Juliane Soyka

Gefordertes Desinteresse

  • 13.07.2012, 18:18

Die Wahlbeteiligung der letzten ÖH-Wahl lässt es vermuten, der mediale Diskurs bekräftigt es: Studierende haben heutzutage keine wirkliches Interesse mehr an politischer Partizipation. Jetzt gibt es auch noch Unterstützung aus der Wissenschaft.

Die Wahlbeteiligung der letzten ÖH-Wahl lässt es vermuten, der mediale Diskurs bekräftigt es: Studierende haben heutzutage keine wirkliches Interesse mehr an politischer Partizipation. Jetzt gibt es auch noch Unterstützung aus der Wissenschaft.

Beate Großegger vermutete es schon lange: Die Studierenden von heute seien weniger politisch als früher. Um ihre Vermutung zu untermauern, startete sie eine Studie, die den Politisierungsgrad junger Menschen herausfinden wollte. In persönlichen Gesprächen mit 16 bis 26 Jährigen kamen ihr Aussagen zu Ohr, die ihre Vermutung stützten.
Laut Studie geht es vorwiegend um das eigene Befinden, dass den Ausschlag für Denken, Fühlen und Handeln jeder einzelnen Person gibt. Politik wird als eine Art Dienstleistung verstanden, PolitikerInnen sind sozusagen Menschen, die ihren „Dienst“ an den Bürgerinnen und Bürgern leisten. Es geht darum, dass politisches Handeln individuellem Nutzen bringt. Solidarisches Handeln sei schön und gut, aber nur, wenn es dafür entsprechende Gegenleistungen gebe. Bezogen auf politische Forderungen gehe es jungen Menschen angeblich viel weniger um den jeweiligen politischen Inhalt als viel mehr um das Auftreten der einzelnen PolitikerInnen.
Heruntergebrochen auf die Studierendenebene zeigt sich ein ähnliches Bild. Alle zwei Jahre haben die aktuell rund 270.000 Studentinnen und Studenten (Stand: WS 2008/09; www.bmwf.gv.at) Österreichweit die Möglichkeit, ihre gesetzliche Studienvertretung, die ÖH, zu wählen.
Bei den letzten Wahlen im Sommersemester 2009 konnten auch die Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen erstmals ihre Stimme für eine gemeinsame Studierendenvertretung abgeben. Dabei haben von den circa 230.000 Wahlberechtigten gerade einmal 25,70% ihr Wahlrecht wahrgenommen. Seit einigen Jahren sinkt die Wahlbeteiligung bei den Studierendenvertretungswahlen konstant und auch die Beteiligung an außerhochschulischem Engagement geht zurück.

Kritische Avantgarde. Vor allem von Studierenden wird seit 1968 oft erwartet, dass sie die Menschen zu kritischem und reflexivem Denken anregen müssten. Sie sollten Gesellschaftliche Zusammenhänge hinterfragen und politische Gegebenheiten verändern – ja, verbessern wollen.
All zu tief sitzt die Erinnerung an die 68er-Bewegung, die westliche Studierendenbewegung schlechthin. Im Vergleich dazu enttäuschen die heutigen StudentInnen, politische Missstände an Hochschulen werden hingenommen, oder zumindest nicht so heftig wie früher bekämpft. Es wird immer schwerer, junge Menschen zur Beteiligung an Protestmärschen und Demonstrationszügen zu begeistern. Das eigene politische Gewicht wird nicht ernst genommen. „Das bringt doch eh nix“, ist oft zu hören, oder: „Das betrifft mich doch eh nicht, sollen sich die anderen dafür einsetzen“.
Altruistisches Handeln wird in den meisten Fällen als irrational und unnachvollziehbar abgetan. Dieses Überlegungen schockieren, vor allem die „alten 68erInnen“, die in Erinnerung an ihre Jugend den Duft der Revolution immer noch riechen können, oder zumindest wollen. Überlegungen, die kein gutes Licht auf die StudentInnen der Generation 2000 werfen.

Entmündigt. Doch bei all der Kritik an den unpolitischen Studierenden darf auch nicht vergessen werden, dass in den vergangenen Jahren sukzessive Möglichkeiten der studentischen Mitbestimmung abgeschafft wurden. Mit der Novelle des Universitätsgesetzes 2002 zum Beispiel wird der Senat, das wichtigste Entscheidungsgremium an der Universität, in dem sich auch StudierendenvertreterInnen (wenn auch nur in sehr geringer Zahl) einbringen können, weiter abgewertet. Auf den Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen zeigt sich ein ähnliches Bild. Solange die Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden an ihren Hochschulen und in der Gesellschaft im Allgemeinen weiterhin bewusst klein gehalten werden, ist politisches Interesse und politische Anteilnahme in vielen Bereichen für diese gar nicht möglich.
Wer also wieder politischere Studierende haben will, der müsste wieder entsprechende Möglichkeiten schaffen, in der Rahmen Politik gelebt werden kann.

Geballtes Interesse

  • 13.07.2012, 18:18

Studierende mussten sich in den letzten Jahren immer wieder den Vorwurf fehlenden politischen Interesses gefallen lassen. Dies wurde in den letzten Wochen eindeutig widerlegt und so leicht wird diese Kritik in Zukunft wohl nicht mehr von den Lippen gehen.

Studierende mussten sich in den letzten Jahren immer wieder den Vorwurf fehlenden politischen Interesses gefallen lassen. Dies wurde in den letzten Wochen eindeutig widerlegt und so leicht wird diese Kritik in Zukunft wohl nicht mehr von den Lippen gehen.

Gefordertes Desinteresse? In der letzten PROGRESS Ausgabe hat sich genau an dieser Stelle ein Artikel zur scheinbaren Entpolitisierung Studierender befunden. Dieser handelte von der geringen Wahlbeteiligung bei den letzten ÖH-Wahlen, vom fehlenden außerstudentischen Engagement und dem scheinbar nicht vorhandenen politischen Interesse junger Menschen. Der Artikel erschien genau zwei Tage vor einem Ereignis, welches wohl alle Spekulationen um fehlende studentische Begeisterungsfähigkeit zunichte gemacht hat, nämlich der größten Studierendenprotestbewegung der letzten 20 Jahre in Österreich. Über sechs Wochen ist es mittlerweile her, dass Studierende in praktisch allen Universitätsstädten Österreichs Hörsäle besetzt haben und immer noch besetzt halten. Zusammen mit Studierenden aller Hochschulen sowie der Unterstützung durch die MetallerInnengewerkschaft und die Gruppe Kindergartenaufstand gingen und gehen sie auf die Straßen, um ihr Recht auf freie Bildung unter entsprechenden Studienbedingungen kundzutun. Damit haben die letzten Wochen eindeutig belegt, dass es genügend junge Menschen gibt, die bereit sind für ihre Rechte einzutreten und wenn nötig diese auch entsprechend zu verteidigen.

Alles begann mit der Protestbewegung an der Akademie der Bildenden Künste Wien, die sich gegen die „Überstülpung“ des dreijährigen Bachelorstudiums mit vielen Aktionen und einer Besetzung wehrte. Diese kleine „Flamme“ brachte dann das Lauffeuer zum Brennen und binnen weniger Tage war auch das Audimax der Uni Wien vollständig besetzt. Seitdem wurden dort täglich bildungs- und gesellschaftspolitische Vorträge gehalten, Plena veranstaltet und eifrig diskutiert. Täglich trifft sich eine Unmenge an Arbeitsgruppen, die sich mit den verschiedensten politischen Inhalten, aber auch möglichen Freizeitaktivitäten beschäftigen. Nur durch die extrem gute und schnelle Organisation Einzelner und das solidarische Miteinander war der Aufbau dieser riesigen „Streikzentrale“ überhaupt möglich. Durch Spenden und finanzielle Unterstützung gibt es seit fünf Wochen eine Volxküche, die sich um das leibliche Wohl aller Protestierenden kümmert. Junge Menschen unterstützen sich gegenseitig, sind für einander da und treten gemeinsam für eine Sache ein – alles Eigenschaften die ihnen bis vor kurzem noch abgesprochen wurden.

Breiter Bildungsdiskurs. Diese Proteste zeigen ganz deutlich, dass junge Menschen sehr wohl an Politik und der Gesellschaft, in der sie leben, interessiert sind. Sie sind kritisch und kämpfen hartnäckig für ihre Forderungen. Ihr politischer Anspruch richtet sich nicht nur an „die Politik“, sondern auch die Gesamtgesellschaft wird aufgefordert, sich von Grund auf mit Fragen rund um die Bildungspolitik zu beschäftigen. Vorrangiges Ziel ist deshalb ein breit angelegter Diskurs an dem sich alle beteiligen können. Durch die Proteste wurde das Thema „höhere Bildung“ medial aufgearbeitet, was in weiterer Folge zu einem breiten gesellschaftlichen Diskurs führte. Eines der Hauptziele scheint erreicht.
Durch das Engagement und die Möglichkeit aller sich zu beteiligen, kann die Bewegung über einen langen Zeitraum bestehen. Diese Protestwelle kommt von den Studierenden selbst und wird nicht von Einzelpersonen oder Organisationen getragen. Damit ist bewiesen, dass viele junge Menschen mit der aktuellen politischen Situation nicht nur im bildungspolitischen Bereich, sonder gleich auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen unzufrieden sind. Sie wollen etwas bewegen, aufzeigen und verändern, mit Anteilnahme und Partizipation aller. Ein höchst politischer Umwälzungsprozess wurde gestartet!

 

 

Die Hälfte der Hochschulen – die Hälfte der Macht?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Liste der Problemfelder an den Hochschulen ist lang und länger. Manche werden dabei intensiv debattiert, andere, wie die Frage nach der Gleichstellung von Frauen an den Hochschulen, werden wiederum zum Nebenschauplatz erklärt.

Die Liste der Problemfelder an den Hochschulen ist lang und länger. Manche werden dabei intensiv debattiert, andere, wie die Frage nach der Gleichstellung von Frauen an den Hochschulen, werden wiederum zum Nebenschauplatz erklärt.

Die Hochschulen waren immer auch Spiegel aktueller Verhältnisse in der Gesellschaft. Durch ihre bewusste VorreiterInnenposition bilden und beeinflussen sie gesellschaftliche Diskurse und tragen als AkteurInnen zu Fortschritt oder Regress bei. Verschleiert werden dabei die Mechanismen, die darüber entscheiden, wer das Recht zur Artikulation im wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskurs erhält. Kommen ganze Gruppen hier nicht zur Geltung, wird deren Realität faktisch negiert. Exklusionsmechanismen kennen bekanntlich viele Attribute. Der öffentliche und mediale Diskurs hält sich dabei gern kleinlaut. Gerade Fragen der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männer werden somit zu einem beliebten Nebenwiderspruch. Wie steht es also um die Gleichberechtigung der Geschlechter an den Hochschulen?
Frauen wurden lange Zeit vom universitären Raum ausgeschlossen. Auf den österreichischen Universitäten wurden Frauen erstmals ab 1897 zu Studien an der philosophischen Fakultät zugelassen. Erst seit 1993 regelt das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz, dass Studentinnen keine Benachteiligung bei der Zulassung zum Studium oder während des Studierens erfahren dürfen. Die Zahl an Studentinnen hat seither durchaus einen rasanten Zuwachs erfahren. Im Durchschnitt machen Frauen mittlerweile 54,2 Prozent aller Studierenden an einer hochschulischen Einrichtung aus. Dies als ein Zeichen für die vermeintliche Gleichstellung an den Hochschulen zu werten wäre aber weit verfehlt. Zum einen variiert die Geschlechterverteilung von Studierenden je nach Fachgebiet stark. „Typisch“ weiblich besetzte Studienrichtungen sind immer noch Veterenärmedizin (in Wien bei ca. 82 Prozent Frauenanteil) oder die Geisteswissenschaften. Dagegen sind an der Montanuniversität Leoben und den beiden technischen Universitäten in Graz und Wien nur 25 Prozent weibliche Studierende inskribiert. Zum anderen muss ein umfassendes Bild, das den Status Quo der Geschlechter-Gleichberechtigung an den Unis umfassend abbilden will, auch jene Strukturen betrachten, in denen geforscht und entschieden wird: Den Rektoraten, Senaten und dem Kollegium der ProfesorInnenschaft.

Bewegung oder Stillstand? Auf den Ebenen von Lehre und Forschung sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Gemeinhin beschreibt die Metapher der gläsernen Decke diesen Umstand. Unter dieser wird verstanden, dass viele hochqualifizierte Frauen im unteren Bereich der Karriereleiter hängen bleiben und es nicht schaffen bis in die Führungsetagen vorzudringen. So führen die seit Jahrzehnten steigenden Studentinnen- und Absolventinnen-Zahlen bis heute nicht zu wesentlich mehr Assistentinnen auf den Unis. Das Verhältnis beträgt dort 40 Prozent Frauen zu 60 Prozent Männer. Noch drastischer bei den ProfessorInnen. Derzeit sind rund 16,85 Prozent aller ProfessorInnen in Österreich Frauen. Zudem ist die Zahl an Professorinnen, selbst in typisch weiblich konnotierten Bereichen, wie zum Beispiel an der Universität für angewandte Kunst mit nur ca. 23 Prozent oder der Veterinärmedizinischen Universität mit gar nur 10 Prozent, sehr gering. Diese Zahlen belegen, dass es auch in Fachgebieten, in denen eindeutig genug  Studentinnen vorhanden wären, um später auch Führungspositionen übernehmen zu können, Frauen in höheren Etagen die Ausnahme von der Regel sind. Je weiter es nach oben geht in der universitären Hierarchie, desto weniger Frauen sind zu finden. Unter den RektorInnen an öffentlichen Universitäten ist aktuell Sonja Hammerschmid an der Veterinärmedizinischen Universität Wien die einzige Rektorin.
Die Praxis des wissenschaftlichen Alltags begünstigt und fördert die Schräglage an den Unis. Frauen sind nach wie vor für einen Großteil der unbezahlten Arbeit, sprich Kinderbetreuung, Pflege oder Haushalt, verantwortlich. Männer in diesem Bereich unterliegen dieser Doppelbelastung in der Regel nicht. Ihnen fällt es somit auch leichter die Anforderungen, die eine solche Kariere verlangt, gerecht zu werden. Sheila Jasanoff, von der Universität Harvard bekräftigte dies vor Kurzem in einem Interview: „Ich glaube nicht, dass meine Studentinnen mit Kindern nach acht, neun Uhr abends noch die Energie zum Lesen und Arbeiten aufbringen. Sie haben kaum persönliche Kontakte, können nicht zu Konferenzen fahren und keine Forschungen präsentieren. All diese gesellschaftlichen Verpflichtungen in der professionellen Welt der Wissenschaft kann man nicht von der Ferne machen oder in Halbtagsbeschäftigung“, gibt die Juristin zu bedenken. Die formale Gleichstellung per Gesetz ist somit zwar eine wichtige Voraussetzung, aber noch lange nicht das Ende des Weges. Mechanismen, die sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte in den wissenschaftlichen Habitus der Universitäten eingeprägt haben, dauern an.

Vorwärts schreiten? Obwohl die Position von Frauen mittlerweile rechtlich klar abgesichert ist und die Universitäten laut Universitätsgesetz sogar eindeutig zur Erstellung eines Frauenförderungsplans und der Etablierung eines Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKG) verpflichtet sind, hat sich nur bedingt etwas verbessert. Das Universitätsgesetz (2002) hat mit seiner Novellierung im Herbst 2009 die Verpflichtung zu einer 40prozentigen Frauenquote in allen Kollegialorganen der Universitäten geschaffen.
Gleichzeitig wurden die Kompetenzen des Arbeitskreises für Gleichbehandlung an Universitäten ausgebaut. Sollte die 40 Prozent-Quote nicht eingehalten werden, hat der AKG die Möglichkeit, Einspruch wegen ungemäßer Zusammensetzung des Gremiums einzulegen. An der Medizinischen Universität Wien konnte seit der neuen Zusammenstellung des Senats (= eines der universitären Entscheidungsgremien) tatsächlich eine beträchtliche Steigerung des Frauenanteils, von 37 Prozent auf 50 Prozent beobachtet werden. Inwieweit dieser jedoch auf die Frauenquote zurückzuführen ist, ist schwer auszumachen. An der Uni Graz hat sich hingegen mit Einführung der Quote nichts verändert, der Frauenanteil blieb vorerst konstant auf 25 Prozent, wobei die Studierendenkurie ihre VertreterInnen noch nicht beschickt hat. Seitens der ProfessorInnen wird die Verantwortung für eine quotengerechte Besetzung der Senate gerne auch auf die Studierenden abgewälzt. Es ist höchst fraglich, ob dies eine zielführende Praxis darstellt.
Die öffentliche Debatte, die sich gerade zum wiederholten Mal über Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren und Studienqualität dreht, betrachtet die Gleichbehandlung an den Unis auch weiterhin als Stiefkind. Ob letzteres in absehbarer Zeit erwachsen wird und damit zu einem ernst zu nehmenden Gegenüber, bleibt abzuwarten.