anonym

Eine Depression ist ein fucking Event

  • 10.03.2014, 23:58

Was haben die ProtagonistInnen von Charlotte Roches Büchern und Serien wie About:Kate gemeinsam? Richtig, ihnen geht es nicht gut und sie machen deshalb Therapien. Ein Streifzug durch die Popwelt auf der Suche nach Geschichten über Manie und Macken.

Was haben die ProtagonistInnen von Charlotte Roches Büchern und Serien wie About:Kate gemeinsam? Richtig, ihnen geht es nicht gut und sie machen Therapien. Ein Streifzug durch die Popwelt auf der Suche nach Geschichten über Manie und Macken.

Uns Jungen geht es nicht gut. Uns wird unter anderem Überängstlichkeit, Überforderung, Unreife und Hedonismus nachgesagt. Irgendwie herrscht überall die Meinung, dass irgendetwas mit uns nicht stimmt. Wir sind schließlich jung und sollten gefälligst zufrieden sein. Aber wir sind es nicht. Mittlerweile wurden die für unsere Generation typischen psychischen Erkrankungen entlarvt: Sie reichen von Depressionen, Angststörungen bis hin zu Krisen aller Art, wie etwa der Quarter Life Crisis. Es ist in Anbetracht der schwierigen Umstände, wie der andauernd angespannten wirtschaftlichen Situation, nicht weiter verwunderlich, dass mehr junge Menschen als je zuvor mit psychischen Problemen konfrontiert sind und sich Hilfe bei TherapeutInnen suchen. Dies hängt möglicherweise aber auch mit einer voranschreitenden Enttabuisierung des Themas zusammen: Längst hat sich der Gang zum „shrink“ auch bei jungen Menschen etabliert. Viele reden über Probleme und reflektieren über die Traumata, über die ihre Eltern noch geschwiegen haben. Andere zweifeln an ihrer eigenen „Normalität“, sind verunsichert von den Erwartungen der Eltern oder der Gesellschaft und erdrückt vom zunehmendem Leistungsdruck. Die Schuld für das eigene Versagen wird dabei immer mehr bei sich selbst gesucht, statt in gesellschaftlichen Normen.

Diese Entwicklungen spiegelt sich auch in der Popkultur wider. Dort wimmelt es heute nur so von jungen Antihelden und -heldinnen mit kleineren und größeren Macken, die uns auch unsere eigene Unvollkommenheit regelmäßig vor Augen führen. Zum Beispiel dann, wenn die Serienfigur Kate oder die ProtagonistInnen aus der Jugendliteratur in Therapie gehen und dort über ihre Probleme reden. Dabei kommen ziemlich unterschiedliche Darstellungen von Therapie und Wahnsinn zustande. Hier also ein kleiner Streifzug durch die Welt des Pops.

Janna Nandzik: about:Kate (2013)

Die hippe Kunststudentin Kate weist sich an ihrem dreißigsten Geburtstag auf eigene Faust in eine psychiatrische Klinik ein. Irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Was genau, das weiß Kate aber selbst nicht. Zum fixen Alltag in der Klinik gehören Erlebnisse mit einem exzentrischen Pfleger und Kates eher schleppend verlaufende Therapie. Dabei wirkt Kates Therapeutin neurotischer als sie selbst und greift mitunter zu schwer ernstzunehmenden Methoden. In der Arte-Serie wechselt die Erzählperspektive immer wieder zwischen Kate als rebellischem Kind und der „erwachsenen“ Kate, die sich aber im Grunde kaum voneinander unterscheiden. Im Laufe der Serie bricht das, für Kates instabile Verfassung verantwortliche und tief in ihr schlummernde Trauma, langsam hervor. Stilistisch macht sich das an assoziativen, collageartigen Bildsequenzen – die an die Sendung ohne Namen erinnern – sowie dem immer wiederkehrenden, wuchtigen "Outro" der Band M83 fest.

Sarah Kuttner: Mängelexemplar (2011)

Selten wurde Therapie so hipp dargestellt wie in „Mängelexemplar“. „Eine Depression ist ein fucking Event“ – so beginnt Sarah Kuttners Roman, dessen Protagonistin, die Mittzwanzigerin Karo, ein typischer Charakter aus der Kreativ- und Eventbranche ist. Sie ist jung, flexibel, stylisch. Als sie ihren Job verliert und sich von ihrem Freund trennt, scheint ihr alles zu entgleiten. Sie hat Panikattacken und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Karo zieht daraufhin wieder zu ihrer Mutter zurück und fängt an zu einem Psychiater zu gehen. Ihrem Therapeuten, der sich laut Karo „wie ein Popstar gebärt“ und auf dessen Tisch stets eine Bionade steht, weiß sie sich anzuvertrauen. Neben der Erfahrung mit der Therapie und den kleinen Schritten zurück in die Normalität, umfasst Karos Geschichte auch das Thema Kindheitstrauma und Psychopharmaka: Der Schlüssel zu Karos Genesung ist letztendlich nicht das autogene Training, das die Protagonistin eher nervt statt ihr zu helfen, sondern Antidepressiva.

Charlotte Roche: Schossgebete (2011)

Die Grenzen zwischen Charlotte Roches’ eigenem Leben und dem der Protagonistin Elisabeth scheinen in Schoßgebete unklar zu sein. Es gibt viele Parallelen im Leben der beiden, zum Beispiel, dass bei einem Autounfall ihre Brüder ums Leben kamen und die Mutter schwer verletzt wurde. Die traumatisierte und manische Elisabeth sucht Trost im Sex und redet darüber mit Frau Drescher, ihrer Therapeutin. Diese besucht sie dreimal die Woche. Die Therapeutin sagt meist, Elisabeth soll netter zu sich sein, das findet diese selbst auch. Nur ist sie nun einmal schrecklich überreflektiert und auch überfordert. Sie will es stets allen Recht machen. Die Therapie wird von ihr vielleicht auch deswegen zusehends als heilige Autorität wahrgenommen: „Ich empfehle jedem, der ein Kind hat oder einen Mann oder eine Frau, eine Therapie zu machen. Wenn man sich das nicht leisten kann, bitte wenigstens einen Ratgeber lesen“, so die belehrende Elisabeth. Überhaupt geht es im Roman stark darum Halt zu finden. Das äußert sich etwa in Elisabeths missionarischen Vegetarismus, der Fixierung auf Sex oder der übertriebenen Glorifizierung der Monogamie.

Nina Pauer: Wir haben keine Angst (2011)

Schon der Untertitel des viel besprochenen Werkes der Journalistin Nina Pauer enthält das Wort Therapie, er lautet: „Gruppentherapie einer Generation“. Kapitelweise wird abwechselnd das Leben der MittzwanzigerInnen Bastian und Anna illustriert. Die beiden ProtagonistInnen verbindet nicht nur, dass sie eine lange Liste an sogenannten "Luxusproblemen" haben, sondern auch, dass sie den selben Therapeuten, nämlich Herrn G. besuchen. Dieser scheint den beiden aber nur bedingt helfen zu können. Vielleicht liegt das daran, dass die zwei einfach gerne jammern und eigentlich ein ganz gutes Leben haben. Oder auch daran, dass sie irgendwie vom Therapeuten erwarten, dass der ihr Leben für sie wieder gerade biegen wird, ohne zu begreifen, dass sie auch selbst etwas dafür tun müssen. Nina Pauers Werk ist als Kritik an unsere Generation zu verstehen, die sich ihre Ängste nicht einzugestehen weiß, obwohl diese durchaus berechtigt zu sein scheinen. Schließlich haben wir Katastrophen in unserer Kindheit erlebt (Tschernobyl) und wurden von Helikopter-Eltern großgezogen, die uns verhätschelt und verbogen haben. Kurz: Pauer will sagen, dass mit uns alles stimmt und schafft es im selben Moment diese Aussage zu widerlegen.

 

Was haben die ProtagonistInnen von Charlotte Roches Büchern und Serien wie About:Kate gemeinsam? Richtig, ihnen geht es nicht gut und sie machen Therapien. Ein Streifzug durch die Popwelt auf der Suche nach Geschichten über Manie und Macken.

Uns Jungen geht es nicht gut. Uns wird unter anderem Überängstlichkeit, Überforderung, Unreife und Hedonismus nachgesagt. Irgendwie herrscht überall die Meinung, dass irgendetwas mit uns nicht stimmt. Wir sind schließlich jung und sollten gefälligst zufrieden sein. Aber wir sind es nicht. Mittlerweile wurden die für unsere Generation typischen psychischen Erkrankungen entlarvt: Sie reichen von Depressionen, Angststörungen bis hin zu Krisen aller Art, wie etwa der Quarter Life Crisis. Es ist in Anbetracht der schwierigen Umstände, wie der andauernd angespannten wirtschaftlichen Situation, nicht weiter verwunderlich, dass mehr junge Menschen als je zuvor mit psychischen Problemen konfrontiert sind und sich Hilfe bei TherapeutInnen suchen. Dies hängt möglicherweise aber auch mit einer voranschreitenden Enttabuisierung des Themas zusammen: Längst hat sich der Gang zum „shrink“ auch bei jungen Menschen etabliert. Viele reden über Probleme und reflektieren über die Traumata, über die ihre Eltern noch geschwiegen haben. Andere zweifeln an ihrer eigenen „Normalität“, sind verunsichert von den Erwartungen der Eltern oder der Gesellschaft und erdrückt vom zunehmendem Leistungsdruck. Die Schuld für das eigene Versagen wird dabei immer mehr bei sich selbst gesucht, statt in gesellschaftlichen Normen.

Diese Entwicklungen spiegelt sich auch in der Popkultur wider. Dort wimmelt es heute nur so von jungen Antihelden und -heldinnen mit kleineren und größeren Macken, die uns auch unsere eigene Unvollkommenheit regelmäßig vor Augen führen. Zum Beispiel dann, wenn die Serienfigur Kate oder die ProtagonistInnen aus der Jugendliteratur in Therapie gehen und dort über ihre Probleme reden. Dabei kommen ziemlich unterschiedliche Darstellungen von Therapie und Wahnsinn zustande. Hier also ein kleiner Streifzug durch die Welt des Pops.

Janna Nandzik: about:Kate (2013)

Die hippe Kunststudentin Kate weist sich an ihrem dreißigsten Geburtstag auf eigene Faust in eine psychiatrische Klinik ein. Irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Was genau, das weiß Kate aber selbst nicht. Zum fixen Alltag in der Klinik gehören Erlebnisse mit einem exzentrischen Pfleger und Kates eher schleppend verlaufende Therapie. Dabei wirkt Kates Therapeutin neurotischer als sie selbst und greift mitunter zu schwer ernstzunehmenden Methoden. In der Arte-Serie wechselt die Erzählperspektive immer wieder zwischen Kate als rebellischem Kind und der „erwachsenen“ Kate, die sich aber im Grunde kaum voneinander unterscheiden. Im Laufe der Serie bricht das, für Kates instabile Verfassung verantwortliche und tief in ihr schlummernde Trauma, langsam hervor. Stilistisch macht sich das an assoziativen, collageartigen Bildsequenzen – die an die Sendung ohne Namen erinnern – sowie dem immer wiederkehrenden, wuchtigen "Outro" der Band M83 fest.

Sarah Kuttner: Mängelexemplar (2011)

Selten wurde Therapie so hipp dargestellt wie in „Mängelexemplar“. „Eine Depression ist ein fucking Event“ – so beginnt Sarah Kuttners Roman, dessen Protagonistin, die Mittzwanzigerin Karo, ein typischer Charakter aus der Kreativ- und Eventbranche ist. Sie ist jung, flexibel, stylisch. Als sie ihren Job verliert und sich von ihrem Freund trennt, scheint ihr alles zu entgleiten. Sie hat Panikattacken und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Karo zieht daraufhin wieder zu ihrer Mutter zurück und fängt an zu einem Psychiater zu gehen. Ihrem Therapeuten, der sich laut Karo „wie ein Popstar gebärt“ und auf dessen Tisch stets eine Bionade steht, weiß sie sich anzuvertrauen. Neben der Erfahrung mit der Therapie und den kleinen Schritten zurück in die Normalität, umfasst Karos Geschichte auch das Thema Kindheitstrauma und Psychopharmaka: Der Schlüssel zu Karos Genesung ist letztendlich nicht das autogene Training, das die Protagonistin eher nervt statt ihr zu helfen, sondern Antidepressiva.

Charlotte Roche: Schossgebete (2011)

Die Grenzen zwischen Charlotte Roches’ eigenem Leben und dem der Protagonistin Elisabeth scheinen in Schoßgebete unklar zu sein. Es gibt viele Parallelen im Leben der beiden, zum Beispiel, dass bei einem Autounfall ihre Brüder ums Leben kamen und die Mutter schwer verletzt wurde. Die traumatisierte und manische Elisabeth sucht Trost im Sex und redet darüber mit Frau Drescher, ihrer Therapeutin. Diese besucht sie dreimal die Woche. Die Therapeutin sagt meist, Elisabeth soll netter zu sich sein, das findet diese selbst auch. Nur ist sie nun einmal schrecklich überreflektiert und auch überfordert. Sie will es stets allen Recht machen. Die Therapie wird von ihr vielleicht auch deswegen zusehends als heilige Autorität wahrgenommen: „Ich empfehle jedem, der ein Kind hat oder einen Mann oder eine Frau, eine Therapie zu machen. Wenn man sich das nicht leisten kann, bitte wenigstens einen Ratgeber lesen“, so die belehrende Elisabeth. Überhaupt geht es im Roman stark darum Halt zu finden. Das äußert sich etwa in Elisabeths missionarischen Vegetarismus, der Fixierung auf Sex oder der übertriebenen Glorifizierung der Monogamie.

Nina Pauer: Wir haben keine Angst (2011)

Schon der Untertitel des viel besprochenen Werkes der Journalistin Nina Pauer enthält das Wort Therapie, er lautet: „Gruppentherapie einer Generation“. Kapitelweise wird abwechselnd das Leben der MittzwanzigerInnen Bastian und Anna illustriert. Die beiden ProtagonistInnen verbindet nicht nur, dass sie eine lange Liste an sogenannten "Luxusproblemen" haben, sondern auch, dass sie den selben Therapeuten, nämlich Herrn G. besuchen. Dieser scheint den beiden aber nur bedingt helfen zu können. Vielleicht liegt das daran, dass die zwei einfach gerne jammern und eigentlich ein ganz gutes Leben haben. Oder auch daran, dass sie irgendwie vom Therapeuten erwarten, dass der ihr Leben für sie wieder gerade biegen wird, ohne zu begreifen, dass sie auch selbst etwas dafür tun müssen. Nina Pauers Werk ist als Kritik an unsere Generation zu verstehen, die sich ihre Ängste nicht einzugestehen weiß, obwohl diese durchaus berechtigt zu sein scheinen. Schließlich haben wir Katastrophen in unserer Kindheit erlebt (Tschernobyl) und wurden von Helikopter-Eltern großgezogen, die uns verhätschelt und verbogen haben. Kurz: Pauer will sagen, dass mit uns alles stimmt und schafft es im selben Moment diese Aussage zu widerlegen.

 

Schlagabtausch: Vollbeschäftigung

  • 01.10.2012, 12:18

Vollbeschäftigung: Pro und Contra

PRO Vollbeschäftigung

VOLLBESCHÄFTIGUNG: EIN WEG UND ZIEL

Vollbeschäftigung wurde in den letzten Jahren als Begriff ausgedehnt. In Österreich wird die Vollbeschäftigung ausgerufen, wenn die Arbeitslosenquote unter die 3,5-Prozent-Marke sinkt. Es stellt sich aber die Frage, was sich hinter diesen Prozentzahlen verbirgt, und warum die Linke von der Forderung nach Vollbeschäftigung nicht Abstand nehmen darf.
Klar ist, dass es im derzeitigen kapitalistischen System die 100-prozentige Beschäftigung nicht geben kann, weil es immer Menschen geben wird, die gerade Job wechseln oder ein paar Monate auf der Suche nach ihrem ersten Arbeitsplatz sind. Die derzeitige staatliche Definition vom Zustand der Vollbeschäftigung ist aber sicherlich weit entfernt von dem Ziel, das eine systemkritische Position verfolgt. Vollbeschäftigung darf nicht bedeuten, dass eine Zahlenbeschönigung durch AMS-Programme stattfindet, dass Frauen nach wie vor in prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen oder in Teilzeit gedrängt werden. Diese Entscheidung muss eine individuell zu treffende sein, was sie momentan nicht ist. Dennoch ist eine echte Vollbeschäftigung, bei der der Arbeitsmarkt Platz für alle bietet, ein gesamtgesellschaftliches Ziel, das es zu verfolgen gilt.

Wer sich eine Gesellschaft nach Solidaritätsprinzip wünscht, wird schnell erkennen, dass das am besten funktioniert, wenn alle arbeitsfähigen Menschen auch tatsächlich Arbeit finden. Arbeit, die sie fördert und fordert und nicht krank macht, oder sie in die Klasse der sogenannten Working Poor drängt. Allein eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, sprich die Abkehr von der regulären 40-Stunden-Woche, würde die Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze bedeuten und Menschen auch wieder mehr Zeit geben, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren. Der Weg von einer kapitalistischen Gesellschaft zu einer sozial-solidarischen mit neuem Arbeitsbegriff kann nur über Vollbeschäftigung passieren. Wir dürfen uns nur die Definition des Begriffes nicht entreißen lassen und müssen den Arbeitskampf endlich wieder mit vereinten Kräften aufnehmen.

Mirijam Müller studiert Medizin an der Meduni Wien.
 

CONTRA Vollbeschäftigung

VOLLBESCHÄFTIGUNG - GEHT'S NOCH?

Gemeinsam mit meiner AMS-Betreuerin arbeite ich daran, dem Zustand der Vollbeschäftigung in Österreich in Zeiten der Krise näherzukommen. Zur Schönung der diesbezüglichen Statistik trainiere ich fünf Wochen lang mit zwei Dutzend anderen „Überflüssigen“, mich am Arbeitsmarkt richtig zu positionieren und meine Nische am Markt zu lokalisieren. Der Geheimtipp der Trainer*innen bei völliger Missachtung der gesellschaftlichen Verhältnisse: Du kannst alles erreichen, wenn du es nur wirklich willst. Und wenn es mit dem Traumjob doch nicht klappt, bist du jedenfalls selbst schuld. Diese „Maßnahme“ ist allerdings noch die harmlose Variante.

Abgesehen davon: Vollbeschäftigung im Kapitalismus langfristig zu realisieren, ist rein ökonomisch unmöglich, denn die damit kurzfristig erreichbaren hohen Löhne führen schließlich zu sinkendem Mehrwert und damit über kurz oder lang zu einer notwendigen Steigerung der Produktivkräfte. Diese Erhöhung des Ertrages lässt sich beispielsweise durch neue Maschinen realisieren, wodurch Arbeitskräfte letztlich wieder freigesetzt werden.
Und außerdem: Was wäre mit einer Vollbeschäftigung überhaupt gewonnen? Die Ausbeutung (also: die Nicht-Bezahlung des durch die Arbeitskraft produzierten Mehrwerts) endlich auch der „Langzeitarbeitslosen“ und „nicht vermittelbaren“ Klient*innen des AMS, sofern das in den aus- und vorgelagerten „sozialökonomischen“ Betrieben nicht ohnehin schon und in noch viel krasserem Ausmaß geschieht?

Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, den Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft bei ansonsten drohendem persönlichem Untergang auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen? Das hieße wiederum, an die Stelle der Verwertung des Kapitals endlich die menschlichen Bedürfnisse zu setzen – damit man und frau sich schließlich geruhsam auf ihr Recht auf Faulheit zurückziehen, oder, jenseits jeglichen Arbeitszwangs in jener Art und Weise betätigen kann, die die Bezeichnung „Arbeit“ nicht mehr verdient. Um mit Marx zu sprechen: Jede nach ihren Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Wo der Scheinwerfer nicht hingelangt

  • 28.09.2012, 10:24

Die Jungautorin Anna Weidenholzer über den Entstehungsprozess ihres jüngst im Residenzverlag erschienenen Romans Der Winter tut den Fischen gut, ihren Zugang zum Schreiben und Sprachminimalismus.

Die Jungautorin Anna Weidenholzer über den Entstehungsprozess ihres jüngst im Residenzverlag erschienenen Romans Der Winter tut den Fischen gut, ihren Zugang zum Schreiben und Sprachminimalismus.

progress: Dein erster Roman Der Winter tut den Fischen gut ist gerade im Residenzverlag erschienen. Wann hast du zu schreiben begonnen?

Anna Weidholzer: Ich hab immer geschrieben. Schon als Kind, später mal mehr, mal weniger. Während und nach dem Studium hab ich im Journalismus gearbeitet. Ich habe dann in Leonding die Leondinger Akademie für Literatur besucht. Dort habe ich den Literaturbetrieb kennengelernt, welche Zeitschriften, Stipendien und Preise es gibt und begonnen, die ersten Sachen einzureichen. So ist dann alles ins Laufen gekommen.

Wie hast du es geschafft, bei einem so großen Verlag wie dem Residenzverlag unterzukommen?

Über das erste Buch Der Platz des Hundes, das beim Welser Mitter Verlag erschien. Mein jetziger Lektor bekam es empfohlen, hat es gelesen und war begeistert. Irgendwann war dann ein Mail von ihm in meinem Posteingang.

Wie hast du dich dem Thema deines Romans genähert?

Es geht um Maria, eine arbeitslose Frau. Sie ist eine Textilfachverkäuferin, verliert mit Ende vierzig ihren Arbeitsplatz und ist dann in dieser schwierigen Situation, dass sie als für den Arbeitsmarkt zu alt und als schwer vermittelbar gilt. Sie verliert damit auch ihr soziales Umfeld und kommt immer mehr in die Isolation. Für das Buch hab ich beim AMS recherchiert, mit einem  Arbeitslosenverein zusammengearbeitet und mit arbeitslosen Frauen gesprochen, alle so um die vierzig. Aus den Gesprächen hat sich dann auch die Struktur des Buches ergeben. Marias Leben wird rückwärts erzählt. In längeren und kürzeren Kapiteln wird ihre Geschichte aufgerollt. Der Ausgangspunkt war der, dass ich jedes Mal einer Frau begegnet bin, von der ich außer ihrem Namen nur wusste, dass sie langzeitarbeitslos ist. Dann sprachen wir miteinander und es ergaben sich kleine Mosaike aus ihrem Leben. Man sieht nach ein paar  Stunden Gespräch die Person ganz anders. Das wollte ich in dem Buch nachbilden, dass man die arbeitslose Maria nicht nur als Arbeitslose sieht, sondern in ihrer ganzen Geschichte, weil sie denGroßteil ihres Lebens ja auch anders verbracht hat.

In der Protagonistin Maria stecken also verschiedene Geschichten über Arbeitslosigkeit?

Ja, es geht aber nicht nur um Arbeitslosigkeit, sondern auch ganz stark um Identität. Es sind mehrere kleine Geschichten, die immer mehr aus ihrem Leben ergeben.

War es für dich wichtig, eine Frau als Hauptcharakter zu wählen?

Bei dem Thema schon. Weil es für Frauen einfach noch einmal schwieriger ist, in dem Alter eine Arbeit zu finden. Mir war es deswegen wichtig, dass Maria eine Frau ist, und ich habe auch die Interviews nur mit Frauen geführt.

Warum das Thema Arbeitslosigkeit?

Es sind da mehrere Faktoren zusammengekommen. Das Thema hat mich schon länger beschäftigt. Der ausschlaggebende Moment zur Figur Marias war wohl beim Theater Hausruck in Attnang-Puchheim in Oberösterreich. Dort wurde ein Stück in einer ehemaligen Fabrik aufgeführt, eine Polstermöbelfabrik, die in Konkurs gegangen ist. Am Schluss des Stücks gab es eine Szene, wo in einem Lagerregal statt Waren Menschen in den Fächern waren. Die SchauspielerInnen haben einfach die Geschichten von Arbeitslosen in der Region erzählt. Also ganz normale Geschichten, Biographien, wo dann der Bruch dadurch kommt, dass man den Arbeitsplatz und das Umfeld verliert. Das war der zündende Moment zu den Interviews. Ich glaube, dass Arbeitslosigkeit immer ein Thema ist, solange es Arbeit gibt. Und dass die Tatsache, als was, wo und ob man arbeitet, sehr viel im Leben bestimmt.

In deinem Roman verstecken sich viele Zitate. In den Quellen ist auch die bekannte Studie Die Arbeitslosen von Marienthal von Paul Lazarsfeld und Marie Jahoda angeführt. Inwiefern spielte diese eine Rolle für dein Werk?

Die Studie war eine Basis für mein Buch. Ich habe es in den Interviews und der Recherche spannend gefunden, was sich in den 80 Jahren seit ihrem Erscheinen geändert hat – und das eigentlich relativ viel gleich geblieben ist. Die Art etwa,  wie man mit Arbeitslosigkeit umgeht. Es gibt verschiedene Typen: die, die  zuhause bleiben, nichts mehr machen und ihre Kinder nicht mehr versorgen, oder die, die noch ein bisschen aktiver sind und mit der Situation besser umgehen. Es war natürlich ganz ein anderes Umfeld in Marienthal 1933 als in Oberösterreich 2010, aber es gibt Parallelen. Ich denke, Arbeitslosigkeit wird immer ein großes Thema für die Betroffenen, aber auch für Nichtbetroffene bleiben. Es ist ein ziemliches Tabuthema. Es war zum Beispiel irrsinnig schwierig, Interviewpartnerinnen zu finden, die über ihre Situation sprechen wollten. Die wenigsten stehen zu ihrer Arbeitslosigkeit. Die meisten sagen: „Ich orientiere mich neu.“ oder: „Ich schau jetzt einmal.“

Es kommt auch ein Zitat aus Hildegard Knefs Rote Rosen vor …

Im Buch sind viele Zitate aus Schlagern und Ratgebern. Ganz am Anfang zum Beispiel: „Machen sie konsequent systematisch parallel schnell und viel.“ Das ist so ein Ratgeber-Satz. Die vielen Schlager kommen vor, einfach weil Maria gerne Schlager hört und davon träumt, Sängerin zu sein. Auch Elvis kommt oft vor, weil ihr verstorbener Mann Elvis-Imitator war. Ich habe für das Buch viel Elvis und Schlager gehört. Was gut zur Figur passt, hab ich dann hineingenommen. Oder auch, was ich in Cafés gehört habe.

Hast du dich zum Schreiben bewusst an Orte begeben, an denen du dich sonst nicht aufhältst, die aber zu Maria passen?

Eigentlich bin ich mehr durch Zufall dort hingekommen und hab mir dann gedacht, das passt gut zu Maria. Einmal zum Beispiel war ich in so einem Beisl beim Franz-Josefs-Bahnhof in Wien. Weil alles schon zugehabt hat, sind wir dort hineingegangen. Das war einfach super dort. Es gab nur zwei Sorten Wein, Rot oder Weiß, auf dem Tisch war ein Foto von einem Hund. Meine Freundin hat gefragt, wo dieser Hund ist und die Kellnerin deutete zum Fenster, wo eine Urne stand, mit dem Hund drinnen. Daraus ist das Bistro Brigitte im Buch entstanden.

Ist es nicht sehr schwierig, über ein Milieu zu schreiben, aus dem man selbst nicht stammt? Die Grenze zum Voyeurismus ist doch oft sehr schmal.

Wenn man mit dem Finger auf Leute zeigt, sich über sie lustig macht, um sich selbst weiter oben zu sehen, wird es problematisch. Dann wird das Ganze zum Sozialporno, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Sicher, ich habe einen anderen Hintergrund als meine Protagonistin Maria, ich habe studiert, sie hat eine Lehre gemacht. Aber das ist ja das Spannende am Schreiben, den eigenen Horizont zu erweitern und sich mit anderen Lebensrealitäten auseinanderzusetzen. Mich interessieren die Ecken, wo der Scheinwerfer nicht hingelangt, das Alltägliche, das Absurde im Alltäglichen, ohne zu erklären oder zu belehren. Beschreiben, ohne bloßzustellen, den Figuren ihre Würde lassen.

Die Sprache in deinem Buch ist eher langsam und stark im Detail. Ist das dein üblicher Schreibstil oder eher ein Resultat der Handlung?

Es ist generell schon eher meine Schreibweise. Am Anfang des Buches sind vielleicht noch mehr Details, weil die Protagonistin alleine ist, und wenn man alleine ist ja auch nicht wirklich viel passiert.

Du verwendest außerdem eine sehr reduzierte Sprache, keine Fragezeichen, keine Ausrufezeichen …

Genau. Ich verwende auch keine Anführungszeichen. Mir kommt das oft zu stark vor. Ich mag es, wenn ein Text fließend ist und offen bleibt. Mir sind manche Wörter einfach zu viel. Ich habe eher einen minimalistischen Zugang zur Sprache. Die Protagonistin wirkt im Laufe der Arbeitslosigkeit immer neurotischer und esoterischer, nicht nur durch die Sprache. Sie hört auf, zum AMS zu gehen und versucht es mit Ratgeber und Selbstoptimierungsliteratur. Sie beginnt etwa,  Zettel mit Sätzen von in ihren Augen erfolgreichen Menschen auf den Spiegel zu kleben. Das ist diese Universumsgeschichte: Wenn man stark genug ans Universum glaubt, wird es alles richten. Das findet man in einem Bestseller-Ratgeber namens The Secret. Da steht etwa, dass man Rechnungen immer zerreißen soll, denn mit ihnen kommt Schlechtes ins Leben. Je mehr Rechnungen man bekommt, desto mehr glaubt man, dass man welche bekommt und man kriegt so nur noch Rechnungen. In solchen Ratgebern fällt die Schuld immer auf das Individuum zurück: Wenn ich mich an das halten würde, was in  dem Ratgeber steht, würde ich auch aus der Situation rauskommen. Indem ich  das aber nicht ganz schaffe, scheitere ich weiter. Es fällt alles auf das Individuum zurück – so als ob es keine gesellschaftliche oder soziale Verantwortung gäbe.

Lesungen und Termine:

http://annaweidenholzer.at/http://annaweidenholzer.at/termine

Zur Person

Anna Weidenholzer wurde 1984 in Linz geboren und hat Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und Wrocław studiert. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, unter anderen den Alfred-Gesswein-Preis 2009. Mit ihrem Erzählband Der Platz des Hundes war sie für das Europäische Festival des Debütromans in Kiel nominiert. 2011 erhielt sie das Österreichische Staatsstipendium für Literatur.

Die Jungautorin Anna Weidenholzer über den Entstehungsprozess ihres jüngst im Residenzverlag erschienenen Romans Der Winter tut den Fischen gut, ihren Zugang zum Schreiben und Sprachminimalismus.

progress: Dein erster Roman Der Winter tut den Fischen gut ist gerade im Residenzverlag erschienen. Wann hast du zu schreiben begonnen?

Anna Weidholzer: Ich hab immer geschrieben. Schon als Kind, später mal mehr, mal weniger. Während und nach dem Studium hab ich im Journalismus gearbeitet. Ich habe dann in Leonding die Leondinger Akademie für Literatur besucht. Dort habe ich den Literaturbetrieb kennengelernt, welche Zeitschriften, Stipendien und Preise es gibt und begonnen, die ersten Sachen einzureichen. So ist dann alles ins Laufen gekommen.

Wie hast du es geschafft, bei einem so großen Verlag wie dem Residenzverlag unterzukommen?

Über das erste Buch Der Platz des Hundes, das beim Welser Mitter Verlag erschien. Mein jetziger Lektor bekam es empfohlen, hat es gelesen und war begeistert. Irgendwann war dann ein Mail von ihm in meinem Posteingang.

Wie hast du dich dem Thema deines Romans genähert?

Es geht um Maria, eine arbeitslose Frau. Sie ist eine Textilfachverkäuferin, verliert mit Ende vierzig ihren Arbeitsplatz und ist dann in dieser schwierigen Situation, dass sie als für den Arbeitsmarkt zu alt und als schwer vermittelbar gilt. Sie verliert damit auch ihr soziales Umfeld und kommt immer mehr in die Isolation. Für das Buch hab ich beim AMS recherchiert, mit einem  Arbeitslosenverein zusammengearbeitet und mit arbeitslosen Frauen gesprochen, alle so um die vierzig. Aus den Gesprächen hat sich dann auch die Struktur des Buches ergeben. Marias Leben wird rückwärts erzählt. In längeren und kürzeren Kapiteln wird ihre Geschichte aufgerollt. Der Ausgangspunkt war der, dass ich jedes Mal einer Frau begegnet bin, von der ich außer ihrem Namen nur wusste, dass sie langzeitarbeitslos ist. Dann sprachen wir miteinander und es ergaben sich kleine Mosaike aus ihrem Leben. Man sieht nach ein paar  Stunden Gespräch die Person ganz anders. Das wollte ich in dem Buch nachbilden, dass man die arbeitslose Maria nicht nur als Arbeitslose sieht, sondern in ihrer ganzen Geschichte, weil sie denGroßteil ihres Lebens ja auch anders verbracht hat.

In der Protagonistin Maria stecken also verschiedene Geschichten über Arbeitslosigkeit?

Ja, es geht aber nicht nur um Arbeitslosigkeit, sondern auch ganz stark um Identität. Es sind mehrere kleine Geschichten, die immer mehr aus ihrem Leben ergeben.

War es für dich wichtig, eine Frau als Hauptcharakter zu wählen?

Bei dem Thema schon. Weil es für Frauen einfach noch einmal schwieriger ist, in dem Alter eine Arbeit zu finden. Mir war es deswegen wichtig, dass Maria eine Frau ist, und ich habe auch die Interviews nur mit Frauen geführt.

Warum das Thema Arbeitslosigkeit?

Es sind da mehrere Faktoren zusammengekommen. Das Thema hat mich schon länger beschäftigt. Der ausschlaggebende Moment zur Figur Marias war wohl beim Theater Hausruck in Attnang-Puchheim in Oberösterreich. Dort wurde ein Stück in einer ehemaligen Fabrik aufgeführt, eine Polstermöbelfabrik, die in Konkurs gegangen ist. Am Schluss des Stücks gab es eine Szene, wo in einem Lagerregal statt Waren Menschen in den Fächern waren. Die SchauspielerInnen haben einfach die Geschichten von Arbeitslosen in der Region erzählt. Also ganz normale Geschichten, Biographien, wo dann der Bruch dadurch kommt, dass man den Arbeitsplatz und das Umfeld verliert. Das war der zündende Moment zu den Interviews. Ich glaube, dass Arbeitslosigkeit immer ein Thema ist, solange es Arbeit gibt. Und dass die Tatsache, als was, wo und ob man arbeitet, sehr viel im Leben bestimmt.

In deinem Roman verstecken sich viele Zitate. In den Quellen ist auch die bekannte Studie Die Arbeitslosen von Marienthal von Paul Lazarsfeld und Marie Jahoda angeführt. Inwiefern spielte diese eine Rolle für dein Werk?

Die Studie war eine Basis für mein Buch. Ich habe es in den Interviews und der Recherche spannend gefunden, was sich in den 80 Jahren seit ihrem Erscheinen geändert hat – und das eigentlich relativ viel gleich geblieben ist. Die Art etwa,  wie man mit Arbeitslosigkeit umgeht. Es gibt verschiedene Typen: die, die  zuhause bleiben, nichts mehr machen und ihre Kinder nicht mehr versorgen, oder die, die noch ein bisschen aktiver sind und mit der Situation besser umgehen. Es war natürlich ganz ein anderes Umfeld in Marienthal 1933 als in Oberösterreich 2010, aber es gibt Parallelen. Ich denke, Arbeitslosigkeit wird immer ein großes Thema für die Betroffenen, aber auch für Nichtbetroffene bleiben. Es ist ein ziemliches Tabuthema. Es war zum Beispiel irrsinnig schwierig, Interviewpartnerinnen zu finden, die über ihre Situation sprechen wollten. Die wenigsten stehen zu ihrer Arbeitslosigkeit. Die meisten sagen: „Ich orientiere mich neu.“ oder: „Ich schau jetzt einmal.“

Es kommt auch ein Zitat aus Hildegard Knefs Rote Rosen vor …

Im Buch sind viele Zitate aus Schlagern und Ratgebern. Ganz am Anfang zum Beispiel: „Machen sie konsequent systematisch parallel schnell und viel.“ Das ist so ein Ratgeber-Satz. Die vielen Schlager kommen vor, einfach weil Maria gerne Schlager hört und davon träumt, Sängerin zu sein. Auch Elvis kommt oft vor, weil ihr verstorbener Mann Elvis-Imitator war. Ich habe für das Buch viel Elvis und Schlager gehört. Was gut zur Figur passt, hab ich dann hineingenommen. Oder auch, was ich in Cafés gehört habe.

Hast du dich zum Schreiben bewusst an Orte begeben, an denen du dich sonst nicht aufhältst, die aber zu Maria passen?

Eigentlich bin ich mehr durch Zufall dort hingekommen und hab mir dann gedacht, das passt gut zu Maria. Einmal zum Beispiel war ich in so einem Beisl beim Franz-Josefs-Bahnhof in Wien. Weil alles schon zugehabt hat, sind wir dort hineingegangen. Das war einfach super dort. Es gab nur zwei Sorten Wein, Rot oder Weiß, auf dem Tisch war ein Foto von einem Hund. Meine Freundin hat gefragt, wo dieser Hund ist und die Kellnerin deutete zum Fenster, wo eine Urne stand, mit dem Hund drinnen. Daraus ist das Bistro Brigitte im Buch entstanden.

Ist es nicht sehr schwierig, über ein Milieu zu schreiben, aus dem man selbst nicht stammt? Die Grenze zum Voyeurismus ist doch oft sehr schmal.

Wenn man mit dem Finger auf Leute zeigt, sich über sie lustig macht, um sich selbst weiter oben zu sehen, wird es problematisch. Dann wird das Ganze zum Sozialporno, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Sicher, ich habe einen anderen Hintergrund als meine Protagonistin Maria, ich habe studiert, sie hat eine Lehre gemacht. Aber das ist ja das Spannende am Schreiben, den eigenen Horizont zu erweitern und sich mit anderen Lebensrealitäten auseinanderzusetzen. Mich interessieren die Ecken, wo der Scheinwerfer nicht hingelangt, das Alltägliche, das Absurde im Alltäglichen, ohne zu erklären oder zu belehren. Beschreiben, ohne bloßzustellen, den Figuren ihre Würde lassen.

Die Sprache in deinem Buch ist eher langsam und stark im Detail. Ist das dein üblicher Schreibstil oder eher ein Resultat der Handlung?

Es ist generell schon eher meine Schreibweise. Am Anfang des Buches sind vielleicht noch mehr Details, weil die Protagonistin alleine ist, und wenn man alleine ist ja auch nicht wirklich viel passiert.

Du verwendest außerdem eine sehr reduzierte Sprache, keine Fragezeichen, keine Ausrufezeichen …

Genau. Ich verwende auch keine Anführungszeichen. Mir kommt das oft zu stark vor. Ich mag es, wenn ein Text fließend ist und offen bleibt. Mir sind manche Wörter einfach zu viel. Ich habe eher einen minimalistischen Zugang zur Sprache. Die Protagonistin wirkt im Laufe der Arbeitslosigkeit immer neurotischer und esoterischer, nicht nur durch die Sprache. Sie hört auf, zum AMS zu gehen und versucht es mit Ratgeber und Selbstoptimierungsliteratur. Sie beginnt etwa,  Zettel mit Sätzen von in ihren Augen erfolgreichen Menschen auf den Spiegel zu kleben. Das ist diese Universumsgeschichte: Wenn man stark genug ans Universum glaubt, wird es alles richten. Das findet man in einem Bestseller-Ratgeber namens The Secret. Da steht etwa, dass man Rechnungen immer zerreißen soll, denn mit ihnen kommt Schlechtes ins Leben. Je mehr Rechnungen man bekommt, desto mehr glaubt man, dass man welche bekommt und man kriegt so nur noch Rechnungen. In solchen Ratgebern fällt die Schuld immer auf das Individuum zurück: Wenn ich mich an das halten würde, was in  dem Ratgeber steht, würde ich auch aus der Situation rauskommen. Indem ich  das aber nicht ganz schaffe, scheitere ich weiter. Es fällt alles auf das Individuum zurück – so als ob es keine gesellschaftliche oder soziale Verantwortung gäbe.

Lesungen und Termine:

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Zur Person

Anna Weidenholzer wurde 1984 in Linz geboren und hat Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und Wrocław studiert. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, unter anderen den Alfred-Gesswein-Preis 2009. Mit ihrem Erzählband Der Platz des Hundes war sie für das Europäische Festival des Debütromans in Kiel nominiert. 2011 erhielt sie das Österreichische Staatsstipendium für Literatur.