Michael Poigner

Skandalisierung des Normalen

  • 30.09.2012, 22:00

Macht die jüngste „Welle“ an Coming-Outs von Musiker_innen aller Genres lediglich das voyeuristische Verlangen der Massen explizit,oder kann der Berichterstattung auch etwas Positives abgewonnen werden?

Macht die jüngste „Welle“ an Coming-Outs von Musiker_innen aller Genres lediglich das voyeuristische Verlangen der Massen explizit,oder kann der Berichterstattung auch etwas Positives abgewonnen werden?

Die besten Schlagzeilen, die Unterhaltungsmedien und Rezipient_innen gleichermaßen nähren, liefern wohl die kleinen und großen Skandale der Stars und Promis. Einblicke in deren Privatsphäre, in ihr „wirkliches“, „ungeschminktes“ Leben werden der Sensation wegen offengelegt. Und was bietet dafür besseren Stoff als die Sexualität der Stars? Im Vergleich mit der medialen Sprache der  70er-Jahre zeigt die aktuelle Berichterstattung über Coming- Outs in der Popwelt aber auch, dass heute von einer anderen Normalität ausgegangen wird.

Musik ist oft einnehmend und exzessiv und spricht gerade deshalb so viele Menschen an. Sie drängt quasi an die Öffentlichkeit. Popmusik erfüllt aufgrund dieser Eigenschaften seit jeher eine Scharnierfunktion, die Musik mit politischem Engagement, Aktionismus und Intervention verbindet. Musik ist Ausdrucksmittel und Ventil, sowohl für die Freuden des Lebens als auch für Leid, Trauer und Wut. Diese Wut bringt uns direkt in das New York der späten 1970er-Jahre – dem, wenn man so will, Entstehungsort des Punk. Weiße Mittelschicht-Kids fanden in einer schnelleren und raueren Spielweise des Rock 'n' Roll und dem körperbetonten Auftreten auf der Bühne ein provokatives Medium der Rebellion gegen die Generation ihrer Eltern und deren Vorstellungen vom richtigen Leben.

Provokation. Die Künstlerin und Sängerin Jayne County – früher unter dem Namen Wayne County als Protagonistin der New Yorker Punk-Szene der 70er-Jahre bekannt – betont in Interviews mit der Musikpresse stets den rebellischen und politischen Geist ihres Schaffens in dieser Zeit. County sieht sich in einer Pionierinnenrolle: „I was the first completely full-blown, in-your-face queen to stand up on a rock'n'roll stage and say 'I am what I am, I don't give a damn'“, so County in einem Interview mit dem Fanzine Punk Globe. Ein Blick auf den Pressespiegel ihrer Homepage zeigt die Empörung, die ihre Auftritte einst auslösten und die Angst derbürgerlichen Medien vor einer Person, die sich auf keine geschlechtliche Identität festlegen will und dies auch offen nach außen  trägt. Countys Musik wird als „Müll“ bezeichnet, der eher in den Abfalleimer gehört als auf eine Bühne. Mit ihrer provozierenden Message sollte Countys Kunst die homo- und transphoben Wertvorstellungen der Öffentlichkeit herausfordern. Sie flucht, schimpft und phantasiert.

Damit will sie vor allem vor den Kopf stoßen. Selbst beschreibt sie sich als „verrückt, vernünftig, ungeduldig“. Die Verschränkung von Kunst und politischem Aktivismus macht das eigene Leben zu einem großen Kunstwerk, so der avantgardistische Anspruch, den die Person County verkörpert. Sie selbst wurde zumRock'n'Roll-Star im Zirkus des Showbiz, zu einem  „Freak“, wie ein Artikel in The Province dazu verlautbarte: „Wayne hat seine Ausdrucksform im Rock gefunden, wo Freak Shows Teil des Normalen sind. Du hast eine Frau in einem Männerkörper, du zeigst es nach außen: Das ist Show-Business.“

Bands wie die New York Dolls, die mit ihrem crossdressing für Aufsehen sorgten, Auftritte von Iggy Pop & the Stooges, die regelmäßig im Exzess endeten, oder Patti Smith, die mit Krawatte und Sakko auf der Bühne stand und dafür bekannt wurde,konnten die Aufmerksamkeit nicht nur kommerziell nutzen. Sie alle prägten die Popwelt nachhaltig.

Privatisierung des Politischen? Wasdamals als anstößig und verpönt galt, ist heute in vielen Teilen der Popwelt bereits etabliertes Stilmittel. Von David Bowie, Prince über Madonna zu Lady Gaga – um nur einige der ganz Großen zu nennen – ist das Spiel mit Geschlechteridentitäten wichtiger Bestandteil künstlerischen Ausdrucks, begleitet von einem gar nicht so aufrührerischen Sound. Das scheint heute der Normalität zu entsprechen. Auch wenn von der Musikpresse, wie etwa dem Juice-Magazine, dem größten europäischen HipHop- Zine, das Coming-Out des R'n'B/Soul-Sängers Frank Ocean 2012 als Meilenstein bezeichnet wird. Ocean ist Mitglied des hocherfolgreichen, aber ob seiner homophoben, sexistischen und gewaltverharmlosenden Äußerungen umstrittenen Hip-Hop-Kollektivs Odd Future und gilt als das derzeit größtes Talent ineinem stark männlich geprägten, oft misogynen und homophoben Umfeld.

In eigener Sache. Auch das rege mediale Interesse am Coming-Out der Sängerin Laura Jane Grace von der Punkrockband Against Me!  galt, ähnlich wie bei Ocean, weniger der sexuellen bzw. der geschlechtlichen Identität als Teil eines künstlerischen und politischen Konzepts, sondern vielmehr der konkreten Lebensrealität von Grace als Person. Während Jayne County erst in den  jüngsten Interviews einige wenige persönliche Details verraten hat, liest sich die umfassende Reportage des Rolling Stone um Graces Coming-Out wie ein persönlicher Erlebnisbericht. Spielten sich die Interviews Countys in Clubs oder Kellerräumlichkeiten irgendwelcher Studios ab, so bittet Grace Rolling-Stone-Reporter Josh Eells zu sich nach Hause, in eine der „unpunkigsten Nachbarschaften, wie man sich vorstellen kann“, wie Eells schreibt. Diese Geste bezeichnet symptomatisch den Duktus aller Interviews und Artikel über Grace – seien sie von MTV oder dem Rolling Stone, sie vollziehen alle eine völlige Öffnung der privaten Sphäre gegenüber der Öffentlichkeit. Beim Dinner mit der Familie erzählt sie von der an ihr diagnostizierten gender dysphoria und ihren persönlichen Umgang damit. „Es war etwas sehr Verstecktes, mit dem sehr privat umgegangen wurde.”

Die erste Punk-Generation der New Yorker Szene wollte sich, im Unterschied dazu, gegen den Mainstream behaupten. Die Pioniersfunktion, von der County spricht, findet sich bei Grace nicht. Sie macht ihre transition nicht zum Gegenstand ihrer  Bühnenperformance, sondern will in erster Linie mit sich selbst ins Reine kommen. In einem Interview, das Grace für The Guardian gegeben hat, antwortet sie auf die Frage, warum sie eine derartige Strategie der völligen Offenlegung ihrer Privatsache wählte: „Es ist eine gewisse Art von Normalisierung, die man betreibt, wenn man damit so öffentlich umgeht.“

Nicht zuletzt scheint es einen pragmatischen Grund zu geben: „Wenn du so etwas wie das Rolling Stone hast, das du jemandem  geben und sagen kannst: ‚Wenn du danach noch Fragen hast, nur zu‘, ist das großartig. Besonders wenn man sonst eineinhalb Millionen Gespräche führen müsste.“ Laura Jane Grace begegnet der Öffentlichkeit anders als die_der frühe Punk. Provokation und  Exzess waren dereinst das laute Gebot der Stunde – nicht nur als politischer Stil, sondern durchaus auch als Marketing-Mittel. Pop-Musiker_innen heute wollen und können sich nicht mehr durch solche Provokationen abgrenzen. Die Normalisierung, von der Grace spricht, könnte als eine Form des politischen Kampfes gesehen werden. Kunstschaffende wie sie wollen heute gewöhnlich  sein. Und so zeigt sich auch deren Lebenswelt: normal, langweilig, gewöhnlich. Und das ist auch gut so.

Breiviks ideologische Wiege

  • 13.07.2012, 18:18

Der Pariser Jurist Bernhard Schmid widmete sich in seinem Buch dem komplexen Manifest Breiviks. Eine Rezension.

VERHARMLOSENDE DIAGNOSE. Anders B. Breivik, der im Sommer 2011 in Oslo und auf Utøya 77 Menschen ermordete, wurde zunächst paranoide Schizophrenie attestiert. Die Öffentlichkeit bediente sich vorschnell und umstritten der psychischen Krankheit als Erklärungsmuster. Der Pariser Autor und Journalist Bernhard Schmid zeigt in seinem neu erschienenen Buch „Distanzieren, Leugnen, Drohen“ auf, dass es sich bei Breivik nicht um das Werk eines vereinzelten Unzurechnungsfähigen handelt, sondern um eine bewusste politische Positionierung weit rechts.

„NEUE RECHTE“. Breivik nimmt durchwegs Bezug auf Rechts-Parteien und „antiislamistische“ Organisationen in Europa. Schmid erkennt eine generelle Bestrebung in der Rechten, sich von Antisemitismus und NS-Ideologie zu distanzieren, einige „ideologische Verrenkungen“ hinnehmend. Solche Verrenkungen zeigen sich zum Beispiel anhand widersprüchlicher Aussagen entsprechender PolitikerInnnen (u.a. Front National, Vlaams Belang, FPÖ). Bezugspunkt ist die - durchaus paranoide - Vorstellung einer organisierten „Islamisierung“ Europas durch Bevölkerungsaustausch, sowie einer Bedrohung der christlichen Werte und der abendländischen Kultur durch Multikulturalismus, Einwanderung und „Kulturmarxismus“.

NEUE VERBÜNDETE.

Breivik sieht sich als „pro-israelischen Konservativen“ und als Bewahrer des Abendlandes. Israel wird als „Vorposten“ westlicher Zivilisation und Verbündeter gegen „den Islam“ gedeutet. Positionen, die sich auch in rechten Parteiprogrammen finden. Schmids Buch bietet zwar keinen ideologiekritischen Tiefgang - ein Fazit gegen Ende des Buches wurde ausgespart -, dafür liefert die Lektüre eine gute Übersicht an Fakten zur „Neuen Rechten“.

Bernhard Schmid – Distanzieren, leugnen, drohen: Die europäische extreme Rechte nach Oslo, ed. Assemblage, 2011

Der Autor Michael Poigner studiert Philosophie an der Uni Wien.

Faschistisch und revolutionär

  • 13.07.2012, 18:18

Eine faschistische Kleingruppe in widersprüchlichem Gewand gewinnt immer mehr Einfluss in Italien.

Eine faschistische Kleingruppe in widersprüchlichem Gewand gewinnt immer mehr Einfluss in Italien.

Im Jahr 2003 besetzte eine Gruppe von NeofaschistInnen ein Gebäude in Rom, das sie nach dem Dichter Ezra Pound, einem Verfechter Mussolinis, Casa Pound (CP) nannten. Sie berufen sich auf den italienischen Bewegungsfaschismus der 1920er-Jahre, den sie zu modernisieren versuchen – mit beunruhigendem Erfolg: Das Haus beherbergt heute über 20 italienische Familien und die Casa Pound ist mit über 2.000 eingeschriebenen Mitgliedern bereits in 14 Städten in ganz Italien vertreten. Unterstützt wird sie von ihrem intellektuellen Arm, dem Blocco Studentesco.

Weder links noch rechts. Die Einteilung des politischen Spektrums in links und rechts betrachten die NeofaschistInnen als veraltet: Weder links noch rechts, sondern „faschistisch-revolutionär“ sei die CP. Die Dinge werden selbst in die Hand genommen, Parteien und Gewalt nach außen hin abgelehnt. Im Zentrum ihres Programmes steht die Einheit der italienischen Nation und der Erhalt der Kernfamilie.

Ewiggestriges in poppigem Gewand. Ordentlichkeit und das Verbot von Waffen und Drogen innerhalb der CP sollen ein seriöses Bild vermitteln. Der Öffentlichkeit präsentiert die Casa Pound ein breites kulturelles Angebot. Rechtsrockkonzerte gehören ebenso dazu wie ein Radiosender und Theaterstücke. Außerdem wird zu Flashmobs, Demos und klassischen NGO- und Charity-Tätigkeiten aufgerufen. Ihre Bildsprache bedient sich antisemitischer Sujets, die allerdings auch aufgrund ihrer weiten Verbreitung in linken Kreisen für viele nicht unmittelbar auf rechtes Gedankengut hinweisen. In den politischen Kampagnen der CP wird neben dem „Aussaugen“ Italiens durch „Mietwucher“, „Raffgier“ und das personifizierte Böse, verkörpert von ImmobilienspekulantInnen („Vampire“), auch alles angeprangert, was die italienische Kernfamilie bedroht (Homosexuelle, FeministInnen, illegalisiert lebende MigrantInnen). Mit diesen widersprüchlichen Positionen will sich die CP in die in Mode gekommenen Grassroots-Bewegungen eingereiht wissen.

So gewaltfrei und bürgerlich sich die CP nach außen hin auch geben mag, so sehr widersprechen die Fakten dieser Selbstdarstellung. Der studentische Zweig der CP, der Blocco Studentesco, schreckt nicht vor Gewalt zurück: 2011 wurde bei Studierendenprotesten in Rom ein Demonstrationszug linker SchülerInnen und StudentInnen angegriffen. Auch der Attentäter, der im Dezember 2011 in Florenz zwei senegalesische Händler auf offener Straße erschoss und drei weitere schwer verletzte, stand in enger Verbindung zur Casa Pound. Letztere versuchten in den Tagen nach dem Mord auf ihrer Homepage ihr angekratztes Image wieder herzustellen, indem sie jede Verbindung zum Täter leugneten und diesen als irren Einzeltäter hinstellten. Gleichzeitig wird der grausame Mord in einschlägigen Internetforen und Facebookgruppen als HeldInnentat dargestellt. Dass solche Strategien des Leugnens nach wie vor aufgehen, liegt weniger am Geschick einer Organisation wie der CP, als vielmehr an der Akzeptanz rechtsextremer Ideologien in weiten Teilen Europas.