Die Blume aus dem Gemeindebau
Mit etwas Verspätung aber nun doch hat also der lang ersehnte und ungleich länger vertagte Bau der U5 begonnen. Voraussichtlich 2024 soll der erste Strecken- abschnitt fertig sein, 2027 sind dann sowohl die U5 als auch die U2 vollumfänglich im Einsatz. Das mag zwar noch ein paar Jahre hin sein, aber bereits jetzt – fünf Jahre vor der Fertigstellung der ersten Station – können es manche kaum erwarten, bis die neuen Züge durch den Wiener Untergrund fahren. Investor_innen zum Beispiel. „In der Nähe der zukünftigen U5“ froh- lockt bereits heute so manches Hernalser Immobilien- Inserat. Auch im Wohnungsmarkt-Bericht 2018 der BUWOG spricht man dieser Tage in freudiger Erwar- tung von der neuen Anbindung. Denn dadurch „wird der Bezirk weiter aufgewertet“, was sich wiederum in der „Nachfrage widerspiegeln“ werde [1].
Größte soziale Hausverwaltung.
Mit Blick auf die Mietpreise mag das nichts Gutes ver- heißen, denn „Aufwertung“ ist ein Begriff, der eine gewisse Ambivalenz in sich trägt. Und dennoch nimmt Wien im europäischen Vergleich in Sachen Wohnpoli- tik nach wie vor eine Sonderrolle ein. Während in Zü- rich, München oder Berlin die Mieten durch die Decke gehen, siehts in Wien noch ganz passabel aus. Denn die Stadt hat am heiß umkämpften Wohnungsmarkt ein gewichtiges Argument: Sie ist Eigentümerin von 220.000 Wohnungen, verwaltet somit das Obdach von einer halben Million Wiener_innen und ist somit nach eigenen Angaben die „größte soziale Hausverwaltung Europas“. [2]
Genau 100 Jahre ist es her, als im Mai 1919 der Metz- leinsthaler Hof fertiggestellt wurde. Der Gemeindebau am Margaretengürtel 90 – 98 war der Erste seiner
Art – und sein Spatenstich zugleich Startschuss für ein staatliches Wohnbauprojekt gigantischen Ausmaßes. In knapp zehn Jahren stampfte die Stadt Wien 380 Gemeindebauten aus dem Boden, insgesamt 64.000 Wohnungen. Die sogenannte „Ringstraße des Prole- tariats“, eine Art trotziger Gegenentwurf zur bürger- lichen Ringstraße, wurde zum Zentrum für billigen Wohnraum der Arbeiter_innenschaft. Dort steht auch heute noch der Metzleinsthaler Hof. Etwas unschein- bar. Läuft man den Margaretengürtel entlang, erinnert lediglich ein kleines zweizeiliges Schild an das für die Stadt Wien eigentlich so bedeutende Gebäude.
Um 1900 leben in Wien mehr als zwei Millionen Menschen, 300.000 davon sind obdachlos. Als Reaktion auf die desaströsen Lebensumstände der weitgehend pauperisierten Arbeiter_innschaft – in Folge von Inflation und der verheerenden Versor- gungssituation nach dem 1. Weltkrieg - wagte man in Wien während der 1920er und 1930er Jahre ein „einzigartiges gesellschaftspolitisches Experiment“, wie es heute noch in der Ausstellung „Das Rote Wien“ heißt. Die Mieten der im Schnitt 42 Quad- ratmeter großen Wohnungen machten dabei nicht mehr als läppische vier Prozent des Familienein- kommens aus.
Besserstellung der Arbeiter_innenklasse.
Den Stein ins Rollen brachte die Ge- meinderatswahl im Mai 1919, an welcher erstmals auch Frauen teilnehmen durften. Die Sozialdemo- krat_innen hatten von nun an das Wiener Zep-
ter in der Hand, allen voran Neu-Bürgermeister Jakob Reumann. Da sich Wien nur kurz zuvor
vom politisch konservativ ausgerichteten Nieder- österreich abgespalten hatte und von nun an als eigenes Bundesland galt, „konnten hier damals Reformprojekte zugunsten einer Besserstellung der Arbeiterklasse in Angriff genommen werden, die
in anderen Städten Europas kaum auch nur vor- stellbar gewesen wären“, wie der Sozialphilosoph Axel Honneth in einer 2015 in Wien abgehaltenen Preisrede erläutert [3]. Mit Julius Tandler, Victor Adler, Otto Bauer und vielen anderen erhielten die Sozialdemokrat_innen zudem reichlich intellektu- ellen Input bei der Umsetzung ihres sehr pragma- tisch und undogmatisch angelegten „sozialistischen Experimentalismus“. Nicht eine Utopie, ein gesell- schaftlich zu erreichender Endzustand, sondern die „brachliegenden Chancen einer möglichst schnellen Besserstellung der arbeitenden Bevölkerung“ war handlungsanweisend für die Wiener Wohn- und Sozialpolitik, wie Honneth festhält.
Wer soll das bezahlen?
Auch hier war
die Antwort der Wiener Sozialist_innen so einfach wie undogmatisch: Ein stark progressives Steuer- system und eine Luxussteuer auf Nobelgüter. Als „monumentaler Superblock“, wie er damals hieß, ging auch der Döblinger Karl-Marx-Hof aus diesem Zusammenspiel von sprudelnden Steuereinnahmen und wohnpolitischem Ehrgeiz hervor. Ein Gebäude, das auch heute noch in ganz Europa als Vorbild für eine progressiv ausgerichtete Wohnpolitik gilt. In den 1.382 Wohnungen, die zwischen Oktober 1926 und Oktober 1930 errichtet wurden, fanden rund 5.000 Menschen Platz.
Genug der Nostalgie. In den vergangenen zehn Jahren sind die Preise für Mietwohnungen in Wien um 35 Prozent gestiegen. Wer 2008 Brutto und inklusive Betriebskosten noch 390 Euro für seine Bleibe zahlte, wird heute monatlich um mehr als 525 Euro erleichtert – für dasselbe Mietobjekt [4]. Die einstiegen „Arbeiter_innenviertel“ werden Haus um Haus durch Lofts veredelt, schicke Cafés und ein paar hippe Installationen tun das Übrige. „Grätzel- aufwertung“ schimpft sich das – und wertet damit samt öffentlichen Raum meist auch gleich noch den Mietpreis in die Höhe. Auch hier ist der Wert also ein ambivalenter.
Kein Wiener Alleinstellungsmerkmal.
In Berlin beispielsweise hat sich die Durch- schnittsmiete in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt [5]. Das ist mit ein Grund, warum in der Deutschen Hauptstadt gerade hitzig über Enteig- nungen von großen Immobilienfirmen gestritten wird. Und wiederum ein Grund, warum beispiels- weise die Bayerische FDP und die Bayerische AfD
– in präventiver Panik bzw. in panischer Prävention – vorsichtshalber schonmal „Dringlichkeitsanträge“ in den Landtag einbrachten, um entsprechende Paragrafen, die solche Enteignungen potentiell möglich machen, aus der Bayerischen Verfassung zu streichen. Die „Anwendung eines Instruments des Sozialismus” werde die „marktwirtschaftliche Ordnung nachhaltig schädigen“, wie es im Antrag heißt [6]. Man mag das komisch finden, aber es ver- anschaulicht sehr gut, worum diese Debatte kreist: Es geht primär darum, die „marktwirtschaftliche Ordnung“ in Takt zu halten. Von leistbarem Wohnen findet sich in den Anträgen kein Wort, zu sozialistisch.
Zurück nach Wien, in die „Hauptstadt des bezahlba- ren Wohnraums“, wie die ZEIT im März 2017 titelte [7]. 1.900.000 Bewohner_innen zählt die österreichi- sche Hauptstadt seit Anfang dieses Jahres. Im Jahr 2026 sollen es laut Statistik Austria wieder mehr als zwei Millionen sein, so wie bereits 110 Jahre zuvor [8]. Und diese Menschen brauchen Platz. Bezahlbaren Platz. Um es vorweg zu nehmen: Denselben Ehrgeiz wie vor 100 Jahren legt Stadt Wien aktuell nicht an den Tag. Auch wenn sie immer noch unter sozialde- mokratischer Regentschaft steht – „die Blume aus dem Gemeindebau“ der Wolfgang Ambros einst ein eigenes Lied widmete, wird in Zukunft deutlich um- kämpfter sein als in der Vergangenheit.
„Die Wiener Wohnbaupolitik ist die größte Förderung der Mittelschicht in der Stadt“, erklärte unlängst Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ). Aber was heißt das? Rund acht Euro zahlt man in Wien durch- schnittlich für einen Quadratmeter Wohnraum. Zum Vergleich: In München sind es 16 Euro pro Quadrat- meter. Ein Viertel aller Wohnung der österreichischen Hauptstadt sind in Besitz der Stadt, sind also Gemein- debauwohnungen, in denen Netto durchschnittlich nur 6,7 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden müssen.[9]
Mit 2004 stellte Wien den Gemeindewohnungsbau ein, fördert Wohnbau seither jedoch mit rund 550 Millionen Euro jährlich [6]. Auch den Privatisie- rungen von öffentlichem Wohneigentum verwehrt man sich nach wie vor konsequent – was in vielen anderen europäischen Großstädten schon lange nicht mehr der Fall ist. Durch die bereits 2015 wäh- rend des Gemeinderatswahlkampfes angekündigte Initiative „Gemeindebau Neu“ sollen bis 2020 bis zu 4.000 neue Wohnungen entstehen, für 7,50 Euro pro Quadratmeter. Davon sind aktuell „3.700 neue Gemeindewohnungen in verschiedenen Projektpha- sen in Umsetzung“, wie ein Sprecher von Wohnbau- stadträtin auf Nachfrage Gaál mitteilt. „Im Herbst dieses Jahres” werden in der Fontanastraße im 10. Bezirk erstmals Menschen in den „Gemeindebau Neu“ einziehen.
Während andernorts von einer „Neoliberalisierung der Wohnungspolitik“ die Rede ist, trifft dies auf Wien nur zum Teil zu. Wohnraum, der im Zuge der Initiative „Gemeindebau Neu“ entstehen soll, kommt in der Tat unteren und mittleren Einkommensschich- ten zu Gute. Wenn Wien jedoch, wie laut Prognosen, bis 2030 um mehr als 150.000 Menschen wachsen soll, sind 4.000 neue Wohnung nicht mehr als „ein Tropfen auf den heißen Stein“, wie die beiden Wohn- politik-Expert_innen Lisa Vollmer und Justin Kadi analysieren [6]. Der Anteil gemeinnützigen Wohn- baus würde daher deutlich unter die bisherige 25 Prozent-Marke sinken. „Auch Wien ist keine Insel, an der globale Trends spurlos vorbeiziehen“, wie Gaáls Sprecher erklärt. In der Wohnbaustadtpolitik seien es vor allem „hohe Grundkosten“, die einer so ehrgeizi- gen Wohnpolitik wie einst im Wege stehen. Deshalb sollen zusätzlich zum „Gemeindebau Neu“ rund 7.000 neue Wohnungen pro Jahr entstehen, deren Bau von der Stadt gefördert wird.
Anspruch auf Gemeindebau.
Was ins Auge sticht, ist, wer überhaupt Anspruch auf eine Woh- nung im Gemeindebau hat. Nämlich nur jene, die be- reits seit mindestens zwei Jahren ihren Hauptwohn- sitz in Wien gemeldet haben. Das heißt, Anspruch auf vergünstigten Wohnraum, haben bevorzugt jene, die bereits anderweitig in Wien untergekommen sind. Für Student_innen kommt der Gemeindebau daher vor erst einmal nicht in Frage. Für Geflüchtete und Migrant_innen ebenso wenig; Gruppen also, die im Schnitt unterdurchschnittlich verdienen und über- durchschnittlich auf niedrige Mieten angewiesen sind. Nachgefragt im Wiener Magistrat für Wohnbau: „In Wien kann man nicht an der Adresse erkennen, wie viel jemand verdient. Diese starke soziale Durchmischung haben wir zu einem großen Stück dem sozialen Wohnbau zu verdanken, der zu einem schönen Teil des Charmes und Charakters unserer Stadt geworden ist“. Wie man diesen „Charme“ auch zukünftig bewahren will, bleibt ein Geheimnis.
Schwarz-Blau übernimmt Forderungen der Immobilienwirtschaft,
Was
den privaten Wohnmarkt anbelangt, ist die Lage noch einmal deutlich angespannter: Die Einführung befristeter Mietverträge sowie eine Flexibilisierung des Mietrechts machen Mietwohnungen vor allem für Investor_innen attraktiv – weniger für Mieter_innen [10]. Kein Wunder also, dass es vor allem private Miet- wohnungen waren, die in den vergangenen Jahren am meisten aufgewertet wurden. Mitverantwortlich zeichnen hier auch sogenannte Dauer-Ferienunter- künfte, am prominentesten vertreten durch Airbnb, die besonders lukrative Einkünfte in Aussicht stellen. Und ein Blick ins schwarz/türkis-blaue Regierungsprogramm verspricht ebenso nichts Gutes: Im puncto Wohnen ähneln die Inhalte des Regierungspapiers den Forderungen der „Österreichischen Verbandes der Immobilienwirtschaft“ (ÖVI) auffallend stark. Teilweise wurden die Forderungen des Lobbyverban- des, der sich selbst als „Stimme der Immobilienwirt- schaft“ sieht, sogar Wort für Wort übernommen [11].
Johannes Greß (24) studiert Politikwissenschaft im Master und lebt als freier Journalist in Wien
1 http://www.wohnungsmarktbericht.at/links/pdf/ BUWOG_WMB18_DE.pdf
2 https://www.wienerwohnen.at/100jahre.html
3 Nachzulesen bei: Honneth, Axel (2017): Die Idee
des Sozialismus, Suhrkamp: 169 – 180 4 https://www.statistik.at/wcm/idc/
idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelecti
onMethod=LatestReleased&dDocName=079261 5 https://www.tagesspiegel.de/berlin/ansteigende-
mietpreise-berliner-geben-46-prozent-des-einkommens-fuer-wohnen-aus/23070316.html
6 https://www.bayern.landtag.de/www/Elan-TextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000001000/0000001396.pdf
7 https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/wohnen-wien-preise-gentrifizierung-probleme
8 https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/demo- graphische_ prognosen/bevoelkerungsprognosen/ index.html
9 Statistik Austria
10 Vollmer, Lisa / Kaudi, Justin (2018): Wohnpolitik in der Krise des Neoliberalismus in Wien und Berlin: http://prokla.com/wp/wp-content/up- loads/2018/prokla191-vollmer-kadi.pdf
11 https://diepresse.com/home/wirtschaft/econo- mist/5401119/Wohnpolitik_SPOe-warnt-vor- Entwicklungen-wie-in-England