Braune Brüder
Bis Weihnachten soll die neue Regierung stehen. Spätestens. Schon jetzt signalisieren ÖVP und FPÖ als Koalitionspartner in spe Konsens und erklären freimütig, was sie im Wahlkampf noch unermüdlich bestritten: „Es spießt sich nichts“, wie Bundeskanzler in spe Sebastian Kurz die traute Einigkeit auf den Punkt bringt. Alleine die Aufzählung der Themen und Maßnahmen, auf die man sich bisher verständigen konnte, spricht Bände: Massive Verschärfungen für Geflüchtete, erschwerter Zugang zur Staatsbürger_innenschaft, Kürzungen bei der Mindestsicherung und mehr Überwachung. Insbesondere für sozial Schwache und marginalisierte Gruppen wird diese Koalition ein bitteres „Weihnachtsgeschenk“ werden, denn die angekündigten Maßnahmen werden sie besonders treffen.
Faschistische Wertegemeinschaft
Über Posten wurde bisher noch nicht verhandelt, doch die Wunschliste der FPÖ liest sich wie ein Who-is-Who der völkischen Korporationen. Diese deutschnationalen Männerbünde sehen Österreich als Teil eines „deutschen Volkes“ und sich selbst als elitären Lebensbund. Frauen sind per Definition nicht zugelassen, genauso wenig wie „nicht-Deutsche“. Wer deutsch genug ist, bestimmen sie nach „völkischem Abstammungsprinzip“. Nicht zu Unrecht wird diese Regelung als „Arierparagraph“ für seinen unverhohlenen biologistischen Rassismus kritisiert. Doch gerade die österreichischen Burschenschaften stehen fest hinter diesem Relikt verkrusteter Blut-und-Boden-Ideologie. Die Regelung ist zugleich Ausdruck des tief verankerten Antisemitismus der Burschenschaften, denn jüdische Studenten gelten ihnen nicht als deutsch und werden nach wie vor von den meisten Verbindungen nicht aufgenommen. Das so durch Exklusion konstruierte Volk, verstanden als „Werte- und Schicksalsgemeinschaft“ gilt den Deutschnationalen als höchstes Gut, dem Individuum übergeordnet. Die verlangte Unterordnung, ja Selbstaufopferung des Einzelnen für das Kollektiv findet ihren sichtbarsten Ausdruck in den Narben der Mensur, einer Mischung aus sportlichem Wettkampf und Duell. Sie wird mit scharfen Klingen gefochten, Schnittverletzungen sind die Regel. Ziel ist folglich auch nicht, Blessuren zu vermeiden oder zu gewinnen, sondern nicht zurückzuweichen. Diese Kombination aus Ideologien der Ungleichheit, Autoritarismus und dem Ideal der Härte macht die Gefährlichkeit deutschnationaler Burschenschaften aus. In der Vergangenheit hat diese immer wieder in Gewalttaten ihren Ausdruck gefunden. Die Burschenschaft Olympia, der beispielsweise der ehemalige Dritte Nationalratspräsident Martin Graf angehört, war 1961 sogar wegen ihrer Verstrickungen in nationalistischen Terrorismus aufgelöst worden.
In der FPÖ haben diese ewiggestrigen Verbände eine zentrale Stellung inne, sie können als ihr ideologisches Rückgrat gesehen werden. Diese Verknüpfungen stellt Hans-Henning-Scharsach in seinem neuesten Buch „Die stille Machtergreifung“ eindrucksvoll dar. Doch die Dominanz der rechtsextremen Kaderstrukturen in der FPÖ ist keineswegs eine Novität, vielmehr durchzieht sie die gesamte Parteigeschichte. Haider – selbst schlagender Burschenschafter – verbannte die meisten seiner völkischen Kameraden jedoch in die zweite Reihe der Partei. Er versuchte durchaus erfolgreich, die Partei breiter aufzustellen und regierungsfähig zu machen. Nach der Abspaltung des liberalen Flügels der Partei in LIF und BZÖ war von dieser strategischen Mäßigung jedoch nichts mehr zu merken. Heinz-Christian Strache, wie schon sein Vorgänger deutschnationaler Burschenschafter, besetzte die frei gewordenen Posten der schwer angeschlagenen Partei mit Burschenschaftern nach. Diese bieten der Partei auch in Krisenzeiten einen sicheren Rekrutierungspool an bereits geschulten ideologischen Hardlinern. Seitdem bauten die völkischen Korporationen ihren Einfluss und ihre Verankerung stetig aus. Derzeit sind sie so stark vertreten wie noch nie in der Geschichte der Partei.
Strategische Mäßigung
Das große Ausmaß der deutschnationalen Dominanz innerhalb der FPÖ lässt sich leicht anhand aktueller Zahlen verdeutlichen: Von 51 FPÖlern sind ganze 18 in Burschenschaften, zwei weitere in Corps und eine Abgeordnete in einer Mädelschaft korporiert. Damit liegt die Quote völkisch Korporierter bei über 40 Prozent. Im Bundesparteivorstand sind es sogar 23 von 37 und damit knapp 2/3 der Mitglieder. In anderen Gremien und Klubs setzen sich diese Quoten fort, wie die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) nachgerechnet hat. Damit sind aktuell mehr als doppelt so viele Burschenschafter im Parlament wie im Jahr 1999, in dem die erste Schwarz-Blaue Regierung angelobt wurde. Wie schon bei der letzten ÖVP-FPÖ-Koalition ist in Vorbereitung auf die Regierungsverantwortung strategische Mäßigung zu erkennen. So gab Parteichef Strache bekannt, dass zwei der umstrittensten Parteigrößen – beide deutschnationale Burschenschafter - nicht für Ministerämter aufgestellt werden. Als am 9. November der neue Nationalrat angelobt wurde, verzichtete die FPÖ auf das Tragen der Kornblume, die bisher die Revers der FPÖ-Abgeordneten geziert hatte. Es handelt sich dabei um jene blaue Blume, die den illegalen Nationalsozialisten im Österreich der frühen 30er-Jahre als Erkennungszeichen diente. Doch der symbolische Verzicht kann weder über die ideologische Positionierung des FPÖ-Klubs noch den rechtsextremen Charakter der FPÖ als Ganzes hinwegtäuschen. Zumal auch das Edelweiß in seiner Symbolik alles andere als unbelastet ist: Es diente der Gebirgsdivision der Wehrmacht, einer Einheit, die abscheuliche Kriegsverbrechen verübte, als Abzeichen.
Welche Politik uns in den nächsten Jahren blüht, lassen die Verhandler in regelmäßigen Pressekonferenzen schon durchblicken. Ein Abbau des Sozialstaates und sozialer Grundrechte, Angriffe auf Versammlungs- und Medienfreiheit, mehr staatliche Überwachung, Verschärfungen für Arbeitslose und Geringverdiener, harte Zeiten für Geflüchtete, Migrant_innen und alle anderen, die nicht in das Bild der homogenen deutschen Volksgemeinschaft passen. Besorgniserregend ist insbesondere auch der neue Diskurs um den „Heimatschutz“, der entsprechend der übereinstimmenden Vorstellung der Koalitionspartner sogar ein eigenes Ministerium bekommen könnte. Dieser Vorstoß zeugt gleichermaßen von sprachlicher Aufrüstung wie Geschichtsvergessenheit. Denn Heimatschutz nannte sich auch die Heimwehr, jener paramilitärische Verband, der in den 1930er Jahren eine zentrale Rolle bei der Etablierung des österreichischen Faschismus spielte. Als Zusammenschluss von Deutschnationalen und Christlichsozialen sollte mit der Heimwehr ein Bollwerk gegen Linke, Juden und sogenannte „Fremde“ geschaffen werden. Dass diese Begrifflichkeit nun ausgerechnet bei einer Koalition aus ÖVP und FPÖ wieder aufgenommen wird, wirft dunkle Schatten voraus. Migration wird in dieser neuen Kompetenzverteilung noch stärker zum Sicherheitsthema verzerrt, das Bild einer von außen bedrohten Heimat geschaffen, die es als Regierung zu verteidigen gilt. Eine Erzählung, die man aus der extremen Rechen kennt – man denke beispielsweise an die Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“, welche die Identitären vertreten. Sie besagt, dass die „Völker Europas“ durch Zuwanderung akut vom unumkehrbaren Verschwinden bedroht wären. Derlei Bedrohungsszenarien sind ein Charakteristikum des Rechtsextremismus, ihre Gefährlichkeit liegt neben dem Schüren rassistischer Ängste auch in der Vorbereitung einer Notwehrargumentation in Verteidigung des Fortbestandes des eigenen Volkes.
Rechtsextreme Präsenz auf der Straße
Solche Argumentationsmuster sind idealer Nährboden für außerparlamentarische rechtsextreme Gruppen. Diese wittern Morgenluft, so gewinnen rechtsextreme Tendenzen auch im außerparlamentarischen Raum an Selbstvertrauen. Zwar blieben größere Demonstrationen in den letzten Monaten aus, jedoch artikuliert sich der Rechtsextremismus der Straße mehrheitlich anders: Durch Gewalt, Drohung und Einschüchterung. Vor rund einem Jahr begann eine Serie an Sachbeschädigungen an linken Räumlichkeiten, von verklebten Schlössern über Schmierereien bis hin zu Einbruchsversuchen und Buttersäure. Trotz polizeilicher Anzeigen wurden wie so oft bei Straftaten mit klar rechtsextremem Hintergrund keine Täter_innen ermittelt, ja noch nicht einmal konsequente Spurensicherung vorgenommen. Und nicht immer bleibt es bei Sachschaden: Im Jahr 2013 griffen Neonazi-Hooligans das linke Zentrum im Ernst-Kirchweger-Haus an und verletzten eine Person schwer. Anfang 2015 kam es am Rande einer Pegida-Demonstration zu mehreren Körperverletzungen, zwei Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden, nachdem eine Gruppe von 30-50 Personen sie angegriffen hatte. In den vergangenen Monaten wurden zudem mehrmals Antifaschist_innen von Rechtsextremen bedroht, auch Berichte von körperlichen Attacken nehmen zu. Es ist zu befürchten, dass sich diese Entwicklung noch verstärken wird, sobald die neue Regierung angelobt wurde.
Für marginalisierte Gruppen, unbequeme Kunstschaffende aber auch linke Aktivist_innen brechen damit beunruhigende Zeiten an. Die Rahmenbedingungen gesellschaftskritischen Engagements und sozialer Kämpfe werden rauer, die Widerstände größer. In den vergangenen Jahren hat das Innenministerium in einigen Reformen seine Kompetenzen in Richtung Überwachung, Kontrolle und Ermittlung stark erweitert. Die ohnehin schon weit fortgeschrittene autoritäre Zuspitzung wird in den nächsten Jahren wohl noch weiter vorangetrieben werden und der schleichende Prozess der Normalisierung des Rechtsextremismus erreicht mit der Beteiligung einer klar rechtsextremen Partei, in der Deutschnationale den Ton angeben, einen neuen traurigen Höhepunkt. Diese bedrohlichen Entwicklungen nicht unkommentiert geschehen zu lassen ist nun umso wichtiger, eine Vielzahl linker Gruppen ruft schon jetzt für den Tag der Angelobung der neuen Regierung unter dem Label „Tag X“ zu Protesten auf und kündigt in einer gemeinsamen Presseaussendung an, dass „[w]enn weiter Rassismus, Sexismus und Sozialabbau in Gesetze gegossen und reaktionäre Ideologien auf der Straße gestärkt werden“ auch der Widerstand kein Ende finden werde. Die gesellschaftliche Linke, geeint nur in der Vision einer besseren Zukunft für alle Menschen, scheint dazu verdammt, den Status Quo gegen weitere Verschärfungen zu verteidigen. Ihr wird in den nächsten Jahren eine schwere, undankbare aber unschätzbar wichtige Aufgabe zukommen. Für unser aller Wohl bleibt zu hoffen, dass sie ihr gerecht werden kann.
Julia Spacil studiert Rechts- und Politikwissenschaft an der Uni Wien.