Julia Spacil

Wir schützen unsere Frauen

  • 18.06.2019, 15:41

Eine 80-jährge Niederösterreicherin ist das bereits zehnte weibliche Mordopfer des Jahres 2019. Ihr schwer kranker Mann erschoss sie, bevor er sich selbst das Leben nahm. Er hinterließ einen Ab- schiedsbrief, in dem er die Tat gestand1. Neun weitere Frauen haben in diesem noch jungen Jahr bereits ihr Leben verloren. Täter und Opfer stammen aus verschiedensten sozioökonomischen Hintergründen. Dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit: Bei allen Tätern, die bis dato ermittelt werden konnten, handelt es sich um Männer aus dem engsten sozialen Umfeld der Getöte- ten: Ehemann, Ex-Freund, Bruder oder Enkelsohn. Mehrere dieser Männer waren bereits im Vorfeld als aggressiv oder gewalttätig aufgefallen oder sogar polizeibekannt. Dennoch konnten die Morde nicht verhindert werden.

Bereits die ersten drei Woche des Jahres brachten sieben Fälle von Mord oder Totschlag an Frauen mit sich. Diese schockierende Häufung rückte das Thema Frauenmorde in den medialen Fokus. „Frauenmord-Land Österreich?“ titelte etwa das Magazin News2 und PULS4 fragte im Magazin Pro&Contra „Mehr Frauenmorde als je zuvor:

Woher kommt die Gewalt?“3 Statistiken verdeutlichen wie dramatisch die Lage ist: In keinem anderen Land Europas ist der Anteil der weiblichen Opfer bei Tötungsdelikten so hoch wie in Österreich. Zumindest die letzte Headline verdeutlicht auch, in welche Richtung die Debatte um Gewalt gegen Frauen kippte: Sie bekam rasch eine rassisti- sche Schlagseite, wurde von einer Frage der geschlechterspezifischen Gewalt zu einer Debatte um Migration und Asyl umgedeutet. Doch wie kam es dazu?

Impuls von ganz rechts. 

Einmal mehr spielte die neofaschistische Gruppe der „Identitären“ dabei die Rolle der Stichwortgeber, der Aufstachler für die österreichische extreme Rechte. Und einmal mehr konnte sie damit den Ver- lauf der Debatte mitbestimmen. Sie griff aus den Morden im Jänner 2019 zwei sehr ähnliche Fälle heraus, deren Täter- Opfer-Konstellation sich für ihre Zwecke besonders eigneten: Die Opfer waren zwei sehr junge autochthone Frauen, beide gerade einmal sechzehn Jahre alt. Ermordet wurden sie von wenige Jahre älteren Männern mit aufrechtem Asyl- status. Die Rechtsextremen nutzten die mediale Aufmerksamkeit, die auf dem Thema lag, als Bühne für ihre völki- schen Umdeutung der Frauenmord-Pro- blematik. Diese beiden Fälle, die Morde an Manuela aus Wiener Neustadt4 und Michele aus Steyr5, dienten ihnen als Vehikel ihrer rassistischen Erzählung. Ihr Ziel war es, die Morde als alleinige Folge des Zulassens von Migration nach Österreich umzudeuten. Die Ebene der patriarchaler Unterdrückungsverhält- nisse sollte dadurch überlagert werden, Gewalt von Männern ohne Migrati- onshintergrund wird ausgeblendet. Die Verknüpfung von Rassismus und Geschlechterbildern wird hier über eine individualisierte und vor allem emotionalisierte Ebene betrieben, was sie ge- gen rationale Argumente immunisiert.

Diese Strategie ist keineswegs neu. Das Bild des bedrohlichen Fremden, der die autochthone Frau als Erhalterin des Volkes gefährde, ist in der extremen Rechten altbewährt. Zuletzt wurde sie 2017 in Deutschland mit einigem Erfolg angewandt. Als die 15-Jährige Mia aus dem rheinland-pfälzischen Kandel von ihrem gewalttätigen ex-Freund erstochen wurde, kam es zu mehreren größeren Demonstrationen der extre- men Rechten, die mediale Rezeption fanden. Auch in Österreich versuchten sich unter anderem die rechtsextremen „Identitären“ an Mobilisierungen in jenen beiden Städten, die Schauplatz der Morde waren. Unter dem Titel „Eine Kerze für Steyr“ wurden in dem nieder- österreichischen Ort mehrere Gedenk- veranstaltungen abgehalten. Mehrere hundert Personen, der größte Teil davon Anwohner_innen, nahm daran Teil. So auch in Wiener Neustadt, wo das zweite Mädchen starb, fanden am Wochen- ende nach dem Mord gleich zwei von Rechtsextremen organisierte Kund- gebungen mit jeweils etwa 200 – 250 Teilnehmenden statt. Was als Gedenken inszeniert wurde, war nichts anderes als ein Forum, um trauernden Menschen in geheucheltem Mitgefühl rechtsextreme Ideologie vorzusetzen, wurde doch in jeder Rede dieselbe Botschaft vermit- telt: Massenmigration sei schuld am Tod dieser Frauen.

Frauen schützen?

Dabei fiel oft der aufschlussreiche Begriff der „impor- tierten Gewalt“, den Rechtsextreme all- zu gerne strapazieren, um geschlechter- spezifische Gewalt zu ethnisieren. Hier wird versucht, ein Bild zu schaffen, in dem die „wirkliche“ Gefahr geschlech- terspezifischer Gewalt ausschließlich von nicht-‚autochtonen‘ Männern aus- geht. Diese werden als „übermännlich“, impulsiv und gewaltaffin dargestellt, wobei sie dem Bild des durch jahre- lange Sozialisierung „verweichlichten“ europäischen Mann gegenübergestellt werden. Diese Eigenschaften, die dem „Fremden“ negativ zugeschrie- ben werden, drücken gleichzeitig ein Ideal gewalttätiger Männlichkeit aus, das Rechtsextreme hegen. Der Begriff nimmt Gewalt völlig aus dem Begriffs- rahmen, sobald die Täter ‚autochthone‘ Männer sind.

Das offenbart auch das verquere Ver- hältnis der extremen Rechten zum The- menkomplex der Gewalt gegen Frauen: Als schützenswert gilt der weibliche 

Körper im rechtsextremen Denken lediglich als unverzichtbare Ressour- ce des Volkserhalts, zu schützen vor dem Zugriff von allem, das als ‚fremd‘ ausgemacht wird. Nicht der Schutz der Unversehrtheit und des Wohlergehens der Frauen steht im Zentrum – von

der Problematisierung patriarchaler Verhältnisse, die sie gefährden ganz zu schweigen – sondern die Abwehr von Fremden. Das dadurch transportierte Bild des Beschützers stärkt wiederum Geschlechterhierarchien. Es stellt Frauen als ständig bedrohte, gleichzeitig aber passive und wehrlose Objekte der Begierde und somit von der Stärke und Gunst eines Mannes abhängig dar. Die rechtsextreme Thematisierung geschlechterspezifischer Gewalt dient somit der Funktion der Privilegiensicherung weißer, hegemonialer Männ- lichkeit verkörpernder „Inländer“, also der größten Zielgruppe rechtsextremer Ideologien. Da Frauen in rechtsextremen Ideologien vorrangig als Mütter und somit Verantwortliche für den Fortbestand des Volkes angehen werden, wird jeder Angriff auf Frauen von ‚fremden’ Männern als Angriff auf das Volk selbst gesehen. Schutz gegen diesen Angriff zu gewähren wird im rechtsextremen Diskurs als ehrwürdige Pflicht jedes ‚autochtonen’ Mannes gesehen6.

Regierung spart bei Gewaltschutz und Beratungsstellen.

Von weit größerer Bedeutung
als die Mobilisierungen der außer- parlamentarischen extremen Rechten auf der Straße war jedoch, dass das FPÖ-geführte Innenministerium das rassistische Erklärmuster aufgriff und die hohe Zahl der Morde zu einem Problem der Zuwanderung erklärte. So versprach Innenminister Herbert Kickl medienwirksam, er werde eine Taskforce einrichten und die Abschiebung von anerkannten Geflüchteten erleichtern. Vizekanzler Heinz-Christian Strache griff dabei auch den Begriff der importierten Gewalt wieder auf – selbst rhetorisch passte bei diesem Thema kaum ein Blatt Papier zwischen die neofaschistischen„Identitären“ und die FPÖ. Doch auch die ÖVP stimmte in den rassistischen Kanon mit ein. Sie argumentierte, leichtere Abschiebungen – auch ohne Vorliegen einer schweren Straftat - würden dem Hausverstand der Österreicher entsprechen. Für Empörung sorgte lediglich der Zusatz des Innenministers, er wolle sich dabei notfalls auch über die Europäische Menschenrechtskonvention hinweg- setzen, sollte diese einer Abschiebung im Weg stehen7. So war es am Ende die Regierung, die mit all ihrer Reichweite von der notwendigen Debatte, wie der Serie an Frauenmorden Einhalt zu gebieten ist ablenkte. Stattdessen wurde über Abschiebungen für Bagatelldelikte debattiert.

Mit dieser Verschiebung konnte die Regierung von einem für sie weit unan- genehmeren Themenfeld ablenken: Sie hat 2018 trotz steigenden Zahl an Frau- enmorden massiv beim Gewaltschutz eingespart. Beratenden Fraueninitiati- ven und Familienberatungsstellen für Krisensituationen wurden die Mittel ge- kürzt. Damit fielen Beratungsangebote für von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen weg. Doch diese präventiven Maßnahmen wären essenziell, um einer weiteren Eskalation der Gewalt zuvor zu kommen. Denn statistisch gesehen wird rund die Hälfte der Morde angekündigt, in vielen Fällen beginnt die Spirale der Gewalt schon lange zuvor. Um gefähr- dete Frauen schützen zu können, gab es bis zum Herbst 2018 auch monatliche Treffen der „Wiener Interventionsstelle gegen familiäre Gewalt“ und anderer re- gionaler Gewaltschutzeinrichtungen mit der Polizei. Dabei wurden Hochrisiko- Fälle dokumentiert und besprochen, um weiterer Gewalt zuvor zu kommen. Ziel dieser Fallbesprechungen war es, eine Strategie zu finden, um Leib und Leben der bedrohten Frau zu schützen. Trotz der alarmierenden Zahl an Frauenmor- den hat die Schwarz-Blaue Regierung diese Besprechungen nun ersatzlos aus- laufen lassen. Damit fällt für bedrohte Frauen noch eine zweite entscheidende Möglichkeit der Prävention weg. „Ein- fach nur gesagt zu bekommen ‚Zeigen Sie halt wieder an, wenn es nochmal passiert‘, ist zu wenig“, kritisierte Rosa Logar von der Wiener Interventionsstel- le gegen familiäre Gewalt gegenüber dem sozialdemokratischen Online-Magazin Kontrast.8

Auf dem Rücken der Frauen.

Die rassistische Debattenverschiebung von Gewaltschutz zu Migration verschleiert, dass bei weitem nicht alles getan wird, um Frauen zu schützen und solchen Taten Einhalt zu gebieten.  Statt Beratungsstellen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, Behörden im Umgang mit bedrohten Frauen besser zu schulen und alle daran zu setzen, die Gewaltspirale zu durchbrechen, bevor es zum Äußersten kommt, zettelte die Regierung die nächste Debatte über Migration an. Ein billiges Ablenkungsmanöver, das jedoch von Gewalt betroffenen Frauen teuer zu stehen kommt. Deutlich wird dabei, dass es rechtsextremen „Identitären“ wie Regierung keineswegs um eine tatsächliche Bekämpfung geschlechts- bezogener Gewalt geht, sondern sie
das Thema vielmehr als Vehikel für ihren Rassismus instrumentalisieren: Sie betreiben ein Framing, das die Erzählung des „integrationsunfähigen muslimischen Mannes“ bedient. Durch die emotionale Aufladung, die mit der Thematik geschlechtsbezogener Gewalt verbunden ist, wird das zusätzlich verfestigt. Das Leben von Frauen wird hier zum Spielball rassistischer Politik. Dabei wäre eine ehrliche Debatte über die Ursachen der eklatant hohen Quote an Frauenmorden im Land dringend notwendig. Doch eine solche kann dann einen Beitrag zum Gewaltschutz leisten, wenn sie ohne Rassismus auskommt und um der Betroffenen Willen geführt wird.

Julia Spacil studiert Jus und Politikwissenschaft auf der Universität Wien.

1 https://www.heute.at/oesterreich/ niederoesterreich/story/44226369

2 https://www.news.at/a/frauenmor- de-oesterreich-zahlen-10595056

3 https://www.puls4.com/pro-und- contra/videos/ganze-folgen/Ganze- Folgen/Mehr-Frauenmorde-als-je- zuvor-Woher-kommt-die-Gewalt

4 https://derstandard. at/2000096084363/Junge-Frau-tot- in-Wiener-Neustadt-gefunden-Gewalttat-vermutet

5 https://www.nachrichten.at/ oberoesterreich/Maedchenmord- in-Steyr-Tatmotiv-war-vermutlich-Eifersucht;art4,3083850

6 Weidinger, Bernhard/Werner, Katharina (2017): „Finger weg von unseren Frauen!“ Männlichkeit, extreme Rechte und sexualisierte Gewalt. In: Journal für Psychologie, Jg. 25 (2017), Ausgabe 2, S. 153-178.

7 https://derstandard.at/2000096888042/Kickl-stellt-Menschenrechtskonvention-in-Frage

8 https://kontrast.at/trotz-steigender-gewalt-an-frauen-innenministerium-stoppt-projekt-zum-gewalt-schutz

Nicht länger wegsehen

  • 11.05.2017, 20:37
Seit zwölf Jahren steigt die Zahl rechtsextremer Straftaten rapide an. Linke Aktivist_innen und Künstler_innen geraten zunehmend ins Visier. Die Polizei bleibt tatenlos.

Seit zwölf Jahren steigt die Zahl rechtsextremer Straftaten rapide an. Linke Aktivist_innen und Künstler_innen geraten zunehmend ins Visier. Die Polizei bleibt tatenlos.

Rechtsextreme Gewalt nimmt rasant zu. Verzeichnete das Innenministerium im gesamten Jahr 2004 noch 322 Anzeigen wegen Verbrechen oder Vergehen mit rechtsextremem Tathintergrund, waren es 2015 bereits 1.691. Statistisch gesehen wird alle fünf Stunden eine solche Straftat verübt – von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.

Dieses Erstarken der militanten extremen Rechten manifestierte sich in den letzten Monaten in einer ganzen Serie an rechtsextremen Angriffen, Drohungen und Sachbeschädigungen gegen linke Strukturen, Räume und Personen. So wurden Tür und Fassade des linken Raumkollektivs w23 innerhalb weniger Monate gleich sechs Mal beschädigt. Zwei Mal versuchten die Täter dabei, sich Zugang zum Raum zu verschaffen. Auch die Anarchistische Buchhandlung im 15. Bezirk, das Ernst-Kirchweger-Haus sowie die Rosa-Lila-Türkis-Villa wurden in jüngster Vergangenheit Ziel rechtsextremer Sachbeschädigungen und Angriffe. Vor rund einem Jahr waren Personen auf dem Heimweg nach einer Kundgebung in Graz von bewaffneten Kadern der rechtsextremen „Identitären“ überfallen und verletzt worden. Ebenso ist 2014 einer Antifaschistin das Fenster eingeschossen worden, kurz nachdem sie ein Buch über die neofaschistische Gruppe veröffentlicht hatte. Nach einem Fernsehauftritt erhielt sie außerdem einen Drohbrief per Mail. Im Jahr 2012 wurde der betagte Antifaschist Albrecht Konecny am Rande der Proteste gegen den WKR-Ball von Neonazis mit einem Schlagring niedergeschlagen.

RECHTSEXTREMISMUS AN DER UNI. Auch vor der Universität machen rechtsextreme Umtriebe nicht Halt. Die Räumlichkeiten der Fakultätsvertretung Human- und Sozialwissenschaften (HUS) wurden mehrfach Ziel von Sachbeschädigungen, neben eingeschlagenen Fenstern hinterließen die Täter auch rassistische Botschaften an der Fassade. Erst im Jänner wurde eine Podiumsdiskussion der autonomen antifa [w] an der Universität Wien gestört, einschlägig bekannte rechtsextreme Hooligans stellten den Schutz für die Störaktion. Die Bühnenstürmung der „Identitären“ während der Aufführung von Jelineks „Schutzbefohlenen“ im Audimax ist nun schon ein Jahr her. Obwohl die Beteiligten zweifelsfrei identifiziert und auf ÖHInitiative auch wegen Besitzstörung rechtskräftig verurteilt wurden, gibt es nach wie vor keine Anklage wegen der im Zuge der Stürmung verübten Körperverletzungen.

Diese Aufzählung rechtsextremer Straftaten gegen linke Aktivist_innen, Künstler_innen und Räume ist keineswegs vollständig, macht aber die Bedrohung durch steigende rechtsextreme Gewalt deutlich. Außerparlamentarisch aktive Rechtsextreme werden derzeit selbstbewusster, organisieren sich verstärkt, bauen neue finanzstarke Strukturen und eigene Medienkanäle auf – das alles im Windschatten der FPÖ. Die steigende Reichweite und der bedeutend höhere Organisationsgrad eröffnen ihnen neuen Handlungsspielraum. Dieses Erstarken bringt nicht zuletzt eine merklich höhere Gefahr für politische Gegner_innen mit sich, ins Visier von Angriffen – von öffentlicher Diffamierung bis hin zu körperlicher Gewalt – zu geraten.

OPFERSCHUTZ FEHLANZEIGE! Bestärkt werden militante Rechtsextreme nicht zuletzt auch durch die Untätigkeit der Polizei, denn neben dem rechtsextremen Hintergrund haben all die genannten Fälle vor allem eines gemein: Die Täter_innen wurden nie verurteilt. Keine einzige der im Artikel erwähnten Straftaten wurde bisher aufgeklärt, keine Anklage erhoben, in den meisten Fällen wurden nicht einmal konkrete Beschuldigte ermittelt. Das sendet den Täter_innen ein fatales Signal: Dass ihnen nichts passiert, wenn sie politische Gegner_innen angreifen – dass der Staat wegsieht, solange die Betroffenen keinen Promistatus haben. Was den Schutz der Betroffenen von rechtsextremer Gewalt angeht, haben sich Polizei und Verfassungsschutz bisher nicht gerade als leuchtendes Vorbild hervorgetan.

Auf die Spitze trieb es dabei die Grazer Polizei, die nach dem erwähnten Angriff „Identitärer“ Kader im Jänner 2016 die Adressen und Telefonnummern der Betroffenen an die Täter_innen weitergab. Ein Antrag auf Schwärzung solcher personenbezogenen Daten der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“, der die Betroffenen juristisch vertrat und betreute, wurde abgelehnt.

Wenig überraschend: Die Ermittlungen wurden kurz darauf eingestellt. In einem anderen Verfahren wurde dem Opfer einer Nötigung durch Neonazis in der Vernehmung zur Tat ein Aktenauszug einer ganz anderen Anzeige – nämlich einer von Rechtsextremen gegen Unbekannt – vorgelegt und es wurde mehrfach versucht, sie nach einer Tatbeteiligung zu befragen. Ein weiterer Fall solch einer Täter-Opfer- Umkehr war der Umgang mit dem Angriff auf eine Gewerkschaftssitzung im Ernst-Kirchweger-Haus. Am Ende dieses Prozesses wurden Gewerkschafter verurteilt, während die angreifenden Hooligans aus dem Umfeld von „Eisern Wien“ und „Unsterblich Wien“ freigesprochen wurden.

IN DIE OFFENSIVE. Mit diesem Verhalten gefährdet die Polizei Betroffene rechtsextremer Gewalt noch zusätzlich, statt sie zu schützen. Dieser Umstand führt uns die Notwendigkeit antifaschistischen Selbstschutzes einmal mehr vor Augen. Die Bedrohung durch rechtsextreme Umtriebe und deren steigende Gewaltbereitschaft ernst zu nehmen, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr sollte sie zum Anlass genommen werden, antifaschistische Arbeit auf allen Ebenen weiterzuführen, Rechtsextremen das Selbstvertrauen, die Straße und jeglichen öffentlichen Raum konsequent streitig zu machen.

Julia Spacil studiert Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Nichts zu feiern, alles zu gewinnen

  • 24.02.2020, 15:18
„Unmöglich“ nannte das georgische Innenministerium die Pläne, eine Pride-Parade in Tbilisi abzuhalten. Die Organisator_innen der ersten Pride der Kaukasusrepublik belehrten sie eines Besseren. Doch dorthin war es ein harter Weg.

In Wien verbindet man die Pride mit ausgelassen tanzenden Menschen auf den Straßen, mit schrillen Kostümen und unbeschwerter Feierlaune. Die Pride ist in Wien mittlerweile eine einzige große Party, die die Wiener Innenstadt durchzieht. Die Ankündigungen für ihre erste georgische Schwesterveranstaltung 3000 Kilometer weiter östlich liest sich gänzlich anders: „Wir werden keinen festlichen Umzug abhalten. Die queeren Menschen Georgiens haben wenig zu feiern.“

Die Vorzeichen, unter denen diese beiden Events standen, könnten unterschiedlicher kaum sein: Während sich in Wien von der Stadtregierung über die Kaufleute bis zu den Verkehrsbetrieben alles in Regenbogen-Schale wirft, die Pride und ihre Gäste willkommen heißen und Proteste reaktionärer Akteur_innen weitgehend ausbleiben, wurde die Tbilisi Pride von Anfang an mit Ablehnung, Bedrohungen und Gewalt konfrontiert. „Ich mache mir Sorgen, dass jemand sterben könnte“, zitiert die Georgia Times ein besorgtes Mitglied der LGBTIQ-Community. Diese Furcht teilen viele queere Menschen in Georgien, nicht alle unterstützen die Idee größerer Sichtbarkeit, sie fürchten eine weitere Zunahme der Hasses gegen sie. Die queerfeindlichen Widerstände gegen die Pride umfassen diverse Akteur_innen – auch staatliche: Die Stadtregierung etwa gab Informationen über Veranstaltungsorte an ultraorthoxode Gruppen weiter, Medien veröffentlichten die Adresse des Büros des Organisationsteams. Die Folgen waren körperliche Angriffe auf Menschen, die als queer wahrgenommen wurden, LGBTIQ-feindliche Aufmärsche vor den Räumlichkeiten und plötzliche Absagen von bereits gebuchten Veranstaltungsorten.

Trotz dieser schwierigen Voraussetzungen wurde die erste Pride Week in Tbilisi für Mitte Juni 2019 ausgerufen. „Wir werden uns nicht verstecken, denn es ist unerträglich, ein Doppelleben zu führen. So haben wir keine andere Wahl, als für unsere Würde zu kämpfen.“, heißt es im Aufruf der Organisator_innen. Und ein Kampf war es wahrhaftig, die Pride Week sicher und erfolgreich über die Bühne zu bringen. Sie bestand aus insgesamt vier Veranstaltungen: Einem Theaterstück, einer Konferenz, einer Party sowie dem „March of Dignity“ – der eigentlichen Pride. Sie konnten schlussendlich allesamt stattfinden. Doch wie viel Arbeit und vor allem Mut dazu nötig waren, ist kaum in Worte zu fassen. Mehr als einmal standen die Veranstaltungen an der Kippe. Das Organisationsteam, das offen mit Namen und Gesicht auftritt, sah sich der ständigen Gefahr gewalttätiger Übergriffe ausgesetzt und auch jegliche Personen, die sich mit der LGBTIQ-Community solidarisch zeigten, gerieten alsbald in den Fokus ultraorthodoxer Fundamentalist_innen.

So widrig die Bedingungen waren, so wichtig war es für die LGBTIQ-Community im Kaukasus, dieses Zeichen der Sichtbarkeit gegen alle Widerstände durchzusetzen. Doch den Aktivist_innen verlangte der Weg dorthin alles ab. Bereits am ersten Tag der Veranstaltungsreihe gingen per SMS Morddrohungen bei zwei Sprechern der Gruppe ein. „Ich weiß, wo dein Büro ist. Ich werde deinen Kopf abschneiden und zum Helden werden“, stand darin zu lesen. Als nahezu zeitgleich eine Journalistin den Ort des Büros des Organisationsteams der Pride öffentlich ausplauderte, wurde das Gebäude vorsorglich geräumt. Und wirklich: Wenig später kam es unweit des Büros zu einem Angriff auf einen schwulen Mann, die Angreifer dürften bereits in der Nähe gewartet haben. Kaum eine Stunde nach dem Bekanntwerden der Büroanschrift sammelten sich etwa hundert ultraorthodoxe Fundamentalisten auf der Straße vor dem Gebäude. Sie trugen Banner, auf denen das Wort LGBTIQ durchgestrichenen war und eine Absage der Pride gefordert wurde. Unter den Teilnehmenden waren mehrere orthodoxe Geistliche, die vor Medienvertreter_innen als Sprecher auftraten. Sie schworen vor diversen Fernsehteams, die Pride Parade, die sie als „Feier der Perversion“ verunglimpften, zu verhindern. „Sie werden über unsere toten Körper gehen müssen“, verdeutlichte Sandro Bregadze, eine der Führungsfiguren der extremen Rechten Georgiens, die absolute Feindschaft zu jeglichem Ausdruck queerer Sichtbarkeit. Die erste Veranstaltung der Pride Week stand durch diese Ereignisse bereits unter großem Druck. Eine Absage stand lange im Raum, doch letzten Endes entschlossen sich die Beteiligten dazu, das Programm unter strenger Geheimhaltung und verschärften Sicherheitsvorkehrungen durchzuziehen.

Kafka im Kirchenasyl

Der erste Programmpunkt war eine Adaption von Kafkas Theaterstück „Die Verwandlung“. Es behandelt das Leben, die zunehmende Verzweiflung und den Suizid eines schwulen Teenagers, der von seiner konservativen Familie verstoßen wird. Die Schlussszene zeigt den Laiendarsteller, einen jungen Mann mit kurzem rosa Haar, mit einer Schlingt um den Hals von der Familie verlassen alleine auf der Bühne. Ein schwermütiger Auftakt, der im konservativen, von der orthodoxen Kirche stark geprägten Georgien einen Nerv trifft. Dass Familien sich von ihren Kindern abwenden, sie verstoßen, sobald sie von deren Homosexualität erfahren, ist ein großes Problem, besonders in ländlichen Gebieten.

Die Aufführung fand an einem so unerwarteten wie symbolischen Ort statt: Einer Kirche. Deren evangelische Pastorin setzte sich für die queere Community ein und stellte ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. „Auch sie sind Kinder Gottes“, begründete sie ihr Handeln. Ein lichtdurchfluteter Altar bildete die symbolträchtigste Bühne, die man sich für dieses Theaterstück hätte wünschen können. Diese ungewöhnliche Örtlichkeit war notwendig geworden, nachdem die Behörden die Adresse des Theaters, das die Veranstaltung hosten sollte, an Gegner der Pride weitergab. Über hundert Personen konnten trotz der Geheimhaltung und der ständigen Sorge vor Gegenaktivitäten an der Veranstaltung teilnehmen. Als der letzte Vorhang fiel, war die Stimmung gelöst, fast ausgelassen. Der erste Programmpunkt war geschafft, der erste Erfolg erkämpft. Die Möglichkeit einer Pride Week im erzkonservativen Georgien war damit unter Beweis gestellt und die Hoffnung, auch die Demonstration abhalten zu können, wuchs.

Perspektiven queerer Selbstermächtigung

Der zweite große Programmpunkt der Pride Week war eine internationale Konferenz. Auch sie fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen an einem zuvor geheim gehaltenen Ort in Tbilisi statt. Die Podien brachten aktivistische, politikwissenschaftliche und sozialarbeiterische Sichtweisen auf verschiedene Felder mit LGBTIQ-Bezügen zusammen. Diskutiert wurde etwa über die LGBTIQ-Feindlichkeit europäischer Staaten, über Gesundheitsrisiken, die speziell Schwule, Lesben und trans Personen betreffen, über Erfahrungen mit der Organisation von Pride Demonstrationen und mögliche Perspektiven für Georgiens queere Community.

Ein_e nicht-binäre Sexworker_in referierte am Podium über die verletzliche Position, in der sich exponierte Personen wie er_sie befinden. Ob es denn auch zu physischer Gewalt komme, wollte einer der vielen internationalen Gäste im Publikum wissen. „Jeden Tag“ lautete die Antwort schlicht und ungeschönt. In den Wochen nach der Bekanntgabe der Pläne, eine Queer Pride in Tbilisi zu veranstalten, hatten die Übergriffe sogar noch zugenommen. Die Plätze, an denen sich queere Sexarbeiter_innen oft aufhalten, an denen die Anbahnung der Kontakte stattfindet, sind auch fundamentalistischen Gruppen bekannt. Die Gefahr – man kann beinahe von einer Gewissheit sprechen, mit der sie sich Gewalt aussetzen – ist für die Betroffenen kaum zu vermeiden. Die queere Community hat in einer Reaktion darauf verstärkt selbst Schutz organisiert, denn auf die Polizei ist kein Verlass. Von ihr wird eher weitere Gewalt und Schikane als Hilfe erwartet, wie Aktivist_innen berichteten. Zwischen gewalttätigem LGBTIQ-Hass und sichtbar queeren Menschen steht zumeist nichts als die Solidarität untereinander.

Auch trans Personen müssen alltäglich Übergriffe fürchten. Als die vortragende Person im kleineren Rahmen weiter über die Gewalt, mit der sie und ihre Mitstreiter_innen konfrontiert sind, berichtete, fiel schließlich der Name Zizi Shekeladze. Sie war eine mutige, lebenslustige Frau, vielen in der Community eine Freundin. War. Denn sie wurde im Jahr 2016 auf offener Straße in Tbilisi erschlagen, das Motiv war Hass gegen trans Personen.

Ein russischer Affront als Hindernis

Auf der Konferenz wurde schließlich und sichtlich schweren Herzens auch die Verschiebung des dritten, zentralen Programmpunktes der Pride Week bekannt gegeben: Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt sehr aufgeheizten politischen Lage, mit täglichen Demonstrationen in der Innenstadt von Tbilisi, sollte die Pride nicht am geplanten Datum stattfinden. Die Sicherheitslage wurde als zu prekär eingestuft. Grund dieses Aufruhrs war einmal mehr das zerrüttete Verhältnis zu Russland. Dieser Konflikt um mehrere Grenzgebiete ist ein Pulverfass, der letzte Krieg liegt erst wenige Jahre zurück. Eine Provokation durch einen russischen Abgeordneten war der Funken, der vor der Pride erneut Proteste in Gang setzte. Über zehntausend Demonstrant_innen versammelten sich daraufhin vor dem Parlament. Als sie versuchen hineinzugelangen, wurde die Kundgebung von der Polizei unter massiver Gewalt aufgelöst. Über Stunden wurden Wasserwerfer, Tränengas und Gummischrott gegen die Protestierende eingesetzt. Es gab über hundert Festnahmen und viele Verletzte. Bilder einer bekannten Journalistin, die vor laufender Kamera im Tränengas zusammenbrach, sorgten für große Empörung. Die Polizeigewalt, die einer Frau das Augenlicht kostete, wirkte wie ein Katalysator für die Proteste.

Aktivist_innen der Tbilisi Pride Organisation entschlossen sich aufgrund dieser Ereignisse zu einer Teilnahme an den großen Demonstrationen, die seit jener Eskalation vor dem Parlament jeden Tag stattfanden. Eine organisierte Teilnahme mit Sichtbarkeit als LGBTIQ-Aktivist_innen auf einer dieser Großdemonstrationen wurde geplant, aber im letzten Moment von deren Veranstalter_innen unterbunden. Die Hoffnung auf eine offene Solidarisierung der Proteste, die tendenziell progressivere Teile der georgischen Gesellschaft umfassten, mit den Anliegen der Pride, wurde jäh enttäuscht. Die Solidarität zwischen den Protesten erwies sich als einseitig.

Die Pride wird Wirklichkeit

Erst mehrere Wochen später hatte sich die politische Lage einigermaßen beruhigt. Die Regierung war auf einen Teil der Forderungen der anti-russischen Proteste eingegangen. Zwischenzeitlich hatte das Organisationsteam der Tbilisi Pride einen zweiten Versuch, die Pride abzuhalten, abbrechen müssen, nachdem der Ort bekannt geworden war und LGBTIQ-feindliche Gruppen den Versammlungsort besetzten – ein weiterer Rückschlag. Trotz der Enttäuschungen und den nach intensiven Wochen bereits schwindenden Energien entschloss sich die LGBTIQ-Community zu einem letzten Versuch, ihren Protest für ein Leben in Freiheit und Würde auf die Straße zu tragen. Im Geheimen und möglichst kurzfristig wurde intern mobilisiert, um dem Mob ultraorthodoxer Männer diesmal keine Chance zu geben, sich vorab am Versammlungsort zu formieren. Und diesmal sollte es gelingen: Etwa eine halbe Stunde konnten die Teilnehmenden mit Regenbogenfahnen und Protestschildern vor dem Innenministerium ihren Forderungen Öffentlichkeit verleihen - dann wurde die Veranstaltung angesichts dessen, dass sich queerfeindliche Gruppen am Weg zur Kundgebung befanden, beendet.

Diese kleine Kundgebung war für die LGBTIQ-Community Georgiens ein Meilenstein, ein wichtiger Ansatzpunkt. Die allererste Pride in diesem Land hat am Ende unter größten Anstrengungen stattfinden können. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Sie ist ein erstes Zeichen, auf dem in den kommenden Jahren aufgebaut werden soll. Der georgischen LGBTIQ-Community stehen noch viele Kämpfe um Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und ein Leben in Würde bevor. Ihr Durchhaltevermögen und ihre Unerschütterlichkeit hat sie bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Grenzgänge - Der autoritäre Konsens Europas

  • 18.07.2018, 10:53
Am 1. Juli übernimmt Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Die autoritär-konservative Regierung wird diesen Einfluss nutzen, um ihren Kurs der Abschottung nach außen und sozialen Kontrolle nach innen auf der europäische Ebene zu forcieren. Dagegen regt sich Protest.

„Ein Europa, das schützt,“ lautet das Motto, unter dem sich die österreichische EU-Ratspräsidentschaft präsentieren will. In den bisher spärlichen Verlautbarungen der Regierung zu den Schwerpunkten der österreichischen Ratspräsidentschaft finden sich dieselben rechten Schlagworte, die schon den Nationalratswahlkampf im vergangenen Herbst geprägt haben: Verstärkter Schutz der EU-Außengrenzen, Kontrolle illegaler Migration, mehr Abschiebungen, innere Sicherheit. Bereits seit 2015 mauserte sich Österreich zu einer der treibenden Kräfte in der europäischen Abschottungspolitik, trieb die Schließung der „Balkanroute“ voran, auf der Flüchtende versuchten, in den Norden Europas zu gelangen.

Todsichere Grenzen.

Für „sichere“ Grenzen nimmt die EU auch bereitwillig Kooperationen mit autoritären Regimen wie der Türkei oder sogar Milizen wie in Libyen in Kauf. So wurden der Türkei für ihre angebliche Annäherung an die EU seit 2009 neun Milliarden Euro zugesagt, deren Verwendung an keinerlei konkrete Zweckwidmung gebunden ist. Trotz massiver Menschenrechtsverletzungen, der Inhaftierung großer Teile der Opposition sowie hunderter Journalist_innen, der Entlassung zehntausender kritischer Beamt_innen und nicht zuletzt einem völkerrechtswidrigem Krieg gegen kurdische Autonomiegebiete in Syrien fließen diese Gelder weiter, um den sogenannten Flüchtlingsdeal nicht zu gefährden. In dessen Rahmen kann die EU Abschiebeflüge in die Türkei vornehmen und die Türkei sichert zu, Flüchtende zu stoppen, noch bevor sie europäischen Boden betreten können. Dass die libysche Küstenwache auf Schlauchboote Flüchtender sowie auf die Schiffe von Seenotrettungsorganisationen schießt, ist ebenso Gegenstand medialer Berichterstattung wie die Tatsache, dass in Libyen Folter, Vergewaltigungen und Ermordung von Flüchtenden an der Tagesordnung stehen. Bei einer Befragung der Hilfsorganisation Oxfam, die Geflüchtete, die die Überfahrt über das Mittelmeer überlebt haben, an Häfen in Sizilien betreut, gaben 30 von 31 Frauen an, sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Die Mehrheit der Befragten habe zudem Folter oder Tötungen mitansehen müssen. Diese Zustände sind ein direktes Produkt der Grenzpolitik der EU. Das Leid Geflüchteter wird unter hohem finanziellem Aufwand möglichst weit über die europäischen Außengrenzen hinweg verlagert. Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass Geflüchtete in den Kooperationsstaaten massiver Gewalt ausgesetzt sind. Mit dem Sager „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“ brachte Sebastian Kurz, damals noch Außenminister, diese menschenverachtende Politik auf den Punkt.

Wen schützt Europa?

In den letzten Jahren hat sich ein gefährlicher Sicherheitsdiskurs durchgesetzt. Ausgehend von der parlamentarischen extremen Rechten wurde die Gleichung „weniger Migration = mehr Sicherheit“ zunehmend salonfähig. Einem der zentralen Gremien des Friedensnobelpreisträgers EU vorzusitzen und mit Schutz ausgerechnet den Ausschluss Schutzsuchender zu meinen, zeugt schon von einem bemerkenswerten Zynismus. Geschützt wird in Europa die Freiheit des Warenund Kapitalverkehrs, die Freiheit, sich voll und ganz dem kapitalistischen Wettbewerb auszuliefern. Wenn Kurz von einem „Europa, das schützt“ spricht, so meint er damit ein Europa der Abschottung.

Soziale Kontrolle.

Auch im Inneren soll das Schlagwort Sicherheit den Schirm darstellen, unter dem Themen von Wohlstand bis Wettbewerb verhandelt werden. Auch hier gibt die Verknüpfung der Themen allein schon Aufschluss über die inhaltliche Ausrichtung der Akteur_innen. Der Wettbewerb, vermeintliches Allheilmittel in neoliberaler Politik, soll immer autoritärer durchgesetzt werden, durch Disziplinierung sowie Ausschluss. Letzterer ist hier nicht nur als Ausschluss nach außen hin zu verstehen, sondern richtet sich ebenso nach innen, wo er sich in der Überwachung und Kontrolle all jener ausdrückt, die der Regierung als ökonomisch überflüssig gelten. Wer nicht produktiv ist, wird als Risikofaktor verhandelt, als potentielle Gefährdung der Sicherheit und Ordnung. Die österreichische Regierung stellt ideologisch die unheilvolle Verknüpfung von Marktliberalismus und autoritärem Nationalismus dar, deren Symbiose düstere Perspektiven für Europa zeichnet. Diese Politik ist jedoch freilich kein österreichisches Alleinstellungsmerkmal, vielmehr zeichnet sie sich in unterschiedlicher Ausprägung und Umsetzung überall in Europa ab. So versucht beispielsweise Macrons Regierung in Frankreich gerade, ein umfassendes Reformpaket durchzusetzen, das den Wettbewerb in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen vorantreiben soll. Insbesondere die Reformen der Arbeitsgesetze, die Verstärkung der Konkurrenz an den Universitäten sowie fremdenrechtliche Verschärfungen werden dort seit Monaten mit landesweiten Protesten und regelmäßigen Streiks ganzer Wirtschaftszweige beantwortet. Die autoritäre Bearbeitung der Griechenlandkrise oder die nationalistische Abschottungspolitik Ungarns sind weitere Beispiele für die Politik, die in Europa auf dem Vormarsch ist.

Auf dem Altar der Sicherheit.

Die Disziplinierung im Inneren zeigt sich auch in der zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, man denke beispielsweise an den mehr als zweijährigen Ausnahmezustand in Frankreich, dessen Aufhebung von einem Anti-Terror-Gesetz begleitet wurde, das die polizeilichen Sonderrechte aus dem Ausnahmezustand weiterführt. Der Ausnahmezustand wurde somit teilweise in dauerhaft geltendes Recht übergeführt. Zusätzlich wurde eine neue Polizeieinheit gegründet, die sich vor allem mit der "Ghettoisierung gewisser Viertel" befassen solle. Menschenrechtsorganisationen und selbst die UN übten scharfe Kritik an den Reformen. Eine solche Aufrüstung der Polizei in Ausrüstung und Befugnissen kann man derzeit auch in Österreich beobachten. Das Überwachungspaket, das massive Einschnitte in die Persönlichkeitsrechte der gesamten Bevölkerung vorsieht, ist sicherlich das deutlichste Indiz dieser Entwicklung. Auch die Anschaffung einer größeren Anzahl an Radpanzern in Tarnoptik sowie die Einrichtung einer Pferdestaffel bei der Wiener Polizei sprechen eine eindeutige Sprache. Diese starke Fokussierung auf Sicherheitspolitik ist jedoch entgegen ihrer Wirkung alles andere als ein Zeichen der Stärke, sondern vielmehr ein deutlicher Hinweis auf die gegenwärtige Krise der Institutionen des globalen Kapitalismus. Die Aufrüstung der bewaffneten Kräfte sowie die Einschränkung grund legender bürgerlicher Freiheiten zeigen, wie sehr die derzeitige gesellschaftliche Hegemonie im Wanken ist. Der schleichende politische Wandel in Europa ist in ihren Institutionen bereits vollzogen, bevor ihn seine Gegner auch nur als autoritäre Wende fassen konnten.

Zwei Wege im Konsens.

In der medialen Darstellung wird oft ein Europa der zwei Wege konstruiert. Der vermeintlich gesellschaftsliberale Kurs Macrons wird dem illiberalen, nationalistischen Kurs Orbans als scheinbar vollkommener Widerspruch gegenübergestellt. Freilich unterscheiden sich die beiden signifikant in den ideologischen Grundlagen ihrer Politik. Für Macron steht die Absicherung möglichst freien Wettbewerbes unter anderen Vorzeichen als in Orbans völkischer Ideologie. Doch die Tendenz der gesellschaftlichen Entwicklung sowie die angewandten Herrschaftstechniken gleichen sich angesichts der sich zuspitzenden Krisenhaftigkeit der Verhältnisse. Je mehr sich die derzeitige gesellschaftliche Hegemonie bedroht sieht, desto stärker gleicht sich die konkrete Politik ihrer Herrschenden. Mit Maßnahmen hin zu mehr Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung in allen Bereichen des Alltags der Bürger_innen zieht sich die Politik auf die Exekution von vermeintlichen Sachzwängen zurück, um tagtäglich ihre Handlungsmacht zu demonstrieren. Stumm wurde ein autoritärer Konsens in Europa ausgehandelt. Bundeskanzler Kurz versucht, genau diesen Konsens in seiner Person zu vereinen und Österreich damit zum Vorreiter eines neuen Weges in ein Europa der nationalstaatlichen Abschottung und sozialen Kontrolle zu erheben.

Tag XYZ.

Gegen dieses Europa formiert sich anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs und ihrer Vorzeichen bereits jetzt Protest. Schon die Angelobung der rechten Regierung im Dezember war Anlass für Demonstrationen. Tausende Menschen gingen am „Tag X“ der Regierungsangelobung in Wien, Linz und Graz auf die Straße. Im Jänner folgte eine Großdemonstration mit zehntausenden Teilnehmer_innen, bei der die zu befürchtende Politik des Sozialabbaus im Zentrum der Kritik stand. Vor wenigen Wochen wurde nun eine erste Mobilisierung gegen den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs gestartet. Dieses informelle Gipfeltreffen wird um den 20. September im beschaulichbürgerlichen Salzburg stattfinden, wohl auch in der polizeitaktischen Erwägung, durch die Verlegung aus Wien weg Proteste hintan halten zu können. Der Gipfel soll sich mit den Themen „Migration“ und „Sicherheit“ beschäftigen, eine unselige Verknüpfung, die bei der österreichischen Regierung beinahe schon zur Zwangsläufigkeit geworden ist. Keine Debatte über Migration kommt derzeit ohne Fragen der Sicherheit – freilich ist hier nur jene der österreichischen Bevölkerung vor Bedrohungen von „außen“ gemeint – aus. Für den Gipfel ruft eine breite Plattform verschiedener zivilgesellschaftlicher, linker und linksradikaler Gruppen zu vielfältigen Protesten auf. Man wolle „die Proteste gegen die Regierung ebenfalls auf eine neue Stufe (...) stellen“ und „für eine solidarische Gesellschaft“ auf die Straße gehen, heißt es im Aufruf auf der Mobilisierungsseite. Die zwei Wege, an deren Gabelung Europa derzeit steht, verlaufen nicht zwischen Macron und Orban, sondern vielmehr zwischen dem autoritären, illiberalen Konsens seiner Regierungen und den Forderungen nach einer solidarischen Gesellschaft jenseits nationalstaatlicher Abschottung.

Julia Spacil studiert Rechts- und Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Jede_r hat was zu verbergen

  • 17.04.2018, 13:07
Die Juristin und Kriminologin Angelika Adensamer arbeitet bei der Wiener Datenschutz-NGO epicenter.works im Themenfeld der Überwachung. Im Interview erklärt sie, wie staatliche Überwachung funktioniert, welche Mittel sie einsetzt und wen diese Überwachung treffen kann.


Progress: Ganz grundsätzlich, wann darf der Staat Maßnahmen zur Überwachung setzen?

Angelika Adensamer:
Es gibt verschiedene Gesetzesgrundlagen für Überwachung. Nach der Strafprozessordnung geht es darum, dass es einen konkreten Verdacht gibt, dass eine Straftat passiert ist oder passieren wird. Dann gibt es das Sicherheitspolizeigesetz, wonach man bei Verdacht auf eine Gefahr weiter im Vorfeld überwachen kann. Das Staatsschutzgesetz hat wieder andere Voraussetzungen, wo es darum geht, den Staat und seine Einrichtungen vor sogenannten „verfassungsgefährdenden Angriffen“ zu schützen. Das war der polizeiliche Bereich. Darüber hinaus gibt es das Abwehramt, wo das Bundesheer eigene Grundlagen hat für Überwachung, die hauptsächlich „Spione“ im völkerrechtlichen Sinne betrifft. Und dann noch eine ganze Bandbreite an Überwachung in Bereichen wie Schule, Gesundheit oder Verkehr.

Wen können solche Maßnahmen treffen?

Einerseits Personen, die einer Straftat oder Gefährdung verdächtig sind, oder eine Gefahrenquelle darstellen sollen. Dann kommt oft ein weiterer Kreis dazu, wenn man Kontakt mit einer Person hat, die in so einem Verdacht steht. Dann darf auch legal überwacht werden. Die Regelung ist rechtlich durchaus umstritten. Denn wenn sämtliche Kommunikation einer Person überwacht wird, dann natürlich auch in Bereichen, die nichts mit einer Straftat zu tun haben. Es gibt viele Verdachtsmomente, die ins Leere gehen. Massenüberwachung bedeutet, dass Daten von sehr großen Personengruppen gespeichert werden. Im letzten Überwachungspaket war zum Beispiel eine zwei-Wochen-Speicherung von Videomaterial auf Bahnhöfen vorgesehen. Das betrifft dann alle Personen, die auf dem Material zu sehen sind, was auf Bahnhöfen natürlich viele Leute sind.

Müssen Überwachungsmaßnahmen extra genehmigt werden oder kann das die Polizei selbst entscheiden?

Das hängt davon ab, wie eingriffsintensiv die Maßnahme ist. Typischerweise müssen die weitreichendsten – wie beispielsweise ein Lauschangriff, also eine Audioüberwachung zu Hause – von einem Gericht bestätigt werden. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen darf die Polizei alleine, mit der Staatsanwaltschaft oder mit Genehmigung der Rechtsschutzbeauftragten einsetzen. Ab wann ein Gericht die Maßnahme anordnen müssen soll, ist ein strittiger Punkt. Die gerichtliche Kontrolle ist ein wichtiger Standard, darum wird auch in den einzelnen Maßnahmen politisch darum gekämpft.

Wir waren bis jetzt bei der Erhebung. Wer hat auf diese Daten dann Zugriff und wie wird das kontrolliert?

Es müsste durch die Rechtsschutzbeauftragten kontrolliert werden. Wie das wirklich funktioniert, ist nach außen hin aber nicht ersichtlich. Eigentlich müsste man auch Vorsichtsmaßnahmen treffen, sodass nur Personen mit der richtigen Sicherheitsüberprüfung auf Material zugreifen können. Ganz wichtig: Zugriffe müssen protokolliert werden, damit nachvollzogen werden kann, ob sie gerechtfertigt sind und was mit diesen Daten passiert. Dazu gibt es gerade einen Anpassungsentwurf für verschiedene Gesetze, der die Kontrolle einschränken würde. Automatische Abfragen der Polizei wären dann nicht mehr auf eine Person rückvollziehbar. Das wäre ein Problem, weil ihre Rechtmäßigkeit dann nicht mehr geprüft werden kann. Die Protokollfristen sollen außerdem eingeschränkt werden, das bedeutet, dass es einen möglichen Beschwerdezeitraum gibt, die Protokolldaten jedoch schon gelöscht sind.

Was hältst du als Sicherheitsexpertin von der Aussage „Ich habe ja nichts zu verbergen“, die Kritik an Überwachung nicht selten entgegen gehalten wird?

Zwei Sachen: Das erste ist, dass es natürlich nicht stimmt, weil jede_r etwas zu verbergen hat. Jede_r hat eine Privatsphäre und überlegt sich gut, was sie_er wem erzählt. Das zweite ist, dass es nicht unbedingt um dieses Wissen an sich geht. Sondern darum, dass Wissen über eine Person sehr viel Macht und Kontrolle ermöglicht und eine Machtkonzentration herbeiführt. Daten werden genutzt, etwa auch zur Manipulation oder sie werden verkauft und es wird Profit daraus geschlagen. Es hat auf verschiedene Weise Einfluss auf das Leben von Menschen, dass so viele Daten verarbeitet werden.

Wie finde ich heraus, ob ich von solchen Überwachungsmaßnahmen betroffen bin oder war, ob der Staat Daten von mir hat?

Man kann Auskunftsbegehren stellen, was ich auch empfehlen kann. Einmal im Jahr ist das kostenlos. Man hat grundsätzlich das Recht, sowohl von Privaten als auch von Behörden zu erfahren, welche persönlichen Datenzu welchem Zweck verarbeitet werden. Durch die Datenschutzgrundverordnung, die ab Mai in Kraft tritt, werden diese Rechte ausgebaut.

Kann man Daten auch wieder löschen lassen?

Ja. Nur solange die Polizei das Recht hat, Daten zu verarbeiten, kann man sie nicht löschen lassen, ansonsten schon. Dafür kann man einen Antrag auf Löschung stellen.

Das Urteil von epicenter.works zu den geplanten Überwachungsmaßnahmen der Regierung fällt vernichtend aus. Ihr sprecht von „nie da gewesenen Einschränkungen des Rechts auf Privatsphäre“. Was steht uns ins Haus?

Was sich herauskristallisiert ist, dass im Zuge der Digitalisierung Datenbanken vernetzt werden sollen. Wenn man sich zum Beispiel die Bildungsdokumentation anschaut, geht es darum, dass schulische Leistungen, Fehlstunden etc. von einer Bildungsinstitution an die nächste weitergegeben werden. Wenn das zentral abrufbar ist und vielleicht sogar noch mit anderen Daten vernetzt werden kann, dann ist so etwas brandgefährlich. Es kann schon Sinn machen, so etwas zu modernisieren. Aber man muss sehr vorsichtig sein und darauf achten, wie der Zugriff funktioniert und dass diese Daten dezentral gespeichert werden. Außerdem müssen wir damit rechnen, dass der Datenschutz für Fremde stark eingeschränkt wird. Es ist immer noch nicht angekommen, dass Datenschutz nicht nur ein Bürger_innenrecht ist, sondern ein Menschenrecht und dass die Daten von Schutzsuchenden und Migrant_innen genauso geschützt werden müssen wie die von Österreicher_ innen.

Was kann man sich unter dem Bundestrojaner vorstellen?

Das ist eine staatliche Spionagesoftware, die auf Betriebssysteme Zugriff nimmt. Das kann auch ohne physischen Zugriff funktionieren. Sie schicken zum Beispiel ein E-Mail oder SMS an das Gerät, durch die man infiziert wird. Der Bundestrojaner ist sehr eingriffsintensiv und hat verschiedene Probleme: Erstens lässt er sich nicht auf eine bestimmte Art der Kommunikation eingrenzen, sondern wird mit einer Onlinedurchsuchung einhergehen. Das bedeutet, dass das gesamte System ausgelesen wird. Das wäre auf jeden Fall überschießend. Außerdem ist er eine große Gefahr für Internetsicherheit überhaupt. Denn was von Cyberkriminellen am meisten genutzt wird, sind Sicherheitslücken. Wenn der Staat aber plötzlich ein Interesse hat, die für den Trojaner offen zu lassen, dann macht man das ganze System unsicher, da so auch Malware eindringen kann.

Gibt es beim Bundestrojaner eine Möglichkeit sicherzustellen, dass man nur die Person überwacht, die man auch überwachen möchte?

Nein, es ist ein großes Problem, dass es kaum eingrenzbar ist. Wenn man den Trojaner beispielsweise per E-Mail bekommt, kann es sein, dass man ihn weiterschickt. Diese Daten sollen als Beweise verwendet werden, aber sobald ein Gerät infiziert ist, kann man nicht mehr feststellen, ob Daten am Gerät nicht durch die gleiche Sicherheitslücke eingeschleust worden sind. Damit würden Informationen vom Gerät nicht unbedingt als Beweise ausreichen, denn sie sind manipulierbar. Ist eine Vorratsdatenspeicherung wieder 
im Gespräch? Es war vor ein paar Jahren so, dass Telekommunikationsbetreiber alle Verbindungsdaten sechs Monate speichern mussten. Das hat der EuGH für grundrechtswidrig erklärt und war somit im letzten Überwachungspaket auch nicht mehr dabei. Was aber vorgeschlagen wurde, war ein sogenanntes Quickfreeze, bei dem nach einer Straftat im Umfeld für einen bestimmten Zeitraum Daten gespeichert werden. Das kann in einem bestimmten Ausmaß Sinn machen, muss aber entsprechend eingeschränkt werden. So eine Einschränkung war im letzten Vorschlag nicht enthalten. Wir wissen derzeit allerdings noch nicht, ob sie wieder kommt.

Besonders Aktivist_innen machen sich angesichts der neuen Regierung Sorgen, künftig verstärkt überwacht zu werden. Welche Überwachungsmaßnahmen wurden in der Vergangenheit gegen politische Aktivist_innen 
eingesetzt?

Wenn man zum Beispiel an die Tierrechtsaktivist_ innen denkt, echt eine riesige Bandbreite. Observationen, Hausdurchsuchungen, Kommunikationsüberwachung, Peilsender, verdeckte Ermittlungen – eigentlich so gut wie alles, was die Polizei im Repertoire hat.

Gab es auch Maßnahmen, die eine größere Personengruppe abdecken?

So richtig nachgewiesen weiß ich es nicht. Ich weiß, dass auf Demonstrationen öfters Kameras verwendet werden und auch bei IMSI-Catchern ist es nicht unwahrscheinlich. Aber auch, wenn zum Beispiel verdeckte Ermittler_innen in politische Gruppen gehen oder Email-Listen mitgelesen werden, ist natürlich das gesamte Umfeld betroffen. 

Gibt es hier einen besonderen Grundrechtsschutz?

Strafrechtlich begründete Überwachung ist dann legitim, wenn der Verdacht konkret genug ist. Bei den Tierrechtsaktivist_innen hat sich am Ende herausgestellt, dass gar nichts dran war. Wenn die Polizei auf einer so minimalen Grundlage schon so extensiv ermittelt, ist das ein Grundrechtseingriff. Wo ich ein Problem mit der Meinungsfreiheit sehe ist, wenn die politische Einstellung als Indikator dafür hergenommen wird, wie gefährlich eine Person ist. Das finde ich sehr problematisch und dazu sehe ich leider eine Tendenz. Es kann natürlich ein Indikator sein, wenn sich jemand schon aus politischen Gründen strafbar gemacht hat. Aber dass eine Haltung, die den Staat für nicht legitim hält, an sich schon eine Bedrohung sein soll, das glaube ich nicht. So wird aber beim Staatsfeindeparagraphen argumentiert. Da muss schon eine konkrete Gewaltbereitschaft dazu kommen, um das gefährlich zu machen. Es kann nicht die Gesinnung per se gefährlich sein.

Du hast den Staatsfeindeparagraphen erwähnt. Was ist das und kann damit Überwachung gerechtfertigt werden?

Das ist ein normaler strafrechtlicher Paragraph. Danach können Personen überwacht, festgenommen und verurteilt werden. Der Tatbestand ist kompliziert: Es muss eine staatsfeindliche Bewegung geben, die einerseits den Staat in seiner Gesamtheit ablehnt. Außerdem muss diese Bewegung fortgesetzt Handlungen setzen, um die Ausübung von Gesetzen zu verhindern. Es ist strafbar, ein Mitglied davon zu sein, sich öffentlich dazu zu bekennen, oder sich führend zu beteiligen, wozu schon das Schreiben von Texten ausreichen kann. Der Paragraph zielt auf Verschwörungstheoretiker_ innen, wie zum Beispiel Freemen oder Reichsbürger ab.

Kann dieser Paragraph auch politische Aktivist_innen treffen?

Das ist eine Befürchtung, dass der Paragraph sehr weit ausgelegt werden könnte. Es braucht zwar das Element, dass die Gesetzesausübung behindert wurde, damit kann es zumindest nicht nur auf Parolen oder Texte angewandt werden. Aber in Kombination mit zivilem Ungehorsam ist es nicht undenkbar, dass es eine grundsätzliche Kritik trifft, die an sich legitim und ein wichtiger Teil politischer Theorie ist. Der zivile Ungehorsam muss dabei nicht einmal strafbar sein oder eine Verwaltungsübertretung darstellen.

Konkretes Beispiel: Sitzblockaden eines antifaschistischen Protestes?

Das könnte durchaus erfasst sein. Wenn man die Polizei daran hindert, zum Beispiel die Ordnung des Straßenverkehrs zu gewährleisten, dann ist das so eine Handlung, ja.

Abschließend ein kurzer Ausblick. Was siehst du als die größten Herausforderungen der nächsten Zeit aus datenschutzrechtlicher Sicht?

Einerseits wäre es ein großes Problem, wenn der Bundestrojaner eingeführt wird. Das muss man auf jeden Fall verhindern. Das andere ist die Vernetzung von Datenbanken, das halte ich für gefährlich. Hier muss man sehr genau schauen, wie das aufgebaut wird. Auf der anderen Seite haben wir ab Mai die Datenschutz-Grundverordnung. Die ist zwar vor allem für Unternehmen gedacht, aber es ist ein sehr kleiner Schritt von Daten, die Unternehmen haben, dazu, dass die Polizei sie hat. Es ist sehr leicht, eine Befugnis zu schaffen, dass Unternehmen über Daten Auskunft geben müssen. Viele Unternehmen machen das auch jetzt schon aus Kooperation heraus.

Vielen Dank für das Interview!

Braune Brüder

  • 29.01.2018, 12:44
Noch nie war die Position von Burschenschaftern innerhalb der FPÖ so stark. Die rechtsextremen Männerbünde stellen die Hälfte der blauen Koalitionsverhandler_innen und 40 Prozent der Abgeordneten. Das wird sich auch in der Regierung niederschlagen – Mit einschneidenden Folgen für die Gesellschaft.

Bis Weihnachten soll die neue Regierung stehen. Spätestens. Schon jetzt signalisieren ÖVP und FPÖ als Koalitionspartner in spe Konsens und erklären freimütig, was sie im Wahlkampf noch unermüdlich bestritten: „Es spießt sich nichts“, wie Bundeskanzler in spe Sebastian Kurz die traute Einigkeit auf den Punkt bringt. Alleine die Aufzählung der Themen und Maßnahmen, auf die man sich bisher verständigen konnte, spricht Bände: Massive Verschärfungen für Geflüchtete, erschwerter Zugang zur Staatsbürger_innenschaft, Kürzungen bei der Mindestsicherung und mehr Überwachung. Insbesondere für sozial Schwache und marginalisierte Gruppen wird diese Koalition ein bitteres „Weihnachtsgeschenk“ werden, denn die angekündigten Maßnahmen werden sie besonders treffen. 

 

Faschistische Wertegemeinschaft

 

Über Posten wurde bisher noch nicht verhandelt, doch die Wunschliste der FPÖ liest sich wie ein Who-is-Who der völkischen Korporationen. Diese deutschnationalen Männerbünde sehen Österreich als Teil eines „deutschen Volkes“ und sich selbst als elitären Lebensbund. Frauen sind per Definition nicht zugelassen, genauso wenig wie „nicht-Deutsche“. Wer deutsch genug ist, bestimmen sie nach „völkischem Abstammungsprinzip“. Nicht zu Unrecht wird diese Regelung als „Arierparagraph“ für seinen unverhohlenen biologistischen Rassismus kritisiert. Doch gerade die österreichischen Burschenschaften stehen fest hinter diesem Relikt verkrusteter Blut-und-Boden-Ideologie. Die Regelung ist zugleich Ausdruck des tief verankerten Antisemitismus der Burschenschaften, denn jüdische Studenten gelten ihnen nicht als deutsch und werden nach wie vor von den meisten Verbindungen nicht aufgenommen. Das so durch Exklusion konstruierte Volk, verstanden als „Werte- und Schicksalsgemeinschaft“ gilt den Deutschnationalen als höchstes Gut, dem Individuum übergeordnet. Die verlangte Unterordnung, ja Selbstaufopferung des Einzelnen für das  Kollektiv findet ihren sichtbarsten Ausdruck in den Narben der Mensur, einer Mischung aus sportlichem Wettkampf und Duell. Sie wird mit scharfen Klingen gefochten, Schnittverletzungen sind die Regel. Ziel ist folglich auch nicht, Blessuren zu vermeiden oder zu gewinnen, sondern nicht zurückzuweichen. Diese Kombination aus Ideologien der Ungleichheit, Autoritarismus und dem Ideal der Härte macht die Gefährlichkeit deutschnationaler Burschenschaften aus. In der Vergangenheit hat diese immer wieder in Gewalttaten ihren Ausdruck gefunden. Die Burschenschaft Olympia, der beispielsweise der ehemalige Dritte Nationalratspräsident Martin Graf angehört, war 1961 sogar wegen ihrer Verstrickungen in nationalistischen Terrorismus aufgelöst worden.

 

In der FPÖ haben diese ewiggestrigen Verbände eine zentrale Stellung inne, sie können als ihr ideologisches Rückgrat gesehen werden. Diese Verknüpfungen stellt Hans-Henning-Scharsach in seinem neuesten Buch „Die stille Machtergreifung“ eindrucksvoll dar. Doch die Dominanz der rechtsextremen Kaderstrukturen in der FPÖ ist keineswegs eine Novität, vielmehr durchzieht sie die gesamte Parteigeschichte. Haider – selbst schlagender Burschenschafter – verbannte die meisten seiner völkischen Kameraden jedoch in die zweite Reihe der Partei. Er versuchte durchaus erfolgreich,  die Partei breiter aufzustellen und regierungsfähig zu machen. Nach der Abspaltung des liberalen Flügels der Partei in LIF und BZÖ war von dieser strategischen Mäßigung jedoch nichts mehr zu merken. Heinz-Christian Strache, wie schon sein Vorgänger deutschnationaler Burschenschafter, besetzte die frei gewordenen Posten der schwer angeschlagenen Partei mit Burschenschaftern nach. Diese bieten der Partei auch in Krisenzeiten einen sicheren Rekrutierungspool an bereits geschulten ideologischen Hardlinern. Seitdem bauten die völkischen Korporationen ihren Einfluss und ihre Verankerung stetig aus. Derzeit sind sie so stark vertreten wie noch nie in der Geschichte der Partei.

 

Strategische Mäßigung

 

Das große Ausmaß der deutschnationalen Dominanz innerhalb der FPÖ lässt sich leicht anhand aktueller Zahlen verdeutlichen: Von 51 FPÖlern sind ganze 18 in Burschenschaften, zwei weitere in Corps und eine Abgeordnete in einer Mädelschaft korporiert. Damit liegt die Quote völkisch Korporierter bei über 40 Prozent. Im Bundesparteivorstand sind es sogar 23 von 37 und damit knapp 2/3 der Mitglieder. In anderen Gremien und Klubs setzen sich diese Quoten fort, wie die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) nachgerechnet hat. Damit sind aktuell mehr als doppelt so viele Burschenschafter im Parlament wie im Jahr 1999, in dem die erste Schwarz-Blaue Regierung angelobt wurde. Wie schon bei der letzten ÖVP-FPÖ-Koalition ist in Vorbereitung auf die Regierungsverantwortung strategische Mäßigung zu erkennen. So gab Parteichef Strache bekannt, dass zwei der umstrittensten Parteigrößen – beide deutschnationale Burschenschafter - nicht für Ministerämter aufgestellt werden. Als am 9. November der neue Nationalrat angelobt wurde, verzichtete die FPÖ auf das Tragen der Kornblume, die bisher die Revers der FPÖ-Abgeordneten geziert hatte. Es handelt sich dabei um jene blaue Blume, die den illegalen Nationalsozialisten im Österreich der frühen 30er-Jahre als Erkennungszeichen diente. Doch der symbolische Verzicht kann weder über die ideologische Positionierung des FPÖ-Klubs noch den rechtsextremen Charakter der FPÖ als Ganzes hinwegtäuschen. Zumal auch das Edelweiß in seiner Symbolik alles andere als unbelastet ist: Es diente der Gebirgsdivision der Wehrmacht, einer Einheit, die abscheuliche Kriegsverbrechen verübte, als Abzeichen.

 

Welche Politik uns in den nächsten Jahren blüht, lassen die Verhandler in regelmäßigen Pressekonferenzen schon durchblicken. Ein Abbau des Sozialstaates und sozialer Grundrechte, Angriffe auf Versammlungs- und Medienfreiheit, mehr staatliche Überwachung, Verschärfungen für Arbeitslose und Geringverdiener, harte Zeiten für Geflüchtete, Migrant_innen und alle anderen, die nicht in das Bild der homogenen deutschen Volksgemeinschaft passen. Besorgniserregend ist insbesondere auch der neue Diskurs um den „Heimatschutz“, der entsprechend der übereinstimmenden Vorstellung der Koalitionspartner sogar ein eigenes Ministerium bekommen könnte. Dieser Vorstoß zeugt gleichermaßen von sprachlicher Aufrüstung wie Geschichtsvergessenheit. Denn Heimatschutz nannte sich auch die Heimwehr, jener paramilitärische Verband, der in den 1930er Jahren eine zentrale Rolle bei der Etablierung des österreichischen Faschismus spielte. Als Zusammenschluss von Deutschnationalen und Christlichsozialen sollte mit der Heimwehr ein Bollwerk gegen Linke, Juden und sogenannte „Fremde“ geschaffen werden. Dass diese Begrifflichkeit nun ausgerechnet bei einer Koalition aus ÖVP und FPÖ wieder aufgenommen wird, wirft dunkle Schatten voraus. Migration wird in dieser neuen Kompetenzverteilung noch stärker zum Sicherheitsthema verzerrt, das Bild einer von außen bedrohten Heimat geschaffen, die es als Regierung zu verteidigen gilt. Eine Erzählung, die man aus der extremen Rechen kennt – man denke beispielsweise an die Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“, welche die Identitären vertreten. Sie besagt, dass die „Völker Europas“ durch Zuwanderung akut vom unumkehrbaren Verschwinden bedroht wären. Derlei Bedrohungsszenarien sind ein Charakteristikum des Rechtsextremismus, ihre Gefährlichkeit liegt neben dem Schüren rassistischer Ängste auch in der Vorbereitung einer Notwehrargumentation in Verteidigung des Fortbestandes des eigenen Volkes. 

 

Rechtsextreme Präsenz auf der Straße

 

Solche Argumentationsmuster sind idealer Nährboden für außerparlamentarische rechtsextreme Gruppen. Diese wittern Morgenluft, so gewinnen rechtsextreme Tendenzen auch im außerparlamentarischen Raum an Selbstvertrauen. Zwar blieben größere Demonstrationen in den letzten Monaten aus, jedoch artikuliert sich der Rechtsextremismus der Straße mehrheitlich anders: Durch Gewalt, Drohung und Einschüchterung. Vor rund einem Jahr begann eine Serie an Sachbeschädigungen an linken Räumlichkeiten, von verklebten Schlössern über Schmierereien bis hin zu Einbruchsversuchen und Buttersäure. Trotz polizeilicher Anzeigen wurden wie so oft bei Straftaten mit klar rechtsextremem Hintergrund keine Täter_innen ermittelt, ja noch nicht einmal konsequente Spurensicherung vorgenommen. Und nicht immer bleibt es bei Sachschaden: Im Jahr 2013 griffen Neonazi-Hooligans das linke Zentrum im Ernst-Kirchweger-Haus an und verletzten eine Person schwer. Anfang 2015 kam es am Rande einer Pegida-Demonstration zu mehreren Körperverletzungen, zwei Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden, nachdem eine Gruppe von 30-50 Personen sie angegriffen hatte. In den vergangenen Monaten wurden zudem mehrmals Antifaschist_innen von Rechtsextremen bedroht, auch Berichte von körperlichen Attacken nehmen zu. Es ist zu befürchten, dass sich diese Entwicklung noch verstärken wird, sobald die neue Regierung angelobt wurde.

 

Für marginalisierte Gruppen, unbequeme Kunstschaffende aber auch linke Aktivist_innen brechen damit beunruhigende Zeiten an. Die Rahmenbedingungen gesellschaftskritischen Engagements und sozialer Kämpfe werden rauer, die Widerstände größer. In den vergangenen Jahren hat das Innenministerium in einigen Reformen seine Kompetenzen in Richtung Überwachung, Kontrolle und Ermittlung stark erweitert. Die ohnehin schon weit fortgeschrittene autoritäre Zuspitzung wird in den nächsten Jahren wohl noch weiter vorangetrieben werden und der schleichende Prozess der Normalisierung des Rechtsextremismus erreicht mit der Beteiligung einer klar rechtsextremen Partei, in der Deutschnationale den Ton angeben, einen neuen traurigen Höhepunkt. Diese bedrohlichen Entwicklungen nicht unkommentiert geschehen zu lassen ist nun umso wichtiger, eine Vielzahl linker Gruppen ruft schon jetzt für den Tag der Angelobung der neuen Regierung unter dem Label „Tag X“ zu Protesten auf und kündigt in einer gemeinsamen Presseaussendung an, dass „[w]enn weiter Rassismus, Sexismus und Sozialabbau in Gesetze gegossen und reaktionäre Ideologien auf der Straße gestärkt werden“ auch der Widerstand kein Ende finden werde. Die gesellschaftliche Linke, geeint nur in der Vision einer besseren Zukunft für alle Menschen, scheint dazu verdammt, den Status Quo gegen weitere Verschärfungen zu verteidigen. Ihr wird in den nächsten Jahren eine schwere, undankbare aber unschätzbar wichtige Aufgabe zukommen. Für unser aller Wohl bleibt zu hoffen, dass sie ihr gerecht werden kann.

 

Julia Spacil studiert Rechts- und Politikwissenschaft an der Uni Wien.