Möglichkeiten, eine Lernpause zu verbringen und gefühlt auch genauso viele Apps. Die App „7 Min Workout“ bietet sich etwa für jene an, die zwischendurch kurze mentale Trainingseinheiten einlegen möchten, um ihre Aufnahmefähigkeit zu verbessern. Die App besteht aus 12 Übungen, die jeweils 30 Sekunden (mit zehn Sekunden Pause) in Anspruch nehmen. Audiodateien, Bilder und Videos erklären, wie die jeweilige Übung funktioniert und machen sie leicht verständlich. All jenen, die sich mit einer Mahlzeit stärken möchten, sei die App „Kochmeister“ ans Herz gelegt, die schmackhafte und preiswerte Rezepte versammelt. Hierbei handelt es sich um kein klassisches Kochbuch, sondern um eine umfassende Rezeptsammlung einer aktiven Community. Ob es nur ein kleiner Snack für den Hunger zwischendurch oder eine warme Mahlzeit für den großen Hunger sein soll – in der Rezeptsammlung findet sich bestimmt etwas Passendes. Und wer auf kurzweilige Spiele setzt, um den Kopf auszulüften, kann das durch das Werfen von Papierbällen in einen Papierkorb tun. Nein, ein Blatt Papier und ein Mistkübel sind dafür nicht notwendig – es reicht ein Smartphone oder Tablet und die App „Paper Toss“. Die digitalen Papierbällchen müssen dann nur noch in den virtuellen Mistkübel geworfen werden.

DREI WEITERE SCHMANKERL. Zum Abschluss stellen wir euch noch drei hilfreiche Apps vor, die keiner bestimmten Kategorie zugeordnet werden. Im heutigen Unialltag darf vor allem eine App zur Selbstorganisation, die alle wichtigen und weniger wichtigen sowie dringlichen und nicht ganz so dringlichen Aufgaben festhält, nicht fehlen. Mit der App „Wunderlist“ lassen sich alle Aufgaben inklusive Deadline organisieren – egal, ob es darum geht, Arbeiten oder Projekte fertigzustellen, einen Urlaub zu planen oder eine Einkaufsliste zu erstellen. Es gibt auch die Möglichkeit, besonders wichtige Aufgaben mit einem Stern zu markieren und sich an bevorstehende Aufgaben per E-Mail erinnern zu lassen. Eine Aufgabe könnte auch sein, ein Dokument einzuscannen – und bestimmt wart ihr dann schon einmal mit dieser Situation konfrontiert: Ihr möchtet ein Dokument einscannen, habt aber keinen Scanner zur Verfügung. Mit der App „Scanbot“ können Dokumente nun in guter Qualität eingescannt, in der Cloud abgespeichert oder per E-Mail verschickt werden – sowohl als JPG als auch als PDF. Weil es vor dem Abschluss einer Seminararbeit für viele der letzte und gleichzeitig auch mühsamste Schritt ist, ein Literaturverzeichnis zu erstellen, gibt es mittlerweile auch dafür eine App. „RefME“ übernimmt dabei den Großteil der Arbeit. Es müssen lediglich die Barcodes der Bücher, die für die Seminararbeit verwendet wurden, eingescannt oder alternativ die ISBN-Nummern eingegeben werden. Danach erstellt die App das Literaturverzeichnis und stellt euch die gängigsten Zitierstile zur Auswahl. Für diverse andere Quellentypen – wie etwa Webseiten oder Zeitungsartikel – ist die App ebenfalls gerüstet.

  • Wunderlist: iOS und Android (beide gratis)
  • Scanbot: iOS und Android (beide gratis)
  • RefME: iOS und Android (beide gratis)

DATENMEERE. Wer sich solche Apps zunutze macht, sollte in jedem Fall auch das Thema „Datensicherheit“ im Hinterkopf behalten. Denn aus Daten, die sich bei der Nutzung einer App zweifelsohne ansammeln, lassen sich umfassende Informationen zu unibezogenen Aktivitäten gewinnen. Die Kombination der erfassten Aktivitätsdaten (habe ich eine Vorlesung besucht oder eine Lernpause gemacht) mit den Metadaten (an welchem Ort und zu welcher Zeit) ergibt ein detailreiches Profil von StudentInnen. „Es ist oft nicht einmal wichtig, was ich genau mache, es ist wichtig, von wo und zu welchem Zeitpunkt ich es mache“, sagt der Wiener Datenschützer Georg Markus Kainz. Er engagiert sich bei „quintessenz“, einem Verein zur Wiederherstellung der BürgerInnenrechte im Informationszeitalter, und betrachtet diesen Trend besonders kritisch. Dass ein App-Anbieter von vornherein die Absicht hat, durch die Entwicklung einer App an Informationen von StudentInnen heranzukommen, glaubt er nicht. Doch sobald eine App am Markt erfolgreich ist, sei es nur logisch, dass der Geschäftsführer versucht, neue Geschäftsmodelle zu erschließen.

„Plötzlich stehen ihm eine Masse an Daten zu Verfügung. Diese Daten sind wie ein Rohdiamant. Natürlich beginnt man hier zu überlegen, wie man damit ein Zusatzgeschäft entwickeln könnte“, erklärt Kainz. Bildung ist ein Bereich, in dem Ökonomisierung auch in Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen soll, und darum geht es um eine bewusste Nutzung solcher Anwendungen. Denn auch laut einem Bericht der Hochschule St. Gallen sind Apps für StudentInnen ein Trend mit „voraussichtlich revolutionären Folgen“. Während sie heute lediglich als Organisationshilfen für den Unialltag dienen, könnten sie in Zukunft auch gezielt in Lehrveranstaltungen (z.B. für Terminabstimmungen) und zur Prüfungsvorbereitung (z.B. Multiple Choice) eingesetzt werden. Apps werden den Unialltag also verändern – wie weitreichend diese Veränderungen sind, weiß vielleicht bald schon eine App.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

Lampedusa: Endstation oder Neuanfang?

  • 07.05.2015, 22:29

Das Rauschen der Wellen, das Zwitschern der Vögel und das Ticken der Uhren – eine Geräuschkulisse, die nicht sofort erahnen lässt, auf welcher Insel das Publikum sich befindet. Das verrät nur der Filmtitel selbst: Lampedusa. Eine Insel, die von faszinierenden Landschaften und erschütternden Schicksalen gezeichnet ist. Jedoch ist „Lampedusa“, der bei der Diagonale seine Premiere feierte, kein Film über Grenzkontrollen, Kriegsflüchtlinge und Mittelmeersterben. Diese die Medien und Welt bewegenden Themen lässt Peter Schreiner, der für Drehbuch, Regie und Schnitt verantwortlich ist, nur ansatzweise in den Geschichten seiner ProtagonistInnen aufflammen. Vielmehr stellt er in seinem Film essentielle Fragen des Lebens. Es geht um Angst, Sinn und Tod.

„Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Es war nass. Mir war kalt. Drinnen und draußen“, erzählt Giulia, eine ältere Frau aus Norditalien. Sie hat als wohlhabende Touristin die Insel bereist und ist in der ersten Nacht ihres Aufenthaltes ausgeraubt worden. Heute ist sie von einer schweren Krankheit gezeichnet. „Es ist Krieg. Die Stadt ist zerstört. Niemand will dort bleiben“, erzählt ein junger Mann aus Somalia, dem die Flucht vor dem Bürgerkrieg gelungen ist. Heute ist er Filmemacher und Journalist in Rom. Und dann wäre da noch ein Bootsbauer aus Lampedusa, der gemeinsam mit seiner Frau die Touristin Giulia bei sich zu Hause aufgenommen und gepflegt hat. Diese drei Menschen, deren Lebensgeschichten unterschiedlicher nicht sein könnten, begegnen einander in Schreiners Erzählung aus Lampedusa. Sie sind zurückgekehrt, um ihre Geschichte zu erzählen, sie philosophieren über das Leben. Und fragen sich letztendlich: Was kann der Mensch alles ertragen, wie lange und warum?

VOM LEBEN GEZEICHNET. Die detailreichen Nahaufnahmen und tiefgründigen Monologe vermitteln in 130 Minuten das Gefühl, als würde die Zeit auf dieser Insel stillstehen. Dabei ergeben die schwarz-weißen Bilder der Kamera und die bunten Erzählungen der ProtagonistInnen eine Symbiose. Der Schnitt spiegelt die gesamte landschaftliche Schönheit der Insel – der Stacheldrahtzaun mahnend im Hintergrund – wider. Der Film kommt gänzlich ohne Musik aus und setzt stattdessen auf authentische Umweltgeräusche. Die Präsenz des Meeres zieht sich durch den gesamten Film hindurch und steht stellvertretend für die unendlichen Weiten der Möglichkeiten und unerfüllten Wünsche des Lebens. Die schwarz-weiße Kulisse ist unaufdringlich, genauso wie die Geschichten der ProtagonistInnen, die zu keinen Helden avancieren, sondern vom Leben gezeichnete Menschen sind. Die Frage, warum Peter Schreiner ausgerechnet die Insel Lampedusa als Schauplatz für seine Erzählung wählt – ohne darauf einzugehen, wofür sie in den letzten Jahren trauriges Wahrzeichen geworden ist – bleibt unbeantwortet. Vor diesem Hintergrund fällt es nicht leicht, die täglich durch die Medien kursierenden Bilder beiseite zu schieben und sich auf Schreiners Perspektivenwechsel einzulassen.

„Lampedusa“
Regie: Peter Schreiner
130 Minuten
Trailer

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.